Naher Osten
Wie die Drogen-Epidemie um das Aufputschmittel "Captagon" Staaten und Menschen gefährdet

Im Nahen Osten und Nordafrika spitzt sich die Drogen-Epidemie zu. Diese Woche kam es an der jordanisch-syrischen Grenze erneut zu tödlichen Gefechten mit Schmugglern. Es wurden Luftangriffe auf Drogenküchen geflogen. Der US-Nahostexperte Charles Lister spricht von einer deutlichen Eskalation.

    In einer offenen Hand liegt die Droge Captagon in Form von Pillen.
    Im Nahen Osten und in Nordafrika wird die Droge Captagon zu einem immer größeren Problem. (AFP / JOSEPH EID)
    Vor allem Syrien hat sich im Schatten des Bürgerkriegs in einen Drogenstaat verwandelt, der insbesondere die arabische Welt mit mehreren hundert Millionen Pillen "Captagon" flutet. Auch Deutschland ist von der Entwicklung betroffen.
    Captagon gilt als Kokain des kleinen Mannes. Es ist eine Art Aufputschmittel mit hohem Suchtfaktor. Es wurde in den sechziger Jahren in Deutschland entwickelt. Der ehemalige Essener Spezialchemiekonzern "Degussa" wollte damit das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHS), Depression und krankhafte Schläfrigkeit (Narkolepsie) behandeln. In Europa und den USA wurde Captagon vor allem von Studenten und Schülern missbraucht. In den 1980er Jahren sollen auch viele Fußballspieler nach den Worten von Bundesligatrainer Peter Neururer Captagon als Dopingmittel eingenommen haben.

    Neben Abhängigkeit bewirkt Captagon Angststörungen und Halluzinationen

    Captagon basiert auf dem Arzneistoff Fenetyllin. 1986 wurde es international als Suchtmittel eingestuft und der Handel damit illegal. Die Herstellung verlagerte sich nach Osteuropa und in den arabischen Raum. Es führt nicht nur zu Abhängigkeit, sondern birgt auch die Gefahr von Nebenwirkungen wie Angststörungen, Halluzinationen und Herz-Kreislauf-Beschwerden.
    In der arabischen Welt wird es heute vor allem in der Freizeit konsumiert, um wach zu bleiben, und von Menschen, die unter den oft heißen klimatischen Bedingungen der Region körperlich anstrengenden Berufstätigkeiten nachgehen.

    Hamas-Kämpfer sollen Captagon vor Angriff auf Israel am 7. Oktober eingenommen haben

    Die Herstellung und der Schmuggel von Captagon dient aber auch zur Finanzierung von Staaten und Terrorgruppen. Neben dem IS verdienen etwa die Hisbollah und die Hamas daran. Politikern wie dem US-Kongressabgeordneten Jared Moskowitz von der Demokratischen Partei zufolge hat Captagon der Hamas auch bei deren Angriff am 7. Oktober auf Israel geholfen. Es gibt Berichte, wonach die Terroristen die Droge vor dem Überfall auch selbst konsumiert haben.
    Der Captagon-Handel stellt darüber hinaus für die meist autoritären Staatsregierungen in der Region eine Gefahr dar, da es manche Terrorgruppen auf deren Sturz abgesehen haben. Zudem herrscht in den Ländern dort eine der strengsten Formen von Anti-Drogen-Politik weltweit. Die Terrorbefürchtungen und die Sorgen vor dem Unterlaufen der Drogenpolitik führten mit dazu, dass Ägypten, Saudi-Arabien, Irak oder Jordanien wieder diplomatische Kontakte zum Assad-Regime in Syrien aufgenommen haben. Es geht auch darum, den Drogenhandel zu unterbinden. "Ein Fehlschlag in jeglicher Hinsicht", konstatiert Charles Lister unter Verweis auf die jüngsten militärischen Einsätze.

    Syrien finanziert seit dem Bürgerkrieg einen Großteil seines Staatshaushalts mit Captagon

    Das syrische Regime in Damaskus, das wegen seiner brutalen Niederschlagung demokratischer Proteste im "Arabischen Frühling" von 2011 einen Bürgerkrieg auslöste, steht vielfach unter Sanktionen. Heute erwirtschaftet es einen Großteil seines Staatshaushalts mit dem Drogenhandel. Im Zentrum dabei soll ein Bruder von Machthaber Baschar al-Assad stehen: Maher al-Assad. Internationale Ermittler halten Syrien heute für einen der größten Captagon-Hersteller der Welt.
    Zuletzt gab es vor diesem Hintergrund auch vermehrt gewaltsame zwischenstaatliche Auseinandersetzungen. Da Captagon vielfach für die Golfstaaten, für Saudi-Arabien und Nordafrika bestimmt ist, sind Jordanien und der Irak zur Transitstrecke für den Schmuggel geworden. Mitte Dezember kam es an der syrisch-jordanischen Grenze erneut zu Gefechten mit Drogenschmugglern. Mehrere Menschen wurden getötet und verwundet. Wie jordanische Medien berichteten, nahm der Grenzschutz neun Personen fest. Fast fünf Millionen Captagon-Pillen sowie eine nicht näher bezeichnete Menge Cannabis wurden den Angaben zufolge sichergestellt.

    Vier Syrer in Deutschland festgenommen

    Ende August wurde eine mutmaßliche Drogenküche im Süden Syriens durch einen Luftangriff zerstört. Im Mai wurden bei einem weiteren Luftangriff auf ein Dorf in der Region Suwaida ein bekannter Drogenhändler und seine Familie getötet. Er soll eine Produktionsstätte in einer Kläranlage betrieben haben. Beobachter gehen davon aus, dass diese und weitere Angriffe von Jordanien durchgeführt wurden. Jordaniens Armee hat sich bisher zu keinem der Angriffe bekannt.
    Inzwischen spielt auch Deutschland wieder eine Rolle beim Captagon-Handel. Ermittler in Aachen und Essen teilten kurz vor Weihnachten mit, sie hätten die bislang größte in Deutschland gefundene Menge der Droge Captagon sichergestellt. Es geht um insgesamt 461 Kilogramm Tabletten im Wert von rund 60 Millionen Euro. Vier syrische Staatsangehörige im Alter von 33 bis 45 Jahren seien in Untersuchungshaft.
    Diese Nachricht wurde am 21.12.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.