Die Reste der Heuneburg liegen auf einem Bergplateau hoch über der Donau, die sich als schmales Band an der Schwäbischen Alb entlang zieht. Rundum erstrecken sich Wiesen und Wäldchen. Viel ist von dem einst so lebendigen, weithin bekannten Zentrum der frühen keltischen Kultur nicht geblieben.
"Was wir jetzt noch im Gelände sehen, ist, was noch übrig bleibt von dem Wall, der die Vorburg der Heuneburg von der Außensiedlung abgegrenzt hat."
Dr. Manuel Fernández-Götz, Archäologe beim baden-württembergischen Landesamt für Denkmalpflege, leitet die Ausgrabungen an dem Ort, über den vermutlich schon der griechische Geschichtsschreiber Herodot berichtet hat. Im 5. Jahrhundert vor Christus, in der ältesten überlieferten Erwähnung der Kelten, schrieb Herodot:
Die Donau, die bei den Kelten und der Stadt Pyrene entspringt, fließt mitten durch Europa.
"Pyrene", so glauben viele Wissenschaftler, war der griechische Name der Heuneburg.
In Südwestdeutschland finden sich noch heute zahlreiche frühkeltische Höhensiedlungen, etwa auf dem Ipf bei Bopfingen oder auf dem Hohenasperg bei Ludwigsburg. Sie ziehen sich bis hinüber zum Mont Lassois im französischen Burgund. Diese "Fürstensitze" aus der Hallstatt-Zeit, der ersten keltischen Glanzzeit zwischen 800 und 450 vor Christus, sind in den letzten Jahren in einem Großprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft untersucht worden. Die Heuneburg scheint darunter der dynamischste und bedeutendste gewesen zu sein.
Hier lebten rund 5000 Menschen, die enge Beziehungen zu den florierenden Staaten am Mittelmeer unterhielten. Sie importierten Luxusgüter von ihnen und ahmten ihre Bautechnik nach.
"Wir stehen gerade auf der berühmten Lehmziegelmauer der Heuneburg, auf dem Plateau, dem Burgberg, diese Lehmziegelmauer ist das bekannteste Merkmal der Heuneburg, auch international weit berühmt ..."
… denn nördlich der Alpen gibt es sonst keine Bauten aus getrockneten Lehmziegeln. Nur auf der Heuneburg hat man im 6. Jahrhundert vor Christus aus dem typischen Baumaterial des Südens eine große, weithin sichtbare Mauer errichtet und sie anschließend mit weißem Kalk verputzt. Sie diente nicht allein zum Schutz der Siedlung, sondern auch zur Repräsentation, als Symbol für den Reichtum der Bewohner.
Hinter der weißen Mauer, die rekonstruiert worden ist, standen einst dicht an dicht Wohnhäuser, Werkstätten und Speicher aus Fachwerk, verputzt mit gelbem Lehm. Hier lebten wohl hauptsächlich reiche Handwerker und Händler, vor dem Plateau wohnten mehrere Tausend Menschen in hölzernen Gehöften. In der Wissenschaft wird seit Langem diskutiert: Kann man die Burg mit der riesigen Ansammlung von Bauernhöfen darumherum "Stadt" nennen?
"Wenn man einen Vergleich zieht zu den Zentren dieser Zeit im Mittelmeergebiet, zum Beispiel die griechischen Städte, die Stadtstaaten in Etrurien, die phönizischen Kolonien - für alle diese Siedlungen benutzen wir den Begriff Stadt - und wenn man dann sieht, dass die Heuneburg mindestens 5000 Einwohner hatte, andererseits gibt es auch Berechnungen, dass die weltberühmte Stadt Athen im 6. Jahrhundert vor Christus nur etwa 10.000 Einwohner hatte, dann glaube ich, kann man den Begriff durchaus verwenden."
Demnach war die Heuneburg die erste Stadt nördlich der Alpen. Ein Beispiel für den mächtigen Entwicklungsschub, den das keltische Mitteleuropa im 6. Jahrhundert vor Christus erlebte: Die Bevölkerung wuchs, neue Regionen wurden besiedelt, neue Ackerflächen erschlossen, und die keltische Gesellschaft veränderte sich grundlegend. Die Ursachen skizziert Dirk Krausse, der Landesarchäologe Baden-Württembergs:
"Das hängt zusammen wahrscheinlich mit technischen Innovationen, also Eisen-Technologie, und es hängt zusammen mit klimatischen Veränderungen, wir haben eine Gunstphase, das sogenannte Hallstatt-Plateau, vom 7. bis ins 5. Jahrhundert vor Christus hinein, und wir haben eine Phase neuer zivilisatorischer Impulse, die dann tatsächlich von Süden kamen: Schriftlichkeit, frühstädtisches Zusammenleben, neue Organisationsformen, die Vorbild waren, die man adaptiert hat."
Doch der Siedlung an der Heuneburg fehlen Bauten, die man in jeder Stadt erwartet: ein politisches und ein religiöses Zentrum. Weder ein Herrscherpalast noch ein Tempel wurde bisher gefunden. Warum sah diese frühe Stadt anders aus, als man sich vorstellt?
"Die eigentlichen Herrscher oder herrschenden Familien saßen wahrscheinlich in dieser Zeit noch nicht auf der Heuneburg. Das Ganze hatte offensichtlich - das Zentrum, der eigentliche Burgberg - mehr den Charakter eines Handwerks-, Wirtschafts-, Marktzentrums, und darum gruppieren sich dann diese Höfe von Clans, Familien."
Das Bergplateau mit der weißen Mauer war ein Wirtschaftszentrum, kein Fürstensitz, wie man früher annahm. Die Spitzen der Gesellschaft residierten nicht auf dem Burgberg, sondern im Umland.
Das änderte sich, vermutet Professor Krausse, nachdem die weiße Mauer gegen Ende des 6. Jahrhunderts in einem Feuer zerstört worden war.
"Bezeichnenderweise mit dem Ende der Lehmziegelmauer wird auch die Außensiedlung aufgegeben, also diese riesige Ansammlung von Bauernhäusern, die nicht besonders repräsentativ war, und auch diese uniforme Überbauung des Burgbergs, also diese kleinen Handwerkerhäuschen oder auch Händlerhäuschen, die werden aufgegeben, und oben auf dem Berg entstehen unterschiedliche Gebäude: auch sehr große wie das sogenannte Herrenhaus, also ob das nun ein Versammlungsgebäude oder eine Residenz ist oder vielleicht sogar ein Tempel?"
Die Entwicklung geht wohl auf einen grundlegenden sozialen Wandel zurück: Zuvor lebten die Kelten in Stämmen, die von Häuptlingen geführt wurden. Ein Häuptling konnte von seinen Gefolgsleuten einfach abgesetzt werden, wenn sie mit seinen Leistungen nicht mehr zufrieden waren. Dieses lockere Ordnungsprinzip reichte für die rapide wachsende Bevölkerung der keltischen Welt nicht mehr. Ein stärker zentralisiertes, stabileres Sozialsystem entstand.
"Es entwickelt sich von einem Häuptlingstum zu einem frühen Königtum."
Die reichen Funde aus keltischen Gräbern in Süddeutschland und Ostfrankreich zeigen, dass sich in dieser Zeit eine erbliche Führungsschicht bildete, eine Aristokratie, die den Herrscher aus ihren Reihen auswählte: eine Art König.
"Die frühen Funde, die wir hatten, die vertragen sich besser mit einem Häuptlingtum, denn da sind Bronzebeigaben drin, da sind Waffen drin, Wagen drin, aber zum Beispiel Gold, das kommt erst später. Die Gräber des späten 6. Jahrhunderts ab Hochdorf und dann im 5. Jahrhundert mit Vix oder Reinheim, da gibt es dann richtig ostentativ reiche Gräber. Die kannte man vorher nicht."
Die letzte aufsehenerregende Entdeckung der baden-württembergischen Archäologen bestätigt diese Entwicklung: das Grab der "Keltenfürstin von Herbertingen", das in Sichtweite der Heuneburg im Donautal lag. Als Archäologen vor anderthalb Jahren, im eiskalten Winter 2010, feststellten, dass der Grabhügel seit zweieinhalbtausend Jahren nicht geöffnet worden war, dass die Bestattung noch vollständig so sein musste wie zur Kelten-Zeit, da brach Dirk Krausse die Untersuchung vor Ort umgehend ab. Er ließ die komplette Grabkammer als Block aus dem tiefgefrorenen Boden heben und auf einem Tieflader in eine leere Lagerhalle in Ludwigsburg bringen. Dort wird sie seitdem erforscht.
Düster ist es hier, beständig rattert die Kühlung. Das Skelett der "Keltenfürstin von Herbertingen" ruht, in Teile zerlegt, auf drei Tapeziertischen. Etwa seit 590 vor Christus lagen die Knochen im feuchten Boden – nun, da die Ausgräber sie herausgeholt haben, müssen sie immer mit Plastikfolien und zerstoßenem Eis bedeckt werden.
"Wir stehen vor dem Teil, wo sich der Rumpf drauf befindet, hier direkt unter der Folie, 24 Stunden gekühlt und feucht, für den Abtransport morgen hier bereits in Gipsbinden eingegipst, damit während des Transports nichts mehr passieren kann."
Der Leichnam soll zur Computer-Tomographie gebracht werden, erzählt Joachim Lang, Restaurator beim baden-württembergischen Landesamt für Denkmalpflege. So viel wie irgend möglich wollen die Forscher über die Unbekannte herausfinden.
Die hölzerne Grabkammer liegt in einer Stahlwanne, zeigt der Grabungstechniker Michael Lingnau: ein mächtiger Block aus schwarzen Eichenbohlen, etwa 16 Quadratmeter groß und randvoll mit Erde. Nur das Skelett der Fürstin wurde behutsam entnommen.
"Hier haben wir eigentlich ne ziemlich dichte Fundkonzentration, also jeder dieser Zettel steht halt für einen Fund, und Sie sehen, die Zettel sind hier dicht an dicht, das zeugt einfach davon, wie viele Funde wir in diesem Bereich haben."
Mittlerweile haben die Ausgräber das Skelett einer zweiten, unbekannten Frau freigelegt. Zentimeter für Zentimeter arbeiten sie sich an Schmuck und Textilreste heran, Beigaben, die nur eine angesehene, reiche Keltin mit ins Grab bekam.
"Sie sehen hier vorne, im vorderen Bereich der Kammer, Bernsteinperlen, dort sind welche, dort liegt eine Matte, ein pflanzliches Geflecht, dann gibt es Eberzähne, welche mittig in Bronze geschäftet sind, da ist hier ein Eberzahnpaar zu sehen, dort ein weiteres und wir werden jetzt dieser natürlichen Schichtung folgen und dann werden wir mal sehen, was uns da noch alles erwartet."
Goldene Ohrringe, Röhrenperlen und Gewandnadeln, gefertigt wie bei den Etruskern in Italien, sind jetzt in der großen Kelten-Ausstellung in Stuttgart zu sehen. Dirk Krausse hebt aber etwas anderes hervor: Hier war eine reiche Frau bestattet - wie in den Gräbern von Vix im Burgund und Reinheim im Saarland. Frauen waren den Männern in der keltischen Gesellschaft rechtlich untergeordnet. Sie wurden vermutlich nicht prunkvoll beerdigt, weil sie sich durch Leistungen hervorgetan oder eine Führungsrolle innegehabt hatten, sondern weil sie zu einer bedeutenden Sippe gehörten. Das gilt noch mehr für die reiche Kinderbestattung, die vor Kurzem ebenfalls im Donautal zutage kam: Warum schmückte man ein Kind bei der Beisetzung mit goldenen Anhängern? Weil es aus einer wohlhabenden Familie stammte. Die Frauen- und Kindergräber bezeugen die Entstehung einer Adelsschicht.
Diese bedeutsame Entwicklung der keltischen Gesellschaft würde Krausse gern mit der Geschichte der Heuneburg in Verbindung bringen, doch er hat ein Problem: Die Chronologie stimmt nicht. Die weiße Lehmziegelmauer auf dem Bergplateau wurde um 530 vor Christus zerstört. Danach etablierte sich die Aristokratie, vielleicht übernahm ein früher König die Macht. Die neu entdeckten Gräber aus dem Donautal müssten also aus dieser Zeit stammen.
"Wenn jetzt aber das Frauengrab und wohl auch das Kindergrab schon um 590 zu datieren sind, haben wir ein Problem."
Tatsächlich wurden die Gräber rund 60 Jahre zu früh angelegt. Das ergaben dendrochronologische Untersuchungen der Balken aus dem Frauengrab. Dirk Krausse verweist jedoch darauf, dass für die Zerstörung der Mauer keine naturwissenschaftlich fundierten Jahresangaben vorliegen. Vielleicht wird eine neue Datierung dazu führen, dass sich auch die Ausgrabungen an der Heuneburg, in der ersten Stadt Mitteleuropas, in die neu rekonstruierte Sozialgeschichte der frühen Kelten integrieren lassen.
"Was wir jetzt noch im Gelände sehen, ist, was noch übrig bleibt von dem Wall, der die Vorburg der Heuneburg von der Außensiedlung abgegrenzt hat."
Dr. Manuel Fernández-Götz, Archäologe beim baden-württembergischen Landesamt für Denkmalpflege, leitet die Ausgrabungen an dem Ort, über den vermutlich schon der griechische Geschichtsschreiber Herodot berichtet hat. Im 5. Jahrhundert vor Christus, in der ältesten überlieferten Erwähnung der Kelten, schrieb Herodot:
Die Donau, die bei den Kelten und der Stadt Pyrene entspringt, fließt mitten durch Europa.
"Pyrene", so glauben viele Wissenschaftler, war der griechische Name der Heuneburg.
In Südwestdeutschland finden sich noch heute zahlreiche frühkeltische Höhensiedlungen, etwa auf dem Ipf bei Bopfingen oder auf dem Hohenasperg bei Ludwigsburg. Sie ziehen sich bis hinüber zum Mont Lassois im französischen Burgund. Diese "Fürstensitze" aus der Hallstatt-Zeit, der ersten keltischen Glanzzeit zwischen 800 und 450 vor Christus, sind in den letzten Jahren in einem Großprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft untersucht worden. Die Heuneburg scheint darunter der dynamischste und bedeutendste gewesen zu sein.
Hier lebten rund 5000 Menschen, die enge Beziehungen zu den florierenden Staaten am Mittelmeer unterhielten. Sie importierten Luxusgüter von ihnen und ahmten ihre Bautechnik nach.
"Wir stehen gerade auf der berühmten Lehmziegelmauer der Heuneburg, auf dem Plateau, dem Burgberg, diese Lehmziegelmauer ist das bekannteste Merkmal der Heuneburg, auch international weit berühmt ..."
… denn nördlich der Alpen gibt es sonst keine Bauten aus getrockneten Lehmziegeln. Nur auf der Heuneburg hat man im 6. Jahrhundert vor Christus aus dem typischen Baumaterial des Südens eine große, weithin sichtbare Mauer errichtet und sie anschließend mit weißem Kalk verputzt. Sie diente nicht allein zum Schutz der Siedlung, sondern auch zur Repräsentation, als Symbol für den Reichtum der Bewohner.
Hinter der weißen Mauer, die rekonstruiert worden ist, standen einst dicht an dicht Wohnhäuser, Werkstätten und Speicher aus Fachwerk, verputzt mit gelbem Lehm. Hier lebten wohl hauptsächlich reiche Handwerker und Händler, vor dem Plateau wohnten mehrere Tausend Menschen in hölzernen Gehöften. In der Wissenschaft wird seit Langem diskutiert: Kann man die Burg mit der riesigen Ansammlung von Bauernhöfen darumherum "Stadt" nennen?
"Wenn man einen Vergleich zieht zu den Zentren dieser Zeit im Mittelmeergebiet, zum Beispiel die griechischen Städte, die Stadtstaaten in Etrurien, die phönizischen Kolonien - für alle diese Siedlungen benutzen wir den Begriff Stadt - und wenn man dann sieht, dass die Heuneburg mindestens 5000 Einwohner hatte, andererseits gibt es auch Berechnungen, dass die weltberühmte Stadt Athen im 6. Jahrhundert vor Christus nur etwa 10.000 Einwohner hatte, dann glaube ich, kann man den Begriff durchaus verwenden."
Demnach war die Heuneburg die erste Stadt nördlich der Alpen. Ein Beispiel für den mächtigen Entwicklungsschub, den das keltische Mitteleuropa im 6. Jahrhundert vor Christus erlebte: Die Bevölkerung wuchs, neue Regionen wurden besiedelt, neue Ackerflächen erschlossen, und die keltische Gesellschaft veränderte sich grundlegend. Die Ursachen skizziert Dirk Krausse, der Landesarchäologe Baden-Württembergs:
"Das hängt zusammen wahrscheinlich mit technischen Innovationen, also Eisen-Technologie, und es hängt zusammen mit klimatischen Veränderungen, wir haben eine Gunstphase, das sogenannte Hallstatt-Plateau, vom 7. bis ins 5. Jahrhundert vor Christus hinein, und wir haben eine Phase neuer zivilisatorischer Impulse, die dann tatsächlich von Süden kamen: Schriftlichkeit, frühstädtisches Zusammenleben, neue Organisationsformen, die Vorbild waren, die man adaptiert hat."
Doch der Siedlung an der Heuneburg fehlen Bauten, die man in jeder Stadt erwartet: ein politisches und ein religiöses Zentrum. Weder ein Herrscherpalast noch ein Tempel wurde bisher gefunden. Warum sah diese frühe Stadt anders aus, als man sich vorstellt?
"Die eigentlichen Herrscher oder herrschenden Familien saßen wahrscheinlich in dieser Zeit noch nicht auf der Heuneburg. Das Ganze hatte offensichtlich - das Zentrum, der eigentliche Burgberg - mehr den Charakter eines Handwerks-, Wirtschafts-, Marktzentrums, und darum gruppieren sich dann diese Höfe von Clans, Familien."
Das Bergplateau mit der weißen Mauer war ein Wirtschaftszentrum, kein Fürstensitz, wie man früher annahm. Die Spitzen der Gesellschaft residierten nicht auf dem Burgberg, sondern im Umland.
Das änderte sich, vermutet Professor Krausse, nachdem die weiße Mauer gegen Ende des 6. Jahrhunderts in einem Feuer zerstört worden war.
"Bezeichnenderweise mit dem Ende der Lehmziegelmauer wird auch die Außensiedlung aufgegeben, also diese riesige Ansammlung von Bauernhäusern, die nicht besonders repräsentativ war, und auch diese uniforme Überbauung des Burgbergs, also diese kleinen Handwerkerhäuschen oder auch Händlerhäuschen, die werden aufgegeben, und oben auf dem Berg entstehen unterschiedliche Gebäude: auch sehr große wie das sogenannte Herrenhaus, also ob das nun ein Versammlungsgebäude oder eine Residenz ist oder vielleicht sogar ein Tempel?"
Die Entwicklung geht wohl auf einen grundlegenden sozialen Wandel zurück: Zuvor lebten die Kelten in Stämmen, die von Häuptlingen geführt wurden. Ein Häuptling konnte von seinen Gefolgsleuten einfach abgesetzt werden, wenn sie mit seinen Leistungen nicht mehr zufrieden waren. Dieses lockere Ordnungsprinzip reichte für die rapide wachsende Bevölkerung der keltischen Welt nicht mehr. Ein stärker zentralisiertes, stabileres Sozialsystem entstand.
"Es entwickelt sich von einem Häuptlingstum zu einem frühen Königtum."
Die reichen Funde aus keltischen Gräbern in Süddeutschland und Ostfrankreich zeigen, dass sich in dieser Zeit eine erbliche Führungsschicht bildete, eine Aristokratie, die den Herrscher aus ihren Reihen auswählte: eine Art König.
"Die frühen Funde, die wir hatten, die vertragen sich besser mit einem Häuptlingtum, denn da sind Bronzebeigaben drin, da sind Waffen drin, Wagen drin, aber zum Beispiel Gold, das kommt erst später. Die Gräber des späten 6. Jahrhunderts ab Hochdorf und dann im 5. Jahrhundert mit Vix oder Reinheim, da gibt es dann richtig ostentativ reiche Gräber. Die kannte man vorher nicht."
Die letzte aufsehenerregende Entdeckung der baden-württembergischen Archäologen bestätigt diese Entwicklung: das Grab der "Keltenfürstin von Herbertingen", das in Sichtweite der Heuneburg im Donautal lag. Als Archäologen vor anderthalb Jahren, im eiskalten Winter 2010, feststellten, dass der Grabhügel seit zweieinhalbtausend Jahren nicht geöffnet worden war, dass die Bestattung noch vollständig so sein musste wie zur Kelten-Zeit, da brach Dirk Krausse die Untersuchung vor Ort umgehend ab. Er ließ die komplette Grabkammer als Block aus dem tiefgefrorenen Boden heben und auf einem Tieflader in eine leere Lagerhalle in Ludwigsburg bringen. Dort wird sie seitdem erforscht.
Düster ist es hier, beständig rattert die Kühlung. Das Skelett der "Keltenfürstin von Herbertingen" ruht, in Teile zerlegt, auf drei Tapeziertischen. Etwa seit 590 vor Christus lagen die Knochen im feuchten Boden – nun, da die Ausgräber sie herausgeholt haben, müssen sie immer mit Plastikfolien und zerstoßenem Eis bedeckt werden.
"Wir stehen vor dem Teil, wo sich der Rumpf drauf befindet, hier direkt unter der Folie, 24 Stunden gekühlt und feucht, für den Abtransport morgen hier bereits in Gipsbinden eingegipst, damit während des Transports nichts mehr passieren kann."
Der Leichnam soll zur Computer-Tomographie gebracht werden, erzählt Joachim Lang, Restaurator beim baden-württembergischen Landesamt für Denkmalpflege. So viel wie irgend möglich wollen die Forscher über die Unbekannte herausfinden.
Die hölzerne Grabkammer liegt in einer Stahlwanne, zeigt der Grabungstechniker Michael Lingnau: ein mächtiger Block aus schwarzen Eichenbohlen, etwa 16 Quadratmeter groß und randvoll mit Erde. Nur das Skelett der Fürstin wurde behutsam entnommen.
"Hier haben wir eigentlich ne ziemlich dichte Fundkonzentration, also jeder dieser Zettel steht halt für einen Fund, und Sie sehen, die Zettel sind hier dicht an dicht, das zeugt einfach davon, wie viele Funde wir in diesem Bereich haben."
Mittlerweile haben die Ausgräber das Skelett einer zweiten, unbekannten Frau freigelegt. Zentimeter für Zentimeter arbeiten sie sich an Schmuck und Textilreste heran, Beigaben, die nur eine angesehene, reiche Keltin mit ins Grab bekam.
"Sie sehen hier vorne, im vorderen Bereich der Kammer, Bernsteinperlen, dort sind welche, dort liegt eine Matte, ein pflanzliches Geflecht, dann gibt es Eberzähne, welche mittig in Bronze geschäftet sind, da ist hier ein Eberzahnpaar zu sehen, dort ein weiteres und wir werden jetzt dieser natürlichen Schichtung folgen und dann werden wir mal sehen, was uns da noch alles erwartet."
Goldene Ohrringe, Röhrenperlen und Gewandnadeln, gefertigt wie bei den Etruskern in Italien, sind jetzt in der großen Kelten-Ausstellung in Stuttgart zu sehen. Dirk Krausse hebt aber etwas anderes hervor: Hier war eine reiche Frau bestattet - wie in den Gräbern von Vix im Burgund und Reinheim im Saarland. Frauen waren den Männern in der keltischen Gesellschaft rechtlich untergeordnet. Sie wurden vermutlich nicht prunkvoll beerdigt, weil sie sich durch Leistungen hervorgetan oder eine Führungsrolle innegehabt hatten, sondern weil sie zu einer bedeutenden Sippe gehörten. Das gilt noch mehr für die reiche Kinderbestattung, die vor Kurzem ebenfalls im Donautal zutage kam: Warum schmückte man ein Kind bei der Beisetzung mit goldenen Anhängern? Weil es aus einer wohlhabenden Familie stammte. Die Frauen- und Kindergräber bezeugen die Entstehung einer Adelsschicht.
Diese bedeutsame Entwicklung der keltischen Gesellschaft würde Krausse gern mit der Geschichte der Heuneburg in Verbindung bringen, doch er hat ein Problem: Die Chronologie stimmt nicht. Die weiße Lehmziegelmauer auf dem Bergplateau wurde um 530 vor Christus zerstört. Danach etablierte sich die Aristokratie, vielleicht übernahm ein früher König die Macht. Die neu entdeckten Gräber aus dem Donautal müssten also aus dieser Zeit stammen.
"Wenn jetzt aber das Frauengrab und wohl auch das Kindergrab schon um 590 zu datieren sind, haben wir ein Problem."
Tatsächlich wurden die Gräber rund 60 Jahre zu früh angelegt. Das ergaben dendrochronologische Untersuchungen der Balken aus dem Frauengrab. Dirk Krausse verweist jedoch darauf, dass für die Zerstörung der Mauer keine naturwissenschaftlich fundierten Jahresangaben vorliegen. Vielleicht wird eine neue Datierung dazu führen, dass sich auch die Ausgrabungen an der Heuneburg, in der ersten Stadt Mitteleuropas, in die neu rekonstruierte Sozialgeschichte der frühen Kelten integrieren lassen.