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WHO-Studie zu Wirkstoffen gegen Corona
„Remdesivir ist nicht der Durchbruch in der COVID-19-Therapie“

Vier Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen werden in der Solidarity-Studie der WHO auf ihre Wirksamkeit gegen COVID-19 getestet. Der Mediziner Tobias Welte, einer der Koordinatoren der Studie, sagte dazu im Dlf: „Ich glaube, dass wir eher wirksame Medikamente, als dass wir einen Impfstoff haben werden."

Tobias Welte im Gespräch mit Lennart Pyritz |
Ein Doktorand der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf arbeitet an Proben für die Coronavirus-Forschung. Die Forschungsprojekte umfassen Immunität nach ausgeheilter Infektion und Forschungsdaten zur Wirksamkeit und Bedeutung von Remdesivir in der klinischen Anwendung.
Die EU-Kommission hat beim US-Pharmakonzern Gilead eine Lieferung des Medikaments Remdesivir zur Behandlung von 30.000 COVID-19-Patienten bestellt (picture alliance / Marcel Kusch)
Tausende Patientinnen und Patienten in knapp 40 Ländern – das sind die Eckdaten der sogenannten Solidarity-Studie der WHO. Sie soll zeigen, ob bereits vorhandene Medikamente den Verlauf einer COVID-19-Erkrankung lindern können. Auch deutsche Forschungseinrichtungen nehmen an der Studie teil.
Vier vielversprechende Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen hatte die WHO ausgewählt, um sie in mehreren Ländern zu testen: das Malariamittel Hydroxychloroquin, den HIV-Wirkstoff Ritonavir / Lopinavir, das gegen Ebola entwickelte, virushemmende Remdesivir – und Beta Interferon (Interferon beta-1a / Interferon-beta), ein Botenstoff des Immunsystems.
Das bekannteste Medikament aus dieser Gruppe, das in der Solidarity-Studie getestet wird, dürfte Remdesivir sein. Der Wirkstoff ist seit Anfang Juli auch in bestimmten Ländern auch in Europa zur Behandlung von COVID-19-Erkrankten zugelassen. Die EU-Kommission hat am 29. Juli 2020 beim US-Pharmakonzern Gilead eine Lieferung des Medikaments Remdesivir zur Behandlung von 30.000 Patienten mit schweren Symptomen in der Europäischen Union bestellt. Ab Anfang August soll die Lieferung den Mitgliedsstaaten und Großbritannien zur Verfügung stehen.
Professor Tobias Welte ist Direktor der Klinik für Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover und einer der Koordinatoren der Solidarity-Studie in Deutschland.
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Lennart Pyritz: Wie viel versprechen Sie sich aus klinischer Perspektive von diesem Wirkstoff?
Tobias Welte: Remdesivir verkürzt die Krankheitsdauer, es hat in den bisher publizierten Studien einen gewissen, aber eher geringen Effekt auf die Sterblichkeit gehabt. Remdesivir wirkt eher, wenn man das früh im Erkrankungsverlauf gibt, also bevor die Patienten auf der Intensivstation landen, bevor sie beatmet sind. In den späteren Fällen zeigt sich kaum noch eine Wirksamkeit. Es ist besser Remdesivir zu haben als überhaupt nichts, aber insgesamt ist es nicht der Durchbruch in der COVID-19-Therapie, und wir warten auf effektivere Substanzen.
Pyritz: Laufen die Untersuchungen zu Remdesivir trotzdem noch weiter auch bei Solidarity?
Welte: Ja, sie laufen weiter, weil die Datenlage unvollständig ist und weil wir noch nicht ausreichend herausgearbeitet haben, welche Patienten den besten Benefit haben, deshalb brauchen wir noch zusätzliche Daten.
Pyritz: Die britische Biotech-Firma Synergen hat vor einigen Tagen von vielversprechenden Erfolgen bei der Behandlung von Coronapatienten mit dem Medikament Beta Interferon zum Inhalieren berichtet. Weisen die Ergebnisse der Solidarity-Studie in eine ähnliche Richtung?
Welte: Das Problem bei Solidarity, der großen WHO-Studie, ist, dass Beta Interferon dort nie als Einzeltherapie gegeben worden ist, sondern immer in Kombination mit anderen Medikamenten. Und damit kann man nur sehr schwer etwas über die Wirksamkeit der Monosubstanz sagen. Auch die von der Firma im Internet publizierten Daten sind sehr kursorisch, da müsste man sehr viel mehr in die Tiefe hineinsehen, vor allem in die Frage, waren die Patientengruppen vergleichbar und wie viel Begleitmedikation haben die Patienten gehabt, um eine endgültige Einschätzung geben zu können. Aber immerhin, es ist ein Ansatz, der zumindest vorläufig erfolgsversprechend erscheint.
Hydroxychloroquin und Lopinavir/Ritonavir: "Wäre für beide Wirkstoffe sehr skeptisch"
Pyritz: Ein ziemliches Hin und Her gab es um das Malariamittel Hydroxychloroquin, Donald Trump bewirbt es in diesen Tagen wieder offensiv. Die WHO hat die Tests dazu dagegen vor einigen Wochen eingestellt. Stationär werden Patientinnen und Patienten auch nicht mehr mit dem HIV-Mittel Lopinavir/Ritonavir behandelt. Sind diese beiden Wirkstoffe damit ganz aus dem Rennen, was Corona angeht?
Welte: Ich wäre für beide Wirkstoffe sehr, sehr skeptisch. Alle Daten, die wir bisher vorliegen haben, auch die aus dem Solidarity-Trial, zeigen, dass die Nebenwirkungsrate höher ist als die Erfolgsrate und somit ein eher negativer als positiver Einfluss von Hydroxychloroquin oder HIV-Medikamenten zu betrachten ist. Beim Hydroxychloroquin sind das vor allen Dingen die Nebenwirkungen am Herz, bei den HIV-Medikamenten die Nebenwirkungen an der Leber.
Pyritz: Wenn wir jetzt auf Wirkstoffe schauen, die nicht Teil der Solidarity-Studie sind. Es gibt eine andere große Studie unter der Leitung der Universität Oxford, die heißt Recovery. Da hat das untersuchte Medikament Dexamethason, das ist ein bekannter Entzündungshemmer für Aufsehen gesorgt, weil es die Sterblichkeit bei COVID-19 offenbar deutlich verringert. Wird das inzwischen in größerem Maßstab eingesetzt?
Welte: Tatsächlich ist das so, dass alle großen COVID-Zentren Dexamethason einsetzen aus einer Reihe von Gründen. Es hat in dieser Studie, auch wenn die Ergebnisse präliminär sind, einen Effekt gezeigt. Auf der anderen Seite ist das Nebenwirkungsspektrum überschaubar, sodass das heute der Standard in der Therapie ist. Allerdings sind die publizierten Ergebnisse nicht so überzeugend, als dass hier nicht noch weitere Studien notwendig wären. Beim Dexamethason muss man aber betonen, es hat nur eine Wirksamkeit bei den Schwerkranken gezeigt, also nur dann, wenn man einen wirklichen Sauerstoffmangel gehabt hat. In der Gruppe von nicht von Sauerstoffmangel Beeinträchtigten, hat es eher negative als positive Effekte gegeben.
Rekonvaleszentenplasma für leicht Erkrankte: "Hierzu fehlen momentan alle Daten"
Pyritz: Als Hoffnungsträger, der auch bei Recovery untersucht wird, ist das Rheumamedikament Tocilizumab genannt worden. Da gab es jetzt allerdings gerade eher entmutigende Ergebnisse vom Schweizer Pharmakonzern Roche. Sehen Sie da trotzdem noch Potential?
Welte: Gestern sind die Daten der ersten großen randomisiert kontrollierten Studie, Covacta ist der Kurzname, in der Presse publiziert worden, die zeigen keinerlei Effektivität für keinen der gewählten Outcome-Parameter, sodass ich im Moment nicht glaube, dass dieses Medikament in die Therapie eingefügt werden wird. Vielleicht wird es Subgruppen geben, dazu braucht man eine viel detailliertere Auswertung der Daten, die profitieren können, vor allen Dingen die, die ein sehr ausgeprägtes Entzündungssyndrom zeigen, aber zum jetzigen Zeitpunkt sind die Ergebnisse eher ernüchternd.
Pyritz: Jetzt haben wir über einzelne Wirkstoffe gesprochen. Schauen wir zum Schluss auf einen anderen Ansatz. Es wird ja auch versucht, mit antikörperreichem Blutplasma von COVID-19-Erkrankten, die die Krankheit überstanden haben, also von Genesenen, Erkrankte zu therapieren. Da gab es eine chinesische Studie, die da auch eher negative Ergebnisse berichtet hat. Wie ist da der Stand Ihrer Einschätzung nach?
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Welte: Das gab es schon seit allen Zeiten von Pandemien, schon bei der Spanischen Grippe hat man versucht, Rekonvaleszentenplasma einzusetzen, bei anderen Ereignissen auch, ohne dass es da je gute Ergebnisse gegeben hat. Es gibt jetzt eine Reihe von gut geplanten Studien mit zwei verschiedenen Ansätzen. Ansatz eins: Bei den Patienten, die schwer krank sind und die sich nicht von selbst erholen. Hier sehe ich persönlich die Wirksamkeit als sehr skeptisch an, weil in der späten Phase der Erkrankung das Virus selber nicht mehr die wesentliche Rolle spielt, sondern eher die Antwort des Patienten auf das Virus. Und dann, diese Studien sind noch gar nicht gestartet, Studien bei eher leicht Kranken, wo man den Fortschritt der Erkrankung verhindern will. Das könnte tatsächlich ein Ansatz sein, aber hierzu fehlen momentan alle Daten.
"Neu studierte Substanzen spezifisch gegen SARS-CoV-2 gerichtet"
Pyritz: Gibt es noch andere Therapieformen oder Wirkstoffe, die untersucht werden oder untersucht werden sollten, unabhängig von denen, über die wir jetzt gesprochen haben und die auch hauptsächlich in der Öffentlichkeit bekannt geworden sind, die eventuell noch wirken könnten gegen COVID-19?
Welte: Momentan sind etwa 100 verschiedene Substanzen in frühen Studien oder kurz vor dem Start von frühen Studien. Der wesentliche Unterschied zur Anfangsphase von COVID-19 ist, dass in der Anfangsphase bereits bekannte, für andere Indikationen entwickelte Substanzen ausprobiert wurden, während ein Großteil der jetzt neu studierten Substanzen spezifisch gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 gerichtet ist. Insgesamt eigentlich ein deutlich vernünftigerer Ansatz, aber da sind wir noch früh in der Entwicklung und da kann man nur spekulieren, was helfen wird. Trotz allem, ich persönlich glaube, dass wir eher wirksame Medikamente haben, als dass wir einen Impfstoff haben werden. Insofern sind diese Medikamentenprüfungen ausgesprochen wichtig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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