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Wichtiger Aspekt der modernen Geschichte Neuseelands

Das Verhältnis der Ureinwohner und der aus Europa stammenden Neuseeländer scheint auf den ersten Blick spannungsfrei zu sein. Dass dies mitnichten der Fall ist, zeigt die Historikerin Aroha Harris in ihrem Buch "Hikoi - der lange Marsch der Maori". Es zeichnet die Geschichte des Maori-Protests von den 1960er-Jahren bis in die Gegenwart nach.

Von Ingo Petz |
    Die Sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts waren für Neuseeland eine Zeit des Abschwungs. Zwar war das südpazifische Land seit 1947 offiziell von Großbritannien unabhängig. Dennoch war der Staat am Ende der Welt wirtschaftlich noch immer eng mit seinem einstigen Mutterland verbunden, das eine erste große Krise nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte. Damit brachen auch für Neuseeland Märkte und Einnahmen weg, was zu Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit führte. Vor allem unter den Maori, der indigenen Bevölkerung Neuseelands. Hier setzt Aroha Harris in ihrem Buch an, um die Geschichte des Maoriprotests bis in die Gegenwart zu erzählen. Europäisch geprägte Neuseeländer, die von den Maori Pakeha genannt werden, glaubten damals in einer halbwegs harmonischen Beziehung mit den Maori zu leben – in einer Gesellschaft, in der Rassismus keinen Platz habe. Ein Glaube, der teilweise bis heute anhalte, so Harris.

    "Ich unterrichte heute an der Universität von Auckland und meine Studenten sind sehr überrascht, wenn sie hören, dass in manchen Stadtteilen von Auckland Maori damals keinen Haarschnitt bekommen konnten, weil sie Maori waren. Regierungsstellen wussten von dieser Art der Diskriminierung. Ich habe in Dokumenten Hinweise darauf gefunden. So wurden Maori beispielsweise trotz ihrer Qualifikation abgewiesen, wenn sie sich um Jobs in Banken und Kaufhäusern bewarben. Und der Grund für die Ablehnung war, dass die Leute angeblich nicht von Maori bedient werden wollen."

    Nach Harris Auffassung stammte der starke Glaube, in einem harmonischen Land zu leben, aus dem 19. Jahrhundert. Damals hätten die Neuseeländer sich als Paradebeispiel für eine Kolonie mit vorbildlichen Rassenbeziehungen gesehen. In den Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts aber begann sich erster Widerstand gegen diese Sichtweise zu regen. Denn mittlerweile tat sich eine junge, urbane Generation von Maori hervor, die an Universitäten ausgebildet waren. Sie organisierten sich – um gegen den alltäglichen Rassismus, die Benachteiligung der Maori sowie illegale Landenteignungen und unfaire Landkäufe zu protestieren. Große Ländereien waren im 19. Jahrhundert häufig im Tausch gegen ein paar Pfund, Pferdesattel und -decken von Maori-Stämmen erworben worden. Die Maori-Bewegung, die eng mit den internationalen Bürgerrechtsbewegungen der 60er- und 70er-Jahre verwoben war, forderte Wiedergutmachung, mehr Rechte und die Förderung ihrer Sprache und Kultur. Um das zu erreichen, besetzten sie Land oder demonstrierten in einem Hikoi, einem friedlichen Protestmarsch. Einer der größten Märsche fand 1975 statt. Er führte von der Spitze der Nordinsel zum Parlament nach Wellington. Harris schreibt:

    "Nach monatelangen Vorbereitungen setzte sich der Marsch schließlich am 14. September 1975 in Bewegung. Whina Cooper führte den Zug an, Hand in Hand mit ihrer Mokopuna (Enkeltochter) Irene. Dieses Bild sollte in die Geschichte eingehen... Die Zahl der Menschen, Maori wie Pakeha, die im Laufe des Monats daran teilnahmen, wurde auf 30.000 bis 40.000 geschätzt... Das Gefühl kulturellen, spirituellen und politischen Widererwachens trotzte allen Gliederschmerzen, blauen Flecken, Blasen und Schmerzen an den Füßen."

    Als Resultat des Marsches und der anhaltenden Proteste wurde 1975 das Waitangi-Tribunal gegründet. Diese Institution untersucht seitdem Regressforderungen, schützt die Rechte der Maori und ihre Kultur. Benannt ist das Tribunal nach dem Gründungsdokument des modernen Neuseelands, das am 2. Februar 1840 zwischen der Britischen Krone und 500 Maori-Häuptlingen in Waitangi unterzeichnet wurde. Die Historikerin Harris ist heute Mitglied des Tribunals.

    "Anfänglich beschäftigte sich das Tribunal nur mit Sachverhalten, die die Zeit nach 1975 betrafen. Das waren vor allem Umweltdelikte. So wurde das Tribunal angerufen, wenn Industrie- oder Kläranlagen Wasserwege verschmutzten, die durch Maoriland führten. Seit Mitte der Achtziger aber kann das Tribunal auch Fälle von Landenteignungen untersuchen, die bis 1840 zurückgehen."

    Rund 2040 Fälle hat das Tribunal bis heute bearbeitet und damit viel für eine ausgleichende Gerechtigkeit in Neuseeland geleistet, auch mit umstrittenen Entscheidungen. Die Ureinwohner erhielten Land zurück, bekamen Entschädigungszahlungen, ihnen wurden Rechte in der Selbstverwaltung zugesprochen. Ihre Protestbewegung führte dazu, dass Maori sich als einflussreiche politische Kraft etablierten. Kultur und Sprache erlebten einen Aufschwung. 2004 wurde ein Fernsehsender gegründet, der vollständig in der Sprache der Maori sendet. Und der Haka, ihr Kriegstanz, ist längst zum Symbol der neuseeländischen Rugby-Nationalmannschaft geworden. Dennoch stünden die Maori, so Harris, auch heute noch vor großen Herausforderungen.

    "Die partielle Anerkennung von kulturellen Aspekten sagt nichts darüber aus, dass Maori immer noch schlechter ausgebildet sind oder so schlechte Gesundheitsstatistiken aufweisen und beispielsweise an rheumatischem Fieber leiden. Eine Krankheit, die ein Land wie Neuseeland nicht haben sollte."

    Der Protest geht also weiter. Harris' Buch, spannend und faktensicher erzählt und durch Fotografien aus vier Jahrzehnten Protestbewegung ergänzt, beleuchtet einen wichtigen Aspekt der modernen neuseeländischen Geschichte, der in unseren Breiten viel zu wenig beachtet wird. Eine Pflichtlektüre für all die romantischen Sehnsuchtstouristen, die Neuseeland gern zu einem Ort verklären, der nach überirdischen Regeln funktioniert.

    Aroha Harris: Hikoi - Der lange Weg der Maori.
    Orlanda Frauenverlag, 200 Seiten, 22,50 Euro
    ISBN: 978-3-936-93791-6