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"White Supremacy" in den USA

Neonazigruppen in den USA, die eine Weltvorherrschaftsanspruch der weißen Rasse ideologisieren, werden unter "White Supremacy" zusammengefasst. Seit mit Obama ein Farbiger Präsident ist, steigt ihre Überfremdungsparanoia.

Von Marcus Pindur |
    Er war ein unauffälliger Nachbar, und er ging den anderen in der Nachbarschaft aus dem Weg. Wade Michael Page sprach nicht gerne und grüßte kaum, wie sein Nachbar David Brown sich erinnert.

    Er habe nicht einmal gewusst, dass Page in der Armee war, er selber sei in der Marine gewesen, normalerweise sei das immer ein Gesprächsanlass, aber Page sei immer sehr distanziert gewesen. Auffällig waren die Tätowierungen, die Page am Körper hatte, doch die codierten Botschaften der Naziszene sind für nicht Eingeweihte kaum zu erkennen. Eine 14 habe er auf der linken Schulter gehabt, so ein anderer Nachbar.

    Die 14 ist ein Kürzel für die 14 Worte, mit denen die Aryan Brotherhood, eine der größten Neonazigruppen, ihren Auftrag beschreibt: Die Zukunft der weißen Rasse und ihrer Kinder zu sichern. Oft auf Skinheadkonzerten vorgetragen:

    Überhaupt spielt die Musik der Neonaziszene wie in Deutschland auch eine große Rolle. Wade Michael Page spielte in einer Skinheadband namens "End Apathy", mit wild antisemitischen und rassistischen Texten. Sie gehört zu den "White Supremacists", eine Subkultur, die an die Überlegenheit der weißen Rasse glaubt. Auf Konzerten mit Barbecue und Bier wird Nachwuchs rekrutiert. Die Musik ist ein wichtiger Faktor, so Mark Pitcavage, Forschungsdirektor der Bürgerrechtsorganisation Anti-Defamation League:

    "Musik ist ein sehr kraftvolles Medium und sie benutzen sie in mehrerlei Hinsicht. Sie agitieren ihr Publikum, sie lenken den Zorn des Publikums auf Juden, auf Nichtweiße, auf Immigranten, auf Schwule. Außerdem ist Musik identitätsstiftend, sie beschwört das Gefühl, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, Teil des gleichen Kampfes zu sein. Und in dieser Hinsicht ist die Musik einer der Grundpfeiler der Subkultur der 'White Supremacists'."

    Mark Potok vom Southern Poverty Law Center beobachtet seit Jahren die Entwicklung dieser sogenannter Hate Groups, Hassgruppen. Diese Gruppen expandieren in Wellen, zum Beispiel nach dem Anschlag des Rechtsextremisten Timothy McVeigh in Oklahoma City 1995, bei dem 168 Menschen ums Leben kamen. Man schätzt, dass es derzeit 1000 solcher Hassgruppen mit 100.000 Mitgliedern in den USA gibt. Im Moment sorge für Zulauf, dass ein schwarzer Präsident das Land regiert.

    "Für sie steht der schwarze Präsident Obama repräsentativ für die sich wandelnde Demografie des gesamten Landes. Die offizielle Bevölkerungsstatistik schätzt, dass Weiße im Jahr 2050 die Mehrheit verlieren. Und für die Rechtsextremen ist das der Untergang der Welt. Deshalb gibt es in der Szene ein Gefühl von Verzweiflung und Wut, das sehr beunruhigend ist. Und das gilt nicht nur für die "White Supremacists", das gilt auch für viele andere Gruppen der radikalen Rechten."

    Der Kern des Denkens der amerikanischen Neonazis ist also weniger eine geschlossene rechtsextremistische Ideologie mit Weltherrschaftsanspruch als ein nativistisches Weltbild gespeist von Überfremdungsparanoia.

    "Im Wesentlichen gibt es fünf verschiedene Gruppen im amerikanischen Rechtsextremismus: - sagt Mark Pitcavage - Neonazis, traditionelle "White Supremacists" wie den Ku-Klux-Clan, rassistische Gefängnisgangs, Christian Identity, eine rassistische und antisemitische Sekte und die rassistischen Skinheads. Die rassistischen Skinheads haben im Wesentlichen die gleiche Ideologie wie die Neonazis, aber sie haben eine eigene Subkultur mit eigenen Traditionen, Kleidung und eigener Musik."

    Die Zahl der rechtsextremen Morde ist nach Angaben des Instituts für Hass und Extremismus in San Bernardino seit Jahren rückläufig und liegt derzeit bei zwölf pro Jahr. Wenn ein Mord einen extremistischen Hintergrund hat, dann ist allerdings die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich um einen Täter aus der Hassgruppenszene handelt.

    Deswegen wird das terroristische Potenzial auf dem rechtsextremen Spektrum von den amerikanischen Sicherheitsbehörden ähnlich besorgt verfolgt wie Al-Kaida-inspirierter Terrorismus. Beunruhigend ist, dass viele Rechtsextremisten sich zur Armee melden, weil sie dort eine militärische Ausbildung bekommen.

    T. J. Leyden ist ein Aussteiger aus der Skinheadszene. Er schätzt, dass in jeder großen Einheit des amerikanischen Militärs einige Rechtsextremisten sind:

    Klar ist aber auch, dass die Zahl der Fälle insgesamt sehr klein ist - und dass die Armee in den letzten Jahren Dutzende von Rechtsradikalen entlassen hat. Wer eine rechtsextreme Vorstrafe oder auch nur eine Tätowierung hat, wird erst gar nicht in die Armee aufgenommen.

    Kirchen, kulturelle Organisationen, Politiker von Demokraten und Republikanern, Präsident Obama und Präsidentschaftskandidat Romney sprachen der amerikanischen Sikh-Gemeinde ihre Anteilnahme aus. Der Sohn des erschossenen Vorsitzenden der Sikh-Gemeinde in Oak Creek, Wisconsin, erinnerte daran, dass sein Vater den amerikanischen Traum verwirklichen wollte.

    "Mein Vater ist die Quintessenz des amerikanischen Traumes. Er kam mit 100 Dollar in der Tasche. Er floh aus Indien, weil die Regierung dort in den Sikh-Regionen das Kriegsrecht ausgerufen hatte. Wir gingen in die USA. Und von seiner Ankunft an, arbeitete er so hart es ging, 18 Stunden am Tag."

    Die Sikh-Gemeinde in den USA gilt als ehrgeizig, bildungsfixiert und integrationsfreudig. Das genau ist der Albtraum der Neonazis. Der Anschlag folgt einer fürchterlichen Logik. Er zielt auf die Zerstörung des amerikanischen Traumes - für alle, die nicht dem rassistischen Bild der "White Supremacists", der amerikanischen Neonazis entsprechen.