"Wenn wir den Auftrag haben, innere Sicherheit zu gewährleisten, müssen wir das auch da können, wo über Terrorismus Kommunikation geführt wird", so Lewentz. Gleichzeitig müsse die Privatsphäre der Bürger geschützt bleiben.
Kritik übte er an seinem bayerischen Amtskollegen Joachim Herrmann (CSU). Mit seinen in den vergangenen Tagen geäußerten Ideen überfrachte Herrmann die Innenministerkonferenz, so Lewentz. Man sollte lieber kollegial miteinander sprechen, anstatt sich öffentlich zu äußern.
Lewentz zeigte sich gegenüber der von Herrmann geäußerten Idee der Ausweitung von Abschiebungen in den Irak kritisch. Rheinland-Pfalz schiebe zwar Menschen in den Irak ab - jedoch nur, wenn sie ein Verbrechen in Deutschland begangen hätten, ihre Identität nicht offenlegen wollten oder in ihrer Heimat an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Sonstige Abschiebungen in Gebiete, in denen lebensbedrohliche Zustände herrschten, verböten sich.
Den Vorschlag Herrmanns, auch Kinder überwachen zu dürfen, lehnt Lewentz ab. "Das ist undenkbar", so der SPD-Politiker. "Das geht nicht, das wollen wir nicht. Man muss Grenzen ziehen."
Das Interview in voller Länge:
Silvia Engels: Die Themen Terrorgefahr und innere Sicherheit stehen im Mittelpunkt, wenn sich heute die Innenminister der Länder und Bundesinnenminister de Maizière zu ihrer Frühjahrskonferenz zusammenfinden. Im Vorfeld der Sitzung in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden gab es schon mehrere Vorstöße aus den Ländern. Daniela Mildenstein:
Daniela Mildenstein berichtete, und am Telefon ist nun Roger Lewentz von der SPD. Er ist der Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz. Guten Morgen, Herr Lewentz!
"Kollege Herrmann überschlägt sich mit Vorschlägen"
Roger Lewentz: Schönen guten Morgen!
Engels: Am Wochenende konnten wir schon viele Einzelvorstöße von Ministern hören, unter anderem von Ihrem bayrischen Amtskollegen Joachim Herrmann von der CSU. Er tritt dafür ein, bundesweite Schleierfahndung zuzulassen, also auch verdachtsunabhängige Personenkontrolle. In Ihrem Bundesland gibt es dieses Instrument. In anderen, wie Nordrhein-Westfalen, nicht. Schließen Sie sich Herrn Herrmann an?
Lewentz: Kollege Herrmann überschlägt sich ja im Moment mit Vorschlägen, jeden Tag neue Initiativen, neue Ideen. Das ist ja eigentlich schon gut, dass wir jetzt endlich mal zusammenkommen in Dresden. Die Innenministerkonferenz ist von einem Einstimmigkeitsprinzip geprägt, das heißt, Vorschläge bei uns müssen von allen akzeptiert werden, und deswegen ist es viel besser, miteinander zu reden, als eine Salve von Vorschlägen vorzulegen. Wir haben Instrumente, und bisher ist nach wie vor festzustellen, dass Deutschland ein sehr, sehr sicheres Land ist. Von dem her würde ich auch die Kollegen nicht überfordern wollen.
Engels: Ich würde auch vorschlagen, damit wir unsere Hörer nicht überfordern, dass Sie vielleicht noch etwas näher an das Telefon herankommen, weil wir einige Aussetzer haben, aber wir versuchen es weiter. Also, Schleierfahndung – Sie haben zu recht drauf angesprochen – ist ein Thema, auf das sich alle verständigen könnten, müssten auch, aber man kann doch eine Meinung dazu haben. Wie ist Ihre?
Lewentz: Meine Meinung ist so – ich will das noch einmal sagen –, dass wir kollegial miteinander die Dinge besprechen, und es gibt Länder, die haben die eine Regelung und Länder haben eine andere Regelung.
"Menschen, die Verbrechen verursacht haben, werden abgeschoben"
Engels: Und das soll auch so bleiben?
Lewentz: Das ist Föderalismus. Das ist auch in Ordnung und gut so, nur wenn man sich jedes Mal die Hürden höherhängt, dann ist so eine Konferenz am Schluss so überfrachtet, dass es schwierig ist, gemeinsame Ergebnisse zu bringen. Das kritisiere ich am Kollegen Herrmann, der jetzt in den letzten Tagen enorm viele Vorschläge unterbreitet hat, alle öffentlich unterbreitet hat. Viel besser ist es, miteinander zu reden, statt sich sozusagen die Forderungshürden immer höherzuhängen.
Engels: Gilt das auch für den Vorschlag von Herrn Herrmann in Sachen Irak? Er hat ja auch am Wochenende verlangt, dass Straftäter und Gefährder wieder in alle Teile des Iraks abgeschoben werden sollen. Bislang gilt aufgrund der gefährlichen Lage dort ein Abschiebestopp für weite Teile des Landes. Was sagen Sie zu der Idee?
Lewentz: Na ja, das ist ja die gleiche Diskussion wie mit Afghanistan geführt wird. Das sagen ja wir auch in Rheinland-Pfalz, dass Menschen, die Verbrechen verursacht haben, Menschen, die nicht helfen, ihre Identität festzustellen, die werden abgeschoben. Ja, auch nach Afghanistan, aber man muss sich schon anschauen, wohin man genau abschiebt, denn es gibt Kriegsbereiche, und in den Krieg hinein abzuschieben, das ist etwas, was wir bisher sagen, das verbietet sich.
Engels: Und Rheinland-Pfalz wird sich gegen einen solchen Vorstoß, den Irak wieder generell als Abschiebeland zuzulassen, stemmen?
Lewentz: Also ich kenne den Vorschlag konkret von Herrn Herrmann nicht. Das ist einer von vielen, die er unterbreitet. Er soll mal seine Gedanken uns vortragen bei der Innenministerkonferenz, aber ganz klar ist, wir können doch nicht dahin abschieben, wo lebensbedrohliche Situationen sind. Das ist, glaube ich, in Deutschland eigentlich auch ganz überwiegend Konsens, und das sind die Dinge, die wir mit Herrn Herrmann zu besprechen haben.
"In Kriegsgebiete abschieben, das verbietet sich"
Engels: Wie hält es Rheinland-Pfalz generell mit Abschiebungen in den Irak oder nach Afghanistan derzeit?
Lewentz: Wir haben da eine klare Linie: nach Afghanistan nur in Ausnahmegründen. Analog wird es auch – wir haben nicht viele Fälle aus dem Irak – wohl auch für den Irak so gelten, dass wir, wenn Menschen hier Verbrechen begangen haben, wenn sie dort an Kriegshandlungen teilgenommen haben, wenn sie sich verweigern, ihre Identität offenzulegen, dann wird abgeschoben. Ansonsten sagen wir, in Kriegsgebiete abschieben, das verbietet sich.
Engels: Dann schauen wir auf das, was näher an die Tagesordnung, die eigentlich vorgesehen ist, auf der Konferenz heranrückt, nämlich Fahndungsinstrumente möglicherweise den Behörden zu geben, die sie bei der Terrorbekämpfung unterstützen. Thomas de Maizière, der Bundesinnenminister, ist da mit einer Forderung aufgetreten: Er verlangt, den Sicherheitsbehörden die Möglichkeit zu geben, auf Messengerdienste wie WhatsApp zuzugreifen. Sind Sie dabei?
Lewentz: Also das ist, glaube ich, eine sehr vernünftige Forderung, denn wir müssen sehen, die andere Seite, die Gegenseite, diejenigen, die Terror organisieren, organisieren es mit allen technischen Möglichkeiten, und alle technischen Möglichkeiten, die genutzt werden, um uns zu attackieren, bedeutet, wir müssen die gleichen Chancen haben, um das abzuwehren. Ich glaube, da werden wir drüber reden und werden dort auch versuchen, Einigkeit zu erzielen.
Privatsphäre schützen
Engels: Aber wie werden auf der anderen Seite Datenschutzrechte geschützt, denn natürlich wollen Bürger nicht, dass ihre WhatsApp-Mitteilungen mitgelesen werden?
Lewentz: Ja, das ist der Spannungsbogen, der miteinander besprochen werden muss, aber klar ist, wenn wir den Auftrag haben, und den haben wir, innere Sicherheit zu gewährleisten, Terrorismus abzuwehren, müssen wir auch dort Terrorismus abwehren können, wo Terrorismus geplant ist, wo Kommunikation über Terrorismus geführt wird, aber wir werden, wie bisher immer in Deutschland, auch Regeln hinbekommen, die dafür sorgen, dass die Menschen auch geschützt sind. Wir wollen ja ein freies Land haben, wo man auch seine Meinung in geschützten Foren von sich geben kann, ohne dass jedes Mal und bei jedem Wort der Staat draufschaut.
Engels: Regeln heißt in dem Fall, es gibt einen Einzelfall-richterlichen Beschluss?
Lewentz: Das muss man sehen. Das werden wir miteinander besprechen. Thomas de Maizière wird auch seine Vorstellungen konkreter dann auch auf der Innenministerkonferenz vorstellen. Wichtig ist, dass auf der einen Seite natürlich die private Sphäre unserer Bürgerinnen und Bürger geschützt bleibt. Auf der anderen Seite müssen wir abwehrbereit bleiben. Das heißt, dort, wo im Zweifelsfall auch Terrorismus oder Verbrechen abgesprochen werden können, wo Kommunikation läuft, da muss man im Zweifelsfall auch als Staat abwehrbereit bleiben, auch in diesen Bereichen.
Engels: Das deute ich so: Schnelligkeit im Fall von Gefahrenabwehr kann auch einen richterlichen Beschluss übersteigen?
Lewentz: Das ist im Einzelfall abhängig. Sie haben ja auch unterschiedliche Gesetzgebungsschritte. Wir haben zum Beispiel Polizeirechte, die sehr schnelle Möglichkeiten gewährleisten, die im Zweifelsfall im Nachhinein noch einmal von Richtern bestätigt werden müssen, aber ganz klar ist – das erlebe ich immer wieder –, die Menschen erwarten, dass wir Sicherheit gewährleisten, und die Ängste, dass man bei großen Veranstaltungen, wie auch immer, auch in Deutschland Ziel von Anschlägen werden könnte, die sind ja vorhanden, und das muss man sehr, sehr ernst nehmen, aber bisher haben wir immer bewiesen, wir, die Innenminister, die Parlamente in Deutschland, dass wir natürlich auch die Interessen der Bürgerinnen und Bürger, was Freiheit, was Meinungsfreiheit betrifft, auch immer gewährleistet haben.
"Die Bürgerinnen und Bürger erwarten auch innere Sicherheit"
Engels: Dennoch haben Beobachter den Eindruck, dass der Staat mit Blick auf die Terrorgefahr schon auf dem Vormarsch ist. Ein Beispiel ist auch die Idee, dass man Kinder durch den Verfassungsschutz künftig beobachten sollte. Was sagen Sie dazu?
Lewentz: Dazu haben wir in Rheinland-Pfalz eine sehr eindeutige Stellung: Nein, das ist generell für uns undenkbar. Wie wollen Sie es auch machen? Wollen Sie in Schulen jetzt V-Leute einschleusen, wollen Sie in jedes Kinderzimmer einen Verfassungsschützer stellen? Das wollen wir nicht, und das geht auch nicht. Grenzen muss man auch ziehen, das ist vollkommen klar. Auf der anderen Seite hat sich seit "Charlie Hebdo", und das war erst Anfang 2015, und all den Dingen, die sich in Europa schrecklicherweise ereignet haben, auch in Deutschland, haben sich natürlich auch Dinge geändert. Wir sind im Fokus von Terrorismus, und die Bürgerinnen und Bürger erwarten auch innere Sicherheit, und das ist der Spannungsbogen, den wir jetzt bei der Innenministerkonferenz wieder zu diskutieren haben.
Engels: Roger Lewentz von der SPD. Er ist der Innenminister von Rheinland-Pfalz. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Lewentz!
Lewentz: Vielen Dank, Wiederhören!
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