Sein Ausschluss aus dem Turnverein Eintracht Hildesheim sei vor dem Hintergrund des Genozids eine Bagatelle gewesen, das ist dem Turner Guy Stern bewusst. Aber "aus der Perspektive eines Jugendlichen, der wirklich mit Herz, mit flammendem Enthusiasmus dabei war, war es ein wirklich einschneidendes Erlebnis." Das Zitat des Zeitzeugen stammt aus dem historischen Handbuch "Juden im Sport während des Nationalsozialismus" von Lorenz Peiffer und Henry Wahlig, das just im Göttinger Wallstein Verlag erschienen ist. Es illustriert, dass viele jüdischen Turner und Sportler die sogenannte "Arisierung" im deutschen Sport als tiefe persönliche Zäsur erlebten.
Das Handbuch ist Produkt eines dreijährigen Forschungsprojektes, das vom niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur des Landes Niedersachsen gefördert wurde, als Kooperationspartner fungierte der israelische Historiker Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität in Jerusalem. Angelegt als regionale Studie über die Entwicklung des jüdischen Sports vor und nach 1933 in Niedersachsen und in Bremen, stellt dieses Buch ein herausragendes und überaus wertvolles Stück Sportgeschichte "von unten" dar. Denn es trotzt der schwierigen Quellenlage und summiert die Geschichte des jüdischen Sportlebens an der Basis, in den jüdischen Turnvereinen und Klubs vor und nach 1933. Insgesamt 27 Vereine, etwa in Emden, Jever, Cloppenburg, Hannover und Uelzen, sowie die Schicksale unzähliger jüdischer Sportler werden erstmals untersucht.
Die lokalen Forschungen bestätigen im Wesentlichen die Ergebnisse sporthistorischer Forschung. So haben Peiffer und Wahlig Belege dafür gefunden, dass Sportler, die laut NS-Doktrin als Juden galten, auch nach 1933 noch in ihren Sportvereinen verblieben. So wurde der VfB Lehe in Bremerhaven erst im August 1935 durch die Nationalsozialisten gezwungen, das langjährige jüdische Mitglied Walter Goldberger auszuschließen. Die Autoren weisen freilich daraufhin, dass viele deutsche Sportverbände, etwa die Deutsche Turnerschaft, 1933 in quasi vorauseilendem Gehorsam Arier-Paragraphen einführten. Dabei mahnte Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten hier diplomatisches Vorgehen an; ein machtpolitisches Kalkül, um die Olympischen Spiele 1936 in Berlin nicht zu gefährden.
Bemerkenswert war der hohe Organisationsgrad jüdischer Sportvereine nach 1933, er lag rund fünf Prozent höher als in der sonstigen Bevölkerung Preußens. "Das teilweise bis heute gängige Klischee des unsportlichen Juden kehrt sich vor dem Hintergrund dieser Zahlen in sein Gegenteil um", resümieren Peiffer und Wahlig diesen Befund. Die jüdischen Sportvereine hätten eine enorme Anziehungskraft spezielle auf Jugendliche und junge Erwachsene ausgeübt.
Bekanntlich endete diese Scheinblüte des jüdischen Sports mit dem Beginn der systematischen Judenverfolgung 1938. Da hatten viele Sportvereine die Erinnerung an die Verdienste ausgeschlossener jüdischer Klubs bereits gelöscht. Dieser damnatio memoriae auf lokaler Ebene mit historischer Aufklärung zu begegnen, zählt zu den größten Verdiensten dieses Handbuches.
Besprochenes Buch:
Peiffer, L./Wahlig, H., Juden im Sport während des Nationalsozialismus. Ein historisches Handbuch für Niedersachsen und Bremen, Wallstein Verlag, Göttingen 2012, 407 Seiten, 34,90 Euro.
Das Handbuch ist Produkt eines dreijährigen Forschungsprojektes, das vom niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur des Landes Niedersachsen gefördert wurde, als Kooperationspartner fungierte der israelische Historiker Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität in Jerusalem. Angelegt als regionale Studie über die Entwicklung des jüdischen Sports vor und nach 1933 in Niedersachsen und in Bremen, stellt dieses Buch ein herausragendes und überaus wertvolles Stück Sportgeschichte "von unten" dar. Denn es trotzt der schwierigen Quellenlage und summiert die Geschichte des jüdischen Sportlebens an der Basis, in den jüdischen Turnvereinen und Klubs vor und nach 1933. Insgesamt 27 Vereine, etwa in Emden, Jever, Cloppenburg, Hannover und Uelzen, sowie die Schicksale unzähliger jüdischer Sportler werden erstmals untersucht.
Die lokalen Forschungen bestätigen im Wesentlichen die Ergebnisse sporthistorischer Forschung. So haben Peiffer und Wahlig Belege dafür gefunden, dass Sportler, die laut NS-Doktrin als Juden galten, auch nach 1933 noch in ihren Sportvereinen verblieben. So wurde der VfB Lehe in Bremerhaven erst im August 1935 durch die Nationalsozialisten gezwungen, das langjährige jüdische Mitglied Walter Goldberger auszuschließen. Die Autoren weisen freilich daraufhin, dass viele deutsche Sportverbände, etwa die Deutsche Turnerschaft, 1933 in quasi vorauseilendem Gehorsam Arier-Paragraphen einführten. Dabei mahnte Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten hier diplomatisches Vorgehen an; ein machtpolitisches Kalkül, um die Olympischen Spiele 1936 in Berlin nicht zu gefährden.
Bemerkenswert war der hohe Organisationsgrad jüdischer Sportvereine nach 1933, er lag rund fünf Prozent höher als in der sonstigen Bevölkerung Preußens. "Das teilweise bis heute gängige Klischee des unsportlichen Juden kehrt sich vor dem Hintergrund dieser Zahlen in sein Gegenteil um", resümieren Peiffer und Wahlig diesen Befund. Die jüdischen Sportvereine hätten eine enorme Anziehungskraft spezielle auf Jugendliche und junge Erwachsene ausgeübt.
Bekanntlich endete diese Scheinblüte des jüdischen Sports mit dem Beginn der systematischen Judenverfolgung 1938. Da hatten viele Sportvereine die Erinnerung an die Verdienste ausgeschlossener jüdischer Klubs bereits gelöscht. Dieser damnatio memoriae auf lokaler Ebene mit historischer Aufklärung zu begegnen, zählt zu den größten Verdiensten dieses Handbuches.
Besprochenes Buch:
Peiffer, L./Wahlig, H., Juden im Sport während des Nationalsozialismus. Ein historisches Handbuch für Niedersachsen und Bremen, Wallstein Verlag, Göttingen 2012, 407 Seiten, 34,90 Euro.