Juri Aleinik kann den 19. Dezember nicht vergessen. Als er mit ansehen musste, wie sein Chef, der Präsidentschaftskandidat Wladimir Nekljajew von vermummten Spezialeinheiten bewusstlos geschlagen wurde - und wie die Versammlung auf dem Oktoberplatz gewaltsam aufgelöst wurde. Juri Aleinik hatte Nekljajews Wahlkampfbüro in Minsk geleitet. Nach dessen Verhaftung wurde dem 26-Jährigen schnell bewusst, dass er Weißrussland verlassen musste:
"Wir sahen die Berichte im Fernsehen und recherchierten im Internet. Uns war klar: Wir sind in Gefahr. Am nächsten Abend flüchteten wir: Ein Freund fuhr uns mit seinem Auto nach Russland, denn an den Grenzübergängen werden die Pässe kaum kontrolliert. Von Sankt Petersburg aus ging es nach Finnland, dann mit der Fähre nach Estland und weiter nach Vilnius. Wir wollten in diese Stadt, weil sie nicht weit von der Heimat entfernt ist."
Aleinik lebt immer noch in Vilnius. So wie knapp ein Dutzend weitere Oppositionelle, die mit ihren Familien nach Litauen geflohen sind: Sie erhielten eine Aufenthaltsgenehmigung und wurden in die Exil-Gemeinde integriert. Seit 2005 studieren etwa 1800 junge Weißrussen an der Europäischen Humanistischen Universität und mehrere Nichtregierungsorganisationen haben ihre Büros nach Vilnius verlegt, um der Bespitzelung des weißrussischen Geheimdienstes KGB zu entfliehen. Auch Juri Aleinik hat eine eigene Organisation gegründet: Die "Zivile Demokratische Vertretung Weißrusslands" möchte zeigen, dass Alleinherrscher Lukaschenko nicht für alle Weißrussen spricht. Aleiniks wichtigste Waffe ist der Computer, mit dem er nicht nur Petitionen an westliche Politiker versendet:
"Mithilfe des Internets, Skype und sozialen Netzwerken wie Facebook ist es leicht, den Kontakt mit Aktivisten in ganz Weißrussland zu halten. Es ist zwar nicht so effektiv wie persönliche Treffen, aber die Arbeit geht weiter. In naher Zukunft planen wir Protestaktionen auf den Straßen - und die Koordination läuft nur online. Zum Glück können wir immer wieder unsere Helfer nach Vilnius einladen. Mit dem Auto sind sie in drei Stunden hier."
Die Treffen finden im Weißrussischen Menschenrechtshaus statt, die erste Anlaufstelle für Oppositionelle nach ihrer Flucht. Finanziert wird es von einer norwegischen Stiftung. Die Aktivisten bekommen hier Tipps, wie sie sich bei einer Verhaftung verhalten sollen und sie lernen in Seminaren, im Internet keine Spuren zu hinterlassen. Ähnlich wichtig sind Gespräche mit Gleichgesinnten wie Anastasiya Matchenko. Die 25-Jährige ist nach dem Studium an der unabhängigen Europäischen Humanistischen Universität in Vilnius geblieben und hält via Skype Kontakt zur Heimat:
"Die ganze Gesellschaft steckt in einer tiefen Krise, nicht nur die engagierten Bürger. Alle machen sich Sorgen über die wirtschaftliche Lage. Vor der Wahl hat der Präsident Lohnerhöhungen versprochen, doch nun herrscht Inflation und die Lebensmittel verschwinden aus den Regalen. Viele meiner Freunde sind verzweifelt."
Anastasiya bildet seit drei Jahren junge Weißrussen zu Wahlbeobachtern aus und hat mit ihrem Team die letzten Abstimmungen überwacht. Ihr Kollege Vadim Vileita, ein Litauer mit weißrussischen Wurzeln, arbeitet mit Partnerorganisationen an der Kampagne "Visa-free Belarus". Der bisherige Preis von 60 Euro für ein EU-Visum sei für viele Weißrussen zu hoch, zudem würden viele Antragsteller in den europäischen Botschaften von oben herab behandelt. Dabei könnten die EU-Staaten gerade in der Visa-Frage zeigen, dass sie die Demokratiebewegung in Weißrussland nicht nur mit warmen Worten unterstützen, argumentiert Vileita aus eigener Erfahrung:
"Normalerweise besteht die größte Herausforderung bei unseren Projekten darin, Einreisegenehmigungen für die weißrussischen Teilnehmer zu erhalten. Wenn dies nicht gelingt, dann ist nicht die Diktatur in Minsk schuld, sondern die Bürokratie der EU-Länder. Die bisherigen Verfahren sind sehr kompliziert und wir würden sie gern verändern."
Auch Juri Aleinik hofft, dass möglichst viele seiner Landsleute die Chance bekommen, in die Europäische Union zu reisen. Nur so könnten sie selbst sehen, wie Demokratie funktioniere und dass die Europäer keineswegs Feinde Weißrusslands sein, wie es die Propaganda der lukaschenkotreuen Medien permanent verbreite. Aleinik ist jedoch überzeugt, dass er in Minsk am meisten für sein Land tun kann:
"Es ist angenehm hier, aber ich möchte so schnell wie möglich zurück nach Hause. Ende Juli müsste dies möglich sein. Es gibt zwar noch immer Drohungen, dass man mich verhaften werde, aber die wirtschaftliche Situation ist so schlecht, dass es sich das Regime nicht leisten kann, Oppositionelle ins Gefängnis zu schicken. Ein solcher Schritt würde zu neuen Sanktionen des Westens führen."
"Wir sahen die Berichte im Fernsehen und recherchierten im Internet. Uns war klar: Wir sind in Gefahr. Am nächsten Abend flüchteten wir: Ein Freund fuhr uns mit seinem Auto nach Russland, denn an den Grenzübergängen werden die Pässe kaum kontrolliert. Von Sankt Petersburg aus ging es nach Finnland, dann mit der Fähre nach Estland und weiter nach Vilnius. Wir wollten in diese Stadt, weil sie nicht weit von der Heimat entfernt ist."
Aleinik lebt immer noch in Vilnius. So wie knapp ein Dutzend weitere Oppositionelle, die mit ihren Familien nach Litauen geflohen sind: Sie erhielten eine Aufenthaltsgenehmigung und wurden in die Exil-Gemeinde integriert. Seit 2005 studieren etwa 1800 junge Weißrussen an der Europäischen Humanistischen Universität und mehrere Nichtregierungsorganisationen haben ihre Büros nach Vilnius verlegt, um der Bespitzelung des weißrussischen Geheimdienstes KGB zu entfliehen. Auch Juri Aleinik hat eine eigene Organisation gegründet: Die "Zivile Demokratische Vertretung Weißrusslands" möchte zeigen, dass Alleinherrscher Lukaschenko nicht für alle Weißrussen spricht. Aleiniks wichtigste Waffe ist der Computer, mit dem er nicht nur Petitionen an westliche Politiker versendet:
"Mithilfe des Internets, Skype und sozialen Netzwerken wie Facebook ist es leicht, den Kontakt mit Aktivisten in ganz Weißrussland zu halten. Es ist zwar nicht so effektiv wie persönliche Treffen, aber die Arbeit geht weiter. In naher Zukunft planen wir Protestaktionen auf den Straßen - und die Koordination läuft nur online. Zum Glück können wir immer wieder unsere Helfer nach Vilnius einladen. Mit dem Auto sind sie in drei Stunden hier."
Die Treffen finden im Weißrussischen Menschenrechtshaus statt, die erste Anlaufstelle für Oppositionelle nach ihrer Flucht. Finanziert wird es von einer norwegischen Stiftung. Die Aktivisten bekommen hier Tipps, wie sie sich bei einer Verhaftung verhalten sollen und sie lernen in Seminaren, im Internet keine Spuren zu hinterlassen. Ähnlich wichtig sind Gespräche mit Gleichgesinnten wie Anastasiya Matchenko. Die 25-Jährige ist nach dem Studium an der unabhängigen Europäischen Humanistischen Universität in Vilnius geblieben und hält via Skype Kontakt zur Heimat:
"Die ganze Gesellschaft steckt in einer tiefen Krise, nicht nur die engagierten Bürger. Alle machen sich Sorgen über die wirtschaftliche Lage. Vor der Wahl hat der Präsident Lohnerhöhungen versprochen, doch nun herrscht Inflation und die Lebensmittel verschwinden aus den Regalen. Viele meiner Freunde sind verzweifelt."
Anastasiya bildet seit drei Jahren junge Weißrussen zu Wahlbeobachtern aus und hat mit ihrem Team die letzten Abstimmungen überwacht. Ihr Kollege Vadim Vileita, ein Litauer mit weißrussischen Wurzeln, arbeitet mit Partnerorganisationen an der Kampagne "Visa-free Belarus". Der bisherige Preis von 60 Euro für ein EU-Visum sei für viele Weißrussen zu hoch, zudem würden viele Antragsteller in den europäischen Botschaften von oben herab behandelt. Dabei könnten die EU-Staaten gerade in der Visa-Frage zeigen, dass sie die Demokratiebewegung in Weißrussland nicht nur mit warmen Worten unterstützen, argumentiert Vileita aus eigener Erfahrung:
"Normalerweise besteht die größte Herausforderung bei unseren Projekten darin, Einreisegenehmigungen für die weißrussischen Teilnehmer zu erhalten. Wenn dies nicht gelingt, dann ist nicht die Diktatur in Minsk schuld, sondern die Bürokratie der EU-Länder. Die bisherigen Verfahren sind sehr kompliziert und wir würden sie gern verändern."
Auch Juri Aleinik hofft, dass möglichst viele seiner Landsleute die Chance bekommen, in die Europäische Union zu reisen. Nur so könnten sie selbst sehen, wie Demokratie funktioniere und dass die Europäer keineswegs Feinde Weißrusslands sein, wie es die Propaganda der lukaschenkotreuen Medien permanent verbreite. Aleinik ist jedoch überzeugt, dass er in Minsk am meisten für sein Land tun kann:
"Es ist angenehm hier, aber ich möchte so schnell wie möglich zurück nach Hause. Ende Juli müsste dies möglich sein. Es gibt zwar noch immer Drohungen, dass man mich verhaften werde, aber die wirtschaftliche Situation ist so schlecht, dass es sich das Regime nicht leisten kann, Oppositionelle ins Gefängnis zu schicken. Ein solcher Schritt würde zu neuen Sanktionen des Westens führen."