Rote Backsteinmauern, dahinter wird gehämmert und gesägt. Elektromotoren für Zementwerke und Stahlöfen werden hier hergestellt, alles Handarbeit, nichts von der Stange, das ist die Spezialität der Berliner Motorenwerke Menzel in Moabit.
"Bei Motoren, die wir machen, ist grundsätzlich fast alles Handarbeit. Die Fließfertigung gibt's aber nicht, weil wir halt auch Einzelstücke machen. Unsere übliche Stückzahl ist eins."
Mathis Menzel, der 33-jährige Unternehmenschef führt über das Fabrikgelände, leger gekleidet, rote Jeans, blaues Poloshirt, die langen blonden Haare zur Seite gegelt. Vor zehn Jahren war das Familienunternehmen ganz auf den deutschen Markt fixiert. Inzwischen beliefert Menzel Kunden in der ganzen Welt. Die Geschäfte laufen gut, sagt der Firmenchef. Von Krise keine Spur.
"Wir sind auch, wenn wir die tägliche Zeitung aufschlagen, auch verwundert und erwarten, eigentlich müsste jetzt irgendwann ein Einbruch kommen, aber wir haben nach wie vor einen unglaublich hohen Auftragsbestand. Die Lieferzeiten werden länger, und wir verkaufen auch Motoren dadurch, dass wir halt Sonderlösungen machen, momentan nach Griechenland, nach Spanien, in Italien. Unterschiedlichste Länder halt quer durch die Welt, aber natürlich, weil wir Nischenanbieter sind."
Dabei ist die Maßarbeit aus Berlin nicht besonders billig. Menzels Motoren werden gekauft, weil sie gut sind. Und weil die Firma schnell und zuverlässig liefert. Und auch zur Stelle ist, wenn es vor Ort Probleme gibt. Mit Billiganbietern aus Asien oder Südeuropa können und wollen wir nicht mithalten, sagt der junge Firmenchef, freut sich aber dennoch, dass er im nächsten Jahr weniger Geld an die Rentenkasse abführen muss. Menzel:
"Helfen tut es immer, und es hilft natürlich indirekt, weil wir auch versuchen, weiter zu wachsen, uns zu entwickeln, zu investieren: in Arbeitsplätze, in Personen. Das heißt, wir zahlen viele Fortbildungen. Und es zeichnet sich natürlich unterm Strich insofern ab: Wenn mehr Geld übrig bleibt, haben wir auch mehr in der Hand, um es zu investieren."
Von 19,6 auf 19 Prozent soll der Rentenbeitrag zum 1. Januar 2013 sinken, so wird es die Bundesregierung morgen im Kabinett beschließen. Für Alexander Gunkel, den Rentenexperten der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände BDA, ein wichtiger Schritt, um Unternehmen und Beschäftigte zu entlasten. Und um damit der Wirtschaft zusätzlichen Schwung zu geben:
"Die Beitragsabsenkung, die die Bundesregierung beschließen wird, schafft eine wichtige Entlastung für Arbeitgeber und Beschäftigte. Insgesamt geht es hier um eine jährliche Entlastung für beide von fünf bis sechs Milliarden Euro, das ist schon von volkswirtschaftlichem Gewicht und hilft beiden, den Arbeitgebern, die Lohnzusatzkosten zu begrenzen, für die Arbeitnehmer steigen die verfügbaren Einkommen."
Auf dem Gehaltskonto der Beschäftigten werden die niedrigeren Beiträge allerdings keine tiefen Spuren hinterlassen. Ein Durchschnittsverdiener mit einem Bruttoeinkommen von 2.705 Euro pro Monat wird 8 Euro und 11 Cent zusätzlich im Portemonnaie haben. Immerhin etwas Geld, das Beschäftigte dann in die private Altersabsicherung investieren können, sagt Johannes Vogel, in der FDP der Experte für Arbeitsmarkt und Renten:
"Damit die junge Generation sich das leisten kann, darf natürlich der Rentenbeitragssatz nicht zu hoch steigen, weil es muss ja auch für jemanden, der vielleicht nicht sehr gut verdient, sondern ganz normaler Durchschnittsverdiener ist oder auch weniger Geld hat, möglich sein, eben privat vorzusorgen jeden Monat. Und deshalb ist es gut, dass wenn, wie geplant, die Reserven jetzt da sind, das verwendet wird, um den Beitragssatz zu senken. So haben die Menschen die Möglichkeit auch nebenher privat vorzusorgen."
Möglich wird die geplante Entlastung, weil die Kassen der Deutschen Rentenversicherung - dank der guten Konjunktur und der hohen Beschäftigung - gut gefüllt sind. Am Jahresende wird sie einen Überschuss von voraussichtlich 28,8 Milliarden Euro angehäuft haben. Das sind mehr als anderthalb Monatsausgaben. Und in diesem Fall sagt das Gesetz: Der Rentenbeitrag muss sinken.
Der Regierung bleibt also gar nichts anderes übrig: Sie muss Arbeitgeber und Beschäftigte entlasten. Und doch ist eine hitzige Debatte entbrannt, ob das wirklich klug ist.
Eine Debatte, die Arbeitsministerin Ursula von der Leyen vor knapp vier Wochen aus taktischen Motiven ausgelöst hat. Anfang August legte sie überraschend einen Gesetzentwurf vor, in dem sie die geplante Beitragssatzsenkung mit ihrem Rentenpaket gegen Altersarmut verknüpfte:
"Wir lassen die Geringverdiener nicht im Stich. Im Gegenteil. Ich stehe dafür gerade, dass hier etwas passiert. Das sage ich ganz deutlich. Aber mir ist auch wichtig, dass die Beitragssatzsenkung, die Entlastung der Wirtschaft tatsächlich kommt. Gerade in diesen Zeiten ist das richtig. Was nicht ging und was bisher der Fall war, war so eine Entkopplung, also: automatisch Entlastung der Wirtschaft, und zwar sofort, und das Thema Altersarmut - auf die lange Bank verschieben, müssen wir nicht unbedingt darüber sprechen."
Von der Leyens Rentenpaket gegen die Altersarmut und die Senkung der Rentenbeiträge - beides hat eigentlich nichts miteinander zu tun. Dass die Arbeitsministerin es trotzdem miteinander verband, hatte allein einen Grund: Sie hoffte damit, den Widerstand gegen ihre umstrittenen Reformpläne zu brechen. Vor allem die FDP lehnt die von ihr vorgeschlagene Zuschussrente für Geringverdiener ab. Ein Plan, der scheiterte.
Die Debatte über niedrigere Rentenbeiträge ab Januar 2013 hat indes Fahrt aufgenommen. Gegen die machen inzwischen nicht nur Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände mobil. Auch in der CDU regt sich Widerstand. Andreas Storm, der christdemokratische Sozialminister im Saarland, hält die geplante Entlastung für falsch:
"Denn es ist ja klar, dass wir in den nächsten Jahren, bedingt durch die demografische Entwicklung, einen deutlichen Ausgabenanstieg in der gesetzlichen Rentenversicherung haben werden. Deshalb spricht alles dafür, dass wir die Rücklagen weiter ausbauen im Sinne einer nachhaltigen Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung."
Storm will über den Bundesrat verhindern, dass die Beiträge gesenkt werden. Die SPD-geführten Länder sind ohnehin dagegen. Und auch die fünf großen Koalitionen werden das nicht mittragen, verspricht der Minister aus dem Saarland. Wir haben uns abgestimmt, sagt er. Das würde bedeuten, dass den Plänen der Bundesregierung im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit gegenüberstehen würde.
"Eine solche Mehrheit wäre denkbar, nach dem derzeitigen Stand sogar wahrscheinlich. Aber ich hoffe sehr, dass es in den nächsten Wochen gelingen wird, eine Entwicklung abzuwenden, die zu einer solchen Konfrontation in der Rentenpolitik führen würde."
Unterstützung erhalten die CDU-Rebellen um Storm von SPD, Grünen und Linken, die sich klar gegen niedrigere Rentenbeiträge positioniert haben. Elke Ferner, die Rentenexpertin der SPD:
"Es ist gerade in einer Situation, wo wir alle nicht wissen, ob möglicherweise wieder ein wirtschaftlicher Abschwung kommt, nicht sehr klug, Reserven, die man aufbauen könnte, nicht aufzubauen, sondern auszugeben. Und insofern sind wir dafür, die Schwankungsreserve in der Rentenversicherung zu erhöhen, damit eben das Geld in der Rentenversicherung bleibt."
Es geht um eine Grundsatzentscheidung. Wer soll von den Überschüssen profitieren - die Beschäftigten und Unternehmen, die niedrige Beiträge zahlen oder die Rentner, die höhere Renten erhalten? Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes:
"Sollte der Beitragssatz gesenkt werden, wäre dies der Beginn eines planmäßigen Ausverkaufs der gesetzlichen Rentenversicherung, denn: Eine Beitragssenkung führt unweigerlich zu einer Senkung der künftigen Renten, und die Zukunft der Rente entscheidet sich also bereits in diesem Jahr."
Kritiker wie Buntenbach sehen die Chance, einschneidende Reformen, die einst die rot-grüne Koalition einführte und ihre Nachfolger bestätigten, wieder rückgängig zu machen. Sozialdemokraten und Grüne hatten vor Jahren beschlossen, dass die Renten in Zukunft nicht im gleichen Tempo steigen sollen wie die Löhne und Gehälter. Und erfanden zu diesem Zweck zahlreiche Korrekturfaktoren, die den Anstieg der Renten bremsen sollen. Ziel ist, das Rentenniveau, also das Verhältnis von ausgezahlten Altersbezügen zum Nettoeinkommen der Beschäftigten, bis zum Jahr 2030 um ein Drittel zu senken, von einst 63 auf dann 43 Prozent.
So soll verhindert werden, dass die Beitragszahler übermäßig belastet werden. Die Rentenbeiträge sollen bis 2030 nicht über 22 Prozent ansteigen.
Dieses Ziel können wir erreichen - und dennoch die Einschnitte bei den Renten rückgängig machen, rechnet nun Buntenbach vor. Wenn die Rentenbeiträge nicht gesenkt, und in den nächsten Jahren schrittweise auf 22 Prozent angehoben werden, dann ist genug Geld da, um die Bremsfaktoren abzuschaffen, sagt die Gewerkschafterin. Dann könnten die Renten wieder im Gleichschritt mit Löhnen und Gehältern angepasst werden, meint auch die Sozialdemokratin Elke Ferner:
"Ich bin der Überzeugung, dass wir die gesetzliche Rentenversicherung stärken müssen und nicht so weit absinken lassen dürfen, wie das ursprünglich geplant war."
Auch Ferner will die einst von Rot-Grün beschlossenen Einschnitte bei der Rente wieder rückgängig machen. Stößt damit parteiintern allerdings auf Widerstände. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hält nicht viel davon, die Reformen wieder zurückzunehmen. Steinmeier hat dabei die langfristige Finanzierung der Renten im Blick, wohl aber auch das kommende Wahljahr: Die SPD stünde da als Partei, die den Beschäftigten niedrigere Rentenbeiträge verweigert.
Auch Alexander Gunkel, der Rentenexperte der Arbeitgeberverbände warnt vor einer Kehrtwende. Bis zum Jahr 2030 könnte man höhere Leistungen vielleicht finanzieren, ohne die Zielmarke von 22 Prozent zu überschreiten. Aber was passiert danach, fragt er:
"Wir müssen aber die Rentenversicherung so aufstellen, dass auch noch in einigen Jahrzehnten, wenn die heutigen Beitragszahler ihre Rente bekommen, die Renten auch noch finanzierbar sind. Jetzt Reformen rückgängig zu machen und das Rentenniveau konstant zu lassen, weil es in den nächsten Jahren finanzierbar ist, würde die Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung für die nächsten Jahrzehnte noch verschärfen, weil wir dann ein Leistungsniveau hätten, das wir noch schwerer finanzieren könnten, als es ja ohnehin in der Zukunft der Fall sein wird."
Wie also soll der Weg aussehen, der die Beitragszahler nicht zu stark belastet. Und den Rentnern gleichzeitig noch ein Ruhegeld sichert, das zum Leben reicht?
"Mein Name ist Karl Kirsch. Ich habe über 18 Jahre als Deutschlehrer für Immigranten gearbeitet. Im Augenblick bin ich arbeitslos und bin gar nicht mal richtig unglücklich darüber, obwohl ich meine Arbeit eigentlich sehr, sehr liebe."
Karl Kirsch ist 52 Jahre alt. Im Raum Dessau unterrichtet er immer wieder Gruppen von Einwanderern - der Integrationskurs verlangt von ihnen eine Deutschprüfung. Ein Job, der nicht von jedem gemacht werden kann. In einer Klasse von 20 erwachsenen Schülern sitzen nicht selten zehn verschiedene Nationalitäten. Ein Lehrer muss jedem gerecht werden, sagt Karl Kirsch, der seine Erfahrung als Deutschlehrer über Jahrzehnte auch im Ausland gesammelt hat.
Kirsch arbeitet als Honorarkraft. In guten Monaten verdient er 1.400 Euro brutto im Monat. Als Lehrer zahlt er auch regelmäßig in die Rentenkasse ein. Aber schon heute ist klar: Seine Rente wird das Niveau der Grundsicherung nicht erreichen.
"Ich kann absehen, dass es wesentlich darunter liegen wird. Die Nettoeinkommen, die man da erzielen kann mit einer Vollzeitstelle, die bewegen sich zwischen 600 und 800 Euro, je nachdem, was man an Fahrtkosten hat. Da bleibt einfach nichts übrig. Wenn ich die Rentenkasse bezahlt habe und die paar Stunden zusammenhabe, da kommen keine Summen zustande."
Eigentlich wäre Karl Kirsch ein Fall für die Zuschussrente von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen: Dieses Konzept hatte die Ministerin Anfang August vorgestellt: Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, und deren Beiträge trotzdem nicht ausreichen, um eine Rente zu erzielen, die über dem Sozialhilfeniveau liegt, sollen aufstocken können - auf maximal 850 Euro:
"Deshalb ist die Zuschussrente eine Frage der Gerechtigkeit für diejenigen, die ein Leben lang sich eingesetzt haben für die Rente, ohne Kinder gibt es keine Rente, und die Zuschussrente soll die Lebensleistung dieser Menschen auch honorieren."
Ein Leben lang gearbeitet zu haben, bedeutet nach der Logik des Bundesarbeitsministeriums, mindestens 30 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt zu haben. Außerdem muss man privat vorgesorgt haben, zum Beispiel durch eine Riester-Rente, und seien es nur fünf Euro im Monat. Das aber geht an der Lebensrealität vieler Geringverdiener vorbei.
Auch die Deutsche Rentenversicherung Bund sieht hier einen der Schwachpunkte von Ursula von der Leyens Plänen: Die, die sie brauchen, erreicht die Zuschussrente nicht. Die Ministerin hat den Gesetzentwurf mitten in der Sommerpause vorgelegt und hat den Verbänden, die er betrifft, nur wenige Tage Zeit zur Stellungnahme eingeräumt. Die Deutsche Rentenversicherung hat dennoch rasch reagiert:
"Es erscheint zweifelhaft, ob die Zuschussrente einen wesentlichen Beitrag zur Vermeidung von Altersarmut leisten kann."
So heißt es in der Stellungnahme der Deutschen Rentenversicherung vom 10. August 2012 zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Alterssicherung.
"Dies folgt schon daraus, dass spezifische Personengruppen, die in besonderem Maße von Altersarmut bedroht sind, von der Zuschussrente nicht erfasst werden. Dies gilt z. B. für Langzeitarbeitslose, Versicherte mit lückenhaften Erwerbsbiografien und nicht obligatorisch gesicherte Selbstständige. Auch viele Erwerbsminderungsrentner werden die Voraussetzung von 30 bzw. 35 Jahren mit Pflichtbeitragszeiten nicht erfüllen können. Im Ergebnis greift das Instrument der Zuschussrente damit umso weniger, je größer das Risiko ist, im Alter arm zu werden."
Alexander Gunkel "Der Schwerpunkt des jetzigen Pakets liegt darauf, diejenigen, die Kindererziehungszeiten und Pflegezeiten haben, besser zu stellen, das ist der große Schwerpunkt, des jetzigen Rentenpakets. Und da sehen wir nicht, dass die Beitragszahler für solche gesamtgesellschaftlichen Leistungen hohe, Milliarden schwere Aufwendungen zusätzlich erbringen soll."
Zu den Verbänden, die zum Gesetz ihre Stellungnahme abgeben könnte, gehört auch der Paritätische Gesamtverband. Seinen Hauptgeschäftsführer, Ulrich Schneider, stört vor allem das überfallartige Vorgehen der Ministerin: Den Verbänden mitten in der Sommerpause, wenn alle Experten im Urlaub sind, nur drei Tage Zeit zur Stellungnahme zu geben, sei nicht mehr als der Versuch, die offensichtlichen Webfehler im Entwurf zu vertuschen. Schneider:
"Diese Zuschussrente wird nach dem Bildungs- und Teilhabepaket der zweite große Flop aus dem Hause von der Leyen. Die Hürden sind ganz bewusst so hoch gelegt, dass kaum ein Mensch diesen Zuschuss in Anspruch nehmen können wird. Dieses ganze Konzept Zuschussrente mit riestern, mit 35 Jahren Beitragszeit etc. geht an der Lebenswirklichkeit der von Altersarmut bedrohten völlig vorbei."
Und auch die Gewerkschaften lehnen die Pläne grundsätzlich ab. Das beste Mittel gegen Altersarmut seien höhere Einkommen. Gesetzliche Mindestlöhne würden zuverlässig dafür sorgen, dass mehr eingezahlt werde und das Problem oft gar nicht erst entstehe, so die Position des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Auch der Koalitionspartner FDP hat Bauchschmerzen mit der Zuschussrente, wenn auch ganz anderer Natur. Patrick Döring, Generalsekretär der Liberalen, hat die Sorge, dass es sich künftig gar lohnen kann, nicht durchgängig zu arbeiten.
"Jetzt diejenigen Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, die in kontinuierlichen Erwerbsbiografien und mit guten Beiträgen ihre Altersvorsorge im gesetzlichen Rentenversicherungssystem ansparen, zu einem Sozialausgleich zu bringen, die denjenigen, die gebrochene Erwerbsbiografien und geringe Einkünfte haben, höhere Renten beschert, wäre ein Paradigmenwechsel, der mit uns jedenfalls nicht zu machen ist."
Andere in der FDP sehen das etwas differenzierter. Johannes Vogel, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, treibt weniger die Sorge um, dass prekär Beschäftigte im Alter zu viel Einkommen haben könnten, als die Frage der Systematik: Wenn schon Zuschussrente, dann muss sie aus den Steuertöpfen bezahlt werden. Denn die Vermeidung von Altersarmut - mag sie auch ein noch so nobles Ziel sein - sei Aufgabe des Staates, nicht der Beitragszahler. Johannes Vogel geht es ums Prinzip.
"Was die Finanzierung angeht, die ist für mich ein ganz entscheidender Punkt, da ist die erste Bedingung, dass es nicht aus Beitragsmitteln finanziert wird, und auch die Steuermittel, die man dafür dann verwenden muss, müssen ja nachhaltig und solide gegenfinanziert sein."
Und auch aus der eigenen Partei gibt es Gegenwind. Der Gesundheitsexperte Jens Spahn:
"Es ist vor allem eine Frage der Gerechtigkeit, vor allem Leistungsgerechtigkeit, dass eben vorher auch entsprechende Beiträge in der Rentenversicherung zu zahlen sind. Ich kann jemandem, der sich eine 1000-Euro-Rente mühsam erarbeitet hat durch Beitrag, nur schwer erklären, dass andere dann 850,- Euro Zuschussrente haben."
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen lässt sich von der massiven Kritik nicht beeindrucken. Auch dass ihr Versuch, die Zuschussrente an die Senkung der Rentenbeiträge zu binden, gescheitert ist, entmutigt sie nicht.
"Wir sind jetzt da, wo wir hin wollten. Ich musste einen wirksamen Hebel ansetzen, damit das Thema 'Bekämpfung der Altersarmut' endlich an die Stelle kommt, wo es eigentlich hingehört, nämlich ganz oben auf die politische Agenda. Und jetzt ist es so reif, dass ich erwarte, dass bis Ende Oktober eine Entscheidung darüber gefällt wird. Wir müssen etwas tun zur Bekämpfung der Altersarmut."
In der Sache aber ist wenig gewonnen. Die FDP lehnt die Zuschussrente nach wie vor aus tiefer Überzeugung ab. Und auch in der eigenen Partei regt sich Unmut. Einziger Trumpf von Ursula von der Leyen im Rentenpoker ist die Kanzlerin. Die steht hinter der Arbeitsministerin, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert:
"Für die Bundeskanzlerin ist das Ziel klar, das sich diese Koalition zu Beginn der Legislatur in ihrem Koalitionsvertrag gesetzt hat: Jeder, der ein Leben lang Vollzeit gearbeitet hat, soll eine Rente oberhalb der Grundsicherung erzielen. Wie das erreicht werden kann, genau darum geht's jetzt in der Ressortabstimmung."
Eine ziemlich vertrackte Situation. Alle Versuche, die Differenzen auf Fachebene zu lösen, sind gescheitert. Jetzt sollen, bis spätestens Oktober, die Koalitionsspitzen den Konflikt lösen. Fragt sich nur wie. Die FDP kann eigentlich nicht zurück, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Und die Arbeitsministerin hat sogar ziemlich unverblümt ihre politische Karriere an die Zuschussrente geknüpft. Von der Leyen:
"Ich stehe dafür gerade, dass hier etwas passiert, das sage ich ganz deutlich. Das ist auch mein Ehrgeiz als Ministerin, und ich stehe auch auf für diese Leute, die das brauchen, die auch eine Stimme brauchen. Und daran kann man mich dann auch messen."
Welche Gegenleistung aber könnte die FDP bewegen, ihren Widerstand gegen die ungeliebte Zuschussrente aufzugeben.
Eine Frage, die ziemlich schnell zur Praxisgebühr führt. Die hat zwar mit der Rentenpolitik nichts zu tun. Ist in der Koalition aber ebenfalls ein dauerhaftes Streitthema. Die meisten in der FDP, allen voran der liberale Gesundheitsminister, möchten die Prämie, die vierteljährlich beim Arzt zu entrichten ist, lieber heute als morgen streichen. Die Union aber ist dagegen.
Mit einem Tauschgeschäft - Zuschussrente gegen Praxisgebühr - könnten beide Konflikte beigelegt werden. Eine Spekulation, die sich hartnäckig hält im Berliner Regierungsviertel. Der Rentenstreit wäre beigelegt, die Arbeitsministerin gerettet. Und die FDP könnte endlich mal wieder einen Erfolg im koalitionsinternen Tauziehen verbuchen.
"Bei Motoren, die wir machen, ist grundsätzlich fast alles Handarbeit. Die Fließfertigung gibt's aber nicht, weil wir halt auch Einzelstücke machen. Unsere übliche Stückzahl ist eins."
Mathis Menzel, der 33-jährige Unternehmenschef führt über das Fabrikgelände, leger gekleidet, rote Jeans, blaues Poloshirt, die langen blonden Haare zur Seite gegelt. Vor zehn Jahren war das Familienunternehmen ganz auf den deutschen Markt fixiert. Inzwischen beliefert Menzel Kunden in der ganzen Welt. Die Geschäfte laufen gut, sagt der Firmenchef. Von Krise keine Spur.
"Wir sind auch, wenn wir die tägliche Zeitung aufschlagen, auch verwundert und erwarten, eigentlich müsste jetzt irgendwann ein Einbruch kommen, aber wir haben nach wie vor einen unglaublich hohen Auftragsbestand. Die Lieferzeiten werden länger, und wir verkaufen auch Motoren dadurch, dass wir halt Sonderlösungen machen, momentan nach Griechenland, nach Spanien, in Italien. Unterschiedlichste Länder halt quer durch die Welt, aber natürlich, weil wir Nischenanbieter sind."
Dabei ist die Maßarbeit aus Berlin nicht besonders billig. Menzels Motoren werden gekauft, weil sie gut sind. Und weil die Firma schnell und zuverlässig liefert. Und auch zur Stelle ist, wenn es vor Ort Probleme gibt. Mit Billiganbietern aus Asien oder Südeuropa können und wollen wir nicht mithalten, sagt der junge Firmenchef, freut sich aber dennoch, dass er im nächsten Jahr weniger Geld an die Rentenkasse abführen muss. Menzel:
"Helfen tut es immer, und es hilft natürlich indirekt, weil wir auch versuchen, weiter zu wachsen, uns zu entwickeln, zu investieren: in Arbeitsplätze, in Personen. Das heißt, wir zahlen viele Fortbildungen. Und es zeichnet sich natürlich unterm Strich insofern ab: Wenn mehr Geld übrig bleibt, haben wir auch mehr in der Hand, um es zu investieren."
Von 19,6 auf 19 Prozent soll der Rentenbeitrag zum 1. Januar 2013 sinken, so wird es die Bundesregierung morgen im Kabinett beschließen. Für Alexander Gunkel, den Rentenexperten der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände BDA, ein wichtiger Schritt, um Unternehmen und Beschäftigte zu entlasten. Und um damit der Wirtschaft zusätzlichen Schwung zu geben:
"Die Beitragsabsenkung, die die Bundesregierung beschließen wird, schafft eine wichtige Entlastung für Arbeitgeber und Beschäftigte. Insgesamt geht es hier um eine jährliche Entlastung für beide von fünf bis sechs Milliarden Euro, das ist schon von volkswirtschaftlichem Gewicht und hilft beiden, den Arbeitgebern, die Lohnzusatzkosten zu begrenzen, für die Arbeitnehmer steigen die verfügbaren Einkommen."
Auf dem Gehaltskonto der Beschäftigten werden die niedrigeren Beiträge allerdings keine tiefen Spuren hinterlassen. Ein Durchschnittsverdiener mit einem Bruttoeinkommen von 2.705 Euro pro Monat wird 8 Euro und 11 Cent zusätzlich im Portemonnaie haben. Immerhin etwas Geld, das Beschäftigte dann in die private Altersabsicherung investieren können, sagt Johannes Vogel, in der FDP der Experte für Arbeitsmarkt und Renten:
"Damit die junge Generation sich das leisten kann, darf natürlich der Rentenbeitragssatz nicht zu hoch steigen, weil es muss ja auch für jemanden, der vielleicht nicht sehr gut verdient, sondern ganz normaler Durchschnittsverdiener ist oder auch weniger Geld hat, möglich sein, eben privat vorzusorgen jeden Monat. Und deshalb ist es gut, dass wenn, wie geplant, die Reserven jetzt da sind, das verwendet wird, um den Beitragssatz zu senken. So haben die Menschen die Möglichkeit auch nebenher privat vorzusorgen."
Möglich wird die geplante Entlastung, weil die Kassen der Deutschen Rentenversicherung - dank der guten Konjunktur und der hohen Beschäftigung - gut gefüllt sind. Am Jahresende wird sie einen Überschuss von voraussichtlich 28,8 Milliarden Euro angehäuft haben. Das sind mehr als anderthalb Monatsausgaben. Und in diesem Fall sagt das Gesetz: Der Rentenbeitrag muss sinken.
Der Regierung bleibt also gar nichts anderes übrig: Sie muss Arbeitgeber und Beschäftigte entlasten. Und doch ist eine hitzige Debatte entbrannt, ob das wirklich klug ist.
Eine Debatte, die Arbeitsministerin Ursula von der Leyen vor knapp vier Wochen aus taktischen Motiven ausgelöst hat. Anfang August legte sie überraschend einen Gesetzentwurf vor, in dem sie die geplante Beitragssatzsenkung mit ihrem Rentenpaket gegen Altersarmut verknüpfte:
"Wir lassen die Geringverdiener nicht im Stich. Im Gegenteil. Ich stehe dafür gerade, dass hier etwas passiert. Das sage ich ganz deutlich. Aber mir ist auch wichtig, dass die Beitragssatzsenkung, die Entlastung der Wirtschaft tatsächlich kommt. Gerade in diesen Zeiten ist das richtig. Was nicht ging und was bisher der Fall war, war so eine Entkopplung, also: automatisch Entlastung der Wirtschaft, und zwar sofort, und das Thema Altersarmut - auf die lange Bank verschieben, müssen wir nicht unbedingt darüber sprechen."
Von der Leyens Rentenpaket gegen die Altersarmut und die Senkung der Rentenbeiträge - beides hat eigentlich nichts miteinander zu tun. Dass die Arbeitsministerin es trotzdem miteinander verband, hatte allein einen Grund: Sie hoffte damit, den Widerstand gegen ihre umstrittenen Reformpläne zu brechen. Vor allem die FDP lehnt die von ihr vorgeschlagene Zuschussrente für Geringverdiener ab. Ein Plan, der scheiterte.
Die Debatte über niedrigere Rentenbeiträge ab Januar 2013 hat indes Fahrt aufgenommen. Gegen die machen inzwischen nicht nur Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände mobil. Auch in der CDU regt sich Widerstand. Andreas Storm, der christdemokratische Sozialminister im Saarland, hält die geplante Entlastung für falsch:
"Denn es ist ja klar, dass wir in den nächsten Jahren, bedingt durch die demografische Entwicklung, einen deutlichen Ausgabenanstieg in der gesetzlichen Rentenversicherung haben werden. Deshalb spricht alles dafür, dass wir die Rücklagen weiter ausbauen im Sinne einer nachhaltigen Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung."
Storm will über den Bundesrat verhindern, dass die Beiträge gesenkt werden. Die SPD-geführten Länder sind ohnehin dagegen. Und auch die fünf großen Koalitionen werden das nicht mittragen, verspricht der Minister aus dem Saarland. Wir haben uns abgestimmt, sagt er. Das würde bedeuten, dass den Plänen der Bundesregierung im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit gegenüberstehen würde.
"Eine solche Mehrheit wäre denkbar, nach dem derzeitigen Stand sogar wahrscheinlich. Aber ich hoffe sehr, dass es in den nächsten Wochen gelingen wird, eine Entwicklung abzuwenden, die zu einer solchen Konfrontation in der Rentenpolitik führen würde."
Unterstützung erhalten die CDU-Rebellen um Storm von SPD, Grünen und Linken, die sich klar gegen niedrigere Rentenbeiträge positioniert haben. Elke Ferner, die Rentenexpertin der SPD:
"Es ist gerade in einer Situation, wo wir alle nicht wissen, ob möglicherweise wieder ein wirtschaftlicher Abschwung kommt, nicht sehr klug, Reserven, die man aufbauen könnte, nicht aufzubauen, sondern auszugeben. Und insofern sind wir dafür, die Schwankungsreserve in der Rentenversicherung zu erhöhen, damit eben das Geld in der Rentenversicherung bleibt."
Es geht um eine Grundsatzentscheidung. Wer soll von den Überschüssen profitieren - die Beschäftigten und Unternehmen, die niedrige Beiträge zahlen oder die Rentner, die höhere Renten erhalten? Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes:
"Sollte der Beitragssatz gesenkt werden, wäre dies der Beginn eines planmäßigen Ausverkaufs der gesetzlichen Rentenversicherung, denn: Eine Beitragssenkung führt unweigerlich zu einer Senkung der künftigen Renten, und die Zukunft der Rente entscheidet sich also bereits in diesem Jahr."
Kritiker wie Buntenbach sehen die Chance, einschneidende Reformen, die einst die rot-grüne Koalition einführte und ihre Nachfolger bestätigten, wieder rückgängig zu machen. Sozialdemokraten und Grüne hatten vor Jahren beschlossen, dass die Renten in Zukunft nicht im gleichen Tempo steigen sollen wie die Löhne und Gehälter. Und erfanden zu diesem Zweck zahlreiche Korrekturfaktoren, die den Anstieg der Renten bremsen sollen. Ziel ist, das Rentenniveau, also das Verhältnis von ausgezahlten Altersbezügen zum Nettoeinkommen der Beschäftigten, bis zum Jahr 2030 um ein Drittel zu senken, von einst 63 auf dann 43 Prozent.
So soll verhindert werden, dass die Beitragszahler übermäßig belastet werden. Die Rentenbeiträge sollen bis 2030 nicht über 22 Prozent ansteigen.
Dieses Ziel können wir erreichen - und dennoch die Einschnitte bei den Renten rückgängig machen, rechnet nun Buntenbach vor. Wenn die Rentenbeiträge nicht gesenkt, und in den nächsten Jahren schrittweise auf 22 Prozent angehoben werden, dann ist genug Geld da, um die Bremsfaktoren abzuschaffen, sagt die Gewerkschafterin. Dann könnten die Renten wieder im Gleichschritt mit Löhnen und Gehältern angepasst werden, meint auch die Sozialdemokratin Elke Ferner:
"Ich bin der Überzeugung, dass wir die gesetzliche Rentenversicherung stärken müssen und nicht so weit absinken lassen dürfen, wie das ursprünglich geplant war."
Auch Ferner will die einst von Rot-Grün beschlossenen Einschnitte bei der Rente wieder rückgängig machen. Stößt damit parteiintern allerdings auf Widerstände. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hält nicht viel davon, die Reformen wieder zurückzunehmen. Steinmeier hat dabei die langfristige Finanzierung der Renten im Blick, wohl aber auch das kommende Wahljahr: Die SPD stünde da als Partei, die den Beschäftigten niedrigere Rentenbeiträge verweigert.
Auch Alexander Gunkel, der Rentenexperte der Arbeitgeberverbände warnt vor einer Kehrtwende. Bis zum Jahr 2030 könnte man höhere Leistungen vielleicht finanzieren, ohne die Zielmarke von 22 Prozent zu überschreiten. Aber was passiert danach, fragt er:
"Wir müssen aber die Rentenversicherung so aufstellen, dass auch noch in einigen Jahrzehnten, wenn die heutigen Beitragszahler ihre Rente bekommen, die Renten auch noch finanzierbar sind. Jetzt Reformen rückgängig zu machen und das Rentenniveau konstant zu lassen, weil es in den nächsten Jahren finanzierbar ist, würde die Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung für die nächsten Jahrzehnte noch verschärfen, weil wir dann ein Leistungsniveau hätten, das wir noch schwerer finanzieren könnten, als es ja ohnehin in der Zukunft der Fall sein wird."
Wie also soll der Weg aussehen, der die Beitragszahler nicht zu stark belastet. Und den Rentnern gleichzeitig noch ein Ruhegeld sichert, das zum Leben reicht?
"Mein Name ist Karl Kirsch. Ich habe über 18 Jahre als Deutschlehrer für Immigranten gearbeitet. Im Augenblick bin ich arbeitslos und bin gar nicht mal richtig unglücklich darüber, obwohl ich meine Arbeit eigentlich sehr, sehr liebe."
Karl Kirsch ist 52 Jahre alt. Im Raum Dessau unterrichtet er immer wieder Gruppen von Einwanderern - der Integrationskurs verlangt von ihnen eine Deutschprüfung. Ein Job, der nicht von jedem gemacht werden kann. In einer Klasse von 20 erwachsenen Schülern sitzen nicht selten zehn verschiedene Nationalitäten. Ein Lehrer muss jedem gerecht werden, sagt Karl Kirsch, der seine Erfahrung als Deutschlehrer über Jahrzehnte auch im Ausland gesammelt hat.
Kirsch arbeitet als Honorarkraft. In guten Monaten verdient er 1.400 Euro brutto im Monat. Als Lehrer zahlt er auch regelmäßig in die Rentenkasse ein. Aber schon heute ist klar: Seine Rente wird das Niveau der Grundsicherung nicht erreichen.
"Ich kann absehen, dass es wesentlich darunter liegen wird. Die Nettoeinkommen, die man da erzielen kann mit einer Vollzeitstelle, die bewegen sich zwischen 600 und 800 Euro, je nachdem, was man an Fahrtkosten hat. Da bleibt einfach nichts übrig. Wenn ich die Rentenkasse bezahlt habe und die paar Stunden zusammenhabe, da kommen keine Summen zustande."
Eigentlich wäre Karl Kirsch ein Fall für die Zuschussrente von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen: Dieses Konzept hatte die Ministerin Anfang August vorgestellt: Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, und deren Beiträge trotzdem nicht ausreichen, um eine Rente zu erzielen, die über dem Sozialhilfeniveau liegt, sollen aufstocken können - auf maximal 850 Euro:
"Deshalb ist die Zuschussrente eine Frage der Gerechtigkeit für diejenigen, die ein Leben lang sich eingesetzt haben für die Rente, ohne Kinder gibt es keine Rente, und die Zuschussrente soll die Lebensleistung dieser Menschen auch honorieren."
Ein Leben lang gearbeitet zu haben, bedeutet nach der Logik des Bundesarbeitsministeriums, mindestens 30 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt zu haben. Außerdem muss man privat vorgesorgt haben, zum Beispiel durch eine Riester-Rente, und seien es nur fünf Euro im Monat. Das aber geht an der Lebensrealität vieler Geringverdiener vorbei.
Auch die Deutsche Rentenversicherung Bund sieht hier einen der Schwachpunkte von Ursula von der Leyens Plänen: Die, die sie brauchen, erreicht die Zuschussrente nicht. Die Ministerin hat den Gesetzentwurf mitten in der Sommerpause vorgelegt und hat den Verbänden, die er betrifft, nur wenige Tage Zeit zur Stellungnahme eingeräumt. Die Deutsche Rentenversicherung hat dennoch rasch reagiert:
"Es erscheint zweifelhaft, ob die Zuschussrente einen wesentlichen Beitrag zur Vermeidung von Altersarmut leisten kann."
So heißt es in der Stellungnahme der Deutschen Rentenversicherung vom 10. August 2012 zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Alterssicherung.
"Dies folgt schon daraus, dass spezifische Personengruppen, die in besonderem Maße von Altersarmut bedroht sind, von der Zuschussrente nicht erfasst werden. Dies gilt z. B. für Langzeitarbeitslose, Versicherte mit lückenhaften Erwerbsbiografien und nicht obligatorisch gesicherte Selbstständige. Auch viele Erwerbsminderungsrentner werden die Voraussetzung von 30 bzw. 35 Jahren mit Pflichtbeitragszeiten nicht erfüllen können. Im Ergebnis greift das Instrument der Zuschussrente damit umso weniger, je größer das Risiko ist, im Alter arm zu werden."
Alexander Gunkel "Der Schwerpunkt des jetzigen Pakets liegt darauf, diejenigen, die Kindererziehungszeiten und Pflegezeiten haben, besser zu stellen, das ist der große Schwerpunkt, des jetzigen Rentenpakets. Und da sehen wir nicht, dass die Beitragszahler für solche gesamtgesellschaftlichen Leistungen hohe, Milliarden schwere Aufwendungen zusätzlich erbringen soll."
Zu den Verbänden, die zum Gesetz ihre Stellungnahme abgeben könnte, gehört auch der Paritätische Gesamtverband. Seinen Hauptgeschäftsführer, Ulrich Schneider, stört vor allem das überfallartige Vorgehen der Ministerin: Den Verbänden mitten in der Sommerpause, wenn alle Experten im Urlaub sind, nur drei Tage Zeit zur Stellungnahme zu geben, sei nicht mehr als der Versuch, die offensichtlichen Webfehler im Entwurf zu vertuschen. Schneider:
"Diese Zuschussrente wird nach dem Bildungs- und Teilhabepaket der zweite große Flop aus dem Hause von der Leyen. Die Hürden sind ganz bewusst so hoch gelegt, dass kaum ein Mensch diesen Zuschuss in Anspruch nehmen können wird. Dieses ganze Konzept Zuschussrente mit riestern, mit 35 Jahren Beitragszeit etc. geht an der Lebenswirklichkeit der von Altersarmut bedrohten völlig vorbei."
Und auch die Gewerkschaften lehnen die Pläne grundsätzlich ab. Das beste Mittel gegen Altersarmut seien höhere Einkommen. Gesetzliche Mindestlöhne würden zuverlässig dafür sorgen, dass mehr eingezahlt werde und das Problem oft gar nicht erst entstehe, so die Position des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Auch der Koalitionspartner FDP hat Bauchschmerzen mit der Zuschussrente, wenn auch ganz anderer Natur. Patrick Döring, Generalsekretär der Liberalen, hat die Sorge, dass es sich künftig gar lohnen kann, nicht durchgängig zu arbeiten.
"Jetzt diejenigen Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, die in kontinuierlichen Erwerbsbiografien und mit guten Beiträgen ihre Altersvorsorge im gesetzlichen Rentenversicherungssystem ansparen, zu einem Sozialausgleich zu bringen, die denjenigen, die gebrochene Erwerbsbiografien und geringe Einkünfte haben, höhere Renten beschert, wäre ein Paradigmenwechsel, der mit uns jedenfalls nicht zu machen ist."
Andere in der FDP sehen das etwas differenzierter. Johannes Vogel, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, treibt weniger die Sorge um, dass prekär Beschäftigte im Alter zu viel Einkommen haben könnten, als die Frage der Systematik: Wenn schon Zuschussrente, dann muss sie aus den Steuertöpfen bezahlt werden. Denn die Vermeidung von Altersarmut - mag sie auch ein noch so nobles Ziel sein - sei Aufgabe des Staates, nicht der Beitragszahler. Johannes Vogel geht es ums Prinzip.
"Was die Finanzierung angeht, die ist für mich ein ganz entscheidender Punkt, da ist die erste Bedingung, dass es nicht aus Beitragsmitteln finanziert wird, und auch die Steuermittel, die man dafür dann verwenden muss, müssen ja nachhaltig und solide gegenfinanziert sein."
Und auch aus der eigenen Partei gibt es Gegenwind. Der Gesundheitsexperte Jens Spahn:
"Es ist vor allem eine Frage der Gerechtigkeit, vor allem Leistungsgerechtigkeit, dass eben vorher auch entsprechende Beiträge in der Rentenversicherung zu zahlen sind. Ich kann jemandem, der sich eine 1000-Euro-Rente mühsam erarbeitet hat durch Beitrag, nur schwer erklären, dass andere dann 850,- Euro Zuschussrente haben."
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen lässt sich von der massiven Kritik nicht beeindrucken. Auch dass ihr Versuch, die Zuschussrente an die Senkung der Rentenbeiträge zu binden, gescheitert ist, entmutigt sie nicht.
"Wir sind jetzt da, wo wir hin wollten. Ich musste einen wirksamen Hebel ansetzen, damit das Thema 'Bekämpfung der Altersarmut' endlich an die Stelle kommt, wo es eigentlich hingehört, nämlich ganz oben auf die politische Agenda. Und jetzt ist es so reif, dass ich erwarte, dass bis Ende Oktober eine Entscheidung darüber gefällt wird. Wir müssen etwas tun zur Bekämpfung der Altersarmut."
In der Sache aber ist wenig gewonnen. Die FDP lehnt die Zuschussrente nach wie vor aus tiefer Überzeugung ab. Und auch in der eigenen Partei regt sich Unmut. Einziger Trumpf von Ursula von der Leyen im Rentenpoker ist die Kanzlerin. Die steht hinter der Arbeitsministerin, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert:
"Für die Bundeskanzlerin ist das Ziel klar, das sich diese Koalition zu Beginn der Legislatur in ihrem Koalitionsvertrag gesetzt hat: Jeder, der ein Leben lang Vollzeit gearbeitet hat, soll eine Rente oberhalb der Grundsicherung erzielen. Wie das erreicht werden kann, genau darum geht's jetzt in der Ressortabstimmung."
Eine ziemlich vertrackte Situation. Alle Versuche, die Differenzen auf Fachebene zu lösen, sind gescheitert. Jetzt sollen, bis spätestens Oktober, die Koalitionsspitzen den Konflikt lösen. Fragt sich nur wie. Die FDP kann eigentlich nicht zurück, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Und die Arbeitsministerin hat sogar ziemlich unverblümt ihre politische Karriere an die Zuschussrente geknüpft. Von der Leyen:
"Ich stehe dafür gerade, dass hier etwas passiert, das sage ich ganz deutlich. Das ist auch mein Ehrgeiz als Ministerin, und ich stehe auch auf für diese Leute, die das brauchen, die auch eine Stimme brauchen. Und daran kann man mich dann auch messen."
Welche Gegenleistung aber könnte die FDP bewegen, ihren Widerstand gegen die ungeliebte Zuschussrente aufzugeben.
Eine Frage, die ziemlich schnell zur Praxisgebühr führt. Die hat zwar mit der Rentenpolitik nichts zu tun. Ist in der Koalition aber ebenfalls ein dauerhaftes Streitthema. Die meisten in der FDP, allen voran der liberale Gesundheitsminister, möchten die Prämie, die vierteljährlich beim Arzt zu entrichten ist, lieber heute als morgen streichen. Die Union aber ist dagegen.
Mit einem Tauschgeschäft - Zuschussrente gegen Praxisgebühr - könnten beide Konflikte beigelegt werden. Eine Spekulation, die sich hartnäckig hält im Berliner Regierungsviertel. Der Rentenstreit wäre beigelegt, die Arbeitsministerin gerettet. Und die FDP könnte endlich mal wieder einen Erfolg im koalitionsinternen Tauziehen verbuchen.