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Wider den Sankt Florian

Auch wenn Deutschland wie geplant bis 2021 aus der Atomenergie aussteigt, hinterlässt die Kernkraft ein strahlendes Erbe: Aus den insgesamt 30 deutschen Reaktoren zur Stromerzeugung müssen rund 9000 Tonnen abgebrannte Brennelemente entsorgt werden. Aber wohin mit der strahlenden Hinterlassenschaft? Nach Berechnungen der internationalen Agentur für Atomenergie IAEA in Wien fallen bis zum Jahr 2005 weltweit 190 000 Tonnen an abgebrannten Brennelementen an. Für ihre Entsorgung stehen im Prinzip nur zwei Möglichkeiten zur Wahl: Entweder man baut Zwischenlager an der Erdoberfläche und sichert den Strahlenmüll mit Hightech vor fremdem Zugriff. Oder man vergräbt ihn tief unter der Erde, damit geologische Barrieren ihn möglichst ohne technische Hilfe für Jahrtausende sicher einschließen. Die meisten Fachleute plädieren für die zweite Lösung. Aber wo sollten die Endlager idealerweise gebaut werden und wie kann man die Bevölkerung davon überzeugen? Die Analyse der Endlagersituation in verschiedenen europäischen Ländern ist ein Lehrstück darüber, wo und wie man Atommüll am besten unter die Erde bekommt.

Dagmar Röhrlich und Holger Kroker |
    Der Müll ist hier, egal was die Zukunft bringt, und wir müssen mit ihm umgehen.

    Weltweit werden bis 2005 aus dem Betrieb von Kernkraftwerken rund 190.000 Tonnen radioaktiver Müll anfallen: allein an Brennelementen.

    Die Geschichte lehrt uns, dass alle Gesellschaften untergehen. Gleichzeitig sind die Zeiträume, die diese Abfälle gelagert werden müssen, so lang, dass auch künstliche Sicherheitsmaßnahmen versagen werden.

    Seit mehr als 30 Jahren suchen Experten nach Lösungen – jede Nation für sich, denn der strahlende Abfall ist "Ländersache".

    Wir sind im Berner Oberland, unterwegs zum Felslabor der NAGRA, der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle. Seit 1983 erforscht die NAGRA hier die Grundlagen zur geologischen Lagerung hochaktiven Atommülls. Im Winter, wenn der Grimselpass gesperrt ist, wird der Weg lang. Es geht los in der Grubenbahn, die eigentlich die Arbeiter des Wasserkraftwerks zu den Speicherseen am Grimsel bringt. 20 Minuten dauert die Fahrt.

    Erste Zwischenstation ist das Turbinenhaus des Wasserkraftwerks in 1750 Metern Höhe.

    Die vier Turbinen laufen auf Hochtouren. Es ist ein kalter Wintertag, und Europa braucht Strom. Die hohen Jugendstilfenster geben den Blick frei auf schneebedeckte Dreitausender und den tiefblauen Himmel. Wie steigen in die Seilbahn um.

    Wir schweben hinauf zum Pass. Im Schnee sind Fährten, von Kaninchen und Gemsen. Auch ein einsamer Tourengeher ist dort langgefahren – quer über den lawinengefährdeten Hang. Die Spuren zeigen, dass im Tal schon mehrere Staublawinen abgegangen sind. Heinz Sager und Urs Frick von der NAGRA beschreiben begeistert die Landschaft hier oben:

    Das ist der Pass nun. – Da vorne ist der Grimselpass – Und da sehen sie auch die Staumauer Hier sehen Sie auch schon die Geologie da. Das ist ein Granit, wie wir es nennen. Und er ist relativ frisch, der ist ganz grün im Gegensatz zu denen, die sie vorne sehen. Hier ist sehr sauberes Gestein zum Klettern, sehen Sie es sich an, das hat überall diese Felsplatten, das ist sehr schön blank, für Anfänger.

    Nach weiteren 20 Minuten sind wir oben.

    Es ist fast eine Sünde, jetzt reinzugehen, aber wir müssen halt.

    Der letzte Abschnitt ist die Autofahrt durch einen Tunnel, fünf Minuten in den Berg hinein. Dann erreichen wir das grüne Tor zum Felslabor der NAGRA.

    Obwohl jedes Land mit seinem eigenen Atommüll fertig werden soll, die Probleme sind überall die gleichen – ebenso die Lösungsansätze. Gordon Linsley, Leiter der Sektion Abfallsicherheit der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA:

    Abgesehen von extremen Umweltschützern haben Experten nur zwei Positionen bei der Lagerung stark radioaktiver Abfälle.

    Es geht Zwischenlager gegen Endlager. Für die meisten ist die Idee, Atommüll jahrhundertelang an der Erdoberfläche zu lagern, nicht so das Gelbe vom Ei, denn dann braucht man ein Sicherheitssystem, das sehr lange zuverlässig funktioniert – und zwar unabhängig davon, was mit der Gesellschaft passiert.

    Wenn man die Abfälle jedoch sehr tief in der Erde "begräbt", ist es – gleichgültig, was mit der Gesellschaft passiert – sehr unwahrscheinlich, dass die Abfälle Schaden anrichten. Man müsste sich schon mit voller Absicht sehr anstrengen, um sie herauszuholen. Alles, was an der Oberfläche gelagert wird, kann jedoch zufällig entdeckt und so für Menschen gefährlich werden.

    Nicht künstliche, menschengemachte Barrieren sollen den strahlenden Abfall so lange von der Umwelt fernhalten, bis ihre Radioaktivität abgeklungen ist, sondern geologische, die notfalls für Jahrmillionen sicher sind. In geologischen Maßstäben ist eine Million Jahre noch nicht einmal ein Wimpernschlag. Eine Million Jahre sind beispielsweise der deutsche Maßstab für das sichere "Wegsperren" der Radioaktivität. Andere Länder nehmen 100.000 Jahre, aber auch das verlangt natürliche Barrieren. Zum Vergleich: Vor 100.000 Jahren war die Hoch-Zeit des Neanderthalers. In Europa haben fünf Staaten konkrete Pläne für das Schicksal ihres Atommülls. Sie alle wollen tief in der Erde Endlager bauen. Drei verschiedene "Wirtsgesteine" werden untersucht, so Wernt Brewitz von der GRS, der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit in Köln:

    Das eine sind die granitischen Gesteine, das plastische Steinsalz, das wir hier in Deutschland bisher favorisiert haben, und dann gibt es die breite Palette der Tongesteine, vom plastischen Ton bis hin zum richtigen Tongestein.

    Es stehen nicht nur drei Gesteinsarten zur Wahl, vielmehr geht es um unterschiedliche Sicherheitsphilosophien. Während Salz und Ton die geologische Sicherheit bieten könnten, bei der technische Barrieren nebensächlich werden, ist Granit für sich allein nicht sicher. Künstliche Barrieren sind unerlässlich. In Schweden und Finnland aber muss das Endlager mangels Alternativen im Granit errichtet werden. Trotz dieses grundsätzlichen Nachteils ist man nirgends auf der Welt bei der Endlagersuche so weit gediehen wie dort. Der Grund: Die Skandinavier haben erkannt, dass bei einem Endlager nichts ohne gesellschaftlichen Konsens geht. Entscheidet man über die Köpfe der Menschen hinweg, regt sich Widerstand, erklärt Alec Baer, Berater der Internationalen Atomenergieagentur IAEA in Wien:

    Ich glaube nicht, dass das typisch deutsch ist, auch wenn sich die Situation in Deutschland vielleicht verschärft darstellt. Sie sehen das gleiche Problem auch in Frankreich oder der Schweiz. In Großbritannien gibt es dieses Problem noch nicht, weil es noch keine Entscheidung gibt, was mit dem Atommüll geschehen soll.

    Es ist kein lokales Problem, und es kann nicht durch einen Gerichtshof oder ein Gesetz gelöst werden oder indem wir auf Positionen beharren – es wird nur durch die Diskussion gelöst, durch das Gespräch.

    Der Grimsel-Granit ist ungewöhnlich trocken, weil er kaum geklüftet ist. Im Gegensatz zu einem normalen Granit tröpfelt oder fließt selbst im Sommer nur an wenigen Stellen im Felslabor von Grimsel Wasser. Jetzt, im Winter, ist die Luft trocken, denn alle Feuchtigkeit verdunstet. Wasser ist für alle zukünftigen Endlager ein Hauptproblem, denn Wasser kann radioaktive und giftige Substanzen mit der Zeit in die Umwelt transportieren. Man muss sich also etwas einfallen lassen. Vorne, am Eingang des Felslabors, ist dazu zur Demonstration der Querschnitt eines Versuchs aufgebaut, erklärt Urs Frick, Geochemiker bei der NAGRA.

    Das sind jetzt Bentonitblöcke, und die haben den Vorteil, dass wenn Wasser dazukommt, dass die dann quellen.

    Während des Versuchs simulierte ein starkes Heizelement den radioaktiven Abfall und brachte die fünf Meter hohen Versuchsbehälter auf 80 Grad Celsius – so warm würden sie, wenn in ihnen echter Atommüll strahlte. Umgeben war das Ganze mit einem Kranz aus Tonblöcken. Anfangs waren zwischen den Bausteinen fingerdicke Spalten. Die Frage war: Wie wird sich der Bentonit verhalten?

    Es hat 600 Sensoren drin gehabt, dass war ja das Großartige an dem Versuch. Wir dachten zunächst, was soll so ein Einlagerungsversuch, dass ist ingenieurtechnisch überhaupt kein Problem, wir haben erst nachher gemerkt, dass ist sehr wichtig für die Glaubwürdigkeit, dass wir hier ein Monitoring machen können. An einem Punkt in diesem 35, 40 Meter verfüllten Stollen, ist Wasser hereingekommen. Das hat zu einer homogenen Quellung geführt. Das hat keinen Porenraum mehr frei gelassen. Das ist ein Wundermaterial.

    Wenn der Bentonit quillt, umgibt er als dichte Hülle den Behälter. Mit Druckmessern, mit Dampfdrucksensoren, selbst mit Radar sind die Forscher dem Verhalten des Tons auf die Spur gekommen. Nach fünf Jahren wurde der erste Testbehälter wieder ausgegraben. Der Bentonit hatte sich bewährt:

    Das war alles andere als Lehm, das war hart . Sie haben fast kein Gerät gefunden, um das herauszugraben, weil sie mussten spezielle Bohrer machen, um das wie durch Holz herauszuhobeln. Das ist schon ein Superding. Also für uns ist der Grimsel sehr wichtig, obwohl das ein absolut irrelevantes Gestein ist. Es spielt gar keine Rolle, ob das ein Granit ist oder etwas. Es ist ein extrem lehrreicher Spielplatz.

    Auch für die Schweden und Finnen, denn sie werden ihre Endlager im Granit bauen. Ganz Skandinavien ist im Grunde ein gewaltiger Granitblock, erklärt Peter Nygards von der schwedischen Endlagerfirma SKB:

    Das ist die Umgebung, die wir für Schweden auswählen, weil sie die stabilsten Bedingungen bietet, die wir hier finden können. Wir haben eben keine Tonformationen wie auf dem Kontinent und wir haben auch keine Salzstöcke.

    Die Schwäche des Granits sind seine Klüfte, über die Wasser und Gase Wege hinein und hinaus finden. Veijo Ryhänen, Chef der finnischen Endlagerfirma Posiva:

    Unter unseren Bedingungen ist tatsächlich der Kupferbehälter die wichtigste Barriere, weil im Granitgestein wirklich überall Grundwasser ist. Überall gibt es Klüfte und überall rinnt wenigstens ein bisschen Grundwasser durch, das sich allerdings nur ganz langsam bewegt. Wir haben sehr feuchte Bedingungen dort unten. Dabei ist der Kupferbehälter die Hauptschranke, die die abgebrannten Brennelemente abschirmt und die Radionuklide von der Biosphäre fernhält.

    Das Grundwasser ist in 500 Metern Tiefe, wo die schwedischen und finnischen Endlager gebaut werden, sauerstofffrei. Das macht die dicken Kupferbehälter mit ihrem Innenleben aus Stahl sehr korrosionsbeständig, solange nicht zu viel Chlor im Wasser ist. Aber wie lange überstehen die Schweißnähte? Sind auch sie die geforderten hunderttausend Jahre stabil? Gegen Chlor oder Sulfide im Wasser und Probleme mit den Schweißnähten soll die zweite Barriere wirken: ein Tonmantel aus Bentonit, der den Grundwasserfluss um den Behälters stark verringert und der zudem Schadstoffe speichert.
    2015 wollen die Schweden ihr Endlager in Betrieb nehmen, die Finnen 2020. Ihre Chancen stehen gut. Die Skandinavier haben ihre Endlager einvernehmlich mit der Bevölkerung konzipiert – und die politische Herausforderung gemeistert:

    Die Lösung ist, dass man mit den Leuten vor Ort zusammenarbeitet. Man muss sie in den Prozess einbeziehen, ihnen vermitteln, was wir tun, damit sie verstehen, worum es geht. Für die Leute hat Atommüll etwas Beängstigendes, es ist etwa so wie die Angst vor Schlangen, man weiß nicht warum, aber man ist besorgt. Deshalb müssen wir die Leute ernst nehmen, auch wenn sie einfache oder naive Fragen stellen, eben weil die Leute sich vor dem Zeug fürchten. Wenn Sie die Menschen ernst nehmen und vollkommen offen vorgehen, ohne versteckte Ziele, dann, glaube ich, werden Sie erfolgreich sein.

    Jeder noch so simple Verfahrensschritt ist transparent und wird erläutert, und die Bewerber können sich jederzeit zurückziehen. In Schweden sind noch Oskarshamn und Osthammer im Rennen, sehr zur Freude der Gemeinden, denn für sie ist das Endlager ein Wirtschaftsfaktor. In Finnland ist die Entscheidung bereits gefallen, für das westfinnische Olkiluoto.

    Im Sommer dringt selbst im ungewöhnlich trockenen Grimsel-Labor an manchen Klüften Wasser ein. Deshalb wurden im Felsen selbst Strömungsversuche durchgeführt. Die Frage: Wie bewegen sich Radionuklide mit dem Wasser. Denn der Grundwasserstrom ist die größte Schwachstelle eines jeden Endlagers.

    Eine Stahlgittertür versperrt einen Seitenstollen. In der ersten Kammer stehen große Edelstahltanks. In ihnen ist das Felswasser gesammelt, das für Fließversuche eingesetzt wird. Normales Leitungswasser geht nicht, das hat die falsche Chemie, es ist nicht basisch genug...

    Der pH ist fast 10 hier, sie können sich zwar nicht die Hände waschen damit, weil das Wasser ist praktisch ungepuffert, aber es ist ein sehr fremdes Wasser. Und die Chemie läuft halt total anders, wenn die Verhältnisse anders sind. Alles was Sie hier machen, hängt davon ab, wie die Chemie ist, und wir müssen, wir haben uns auch sehr viel Mühe genommen, die Chemie nicht zu stören, in diesem Versuch.

    Die Forscher holen sich das Wasser an anderer Stelle aus dem Fels und lagern es in den Tanks. Dort bleibt es unter einer neutralen Stickstoffatmosphäre, damit es seine besonderen Eigenschaften nicht einbüßt. Bei einem früheren Fließversuch hatte der Einsatz von Teflonschläuchen gereicht, um das Experiment scheitern zu lassen. Durch die Schläuche drang Kohlendioxid ins Wasser und fällte das im Felswasser gelöste Silikat aus. Die Folge: Der Riss im Fels verstopfte sofort.

    Bei den kleinen Mengen, die wir injiziert haben, hat das dort unten eine kleine chemische Anomalie gemacht, ausgefällt und uns die Kluft geschlossen. Ist natürlich klar, dass die optimistischen Manager gejauchzt haben, haben gesagt, wir haben die selbst heilende Kluft gefunden, aber es war ein falsches Experiment. Das wird nicht so stattfinden, aber wir konnten es dann geochemisch schon erklären. Sie sehen, wie wichtig das ist.

    Aus ihren Anfangsfehlern haben die Forscher vor allem eines gelernt: Die Radionuklide verhalten sich im Fels ganz anders als im Labor.

    In der Schweiz ist derzeit ein Tongestein Favorit, wenn es darum geht, die rund 500 Tonnen hochaktiver Brennelemente aus den vier Kernkraftwerken endzulagern. Genauer: der Opalinuston im Zürcher Weinland, wenige Kilometer von der Grenze zur Bundesrepublik entfernt. Die Schweizer haben keine Wahl, denn ihr Land ist tektonisch zu unruhig. Da gibt es das Erdbebengebiet am Südende des Oberrheintalgrabens und zudem heben sich die Alpen um mehr als einen Millimeter pro Jahr: Diese Hebungen könnten ein Lager langfristig instabil machen.

    ..., deshalb ist es heute schon ein Konsens unter den Experten, sagen wir mal unter den geologischen Experten der Schweiz, dass dieses Gebiet dort das ruhigst gelegene Gebiet in tektonische Hinsicht ist, über das wir in der Schweiz verfügen.

    Hans Issler, Chef der NAGRA. Lange Zeit sollte das Lager im Granit gebaut werden. Aber da sich herausstellte, dass der Granit als Endlagergestein eigentlich nur Nachteile hat, konzentrieren sich die Eidgenossen jetzt auf den Opalinuston. In Benken südlich von Schaffhausen hat die NAGRA Probebohrungen durchgeführt. Seit Ende 2002 liegt ein erster Bericht bei der Bundesregierung in Bern.

    Dieser Opalinuston ist ja ein Sedimentgestein, ist dort etwa vor 170 Millionen Jahren ist das abgelagert worden, es hat eine Mächtigkeit von etwa 100, 120 Metern und ist in diesem Gebiet aufgrund der Seismik sehr ruhig gelagert. Das hat praktisch keine Störungszonen und Gebiete, die in dieser langen geologische Zeit praktisch unverändert geblieben sind. Das Gestein ist auch sehr wasserundurchlässig, von dorther sucht man ja die Steine, die eine sehr geringe oder keine Wasserführung haben.

    Der Opalinuston liegt dort 500 bis 600 Meter unter der Erde. Die Schweizer wollen Kammern hineinbohren, die Behälter mit den Brennelementen einlagern, und die Kammern mit stark quellendem Bentonit füllen und verschließen. Opalinuston und Bentonit – beide Barrieren – sollen verhindern, dass um die Endlagerbehälter Grundwasser fließt. Das Konzept wird derzeit von unabhängigen Experten geprüft. 2005 will die Berner Regierung entscheiden. Der Auswahlprozess soll bis 2020 abgeschlossen sein – nach skandinavischen Vorbild unter größtmöglicher Beteiligung der Bevölkerung. Auch in der Schweiz hat man Erfahrungen mit gescheiterten Projekten. Im Herbst haben die Bürger des Kantons Nidwalden das Endlager für schwach- und mittelaktiven Abfall per Volksabstimmung beerdigt – nach 15 Jahren Arbeit.

    Bei uns sind wir natürlich gewohnt, dass wir in einem sehr demokratischen Land sind, und die Gemeinden haben bei uns eine sehr starke Stellung, und deshalb ist es sicher notwendig, dass wir diesen Bemühungen, die Verfahren transparent zu gestalten, dass wir die verstärken müssen.

    Die Entsorgungsfachleute haben gelernt: Es reicht nicht, recht zu haben. Man muss auch andere davon überzeugen. Und man dürfe sich nicht in die falsche Rolle drängen lassen, so Markus Buser, Entsorgungsfachmann aus Zürich:

    Die Experten wollen jetzt natürlich das Mandat zurückgeben und sagen, es ist Aufgabe der Politik, für die Durchsetzung zu sorgen, die Experten, die stellen die technisch-wissenschaftlichen Grundlagen für die Bewältigung des Problems dar, aber die politisch-gesellschaftliche geben des Problems muss anders gelöst werden.

    Tiefer im Stollen am Grimsel ist eine Kluft, über die im Sommer Wasser eindringt. Jetzt ist nichts zu sehen, aber das Wasser hat Spuren hinterlassen.

    Sehen Sie, da habe sie einen kleinen Gang, ganz schmal. 20 Zentimeter. Jetzt wechsele ich einmal das Licht auf UV. Fluoreszieren tun viele Dinge, aber das ist jetzt auch noch radioaktiv. Das macht das noch etwas Spannender. Wenn ich jetzt das Gerät anstelle, ich hoffe, die Batterie ist noch da (Piepsen beginnt), das ist nicht gerade berauschend, denn es sieht die Gammas nicht gut. Aber wenn ich jetzt den Deckel abmache, dann sieht das auch die Alphas und Betas. Die Betas kommen nicht aus der Tiefe, die Gammas kommen noch von 30 Zentimeter her, die Betas nur vom obersten Millimeter, und wenn ich das irgendwo hinhalte, wird das kaum hochgehen. Und wenn ich das an eine fluoreszierende Stelle gehe, nicht wahr, wenn das Gerät noch empfindlicher wäre, würde das richtig pfeifen.

    In jedem Kubikmeter Gestein zerfallen pro Sekunde zehn Millionen Atomkerne. Diese natürliche Strahlung übersteigt jeden gesetzlichen Grenzwert, aber weil sie natürlich ist, muss man nicht handeln. Bei "menschengemachter" Strahlung, die eben viel intensiver, konzentrierter und gefährlicher sein kann, ist das anders.

    Die Gefahr besteht, dass wenn sich alle Leute jetzt mit den Zwischenlagern zufrieden geben und wenn man dann einmal andere Probleme kriegen, dass wir die vergessen. Denn wenn sie Hunger und Angst haben und kein Erdöl mehr, dann nehme ich an, das erste, was man vergisst, ist die Sorgfalt. Ich habe einfach Angst, dass diese Richtlinien politisch wieder verwässert werden. Jetzt ist die unendlich lange Zwischenlagerung, das heißt, das Hinausschieben, ist jetzt Trumpf. Ich meine ein Politiker, der macht keine Punkte, wenn er sich für so etwas einsetzt.

    Deutschland hat sich bei der Endlagersuche die Finger verbrannt, denn die Auseinandersetzungen um Gorleben waren die heftigsten weltweit. Geologisch mag der Salzstock die beste Lösung sein, politisch ist er nicht durchzusetzen. Auch wenn die Erkundung in Gorleben ruht, warten rund 9000 Tonnen hochaktiver Brennelemente aus deutscher Stromerzeugung auf ihre sichere Unterbringung – für mindestens eine Million Jahre. Michael Sailer, stellvertretender Geschäftsführer des Ökoinstituts und Chef der Reaktorsicherheitskommission:

    Wir haben, egal ob wir jetzt die Kernenergie geliebt haben oder gewollt haben oder auch nicht, wir haben als Deutsche eben so viel Atommüll produziert bei der Erzeugung von Atomstrom, und den müssen wir selbst weg tun, das können wir nur auf unserem Territorium tun, alles andere ist Sankt-Florians-Prinzip.

    Weil kaum jemand so eine solche Deponie in der Nachbarschaft haben möchte, hat Umweltminister Trittin Anfang 1999 ein Gremium einberufen, um die Endlagersuche in Deutschland auf eine breite Basis zu stellen. Der AK End sollte einen Weg finden, den Standort im Konsens zu bestimmen. Seine 14 Mitglieder von Universitäten, Forschungszentren, Umweltinstituten und vom Bundesamt für Strahlenschutz haben sich intensiv mit wissenschaftlichen und erstmals auch mit sozialen und politischen Aspekten der Endlagerung beschäftigt. Seit Ende 2002 ist ihre Arbeit beendet. Nun liegen ihre Empfehlungen bei Jürgen Trittin. Bis 2004 soll sein Ministerium das weitere Vorgehen klären. Die Anforderungen sind klar. Die Gesteine sollen die Sicherheit bringen, technische Barrieren dürfen nur ergänzen.

    Wir brauchen eine günstige geologische Gesamtsituation, weil es kommt nicht nur auf das Gestein an, in dem die Einlagerung, ist, sondern es kommt auch auf das umgebenden Gestein an. Weil erst das Zusammenwirken der verschiedenen Gesteine bringt ja die Rückhaltekraft, also eben so, dass keine Radioaktivität nach außen kommen kann. Das ist die, wie wir sagen, günstige geologische Gesamtsituation. Da gehören sicher Salzstöcke dazu, , da können auch Konstellationen dazugehören, bei denen Tone oder Tonsteine eine zentrale Rolle spielen, möglicherweise auch Granite, aber da bin ich persönlich etwas skeptisch.

    Trotz Gorleben: Salzstöcke gelten weiterhin als idealer Ort für stark strahlenden Müll. Während die Hitze des Abfalls für Steinsalz kein Problem ist, reagieren Tone empfindlich. Das schlägt sich in der Größe des Endlagers nieder. Wernt Brewitz von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit GRS hat für Salz berechnet:

    So ein Endlagerbergwerk mit den Mengen, die jetzt in der Restlaufzeit der KKW anfallen und die schon da sind, hat einen Flächenbedarf von drei Quadratkilometern, wenn sie das in einem anderen Gestein machen, dann haben sie eine andere Grenze, denn wir müssen unterhalb der Siedetemperaturen bleiben, unterhalb von 100 Grad, das heißt, die Abfälle werden kleiner verpackt und verteilen sich auf eine weitere Fläche, da haben wir einen größeren Flächenbedarf, der sich ungefähr auf zehn Quadratkilometer einstellt.

    Zwar will man sich derzeit auf keinen Fall festlegen, aber ein Blick auf die geologische Karte lässt die am ehesten in Frage kommenden Regionen erahnen. In Norddeutschland gibt es große Salz- und Tonvorkommen, und unter Süddeutschland verbergen sich mächtige Schichten von Opalinuston. Daneben gibt es noch ein paar kleinräumigere Areale, in denen die Bedingungen günstig sein können.
    Auf der Suche nach dem Endlager zählen für den AKEnd aber nicht eben nur geologische Kriterien, sondern auch soziale und wirtschaftliche Erwägungen. So soll beispielsweise der Tourismus nicht gefährdet werden. In die Entscheidung sind möglichst viele Interessengruppen und Betroffene einzubinden, so der AKEnd. Schließlich sollen nicht schon wieder Jahrzehnte Arbeit und Milliarden Euro investiert werden, um dann am gesellschaftlichen Widerstand zu scheitern.

    Hier sucht ja nicht eine geologische Fachwelt und entscheidet selbst, sondern es ist eine gesellschaftliche Entscheidung. Und das setzt eben voraus, dass nicht in irgend einem Fachgremium irgendwie schon so weit vorgearbeitet wird, dass man unter einem der vielen Aspekte, wie man in die Auswahl ein bezieht, einbeziehen muss, schon massive Vorauswahl getroffen werden. Das darf nicht sein, weil der Prozess sonst nicht akzeptiert wird.

    Wenn alles zügig und ohne Probleme läuft, könnte – so der AK End – das deutsche Endlager 2030 in Betrieb gehen – vorausgesetzt die Politiker machen nun ihre Arbeit.

    Zurück aus den Stollen in der Eingangshalle des schweizerischen Felslabors. Nach den Stunden im Tunnel freut man sich auf die strahlende Wintersonne draußen.

    Nach fünf Minuten Autofahrt fällt grelles Sonnenlicht in den Tunnel. Die Gondelbahn in Richtung Mittelstation fährt pünktlich los, denn die Mitarbeiter der Kraftwerksgesellschaft wollen in den Feierabend.

    Das Tor nach draußen ist offen. Mit einer Schneefräse räumt ein Mitarbeiter einen kleinen Platz vor dem Abhang, damit die Gondel nicht stecken bleibt.

    Wir schweben zurück über die nahezu unberührte Natur. Die Passstrasse ist nur schemenhaft unter dem Schnee zu erkennen, das Grimselhotel im Winterschlaf, unter der Gondel flattert ein Schneehuhn aufgeschreckt hoch. In elegantem Schwung gleitet die Gondel über die Winterlandschaft hinweg in Richtung Turbinenhaus.