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Widerstand gegen Wasserkraft-Großprojekt

Das geplante Wasserkraftwerk am Ilisu-Staudamm in der Türkei soll der ganzen Region einen Entwicklungsschub verpassen, so die Argumentation der Befürworter. Doch der Bau des Stausees hat massive Folgen für die Umwelt und die Anwohner: Zehntausende müssten umgesiedelt werden, und die antike Stadt Hasankeyf würde überflutet. Dagegen regt sich Widerstand.

Von Susanne Güsten | 13.03.2009
    Andruck bei "Batman Cagdas", einer alternativen Lokalzeitung in der kurdischen Großstadt Batman im Südosten der Türkei. Ein antiquarisches Modell der Heidelberger Druckmaschinen aus den 60er-Jahren tut hier noch treu seinen Dienst.

    Auch in dem Redaktionsraum über der Druckerei ist das rhythmische Stampfen der Maschinen zu spüren. Ein Plakat von der historischen Kleinstadt Hasankeyf, die außerhalb von Batman am Tigris liegt, dominiert den kleinen Raum. Außer den drei, vier Redakteuren gehen hier auch die Mitglieder des "Vereins zur Rettung von Hasankeyf" ein und aus. Chefredakteur Arif Arslan ist der Vereinsvorsitzende:

    "Wir haben den Verein zur Rettung von Hasankeyf 1994 gegründet, um die vom Ilisu-Staudamm bedrohte historische Stätte Hasankeyf zu schützen. Ziel des Vereins ist es, über die historische Bedeutung von Hasankeyf aufzuklären, im Inland wie im Ausland, um die Zerstörung der Stätte zu verhindern."

    Mit Mahnwachen, Unterschriften und Kundgebungen macht die Bürgerinitiative gegen den Staudamm mobil, aber auch mit Vorträgen und Informationsveranstaltungen bei Umweltverbänden in Deutschland, Österreich und der Schweiz - den Ländern, die den Staudamm mit Kreditversicherungen unterstützen. Dem europäischen Publikum dieser Veranstaltungen mag es nicht ungewöhnlich vorkommen, dass eine örtliche Bürgerinitiative gegen die Zerstörung von Umwelt und Kulturgütern in ihrer Heimat auftritt. Für die Türkei ist es relativ neu:

    "Als wir den Verein gründeten vor 15 Jahren, da war es verboten, über Hasankeyf zu sprechen, da war es strafbar, für Hasankeyf einzutreten. Damals wurden wir von der Polizei beobachtet und gefilmt, wir wurden einbestellt und verhört, wir bekamen Prozesse an den Hals. Heute fragen wir uns manchmal, woher wir damals den Mut genommen haben, denn damals war es in Batman noch so, dass kritische Menschen oft spurlos verschwanden. Man brauchte damals wirklich viel Mut, um das zu machen."

    Erst seit einigen Jahren hat sich das geändert:

    "Seit die Türkei ihren Beitrittsprozess zur Europäischen Union begonnen hat, ist es leichter geworden für uns. Heute können wir offen und ungehindert für Hasankeyf eintreten, wir können demonstrieren und Kundgebungen veranstalten. Das war vorher überhaupt nicht möglich."

    Möglich geworden ist diese Entwicklung durch die Reformgesetze, die Ankara auf der Höhe der türkischen Europabegeisterung in den Jahren 2002 bis 2005 verabschiedete: Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und Demonstrationsfreiheit wurden ausgeweitet, die Gründung von Vereinen und Bürgerinitiativen erleichtert, das politische Betätigungsverbot für bestimmte Bevölkerungsgruppen aufgehoben. Die Reformen sind nicht nur auf dem Papier stehen geblieben, sagt Hasan Argunaga, ein Schulverwaltungsbeamter, der in der Redaktion von "Batman Cagdas" an einem Aufruf tippt:

    "Als Staatsbeamter in einer Umweltschutzinitiative mitzuarbeiten, ist heute kein Problem mehr, seit im Jahr 2002 das politische Betätigungsverbot für Beamte aufgehoben wurde. Ich bin nun Mitglied im Menschenrechtsverein, ich bin Ortsvorsitzender des Umweltschutzverbandes und ich bin Mitglied im Verein zur Rettung von Hasankeyf. Das hätte ich früher alles nicht gedurft, aber nun ist das möglich."

    Umweltschutzinitiativen, Menschenrechtsverbände und Kulturvereine sind in Batman in den letzten fünf Jahren reihenweise gegründet worden. Wenn Arif Arslan heute eine Protestaktion organisiert, kann er auf breite Unterstützung hoffen:

    "Durch den Widerstand gegen den Ilisu-Staudamm haben sich die Bürgerinitiativen hier in der Provinz Batman sehr vermehrt. Unser Beispiel hat andere ermutigt, und inzwischen gibt es hier 15 oder 20 solche Vereine. Dass wir durch unser Beispiel zur Entwicklung einer demokratischen Zivilgesellschaft in dieser Region beigetragen haben, das macht uns stolz und glücklich."

    Programmtipp:

    Am morgigen Samstag (14.3.2009) ist das umstrittene Großprojekt Thema der Sendung "Gesichter Europas" um 11:05 Uhr:

    Geldgeber auf der Bremse
    Das Projekt Ilisu-Staudamm in der Türkei