Wirtschaft
Wie wettbewerbsfähig ist Deutschland?

Der Wirtschaftsstandort Deutschland fällt laut Studien immer weiter zurück. Auch die Industrie bewertet ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit zunehmend negativ. Was sind die Ursachen? Welche positiven Entwicklungen gibt es? Und was unternimmt die Politik?

    Stahlarbeiter ziehen im Stellwerk von Thyssenkrupp eine Probe.
    Deutschlands größter Stahlhersteller Thyssenkrupp Steel will in den kommenden Jahren Tausende Stellen abbauen. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Die deutsche Wirtschaft hat schon wesentlich bessere Tage gesehen. Unternehmen wie Volkswagen, Bosch, Ford oder Thyssenkrupp wollen Tausende Stellen streichen. Insolvenzen häufen sich, Investoren wandern ab. Der Standort Deutschland verliert zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit. Doch es gibt auch positive Entwicklungen.

    Inhalt

    Was bedeutet Wettbewerbsfähigkeit?

    Die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes beruht auf verschiedenen Säulen. Dazu zählen laut Weltwirtschaftsforum (WEF) unter anderem gute Infrastruktur, ein effizienter Arbeitsmarkt, Innovation, aber auch Gesundheit, Bildung und eine gut funktionierende Regierung. Ein wettbewerbsfähiges Land wächst nachhaltig, schafft neue Arbeitsplätze und ist als Standort attraktiv für Unternehmen.
    Gemessen wird Wettbewerbsfähigkeit von Staaten zum Beispiel mithilfe des World Competitiveness Rankings der Schweizer IMD Hochschule. Anhand von 333 Kriterien vergleicht die Hochschule jährlich die Wettbewerbsfähigkeit der 67 führenden Wirtschaftsnationen.
    Ein Grafik-Diagramm zeigt die steigende Zahl der Insolvenzen in Deutschland
    Insolvenzen in Deutschland. (dpa-infografik GmbH / dpa-infografik GmbH)

    Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da?

    Im aktuellen IMD World Competitiveness Ranking rutscht Deutschland von 2023 auf 2024 um zwei Plätze auf den 24. Platz und liegt damit hinter China, Saudi-Arabien und Island. 2022 belegte die Bundesrepublik noch den 15. Platz.
    Die deutsche Industrie bewertet ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit ebenfalls zunehmend negativ. Einer Befragung der Ifo-Instituts zufolge hat sich deren Wettbewerbsposition in den vergangenen beiden Jahren so stark verschlechtert wie nie zuvor seit Beginn der Erhebung im Jahr 1994. Im EU-Vergleich gehört Deutschland laut Ifo-Institut zu den Schlusslichtern bei der Entwicklung der Wettbewerbsposition – gemeinsam mit Belgien, Österreich und Finnland.

    Was sind die Gründe für den Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands?

    Für den Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit gibt es verschiedene Gründe – wirtschaftliche, strukturelle und politische:

    Hohe Energiepreise

    Ein Hauptproblem für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sind die im Vergleich mit anderen Industrieländern hohen Energiekosten. Das Problem ist allerdings zum großen Teil hausgemacht: Nach dem Atomausstieg und dem geplanten Kohleausstieg hatte Deutschland auf Erdgas als Energiequelle gesetzt. Langjähriger Lieferant für preiswertes Erdgas war Russland. Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist Deutschland auf andere Staaten als Gaslieferanten umgestiegen. Die Gaspreise erhöhten sich dadurch.
    Auch die Strompreise blieben – unter anderem wegen hoher Steuern, Abgaben und Umlagen – auf einem hohen Niveau. Das belastet energieintensive Industrien, wie etwa die Papier-, Chemie-, Stahl- oder Glasindustrie.

    Marode Infrastruktur und überbordende Bürokratie

    Die teils marode Infrastruktur in Deutschland belastet die Wirtschaft ebenfalls. Die eingestürzte Brücke in Dresden sei nur ein Beispiel dafür, dass es seit vielen Jahren schlecht mit der Infrastruktur aussehe, meint etwa Volkswirt Niklas Potrafke. „Unsere Straßen funktionieren nicht richtig, die Bahn fährt nicht vernünftig, Brücken stürzen ein. Wir brauchen vernünftiges Geld in Universitäten und Schulen.“
    Auch der hohe Bürokratieaufwand wird immer wieder von Unternehmen beklagt. Laut Statistischem Bundesamt ist der finanzielle Aufwand der Unternehmen für Bürokratie inflationsbereinigt seit 2012 aber um fünf Prozentpunkte gesunken. Die Belastung hat sich mit einigen Schwankungen über die Jahre kontinuierlich verringert.
    Unternehmen nehmen die Situation allerdings häufig anders wahr. Ein Grund dürften zusätzliche Vorschriften, Dokumentationspflichten und Einschränkungen sein: Der CO2-Ausstoß soll gesenkt, das Artensterben verringert oder unwürdige Arbeitsbedingungen in anderen Ländern verbessert werden.

    Arbeitskosten und Fachkräftemangel

    Den Preis, den Unternehmen für Arbeit zahlen müssen, ist in Deutschland höher als der europäische Durchschnitt. Eine Arbeitsstunde kostete im Jahr 2023 hierzulande im Schnitt 41,30 Euro, während der EU-Durchschnitt bei nur 31,80 Euro lag. Wegen der hohen Inflation der vergangenen Jahre haben Gewerkschaften bei den jüngsten Tarifverhandlungen in verschiedenen Branchen steigende Löhne und Gehälter aushandeln können. Somit werden die Lohnkosten auch in naher Zukunft tendenziell hoch bleiben.
    Der Fachkräftemangel und die Tatsache, dass die geburtenstarken Jahrgänge bald in Rente gehen, dürfte dafür sorgen, dass Unternehmen mit entsprechenden Gehältern um Bewerber konkurrieren müssen. Die Lohnkosten werden also voraussichtlich sogar noch weiter steigen.
    Eine IW-Prognose zum Fachkräftemangel im Jahr 2027. Demnach werden im Verkauf die meisten Fachkräfte fehlen.
    2027 fehlen laut einer IW-Prognose rund 728.000 Fachkräfte in Deutschland. (dpa / dpa-infografik GmbH)

    Politische Unsicherheit

    Die innenpolitische Polarisierung belastet nach Ansichten von Experten zusätzlich das Investitionsklima in Deutschland und damit die Wettbewerbsfähigkeit. Der Erfolg der AfD schrecke viele Fachkräfte und Unternehmen ab, heißt es. „Der Wahlerfolg der AfD ist sehr negativ zu bewerten mit Blick auf die Attraktivität für wirtschaftliche Aktivitäten“, meint etwa Volkswirt Niklas Potrafke vom Münchner Ifo-Institut.

    Welche positiven Entwicklungen gibt es?

    Trotz der vielen Herausforderungen läuft auch vieles gut für die deutsche Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland zählt weiterhin zu den führenden Innovationsländern weltweit. Die Investitionen in Forschung und Entwicklung haben 2022 mit rund 121 Milliarden Euro einen Höchststand erreicht, wie es im aktuellen „Bundesbericht Forschung & Innovation“ heißt.
    Auch die politische Stabilität insgesamt und ein verlässliches Rechtssystem sind wesentliche Säulen für die Wettbewerbsfähigkeit. Außerdem nimmt Deutschland bei grünen Technologien weiterhin eine Vorreiterrolle in Europa ein: Laut dem TÜV-Verband kam 2022 mehr als die Hälfte der relevanten Patente in der EU aus der Bundesrepublik.

    Was tut die Politik zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit?

    Die Politik hat schon einige Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf den Weg gebracht. Über andere wird teils heftig gestritten.

    Strompreise

    Die Abschaffung der EEG-Umlage und die Senkung der europäischen Stromsteuer haben bereits dazu geführt, dass kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland Strompreise auf dem Niveau von 2016/2017 zahlen. Für energieintensive Unternehmen bleiben die Energiepreise jedoch weiterhin hoch. Der Grünen-Politiker Michael Kellner spricht sich daher für einen Brückenstrompreis aus – ein zeitlich begrenztes Subventionsmodell, das energieintensive Unternehmen in Deutschland entlasten soll, indem der Staat einen Teil der Stromkosten übernimmt. 
    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will unter anderem bei den Netzentgelten ansetzen, also dem Preis für die Betreiber von Stromnetzen. Er setze sich hier für einen Zuschuss für das Jahr 2025 ein, so Habeck. Für energieintensive Unternehmen soll zudem die staatliche Strompreiskompensation ausgeweitet werden, „damit sie wirklich alle relevanten Branchen und Unternehmen erfasst.“

    Bürokratieentlastungsgesetz

    Um den bürokratischen Aufwand weiter zu senken, hat die Bundesregierung für 2025 das Bürokratieentlastungsgesetz auf den Weg gebracht. Doch laut dem German Business Panel glauben 67 Prozent der befragten Unternehmen, dass das Gesetz nur geringe Besserungen bringen wird. Neue Dokumentationspflichten, etwa in den Bereichen Nachhaltigkeit und Lieferketten, tragen aus Sicht vieler Unternehmen zudem eher zur Verschärfung der bürokratischen Belastung bei und werden von 56 Prozent häufig als Hindernis für Investitionen genannt.

    Investitionen und Schuldenbremse

    Strittig ist, ob eine Lockerung Schuldenbremse die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands verbessern kann.
    Im internationalen Vergleich ist Deutschland laut dem Grünen-Politiker Michael Kellner gering verschuldet. Kellner spricht sich daher für eine Reform der Schuldenbremse aus. So sollen Investitionen in den Klimaschutz, die Infrastruktur, ein Wasserstoffnetz sowie in Bildung ermöglicht werden.
    Niklas Potrafke vom ifo-Institut hält die Schuldenbremse hingegen für ein wichtiges Instrument. „Länder mit Schuldenbremsen sind deutlich besser und schneller gewachsen als Länder ohne“, so der Volkswirt.
    Auch gezielte Subventionen hält der Volkswirt für den falschen Ansatz. „Wir müssen überlegen, wie wir von Subventionen wegkommen und dafür sorgen, dass Unternehmen hier gerne produzieren, weil sie hervorragende Rahmenbedingungen vorfinden. Gute Rahmenbedingungen sind nachhaltiger als gezielte Investitionshilfen.“ Potrafke warnt vor den Folgen einer subventionsgetriebenen Politik: „Wenn man jetzt anfängt, durch Subventionen den Mechanismus des Wettbewerbs auszusetzen, dann werden wir langfristig verlieren, weil einfach die Innovationskraft und die Investitionsbereitschaft sinkt.“

    mag/ema/tmk