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Widerstandslos und magnetisch

Physik. - Seit 1911 ist das Phänomen der Supraleitung bekannt. Im Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf entdeckten Physiker jetzt einen Supraleiter, der zugleich ungewöhnliche magnetische Eigenschaften besitzt und eines Tages für die Medizintechnik interessant sein könnte.

Von Frank Grotelüschen |
    Rhythmisch wie ein Herzschlag presst die Pumpe flüssiges Helium in die Apparatur. Damit sorgt sie für frostige Temperaturen: minus 270 Grad Celsius, knapp über dem absoluten Nullpunkt. Bei dieser Extremkälte kann ein interessantes Phänomen einsetzen, die Supraleitung.

    "Das Phänomen, dass manche Materialien bei sehr tiefen Temperaturen Strom verlustfrei transportieren können. Die Materialien haben keinen elektrischen Widerstand","

    sagt Thomas Herrmannsdörfer, Physiker am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf.

    ""Es gibt vielleicht einige Tausend supraleitende Materialien, die bis heute bekannt sind."

    Aber nur ganz wenige zeigen gleichzeitig eine andere physikalische Eigenschaft: Sie sind ferromagnetisch, so nennt der Fachmann die im Alltag gängigste Form des Magnetismus. Herrmannsdörfer:

    "Dauermagnete sind ein Beispiel für Ferromagnete. Beispielsweise die magnetische Pinnwand – Haftmagnete, die man zum Befestigen verwendet. Aber auch Sensoren oder Türschließer bis hin zu Elektromotoren oder Generatoren. Also überall im täglichen Leben."

    Nur: Ein ferromagnetisches Material, das gleichzeitig supraleitend ist – das gab es bislang nur höchst selten. Beide Eigenschaften scheinen sich gegenseitig so gut wie auszuschließen, ähnlich wie ein sprödes Stück Kreide nicht gleichzeitig biegsam sein kann. Dann aber experimentierten die Forscher mit einer Verbindung aus den Metallen Wismut und Nickel. An sich ein bekanntes Material. Aber mit einem chemischen Spezialverfahren brachten es Herrmannsdörfer und seine Kollegen in eine neue Form.

    "Das Besondere, was wir gemacht haben, ist, kleine Fasern zu erzeugen, die nur wenige Atomlängen lang sind. Sodass wir dieses Material jetzt erstmalig in Nanostruktur untersuchen."

    Diese Nanofasern aus Wismut-Nickel untersuchten die Forscher bei frostiger Kälte und einem hohen Magnetfeld.

    "Hohes Feld heißt: Wir können an unserem Institut sehr hohe Magnetfelder, die höchsten Europas, erzeugen, bis etwa 87 Tesla. Für diese Materialien waren Felder bis etwa 15 Tesla ausreichend. Wir kühlen ab bis auf etwa ein Grad über dem absoluten Nullpunkt. Bei weiterem Kühlen waren wir völlig überrascht, dass zusätzlich zum Ferromagnetismus auch noch Supraleitung aufgetreten ist."

    Die Nanofasern können also elektrischen Strom verlustfrei leiten und gleichzeitig ferromagnetisch sein, sich also ähnlich wie ein Dauermagnet verhalten. Herrmannsdörfer:

    "Dass eine Koexistenz beider Phänomene auftritt, war für uns völliges Neuland. Es müsste schon eine besondere Form der Supraleitung sein, damit diese beiden Eigenschaften überhaupt erfüllt sein können."

    Ein Rätsel. Um es zu lüften, müssen sich jetzt die Theoretiker unter den Physikern auf den Hosenboden setzen. Derweil denkt Thomas Herrmannsdörfer schon darüber nach, ob sich die Entdeckung nicht auch nutzbringend einsetzen ließe. Schließlich könnte sie einen Weg weisen, wie man künftig noch stärkere Magneten bauen könnte.

    "Hat man die Eigenschaft, dass sich das Magnetfeld über den Ferromagnetismus noch verstärken lässt, bietet es bisher ungeahnte Möglichkeiten, wie man so was technologisch einsetzen könnte."

    Denkbar ist der Einsatz im Krankenhaus, in einem Magnetresonanz-Tomographen. Mithilfe supraleitender Magneten nimmt er 3D-Bilder aus dem Körperinneren auf. Der neue Effekt könnte helfen, stärkere Magnete zu bauen – und damit Tomographen, die noch schärfere Aufnahmen machen. Die in Dresden untersuchten Nanofasern aus Wismut-Nickel dürften zwar kaum in Frage kommen. Dafür aber vielleicht andere Stoffe.

    "Was jetzt auf der Hand liegt ist, auch andere Materialien als Nanostruktur zu untersuchen, um herauszufinden, ob auch da diese Eigenschaften vielleicht sogar in verstärkter Form auftreten."

    Und so wird Thomas Herrmannsdörfer noch manche Metallverbindung in seiner ultrakalten Apparatur unter die Lupe nehmen.