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Widerstand
Polen sorgen sich um ihre Demokratie

Laut einer aktuellen Umfrage sehen 55 Prozent der Polen die Demokratie in ihrem Land in Gefahr. Wichtigster Grund ist die Politik der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit", kurz PiS. Die versucht offenkundig, immer mehr Macht an sich zu reißen - und will nun sogar das Verfassungsgericht mit genehmen Juristen besetzen.

Von Florian Kellermann |
    Die neue polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo sitzt an einem prächtigen Schreibtisch, rechts und links von ihr stehen viele polnische Flaggen.
    Die neue polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo auf der ersten Kabinettssitzung. (picture-alliance / dpa / Radek Pietruszka)
    Der kleine Platz ist eingekeilt zwischen Hochhäusern, weiter oben rauscht die sechsspurige Marszkalkowska-Straße vorbei. "Pfanne" nennen die Warschauer diesen ungemütlichen Ort mitten im Zentrum. Wohl nirgendwo sonst in der polnischen Hauptstadt kommen täglich so viele Fußgänger vorbei - sie strömen in die gläsernen U-Bahn-Eingänge.
    Mitten drin steht Agnieszka Sylwestrzak, eine zierliche Frau. Auf Brust und Rücken hat sie Plakate geschnallt - es ist ihre erste politische Aktion überhaupt.
    "Es ist ja nicht so, dass alle begeistert gewesen wären von der Vorgängerregierung. Aber diejenigen, die jetzt an der Macht sind, haben keinen Respekt vor der Verfassung und auch nicht vor der Justiz. Wer in Geschichtsbüchern nachliest, wie verschiedene Diktaturen oder sogar totalitäre Staaten ihren Anfang genommen haben, der fühlt sich sehr beunruhigt. "
    Damit meinen Agnieszka und ihre Mitstreiter vor allem den Plan der Regierungsmehrheit, heute fünf neue Verfassungsrichter zu wählen. Sie sollen anstatt derjenigen fünf Juristen das Amt antreten, die noch vom vorigen Parlament bestimmt wurden. Präsident Andrzej Duda, der aus der rechtskonservativen Regierungspartei PiS stammt, hilft dabei: Er hatte sich geweigert, die zunächst gewählten Richter zu vereidigen.
    Widerstand auch in der virtuellen Welt
    Ein Flugblatt bekommt von Agnieszka Sylwestrzak nur, wer zumindest einen interessierten Blick auf ihre Plakate wirft. Das ist höchstens jeder 30. Passant, manche schütteln missbilligend den Kopf. Die Informatikerin hatte auch einige Dutzend junge Kollegen gefragt, ob sie nicht mitmachen wollten - ohne Erfolg.
    "Den Leuten ging es einfach zu gut in den vergangenen Jahren. Sie sitzen zu Hause und interessieren sich kaum für die Welt da draußen. Sie unterhalten sich höchstens mit ihren Freunden und mal auf dem Firmenflur über Politik. Aber einen klaren Standpunkt einnehmen? Das ist für sie nicht so einfach."
    Doch zumindest in der virtuellen Welt formiert sich erheblicher Widerstand gegen die Regierung. Kaum zwei Wochen ist die Internet-Gruppe "Komitee für die Verteidigung der Demokratie" alt, heute hat sie schon 39.000 Mitglieder. Im ganzen Land haben sich Gruppen gegründet, die aus dem Projekt einen eingetragenen Verein machen wollen. Eine Demonstration vor dem Verfassungsgericht morgen, für die Agnieszka Sylwestrzak wirbt, soll der erste Schritt vom virtuellen zum realen Protest werden.
    Dabei hatten viele Mitglieder des Komitees, das sich kurz KOD nennt, bisher wenig zu tun mit aktiver Politik. So auch der Gründer Mateusz Kijowski. Alles habe mit einem Post auf seiner Facebook-Seite begonnen, sagt der 48-Jährige. Er stellte die Idee für so ein Projekt in den Raum und bekam von allen Seiten Zuspruch, auch von ehemaligen Dissidenten im kommunistischen Polen. Inzwischen gab der Warschauer seine Arbeit als Informatiker auf.
    Viele aktive Mitglieder seines Projekts kennt Mateusz Kijowski noch gar nicht persönlich, zu schnell wächst das Netzwerk. Deshalb wundert er sich auch nicht, dass KOD bereits entschlossene Gegner hat:
    "Wir mussten schon einige Hacker-Angriffe auf unsere Internetseite abwehren. Außerdem bekommen wir anonyme Telefonanrufe mit Beleidigungen und Drohungen. Jemand hat sogar schon die Handynummer meiner Frau gefunden und ihr angekündigt, dass ich bald ermordet werde."
    Was nach dem Protest vor dem Verfassungsgericht geplant ist, verrät Mateusz Kijowski nicht. Er will die Regierung überraschen. Außerdem hofft er noch auf Einsicht, unter anderem bei Präsident Andrzej Duda, der ein promovierter Jurist ist. Inzwischen hat sich auch der Rat der Juristischen Fakultät an seiner Heimatuniversität in Krakau an ihn gewandt. Die Unabhängigkeit der Justiz stehe auf dem Spiel, heißt es in dem Appell, der Präsident solle doch "das Gesetz und die bürgerlichen Freiheiten" achten.
    Als Warnsignal könnte die Regierung auch eine Umfrage der konservativen Zeitung "Rzeczpospolita" deuten: Ihr zufolge sehen zurzeit 55 Prozent der Polen die Demokratie in Gefahr.