Susanne Kuhlmann: Am vorletzten Tag des Jahres zieht der Deutsche Wetterdienst Bilanz. Wir erinnern uns an Sommertage mit Temperaturen teils über 40 Grad, aber wir erinnern uns kaum an Regen.
- Am Telefon in Offenbach ist der Meteorologe Andreas Friedrich. Guten Tag!
Andreas Friedrich: Ja, hallo, schönen guten Tag!
Kuhlmann: Herr Friedrich, wie fällt die Bilanz des Deutschen Wetterdienstes für 2019 denn aus?
Friedrich: Ja, wir haben die Zahlen mal ausgewertet, natürlich noch mit einem Vorbehalt, denn die letzten zwei Tage des Jahres, da haben wir jetzt Hochrechnungen, also Vorhersagen benutzt, aber das gibt in der Regel jetzt keine Abweichungen mehr. Wenn wir über das ganze Jahr reden, dann sind das höchstens noch Zehntelgrad oder weniger Zehntelgrad Abweichung, die wir haben. Was können wir feststellen? Ja, es war in Deutschland das drittwärmste Jahr seit Beginn regelmäßiger Wetteraufzeichnungen. Und die haben wir jetzt immerhin schon seit 1881. Und damit kann man sagen, geht die Klimaerwärmung in Deutschland weiterhin auf die Überholspur, denn es ist ja nicht nur das eine Jahr, was uns zu denken gibt, sondern neun der zehn wärmsten Jahre seit 1881 sind alle in der letzten Dekade, das heißt in den Jahren 2010 bis 2019 aufgetreten. Und diese Häufung, die ist nicht mehr zufällig, da sieht man eindeutig, der Klimawandel hat sich noch beschleunigt in Deutschland. Und nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit, denn auch weltweit liegen schon Auswertungen vor. Demnach wird global gesehen 2019 wohl das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Weltweit war das wärmste Jahr 2016, in Deutschland war das letzte Jahr übrigens, 2018, das wärmste Jahr. Insofern reiht sich hier praktisch Wärmerekord auf Wärmerekord.
"Die Rekorde häufen sich"
Kuhlmann: Wir reden also eher über die Auswirkungen des Klimawandels als über das Wetter, haben Sie eben angedeutet. Werden denn warme Jahre wie die jüngst vergangenen zur neuen Normalität bei uns?
Friedrich: Auf jeden Fall liegen wir ganz klar im Trend, das heißt, die Rekorde häufen sich. Es wird jetzt nicht jedes Jahr wieder natürlich ein Rekordjahr kommen, da sind die Abweichungen von Jahr zu Jahr, die Varianzen schon noch übergeordnet. Das heißt, es kann auch mal wieder ein kälteres Jahr kommen, aber der Trend ist eindeutig. Wir sehen wie gesagt, dass die wärmsten Jahre sich häufen. Und insofern kann man ganz klar sagen, das ist kein Zufall mehr, sondern der Klimawandel und vor allem hier die Klimaerwärmung, die hat deutlich Fahrt aufgenommen. Und man kann sagen, wir sind hier wirklich auf der Überholspur, um es mal so dramatisch zu sagen.
Kuhlmann: Wenn Sie in die Wettergeschichte Deutschlands zurückblicken, seit der Deutsche Wetterdienst Daten erhebt – 1881 wurde das das erste Mal getan, sagten Sie eben –, welches Bild sehen Sie dann? Ist das eine Linie, die in der letzten Zeit steil nach oben zeigt?
Friedrich: Auf jeden Fall. Man sieht, dass die Abweichungen nach oben, wenn man da die Balken sich anschaut, wo dann in Rot die Abweichungen zu sehen sind nach oben und in Blau die Abweichungen nach unten, dann sieht man, dass die blauen Balken seit der Jahrtausendwende fast nicht mehr vorhanden sind. Da gibt es nur noch ganz wenige Jahre, die mal zu kalt ausfallen. Und man sieht, wenn man das auch dekadenweise betrachten, die Klimatologen rechnen ja über lange Zeiträume, man spricht von Klimatrends, wenn man mindestens 30 Jahre betrachtet. Deshalb vergleichen wir auch diese Mittelwerte immer mit der internationalen Normperiode, wie sie heißt, das ist der Bereich 1961 bis 1990, danach werden diese Abweichungen berechnet. Aber wenn man neuere Dekaden nimmt, sieht man, dass jede Dekade in Deutschland wärmer geworden ist, und das zeigt eigentlich ganz eindeutig, dass dieser Klimatrend sehr stabil nach oben weist und sogar in den letzten Jahren zugenommen hat. Man kann wirklich sagen, die Klimaerwärmung hat in den letzten 20, 30 Jahren an Fahrt aufgenommen in Deutschland und auch weltweit.
"Die extreme Hitze ist gefährlich"
Kuhlmann: Was heißt das für uns, wenn die Sommer künftig mediterran warm und trocken ausfallen, sollten wir unser Verhalten anpassen und zum Beispiel viel mehr Vorsicht beim Aufenthalt draußen walten lassen?
Friedrich: Ja, wir müssen vor allem im Sommer aufpassen. Wir hatten ja dieses Jahr die extremste Hitzewelle Ende Juli erlebt, die Deutschland bisher erlebt hat. Wir hatten um den 25. Juli erstmals in Deutschland, seit wir Wetteraufzeichnungen haben, an drei Tagen hintereinander mehr als 40 Grad beobachtet, und zwar an 23 Stationen wurden 25-mal in diesen drei Tagen die 40 Grad überschritten. Man muss das mal vergleichen: In den Jahrzehnten davor war es nur eine Handvoll Tage mal in Deutschland 40 Grad gewesen, und wir haben dieses Jahr sogar den alten Rekord über 2 Grad überschritten. Das heißt, die extreme Hitze, die ist natürlich gefährlich. Wir machen ja beim Deutschen Wetterdienst seit dem Hitzesommer 2003 ein Hitzewarnsystem, wo wir auch die Bevölkerung informieren über diese gefährliche Hitze. Denn das ist eigentlich die tödlichste Wettergefahr, die wir in Deutschland haben. Das ist viel gefährlicher, kostet mehr Menschenleben als Stürme im Winter, und deshalb ist die Hitze natürlich für uns im Sommer ein entscheidendes Phänomen, auf das wir uns in Zukunft verstärkt einstellen müssen.
Kuhlmann: Und was wird mit dem Winterwetter passieren, was sehen Sie dort voraus?
Friedrich: Auch die Winter werden natürlich milder, auch hier haben wir zum Beispiel im Dezember schon einen Temperaturanstieg von 1,7 Grad seit 1881 festzustellen, das bedeutet, die Schneefallgrenze steigt im Mittel. Es wird dann öfters auch mal bis in höheren Lagen Regen fallen statt Schnee, was dazu führt, dass zusammen mit etwas mehr Winterniederschlag – auch das ist eine Feststellung, die wir sehen in den Daten, dass im Winter die Niederschlagsmengen im Mittel zugenommen haben, und es wird mehr Regen fallen, weil die Schneefallgrenze auch ansteigt. Das kann zu größeren Hochwasserwellen führen, wenn nämlich der Niederschlag dann nicht in Schnee gebunden wird. Das hat natürlich Auswirkungen auch für Wintersport, denn die Schneefallgrenzen, wenn die nach oben gehen, werden auch zu Problemen für den Skitourismus führen. Gerade in den Mittelgebirgen in Deutschland wird es eben seltener zu Schneedecken führen und damit auch zu Beeinträchtigungen beim Wintersport.
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