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Widerrufsverweigerung 1521
Martin Luther in Worms

Es luthert gewaltig in Worms. Doch für die Stadt ist nicht der Anschlag der Thesen zu Wittenberg das zentrale Ereignis, sondern der Reichstag am 18. April 1521. Kaiser Karl V. ließ Martin Luther damals nach Worms laden, um seine Schriften zu widerrufen.

Von Dieter Bub |
    Das Bild zeigt eine Skulptur aus Bronze des Reformators Martin Luther in Worms.
    Das Bild zeigt eine Skulptur aus Bronze des Reformators Martin Luther in Worms. (picture-alliance / dpa / Uwe Anspach)
    Jubelnder Empfang für Martin Luther in Worms. Tausende erwarten den Reformator am Eingang zur Stadt. Eine Szene aus der fünfteiligen Folge des DDR-Fernsehens aus dem Jahr 1983, mit der Erich Honecker den Reformator nicht mehr wie früher als Fürstenknecht, sondern einen der großen Deutschen darstellen ließ. Dort, wo Luther begeistert begrüßt wurde, bin ich mit Eva-Maria Listmann verabredet - der Darstellerin einer Buchverkäuferin:
    "Die Leute wussten, Luther kommt aus Oppenheim. Er muss durch die Pforte kommen und von dieser Martinspforte gibt es eine Abbildung vor der Stadtzerstörung 1689 und dann hat man kurz nach 1900 hier diese wunderschöne Kopie hingestellt als Erinnerung. Ich steh ein bisschen weiter weg mit meiner Rolle, denn ich wollte ja Bücher verkaufen. Und da gehen wir jetzt gleich hin, fein."
    In Worms gibt es heute 35 Gästeführerinnen und Gästeführer in den Kostümen Herbergswirtin, Nonne, Bäuerin, Hübschlerin – also einer Liebesdienerin, eines Landsknechts und der Buchverkäuferin. Sie haben jeden Tag zu tun. Unerwartet, überrascht von dem großen Ansturm. Denn für Worms ist nicht der Anschlag der Thesen zu Wittenberg das zentrale Ereignis, sondern der Reichstag 1521. So gilt hier als eigentliches Lutherjahr erst 2021 – in vier Jahren.
    Luther ist im Dom präsent
    Mittagsgeläut in Worms. Der Dom neben Speyer, Mainz, Magdeburg einer der großen Sakralbauten in Deutschland.
    Hier im Herzen von Worms treffe ich die Repräsentanten der beiden großen christlichen Religionen Probst Mattias Schäfer und Dekan Harald Storch. Beide stammen aus der Wetterau nördlich von Frankfurt, der eine stark evangelisch, der andere katholisch geprägt. Erst in Worms haben sie sich intensiv mit Martin Luther und seinem Auftritt vor dem Reichstag beschäftigt.
    Der Propst hat hier im Dom einen gewissen Platzvorteil.
    "Der Dom ist ja viel älter als Reformation, Trennung der Christenheit. Er steht ja auch für eine Geschichte, eine tausendjährige gemeinsame Geschichte."
    Probst und Dekan, der eine leger mit weißem Hemd gekleidet, der andere in einem leichten Anzug, kennen einander gut. Sie hatten von Anfang an einen engen Kontakt und praktizieren die Ökumene in der Stadt mit einer Reihe von Initiativen wie Notfallseelsorge, Hospizarbeit, Tafeln für Bedürftige, in der Flüchtlingsarbeit, bei gemeinsamen Gottesdiensten und Feiern.
    Dom in Worms
    In einem Glasfenster im Dom zu Worms ist Luther zu sehen. (Sabine Korsukéwitz)
    Luther ist seit 1989 selbst im Dom präsent – in einem Glasfenster über die Geschichte der Stadt – so weltweit einzigartig in einer katholischen Kirche.
    Mit Mathias Schäfer und Harald Storch mache ich mich auf den Weg durch die Stadt.
    Bei der ersten Attraktion gibt es zunächst keine Beziehung zu Martin Luther und dem Reichstag – es ist die Bühne für die Nibelungenfestspiele mit der alten Sage vom verborgenen Schatz im Rhein.
    Dabei bemühen sich Regisseure um Neuinterpretationen: Deutsche Soldaten ziehen in den Krieg oder es wird eine Beziehung in den Orient hergestellt.
    Die eindrucksvollste Darstellung ist Richard Wagners musikalisches Monumentalwerk "Der Ring der Nibelungen".
    Zwischen beiden Ereignissen, der Sage und dem Besuch des Reformators in Worms scheint es auf den ersten Blick keinen Zusammenhang zu geben – und dennoch haben sie die deutsche Geschichte beeinflusst – bis heute. Das Epos wurde als Mythos mit dem Begriff der Nibelungentreue Grundlage für den unabdingbaren Gehorsam, bei dem das deutsche Volk, voran die SS, dem Führer bis ins Verderben zu folgen hatte.
    Mit Martin Luthers Judenverachtung bis zum Hass ließ sich der Antisemitismus für den Nationalsozialismus nutzen, schüren und missbrauchen.
    Jüdischer Friedhof mit einer 1000-jährigen Geschichte
    Als Luther nach Worms kam gab es in der Stadt viele Juden, die damals in friedlichem Nebeneinander mit Christen und später auch Calvinisten lebten – davon zeugt ein beeindruckender großer jüdischer Friedhof mit 1000-jähriger Geschichte.
    Ich passiere mit Dekan und Domprobst die Bühne der Nibelungen-Festspiele. Von hier aus sind es nur wenige Schritte bis zum Platz des einstigen Bischofshofs, in dem das Verhör stattfand. An der Pforte haben sich nach der Sage Kriemhild und Brunhilde um den Vortritt beim Kirchgang gestritten. Hier befindet sich heute ein kleiner Park, den wir zu Fuß erreichen.
    "Das ist der Platz, an dem das alles stattgefunden haben soll, der Platz zu dem Auftritt vor dem Reichstag. Man kann ja hier von dem Bischofspalast so gut wie nichts mehr sehen. Gehen wir mal dorthin. Das ist ja richtig im Schatten des Domes. Das war ursprünglich sogar direkt an den Dom angebaut. Also man konnte vom Bischofshof direkt in den Dom. Es gibt noch die Zugangspforte."
    "Ja der eigentliche Reichstag hat ja gegenüber im sogenannten Bürgerhaus getagt. Hier das war so der intimere Ort, wo der Kaiser residiert hat und hier hat man dann versucht, tatsächlich das Ganze im Kleinen zu halten."
    Das Gemälde "Luther auf dem Reichstag zu Worms" des Künstlers Julius Schnorr von Carolsfeld (1794-1872) wird am 26.01.2015 im Stadtmuseum in Meißen (Sachsen) erstmals nach der Restaurierung gezeigt. Das 307 x 363 cm Großkartongemälde zeigt eine Szene aus dem Jahr 1521, als Luther auf dem Wormser Reichstag vor Kaiser Karl V. steht und sich weigert, seine Lehren zu widerrufen. Foto: Arno Burgi/dpa | Verwendung weltweit
    Gemäldepräsentation "Luther auf dem Reichstag zu Worms" (dpa-Zentralbild / Arno Burgi)
    Es war der große Auftritt des Reformators vor dem Kaiser – eine Szene aus dem Lutherfilm von 1983:
    "Er lästert den Heiligen Vater. (Lärm) Antworte. Einfach ohne Winkelzüge. Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Heiligen Schrift oder helle Vernunftgründe überführt werde, denn dem Papst und den Konzilien allein glaube ich nicht – es steht fest, dass sie oft geirrt und sich selbst widersprochen haben – so bin ich gebunden durch die Schrift: Ich kann nicht anders. Hier stehe ich. Gott helfe mir. Amen."
    Das Zitat Luthers ist zu einem geflügelten Wort geworden. Dennoch entspricht es nicht der Wahrheit.
    "Also verbürgt ist der Teil, der hier auch abgedruckt ist. Das kann ich ihnen auch vorlesen: So lange mein Gewissen durch die Worte Gottes gefangen ist, kann und will ich nicht widerrufen, weil unsicher ist und die Seligkeit bedroht, was gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir Amen."
    (Sie merken hier stehe ich, ich kann nicht anders ist eine spätere Hinzufügung. Wahrheit oder möchte gerne so gewesen sein.)
    Nach hundert Metern erreichen wir ein begehbares hohes Kunstobjekt. Wer es betritt, soll sich der Zeit des Mittelalters im 16. Jahrhundert bewusst werden. Ein begehbarer Standort aus Edelmetall, wie der Probst meint – ein Ort der Erkenntnis.
    "Das interessante an dem Reformationsjubiläum ist ja, dass es ja gerade nicht nur darum geht Luther in Person in den Mittelpunkt zu rücken sonder auch darauf zuschauen, was seine Anliegen waren und das ist gerade hier so eine künstlerische Einladung zu machen, sich selbst mit den Geschehnissen auseinanderzusetzen, buchstäblich sich hier an die Stelle Luthers zu stellen, an die Stelle des Kaisers zu stellen, die entsprechenden Worte hier auf sich wirken zu lassen und damit auch ne Stellung zu beziehen zu dem, was sich damals ereignet hat."
    Und wenn man an die Stelle Luthers tritt, was ist dort zu lesen? Das ist eine Platte, in die einfach ein paar Stichworte eingeschrieben sind. Worte, die einladen sich mit den Ereignissen damals auseinanderzusetzen.
    Gott, Deutsch, was auf vielerlei Weise national überhöht worden ist. Auch missbraucht worden zum Teil."
    Luther ist überall präsent in Worms
    Vor Luther gibt es in Worms kein Entkommen. Auf dem Weg zum Denkmal passieren wir eine Kreuzung – und finden auf 2den Bordsteinkanten Zitate des Reformators – auch "Hier stehe ich und kann nicht anders". Es luthert überall.
    Unübersehbar seit über einem Jahrhundert für alle Worms Besucher mächtig ein Denkmal, in dessen Zentrum Martin Luther steht. Der Kommentar von Dekan und Probst:
    "Es heißt immer, es sei das weltgrößte Reformationsdenkmal. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Das Calvin-Denkmal in Gent ist wesentlich breiter aber es ist nicht in der Tiefe größer. Es kommt monumental daher, das ist richtig, aber wir versuchen, es eben auch anders zu interpretieren."
    "Auch hier in Worms haben wir nicht mit Monumenten gespart. Ich meine der Dom nebenan ist schon ein Stück monumentaler und man kann, das im 19. Jahrhundert und im Geist des 19. Jahrtausends. Das Denkmal schon ein Gegendom gewesen ist, ein Signal, das die evangelische Kirche gegen den alles dominierenden Dom gesetzt hat. Ich finds heute eine spannende Sache, das beides nebeneinander gebaut worden ist und heute eine Brücke schlägt zwischen evangelischer und katholischer Kirche."
    Auch wenn Luther in heroischer Darstellung die zentrale Figur des Denkmals ist so sind die Zerstörungen während der Konfessionskriege und die Geschichte des Aufbruchs in ganz Europa dargestellt.
    "Die sogenannten Vorreformatoren, heute sagt man Frühreformatoren, weil das ja nicht unmittelbare Vorläufer Luthers sind, Jan Huss aus Böhmen, John Wittcliff aus England, Petrus Walde aus der Provence, Savanarola aus Italien zeigen ja auch, dass dieser deutsche Heros durchaus europäische Wurzeln hat – mit den Mitteln des Monuments des 19. Jahrhunderts sind hier durchaus präsent und es ist an uns nicht nur den Luther zu betonen."
    Luther hatte mit der Reformation, dem Widerstand gegen die katholische Kirche sofort auch in Worms viele Anhänger gefunden. Schon 1525 gab es die erste evangelische Kirche in der Stadt.
    "Wir gehen jetzt zusammen in die evangelische Magnuskirche und sie gilt als sie älteste evangelische Predigtkirche im südwestdeutschen Sprachraum."
    "Also es ist eine Kirche deren romanischen Wurzeln durchaus noch erkennbar sind. Einzelne Wände werden sogar karolingisch oder merowingisch angesehen. Diese Kirche war die Gemeindekirche, die zu dem Kollegiatenstift, dem Andreasstift gehört hat. Das Stift ist heute das Städtische Museum in der Nachbarschaft und von den Stiftsherren, sagt man, seien einige sehr früh zu Luthers Lehre übergegangen und haben in Luthers Sinn gepredigt, nicht Luther selbst."
    Mitmenschen sind geprägt von toleranter Liberalität
    Das prägt auch die gesamte Region hier in Rheinhessen. Das war im Grunde immer so gewesen. Auch durch zahlreiche Konfessionswechsel die es gegeben hat, sodass sich fast in jedem Dorf dann die verschiedenen Konfessionen nebeneinander waren. Das prägt auch bis heute diese tolerante Liberalität, die hier auch den Menschen so ausmacht.
    Nach Mittag bin ich noch einmal mit Eva – Maria Listmann, der Zeitschriftenverkäuferin verabredet.
    "Ohne die Verbreitung dieser Flugschriften wäre aus der Verbreitung dieser Reformation überhaupt nichts geworden. Und diese Flugschriften, das kann man so ansehen wie unsere Zeitung. Die waren billig – das waren immer nur sechs bis acht Seiten. Das konnte man auch schnell lesen. In Städten konnten mindestens 40 Prozent der Menschen auch schon lesen. Es gab ebenso Buchführer wie mich und mein Mann und die haben wir gedruckt – die waren verboten aber hier in Worms wurden sie trotzdem verkauft."
    Eva-Maria Listmann verwandelt sich jeden Tag. Sie wird so zu einer Darstellerin aus der Zeit des Mittelalters.
    "Kommen sie doch mal mit dem Kostüm rüber…. Es ist ein Kleid mit langen Ärmeln, weil natürlich eine anständige Frau nicht ihre nackten Arme zeigt. Dann hab ich eine Haube, weil eine anständige Frau auch nicht ihr Haar zeigt und ganz wichtig, ich habe einen Beutel an meinem Gürtel hängen, wo ich dann das Geld, dass ich vom Bücherverkauf einnehme, hoffentlich ein paar Kreutzer tu ich dann darein. Wir probieren das mal. Ich bin gerade hierher gekommen und und ich bin halt einer aber ich könnte ja auch eine Gruppe sein. Ich bin jetzt mal die Gruppe und sie kommen von dort und fragen mich."
    Sie: "Gott zum Gruß ihr Leute. Kommt ihr gerade von der Martinspforte und habt ihr ihn noch gesehen, den hochgelehrten Martin Luther?"
    Bub: "Also antworte ich mit ja."
    Sie: "Ne, sie müssen antworten nein, weil das schon heute Morgen war."
    Bub: "Nein, ich hab ihn nicht gesehen."
    Sie: "Das ist schade. Aber ich hab ihn auch nicht gesehen. Heute Morgen als das Trompetensignal ertönte – ein neuer Gast kommt, ging es wie ein Lauffeuer durch die Stadt – das muss er sein, der mutige Mann, der es gewagt hat, das Maul aufzutun. Gegen den welschen Papst in Rom."