WHO
Was das Pandemieabkommen bringen soll

Industrienationen und Entwicklungsländer verhandeln über ein Abkommen, das für eine bessere Zusammenarbeit bei künftigen Pandemien sorgen soll. Während es Streit um Patente und Überwachungsvorgaben gibt, verbreiten sich Gerüchte um die Macht der WHO.

    Eine Hand in einem Gummihandschuh entnimmt in einem Labor  des Darmstädter Pharma- und Technologiekonzerns Merck KGaA eine gefriergetrocknete Probe aus einem Behälter.
    Die nächste Pandemie kommt bestimmt. Um besser vorbereitet zu sein, verhandeln die Mitglieder der WHO über ein neues Abkommen. Derweil wird weltweit weiter an neuen Impfstoffen geforscht. (picture alliance / dpa / Arne Dedert)
    In der Corona-Pandemie gab es überraschend schnell Impfstoffe, allerdings zuerst nur für den globalen Norden. Um das nächste Mal besser vorbereitet zu sein, wird bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein Pandemieabkommen verhandelt. Das große Motto lautet: Gerechtigkeit. Impfstoffe und Medikamente sollen geteilt werden.
    Weil es auch ums Geld geht, gibt es viel Streit. Die Industrienationen wollen keine Patente aufgeben, der globale Süden mauert bei rigiden Überwachsungsvorgaben, und im Internet machen Gerüchte die Runde, die WHO könnte die Souveränität der Staaten aushebeln. Ende Mai soll in Genf abgestimmt werden.

    Inhalt

    Warum ein Pandemieabkommen?

    Nachdem die WHO die Covid-19-Pandemie ausgerufen hatte, gründete sich im April 2020 Covax, eine Initiative zur gerechten Verteilung von Impfstoffen weltweit. Doch als die Impfstoffe entstanden, bestellten die Nationen die ersten Dosen direkt bei den Herstellern, statt wie vereinbart über die Covax-Initiative.
    Bis Ende 2022 verteilte Covax zwar über eine Million Impfdosen, aber das war nur die Hälfte der vereinbarten Menge und ein Großteil konnte erst spät verimpft werden. Um die Umsetzung bei einer nächsten Pandemie besser zu koordinieren, verhandeln seit zwei Jahren die 194 Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation über ein Pandemieabkommen oder einen Pandemievertrag.
    Ein solches Abkommen könnte bereits vor einer Pandemie Anstöße geben: beim Aufbau von Gesundheitssystemen, der lokalen Produktion von Impfstoffen oder beim Technologietransfer. Langfristig könnte das Abkommen die Erwartungen und Standards im Umgang mit Gesundheitskrisen verändern, und damit auch im Falle einer Pandemie bessere Handlungsoptionen bereitstellen.
    Nach vielen Verhandlungsrunden gab es im Herbst 2023 einen ersten Entwurf, der 30 Seiten lang war. Durch zahlreiche Änderungswünsche ist der Entwurf auf rund 100 Seiten angewachsen.

    Wo liegen die Streitpunkte?

    In der öffentlichen Debatte zum Pandemieabkommen geht es viel um Forderungen des globalen Südens und eine angebliche Blockadehaltung der Industrienationen. Tatsächlich enthält das Abkommen auch Forderungen an die Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen. Sie sollen vor allem die eigenen Gesundheitssysteme stärken - eine alte Forderung der WHO.
    Während die Industrieländer beim Thema Patente mauern, bremsen viele Länder des globalen Südens, wenn es um konkrete Verpflichtungen für Investitionen in die Gesundheitssysteme und die Überwachung von Tierseuchen geht.
    "Das Pandemieabkommen legt großes Gewicht auf die Überwachung und Meldung von Krankheitsausbrüchen", sagt Nelson Evaborhene, Experte für Impfprogramme von der Universität von Witswaterand in Südafrika. "Das sind die Gesundheitssorgen der reichen Länder. In Afrika liegen die großen Herausforderungen in der medizinischen Basisversorgung, der Gesundheit von Müttern und Kindern, Malaria, Tuberkulose, Aids. Das spielt in dem Abkommen keine Rolle."

    Pathogen Access and Benefit Sharing

    Es geht auch um Zugang zu Wissen. Pharmaunternehmen wie Biontech und Moderna geben ihren mühsam erarbeiteten Wissensvorsprung nicht einfach preis. Unternehmen wie Afrigen in Südafrika müssen ihre Impfstoffe mit den öffentlich verfügbaren Informationen zur mRNA-Technologie selbst entwickeln.
    Im Pandemieabkommen wird deshalb ein Kompromiss vorgeschlagen: Pathogen Access and Benefit Sharing, kurz PABS. Das bedeutet so viel wie: Wer Zugang zu den Erregerproben erhält, muss später den Gewinn teilen.
    Pharmaunternehmen sind in einer Pandemie nämlich auf Informationen zu den Erregern angewiesen: Das können Erbgut-Sequenzen sein wie im Fall des Coronavirus aus Wuhan, oder auch infizierte Zellen, an denen sich das Potenzial von Medikamenten erproben lässt. Ohne solches Material könnten weder Forschung noch Industrie etwas entwickeln. Die meisten neuartigen Erreger stammen aus den Ländern des globalen Südens. "Hier können die Länder Afrikas Druck aufbauen", sagt Nelson Evaborhene. "Es ist vorgesehen, dass die Proben erst an die WHO gehen, die dann als Vermittlerin fungiert zu den großen Pharmaunternehmen."
    Diese Gegenleistung erfolgt in zwei Stufen. Schon jetzt sollen für den Aufbau des PABS-Systems Gebühren fällig werden. Sollte es dann zu einer Pandemie kommen und sollten mit Hilfe der Erregerproben tatsächlich Impfstoffe oder Medikamente entstehen, greift die nächste Stufe. Hier wird der aktuelle Entwurf des Pandemieabkommens ausnahmsweise ziemlich konkret: Ein Zehntel der Produktion soll direkt an die WHO gehen, das zweite Zehntel zu einem verringerten Preis. Zusätzlich sollen die Hersteller die Technologie teilen.
    Die Pharmaindustrie lehnt konkrete Verpflichtungen ab und verweist auf die Selbstverpflichtung, in einer Pandemie einen Teil der Produktion zu spenden. Außerdem hätte der Technologietransfer ja längst begonnen. Aber eben wieder nicht auf Basis von Zwang, sondern über freiwillige Kooperationen.

    Wird die WHO Macht über die Staaten erlangen?

    Es kursieren Gerüchte, wonach das Pandemieabkommen der WHO unbeschränkte Macht einräumt, die Souveränität der nationalen Parlamente ausgehebelt sowie Zwangsimpfungen und Ausgangssperren mit militärischen Mitteln durchgesetzt werden könnten.
    Doch davon ist im Pandemieabkommen an keiner Stelle die Rede und die Weltgesundheitsorganisation verfügt auch über keinerlei Mittel, in die einzelnen Staaten quasi hineinzuregieren. Im Gegenteil: Zu Beginn der Coronapandemie wurde von vielen bedauert, dass die WHO einen schnelleren Zugang zu Daten aus China nicht habe erzwingen können. Die WHO ist immer auf die freiwillige Kooperation der Mitgliedsstaaten angewiesen. Trotzdem haben die Gerüchte rund um den Pandemievertrag so zugenommen, dass sie in der neuen Version explizit aufgegriffen werden.
    Andere hingegen fürchten, dass die Paragrafen zu vage formuliert sein könnten und kaum über Absichtserklärungen hinauskommen. Im aktuellen Entwurf ist viel von "fördern" und "unterstützen" die Rede, ohne dass klare Summen und Prozesse benannt würden.
    Was im Krisenfall tatsächlich realisiert wird, dafür gibt es keine Garantien. Die Werkzeuge, diese Verpflichtungen umzusetzen, seien relativ schwach, so Pedro Villarreal, Experte für internationales Gesundheitspolitik in der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin.

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