Debatte in künftiger Koalition
Wie der Mindestlohn in Deutschland festgelegt wird - und warum 15 Euro möglich sind

Union und SPD debattieren öffentlich über eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro im nächsten Jahr. Mehrere SPD-Politiker - zuletzt der scheidende Bundesarbeitsminister Heil - drangen auf eine Erhöhung auf 15 Euro. Was im Koalitionsvertrag steht, wer den Mindestlohn festlegt, was sich dabei geändert hat - und warum eine Erhöhung auf etwa 15 Euro möglich wäre.

    Ein Mann schiebt einen Putzwagen durch ein Gebäude.
    Viele Reinigungskräfte bekommen Mindestlohn (Symbolbild). (picture alliance / SvenSimon / Frank Hoermann / SVEN SIMON)
    Anlass für die Debatte sind Äußerungen des designierten Bundeskanzlers Merz. Er hatte gegenüber "Bild am Sonntag" betont, dass es bei der Mindestlohnerhöhung "keinen gesetzlichen Automatismus gebe." Die Sprecherin der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, Esdar, nannte die Aussagen eine Provokation. Esdar sagte im Deutschlandfunk, sie gehe fest davon aus, dass die Erhöhung auf 15 Euro im nächsten Jahr kommen werde.

    Wer entscheidet über die Höhe des Mindestlohns?

    Alle zwei Jahre überprüft die sogenannte Mindestlohnkommission, ob der Betrag angepasst werden sollte. Der jüngste Beschluss wurde im Juni 2023 gefasst und mit Wirkung ab Januar 2024 (erste Stufe) und Januar 2025 (zweite Stufe) umgesetzt. Derzeit beträgt der Mindestlohn 12,82 Euro brutto je Arbeitsstunde. Die Kommission muss ihren Beschluss schriftlich begründen. Ihre Beratungen sind nicht öffentlich. Die nächste Empfehlung soll bis Ende Juni abgegeben werden.

    Wie setzt sich die Mindestlohnkommission zusammen?

    Die Kommission wird alle fünf Jahre neu berufen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind mit je drei Personen repräsentiert. Der Kommission gehören zudem ein Vorsitzender mit eingeschränktem Stimmrecht und zwei beratende Mitglieder aus der Wissenschaft ohne Stimmrecht an. Für den Vorsitz sollen die Spitzenorganisationen beider Seiten der Bundesregierung einen gemeinsamen Vorschlag unterbreiten.

    Wie kommen die Beschlüsse zustande?

    Die Kommission ist beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der stimmberechtigten Mitglieder anwesend ist. Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit gefasst. Der Vorsitzende enthält sich zunächst der Stimme. Wenn keine Mehrheit zustande kommt, macht er einen Vermittlungsvorschlag. Besteht nach einer Beratung hierüber weiterhin eine Patt-Situation, übt der Vorsitzende sein Stimmrecht aus.

    Welche Kriterien legt die Mindestlohnkommission ihrer Entscheidung zugrunde?

    Die Kommission prüft, "welche Höhe des Mindestlohns geeignet ist, zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beizutragen, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen sowie Beschäftigung nicht zu gefährden", wie es im Mindestlohngesetz heißt. Dabei orientierte sie sich bisher vor allem "nachlaufend an der Tarifentwicklung".

    Warum könnte die Messlatte bei der kommenden Beratung höher liegen?

    Anfang des Jahres gab die Kommission eine neue Geschäftsordnung bekannt. Sie orientiert sich "im Rahmen einer Gesamtabwägung" weiter an der Tariflohnentwicklung - laut neuem Regelwerk aber auch am Referenzwert von 60 Prozent des mittleren Bruttolohns eines Vollzeitbeschäftigten. Das ist neu und greift eine langjährige Forderung der Gewerkschaften, aber auch eine Richtwert-Empfehlung der Europäischen Mindestlohnrichtlinie auf.

    Wird damit ein Mindestlohn von 15 Euro wahrscheinlich?

    Bereits Ende März hatte die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung berechnet, dass ein Anstieg auf etwa 15 Euro realistisch ist - wenn die Mindestlohnkommission sich an der allgemeinen Einkommensentwicklung orientiert und nicht wie bisher nur an den Tariflöhnen. Wenn man die Daten des Statistischen Bundesamtes fortschreibe, ergebe sich daraus ein Mindestlohn von 14,88 Euro bis 15,02 Euro im Jahr 2026, hieß es. Wenn nur die Tariflöhne berücksichtigt würden, müsste der Mindestlohn auf etwa 14 Euro angehoben werden.

    Was steht dazu im Koalitionsvertrag von Union und SPD?

    Im Koalitionsvertrag, der noch einer Zustimmung der SPD-Mitglieder und des CDU-Bundesausschusses bedarf, haben die Parteien vereinbart, dass sie "an einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission" festhalten. Diese werde sich "im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren". Damit übernahmen Union und SPD die Formulierungen aus der Geschäftsordnung der Kommission, fügten aber hinzu: "Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar."

    Welche der unterschiedlichen Aussagen von Unions- und SPD-Vertretern zur künftigen Höhe des Mindestlohns sind somit korrekt?

    Der CDU-Vorsitzende und wahrscheinlich künftige Regierungschef Merz liegt richtig mit der Aussage, dass es keinen "gesetzlichen Automatismus" gebe. Die Erhöhung liegt in den Händen der Kommission. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte die Kommission zwar per Gesetz übergangen und den Mindestlohn zum 1. Oktober 2022 auf zwölf Euro angehoben. Eine Wiederholung hat die Union aber stets ausgeschlossen. Die Kommission entscheide in "eigener Autonomie", unterstrich Merz.
    Allerdings könnten auch die SPD-Politiker rund um Parteichef Klingbeil am Ende richtigliegen, wenn die Kommission einen Mindestlohn in Höhe von 60 Prozent des mittleren Lohns eines Vollzeitbeschäftigten festlegt. Das ist derzeit jedoch keineswegs garantiert. Es bleibt offen, was eine "Orientierung" an einem Zielwert von 60 Prozent ganz konkret heißt. Denn die Formulierung bedeutet keine starre Untergrenze, sondern lediglich eine Marke, die die Kommission im Blick haben muss.
    Diese Nachricht wurde am 15.04.2025 im Programm Deutschlandfunk gesendet.