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Wie die Maschinen laufen lernen

Ebenbilder des Menschen sollen Roboter einmal werden. Doch bisher ist die humanoide Maschine eine entfernte Vision. Denn die Apparate können noch nicht einmal richtig laufen. Seit über Hundert Jahren entwerfen Ingenieure technische Zweibeiner, die staksen, schlurfen und stolpern - aber vom natürlich weichen Gang keine Spur. Bioniker fordern darum, die starre Technik der Maschinenbeine müsste viel elastischer werden - nach dem Vorbild der Natur. Das aber ist für klassische Ingenieure ein Graus. Beobachtungen im Spannungsfeld zwischen Biologie und Technik.

Von Björn Schwentker |
    " Das ist unser Johnnie. "

    Garching, im großen Labor des Instituts für Maschinenwesen an der Technischen Universität München. Auf einem Laufband mitten im Raum stapft Johnnie. Mit zwei Beinen, einem Oberkörper, zwei Armem und einem Kopf hat er die Gestalt eines Menschen, und er ist auch genau so groß. Doch dass Johnnie eine Maschine ist, ist nicht zu übersehen. Seine blank liegenden "Knochen" sind aus Metall, und statt Muskeln hat er an Hüfte und Knien klobige schwarze Kästen mit surrenden Elektromotoren. Über Dutzende Kabel sind sie verbunden mit Steuer-Platinen entlang des Körpers.

    " Das ist eine Laufmaschine, die in Europa meines Erachtens einmalig ist , und auch die einzige Laufmaschine, die ohne Störungen stabil laufen kann, und Geschwindigkeiten erreichen kann bis zu 2,4 Kilometer pro Stunde."

    Heinz Ulbrich, Leiter des Instituts für Maschinenwesen, ist zurecht stolz auf Johnnie. Denn der gilt als Europas beste zweibeinige Laufmaschine, als eine ingenieurtechnische Meisterleistung. Die Münchner haben es geschafft, dem Traum vom humanoiden Roboter ein kleines Stückchen näher zu kommen. Denn auf dem Weg zum technischen Ebenbild des Menschen spielt das zweibeinige Laufen eine entscheidende Rolle. So einfach es uns Menschen auch selbst erscheint: Einer Maschine das Laufen beizubringen, ist hoch komplex. 17 Freiheitsgrade hat Johnnie, das heißt, er kann seine Gelenke an den Füßen, in den Knien oder der Hüfte in insgesamt 17 Richtungen bewegen. Ohne durcheinander zu kommen.

    Alles, was sich an Johnnie bewegen kann, wird von einer Zentrale gesteuert. Dieser "Regler" ist sozusagen das Gehirn von Johnnie. Allerdings hat er es nicht im Kopf, sondern in der Brust. Dort ist in einem Kasten ein leistungsfähiger Computer installiert. Exakt berechnet sein Prozessor, auf dem ein eigenes Linux-Betriebssystem läuft, wie sich welches Gelenk zu welchem Zeitpunkt auszurichten hat.

    " Dieser Regler, der muss ja hier diese ganzen Signale weiterverarbeiten: da haben wir Kraftsignale, da haben wir Momentsignale, da haben wir Drehratensensoren, da haben wir einen Gleichgewichtssensor, man kann wirklich hier die Hardware noch sehen."

    Nicht erst Heinz Ulbrich ist begeistert von der Technik des Laufens. Schon vor zweieinhalb Tausend Jahren fragte sich der griechische Denker Aristoteles, warum das menschliche Bein eigentlich ausgerechnet vorwärts läuft. Die ersten Patente auf künstliche Zweibeiner datieren auf das Ende des 19. Jahrhunderts. Es waren simple Spielzeugfiguren, wie Clowns oder Pinguine, die auf zwei steifen Beinen eine schiefe Ebene herunterwackelten. Spätestens in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts ließ sich davon die moderne Wissenschaft inspirieren. Erste Beinkonstruktionen entstanden und gleichzeitig erste Theorien vom zweibeinigen Laufen. Populär wurden die gehenden Maschinen, als große Hightech- Firmen wie das japanische Unternehmen Honda in den 80er Jahren begannen, menschenähnliche Roboter zu entwickeln. Hondas kleiner Humanoide "Asimo" ist der wohl weltweit am weitesten entwickelte und auch bekannteste Laufroboter. Er funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie Johnnie aus München - und wie Hunderte von anderen zweibeinigen Maschinen, die weltweit in den Labors der Ingenieure bereits entstanden sind: Ihre Beine sind starr, und jede ihrer Bewegungen wird von einem Computer berechnet. So wie bei einem präzise gesteuerten Industrieroboter. Der total kontrollierte Gang ist zwar allerhöchste Ingenieurskunst. Doch keiner der existierenden Laufroboter schafft es, auch nur annähernd natürlich zu gehen - geschweige denn zu rennen. Zaghaft, starr und mechanisch setzen sie einen Schritt vor den anderen. Eine neue Strömung entsteht darum unter den Roboterbauern - sie orientiert sich an den Ideen der "Bionik", denen Ingenieure in anderen Bereichen schon länger folgen. Nach dem Vorbild der Natur sollen humanoide Maschinen mit elastischen Beinen gebaut werden, die wirken wie federnde Muskeln. Dann so, so glaubt man, würden die Zweibeiner auch ohne opulente Computersteuerung natürlich laufen.

    Zweiter Stock im Gebäude der Universität Zürich, Stadtteil Zürich-Oerlikon. Gleich hinter der Glastür liegt das "Labor für künstliche Intelligenz" von Rolf Pfeifer. Intelligenz, das heißt für den Physiker auch Fortbewegung. Um sie zu untersuchen, baut er allerlei Roboter - fast schon eine regelrechte Laufschule.

    " Hier haben wir sicher eins, zwei, drei, vier fünf, sechs, etwa zehn Hunde, nicht, und hier - hier haben wir auch noch ein paar Roboterleichen. "

    Auf und unter den Tischen, am Boden, in den Regalen, auf dem Schrank - kein Ort, wo nicht ein mehr oder weniger abstrus aussehender Roboter herumliegt, der zum Laufen, Fliegen oder Klettern gebaut wurde. Wie viele er schon gemacht hat, weiß Rolf Pfeifer schon gar nicht mehr.

    Einer davon ist "Stumpy". Auf dem Teppich tanzt er vor Rolf Pfeifer herum. Stumpy ist ein Gestell mit vier gefederten Füßen, auf dem senkrecht ein Stab steht mit einem Gelenk in der Mitte. Das ist die Hüfte. Auf dem oberen Stabteil ist noch ein Querbalken montiert, die Schultern sozusagen. Sensoren hat Stumpy keine. Und nur zwei Motoren: einer schwingt die Hüfte, einer den Schulterstab. Doch allein damit zeigt er ein erstaunliches Repertoire an Bewegungen.

    " Das ist natürlich immer ein bisschen beliebig, aber es gibt eindeutig unterscheidbare Gangarten - also hier sieht man beispielsweise, dass es anders ist. - ah Hier ist wieder eine andere Gangart. Macht etwas größere Schritte. Hier scheint es eine Vorwärts-mit-Drehbewegung zu sein, während das da jetzt so eher ein kurzbeiniges Hoppeln zu sein scheint."

    Dass Stumpy so etwas wie unterscheidbare Gangarten hat, ist erstaunlich - denn er hat ja kein Gehirn. Technisch gesprochen: er ist nicht darauf programmiert, wiedererkennbaren Stilformen zu gehen oder zu tänzeln. Nur die Geschwindigkeit und die Kraft, mit der die Motoren Hüfte und Schulterbalken schwingen, wird elektronisch vorgegeben. Über elastische Federn schlackert der Rest des Körpers mit. Manchmal läuft oder rennt Stumpy plötzlich vorwärts. Darum ist er für Rolf Pfeifer auch eine richtige "Laufmaschine".

    " Der tiefere Sinn ist, zu verstehen, wie Fortbewegung funktioniert. Dass eben Fortbewegung nicht einfach heißt, ein Steuersignal aufs Bein geben, und das Bein macht dann diese Bewegung. Das ist sowieso nicht so."

    Denn die eigentliche Laufbewegung, so glaubt Rolf Pfeifer, übernimmt die Konstruktion des Beins selbst: Muskeln und Sehnen sind elastisch. Sie drücken die Beine wie Federn schon fast von selbst in ein natürliches Gangmuster. Anders ausgedrückt: Man muss nicht besonders viel im Kopf haben, wenn man es schon in den Beinen hat.

    " Es ist ein völlig neues Paradigma der Fortbewegung. Also das ausnutzen der Dynamik. Und das ist viel breiter als jetzt nur in dieser Konstruktion. Das heißt: Wenn ich die richtigen Materialien habe, wenn ich die richtige Form habe, wir sprechen auch von Morphologie, da gehört dazu die Gewichtsverteilung, da gehören dazu die Federkonstanten, und ich habe gewisse Gelenkstypen, Wenn ich die Dynamik richtig habe, dann kann Fortbewegung auf ganz einfache Art und Weise erzielt werden."

    Jede Menge Kritik musste sich der Intelligenz-Forscher früher anhören aus der Fachwelt der Roboteringenieure, deren Laufmaschinen hundertprozentig gesteuert sind, bei denen jeder Millimeter vorausberechnet ist. Sie lachten über den hoppelnden Stumpy. Doch immer mehr Forscher greifen Pfeifers Ideen auf. In der "Bionik" versuchen Biologen, Physiker, Informatiker, Mediziner und inzwischen auch ein paar Ingenieure, einfache Laufmaschinen nach dem Vorbild der Natur zu bauen. Eine Strömung, die sich immer mehr durchsetzt.


    Jena, im Souterrain der Dornburger Straße 23. Den Keller des alten Hauses hat Physiker und Sportwissenschaftler André Seyfarth als "Lauflabor" einrichten lassen. Auf einem Laufband, das ähnlich aussieht wie das in einem Fitnessstudio - nur etwas größer - läuft in Shorts, T-Shirt und Sportschuhen eine Mitarbeiterin des Forschers gegen die Bewegung des Laufbandes an.

    " Was Sie hier oben sehen, sind Kameras, wo man die Bewegung von acht Kameras aufzeichnen kann und dann dreidimensional die Bewegung rekonstruieren kann am Rechner. Und im Laufband, kann man über Sensoren die Kräfte aufnehmen, das heißt, wir können während des Laufzyklus' genau überwachen, wie das Bein genau sich abdrückt, wo es sich abdrückt, wie das Abrollverhalten im Fuß ist, und damit können wir dann auch auf die Gelenksmomente, also auf die Funktion des Beines rückrechnen."


    Viele Probanden hat André Seyfarth schon auf dem Band laufen lassen und ihre Bewegung aufgezeichnet. Der Physiker will verstehen, was menschliches Laufen ist. Und das, sagt er, lernt man am besten, wenn man es beim Menschen selbst abguckt.

    Auf dem Monitor neben dem Laufband entstehen rote und blaue Kurven. Sie zeigen die Kräfte an, mit denen sich die Füße abdrücken. Diese Kräfte zu kennen ist wichtig, wenn man ein mathematisches Modell vom Laufen aufschreiben will, wie André Seyfarth. Das unterscheidet ihn von den Ingenieuren: Sie betrachten nur die so genannte "Kinematik" der Beine: Sie zeichnen die Bewegungsabläufe der Beine auf und programmieren ihren Laufmaschinen millimetergenau genau die selbe Bewegung ein. Jeder Schritt der Roboter sieht dann fast gleich aus. Verstehen kann man so aber nichts, sagt André Seyfarth. Ihm geht es um die richtigen Formeln für das Gehen und Rennen, die so genannten Bewegungsgleichungen. Kennt man sie, hat man ganz allgemein das Geheimnis des Laufens und Rennens gelüftet. Die Kinematik, also wie die Bewegung im Einzelfall aussieht, ergibt sich dann für eine bestimmte Art von Beinen in einer bestimmten Laufumgebung ganz von selbst aus den Bewegungsgleichungen, wenn man die Energie, also quasi den Schwung des Läufers kennt.

    Das ist Denise. Die Roboterdame stakst durch den kleinen Raum des Internationalen Wissenschaftsforums der Universität Heidelberg. Die Ingenieure, Informatiker und Mechatroniker aus der ganzen Welt, die hier gerade tagen, wollen alle das gleiche: endlich verstehen, wie Maschinen auf zwei Beinen richtig laufen können. Perfekt klappt das mit dem Laufen bei Denise noch nicht gerade. Aber sie ist auch ein sehr primitives Geschöpf: Sie besteht nur aus zwei mit ein paar Pump-Muskeln versehenen Beinen, die sie bei jedem Schritt nach vorn steif durchdrückt, und einem Gestänge mit zwei kurzen Ärmchen als Oberkörper, an dem die Kartusche eines Sprudelwasser-Spenders montiert ist. Als Druckgas-Reservoir für die Muskelbewegung beim Laufen. Doch um die Muskeln geht es bei Denise gar nicht. Sondern darum, wie wenig Steuerung sie braucht: Denise hält das Gleichgewicht und geht stabil vorwärts, obwohl sie fast "hirnlos" ist.

    " Hier ist nur ein kleiner Prozessor drin, ein sehr einfacher Mikrochip, und das Programm darauf ist nur 30 Zeilen lang. Der Rest der Intelligenz ist nicht in dem Computer hier, sondern in meinem Kopf und in den Köpfen meiner Kollegen, die das mechanische Design gemacht haben. Wir versuchen damit herauszufinden, wie viel Stabilität in der Bewegung allein aus dem mechanischen System kommen kann. Und siehe da: Mit sehr wenig Kontrolle kann man immer noch ein gutes Gehen hinbekommen."

    Martijn Wisse aus Delft hat Denise mitgebracht. Wie die vielen anderen Forscher auf der Heidelberger Tagung sucht auch er nach neuen Wegen, Maschinen einfacher und energiesparender laufen zu lassen. So, wie es auch Tiere und der Mensch tun. Das funktioniere, sagt Martijn Wisse, wenn man der Natur die ihre Prinzipen abschaue. So habe man auch die Theorie des Gehens gefunden, nach der Denise gebaut ist.

    " Von diesem Modell lernen wir, dass man beim Gehen eigentlich immer wieder fällt. Man fällt nach vorne und fängt sich. Und dann fällt man wieder. Wir haben herausgefunden, dass das eine stabile Bewegung ist, obwohl man in jedem Augenblick damit beschäftigt ist, zu fallen. Es sieht instabil aus, man fällt, aber weil man dabei den Fuß wechselt und ihn an die richtige Stelle setzt, wird es stabil."

    Was der Niederländer beschreibt, ist die Theorie der so genannten "passive walker". Diese Art von Laufrobotern kann sogar ganz ohne Druckluftmuskeln oder andere Antriebe gehen, wenn man sie auf eine schiefe Ebene stellt. Völlig ohne Kontrolle. Und die einzige Energie, die sie dazu brauchen, ist die Schwerkraft, die sie die Ebene hinunterzieht.

    " Es gibt eigentlich eine vorherrschende Denkschule bei den Gehmodellen, und das sind diese passive walker. Diese passive walker können mit sehr wenig Energie relativ natürlich laufen, mit der einfachen Idee, das Knie zu strecken. "

    André Seyfarth aus Jena kennt die Theorie der "passive walker" gut. Denn der Sportwissenschaftler und Physiker lässt in seinem Labor nicht nur Menschen auf dem Laufband laufen. Er sitzt auch stundenlang am Schreibtisch und grübelt über die Theorie des Laufens nach. Er entwirft mathematische Modelle vom zweibeinigen Gang, die er dann im Computer simuliert. Die Theorie der passive walker, erklärt er, sei überholt - obwohl sie in der Laufforschung seit Langem unangefochten ist.

    Schon im 17. Jahrhundert beschrieb der italienische Naturwissenschaftler, Mathematiker und Arzt Giovanni Alfonso Borelli diese Theorie, nach der das Gehen funktioniert wie ein "inverses Pendel": Beim jedem Schritt nach vorn fällt das Standbein wie ein auf der Spitze stehendes Pendel vorwärts. Das Bein ist dabei ganz durchgedrückt, das Knie steif.

    " Nach diesem Konzept arbeiten erstaunlich viele passive Laufmaschinen, die zum Beispiel in Delft entwickelt wurden, oder in Amerika, die spannende Frage ist: Was passiert mit einem Knie, wenn es wirklich beim Gehen etwas gebeugt wird? Weil es ist nicht ganz steif. Wir könnten versuchen, zu laufen und dabei das Knie ganz durchzudrücken, und jeder würde das von Außen als unnatürlich betrachten. Das heißt, unser Knie ist fast durchgestreckt, aber hat doch ein gewisses Spiel, eine gewisse Nachgiebigkeit. "

    Und diese gewisse Nachgiebigkeit könnte entscheidend sein. Denn das vorherrschende Modell der "passive walker" versagt, wenn es ums Rennen geht. Mit steifem Knie ist keine Bewegung möglich, bei der zumindest für kurze Zeit beide Beine in der Luft sind - und eben das ist charakteristisch für das Rennen. Bisher behelfen sich die Laufforscher, indem sie für das Rennen eine zweite Theorie benutzen, eine mit weichem Knie. Die beschreibt aber das Gehen nicht richtig.

    Doch weil der Mensch nur ein paar Beine hat, ist André Seyfarth überzeugt, dass es auch ein mathematisches Modell gibt, das Gehen und Rennen gleichzeitig erklärt, eine "große vereinheitlichte Theorie" des Laufens sozusagen. Eine erste Version dieser Theorie hat er bereits gefunden, glaubt er. Darin sind die Beine zwei simple Federn. Das stellt den Menschen natürlich stark vereinfacht dar. Aber es beschreibt sehr gut, wie Knöchelgelenk und Knie über elastische Muskeln und Sehnen mal mehr und mal weniger nachgeben - je nachdem, ob der Mensch rennt oder geht. Der Unterschied zwischen beiden Gangarten ist dann nur noch einer Frage der Energie, mit der man sich bewegt. André Seyfarth hat die vorausberechneten Gangmuster seiner Theorie mit dem Experiment verglichen: Den Kräften und Drücken, die er bei seinen Probanden auf dem Laufband misst. Beides stimmt überein.

    André Seyfarth verlässt sein Büro und steigt die Treppe des alten Institutsgebäudes hinauf. Er will seinen Laufroboter vorführen. Den baut er, um seine Ideen vom federnden Bein und von der Theorie des Gehens auch am mechanischen Modell zu überprüfen. Ganz oben unter dem Dach hat der Sportwissenschaftler eine kleine Roboterwerkstatt eingerichtet - eine Art Trainingsstätte für mechanische Zweibeiner.

    Auf dem Tisch spazieren gemütlich zwei künstliche Beine, kaum einen halben Meter groß. Ein Metallgestänge hält sie auf einem Laufband fest. So treten sie unermüdlich auf der Stelle ohne umzukippen. Einen Oberkörper zur Stabilisierung gibt es noch nicht.

    " Was wir hier versucht haben, ist, dass wir uns die Muskeln im Bein angeschaut haben, und gefragt haben, welche Muskeln müssen wir übertragen in eine Konstruktion, so dass sie, wenn sie elastisch wären, ein Laufmuster ermöglichen. Das heißt, wir geben dem Bein eine gewisse elastische Eigenschaft. Und diese elastische Eigenschaft ersetzt die Funktion von Muskeln."

    Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Der Gang des Beinroboters ist zwar noch nicht perfekt, aber um einiges natürlicher und geschmeidiger als der von voll kontrollierten Laufrobotern wie Johnnie aus München oder Asimo aus Japan. Dabei werden die Beine auf dem Band fast gar nicht gesteuert. Es gibt nur einen rotierenden Motor in der Hüfte, der über umgelenkte Federn, Gummis und elastische Gelenke Oberschenkel, Unterschenkel und Fuß bewegt. Der Motor gibt dabei nur einen schwachen rhythmischen Impuls. In der Standphase hält die Spannung der Federn die Beine von selbst aufrecht. Beim Schritt nach vorne beugen sie sich leicht und speichern so die Kraft, mit der sie sich gleich darauf von selbst nach vorne abdrücken. Das Bein, so nennt André Seyfarth es, sei "selbststabil".

    " Diesen weichen Gang, das wollen wir technisch aufbauen mit diesen Laufrobotern und das wäre, wenn wir das technisch zeigen und auch demonstrieren können, dass es ein Vorteil ist, auch ein Durchbruch für das Verständnis des Gehens. Wenn man eben von dem bestehenden Paradigma, also von der Vorstellung des steifen Beins in der Standphase wegkommt."

    Zurück am Institut für Maschinenwesen an der Technischen Universität in München Garching. Dort, wo Europas bisher beste zweibeinige Laufmaschine Johnnie gebaut wurde, soll es bald eine Nachfolgerin geben: Lola. Das besondere an Lola: Sie soll rennen können, also beide Beine während einer Flugphase in der Luft halten. Das ist bisher noch keinem zweibeinigen Roboter überzeugend gelungen.

    Ich glaub' wir sind schon in der ersten Ebene, ja, Moment. So, wenn wir uns jetzt das mal hier anschauen, die sind ja jetzt alles jetzt schon im Feierabend...

    Heinz Ulbrich betritt die mechanische Werkstatt. Und da liegt Lola. Beziehungsweise ihre Einzelteile. Denn Lola soll frühestens Ende des Jahres zusammengebaut werden. Bis dahin sammeln sich auf den großen Tischen der Werkstatt die metallisch glänzenden Körperteile des Roboters. Aus fast 1500 Einzelstücken wird Lola einmal bestehen.

    " Da sehen Sie die Bauteile: Das ist das Kniegelenk, dann haben wir hier ein Hüftgelenk, das ist ein Ring hier, der ist zum Beispiel aus Stahl gefertigt, weil da das gesamte Bein mit dem Becken befestigt wird, und man kann sich sofort vorstellen die werden abgenutzt, und da treten die größten Wirkungen und Kräfte auf, und das muss natürlich hier dem standhalten, und deswegen kann man hier nur Stahl verwenden. Ich glaube man kann erkennen, das hier höchste Präzision und wirklich auch ein Geschick dazu gehört, solche Bauteile überhaupt zu fertigen."

    Am Ende wird sie fast so aussehen wie ihr Vorgänger Johnnie. Nur die technischen Einzelteile sind alle ein wenig besser geworden: Die Motoren etwas stärker und leichter, die Sensoren empfindlicher und der Zentral-Rechner ein bisschen schneller. Das muss er auch sein. Denn in Echtzeit zu berechnen, wie die Beine beim Rennen gleichzeitig durch die Luft fliegen, ist extrem kompliziert. Auch wird Lola nicht biologischer sein als ihr Vorgänger Johnnie. Keine Federn, die wie ein Muskel beim anstrengenden Rennen Energie speichern, keine Gelenke mit Spiel, die Unsicherheiten im Gang ganz von selbst ausgleichen könnten - auch ohne Computereinsatz.

    " Da sind wir mittlerweile zu der Erkenntnis gekommen, dass die elastischen Bauteile technisch ganz schwer handhabbar sind. Wenn man das jetzt verbindet mit einer kontrollierten, geregelten Bewegung, dann lässt sich eigentlich das ganz schlecht realisieren. "

    Denn was elastisch ist, sagt Ingenieur Heinz Ulbrich, ist weitgehend unberechenbar und damit auch mit dem besten Rechner kaum zu steuern. In das Ingenieurs-Konzept von der totalen Kontrolle der Mechanik passt die Weichheit der Natur einfach nicht hinein. Und sein klassisches Kontrollkonzept aufgeben - das will Heinz Ulbrich nicht.

    " Bei den Biologen, das sind ja doch Forscher, die Systeme untersuchen, was können die, was machen die, wie funktioniert es da - die Denkweise der Ingenieure, die ist natürlich schon ein bisschen anders angelegt, die ist pragmatischer, wir Ingenieure müssen eigentlich schon Dinge realisieren, da müssen wir dann sehen, was ist technisch vorhanden, wie können wir das machen, und dann müssen wir auch die Konstruktion entwickeln, indem wir alle Elemente aufeinander abstimmen, und es muss ja letzten Endes auch irgendwas entstehen. Die Natur, das ist einfach ein hochkompliziertes Wesen, also gerade der Mensch, und man sollte eigentlich nicht so vermessen sein, dass man meint, man könnte so ein biologisches System einfach nachbilden."

    Außerdem, sagt Heinz Ulbrich, sei noch gar nicht so recht verstanden, ob es wirklich nur die Mechanik des Beins sei, die die das Laufen regele, oder ob nicht doch neuronale Netze im Rückenmark oder im Gehirn auch eine Rolle spielen. Mit technisch verwertbaren Informationen ließen die Biologen die Ingenieure nur allzu oft im Stich.

    Holk Cruse streichelt das Hinterteil einer indischen Stabheuschrecke. Sofort beginnt das etwa sechs Zentimeter lange Tier, Laufbewegungen mit seinen sechs langen Beinen zu machen. Dabei dreht es ein großes schwarzes Styroporrad unter sich weg, über dem es der Biologe an einem kleinen Balsahölzchen festgeschnallt hat. Das Laufrad ist zum Großteil in einen Tisch versenkt, auf dem allerlei Messgeräte die Bewegungen der Heuschrecke aufzeichnen.

    Seit über 30 Jahren macht Holk Cruse hier am Institut für Biologie der Universität Bielefeld solche Laufexperimente mit Heuschrecken. Weil ihr Nervensystem so einfach ist, lässt sich an ihnen besonders gut erforschen, von wo aus im Körper die Beinbewegung gesteuert wird. Heute weiß man, dass es bei vielen Tieren genauso wie beim Menschen drei Ebenen der Kontrolle gibt: Das Gehirn im Kopf, so etwas wie einen neuronalen Taktgeber oder "Oszillator" für die Beinschwingung im Rückenmark und die Mechanik der Beine selbst, sozusagen auf der untersten der drei Ebenen.

    " Wenn ich jetzt frage: Was ist das wichtigere? Dann ist das wahrscheinlich eigentlich die falsche Frage. Es ist in der Natur so, dass diese drei Systeme aufeinander abgestimmt sind. Zumindest die beiden unteren Systeme. Man hat herausgefunden, dass die Schwingungseigenschaften der Mechanik, also der Beinmuskulatur und der Beinmasse gut angepasst sind von ihrer Eigenfrequenz her an die Schwingungseigenschaften dieser Oszillatoren, der neuronalen Oszillatoren, die man im Rückenmark findet. Dann geht das sehr viel leichter. Weil eben die Physik das schon zum großen Teil erledigt, das Nervensystem muss im Grunde nur die Abweichungen noch kontrollieren, was sozusagen noch der physikalische Schwinger in den Bein- Muskel - Federsystem schon erledigt. Noch drüber sitzt dann eben das eigentliche Gehirn, das dann wiederum Abweichungen davon steuern muss. Etwa wenn ich jetzt nicht im Dauerlauf vor mich hin jogge, und das so halbautomatisch geht, sondern ich sehe, da kommt eine Pfütze, an der will ich vorbei laufen, dann muss ich ganz gezielt Eingreifen von oben her und sagen: jetzt, Beine bewegt meinen Körper nach rechts an dieser Pfütze vorbei."

    Nun sei es wichtig, sagt der Neurowissenschaftler, diese Dreiteilung der Laufsteuerung auch in der Robotik zu übernehmen. Insbesondere sollte so viel Intelligenz wie möglich bereits in die unterste Ebene der elastischen Beinmechanik gelegt werden, damit der Schwingungsgeber auf der Zwischenebene und das Gehirn ganz oben nur noch in Spezialfällen eingreifen müssen. Ob ein Solcher Roboter dann noch mit den herkömmlichen Elektromotoren betrieben werden kann, hält Holk Cruse für fraglich. Vielleicht benötige man sogar so etwas wie künstliche elastische Muskeln, stärker die näher am Vorbild der Natur seien als lediglich ein paar Federn und Gummis. Das Antriebsproblem müssten letztlich Techniker und Ingenieure lösen müssten. Am besten in Zusammenarbeit mit den Biologen. Aber das könne nur gelingen, wenn auch die Ingenieure endgültig bereit seien, die Natur als Vorbild für ihre Technik zu akzeptieren.

    " Etwa wenn wir sagen: Ja, Das bewegt sich eleganter, dann könnte man sagen: Ja gut, ob das nun schön aussieht, das kann mir ja egal sein. Aber: Das, was wir als elegant Aussehen bezeichnen, ist vermutlich auch energieoptimal. Das liegt vielleicht auch daran, dass unser Gehirn dann etwas als elegant ansieht, wenn es irgendwie dem entspricht, was uns auch gefällt, das heißt, was unserem Körper gefällt, und warum gefällt es unserem Körper, weil wir es als angenehm empfinden oder angenehm dabei fühlen, und wahrscheinlich fühlen wir uns dann angenehm, wenn wir Energie sparen, das ist vermutlich eingebaut. In unser Empfindungssystem. So dass die Systeme, die schöner sind - wenn ich es mal ästhetisch plakativ ausdrücken will - möglicherweise auch besser sind. Von der Performance her. Und insofern wäre es vielleicht doch nicht so schlecht, sich um die Biologie zu kümmern."

    Dann, so schätzt Holk Cruse, könne es eine Laufmaschine, die wirklich "schön" und natürlich läuft, vielleicht schon in zehn Jahren geben. Auch wenn er glaubt, dass die Ingenieure noch etwas zeit brauchen, bis sie sich auf die Biologie einlassen. Nicht, weil sie nicht jetzt schon wollten, sondern weil sie noch gar nicht können. Schließlich haben sie jahrelang Forschungsgelder beantragt für technische Laufmaschinen nach dem klassischen Ingenieurskonzept der voll kontrollierten Industrierobotik.

    " Man hat seinen Antrag geschrieben, und dann kann man nicht sagen, ja gut, jetzt habe ich das gemerkt, dass das eigentlich anders gehen sollte, dann kann ich nicht das System umwerfen, denn das läuft dann erstmal wie so ein Tanker seine vier, fünf Jahre durch, und erst danach kann ich dann sagen: Gut, jetzt mache ich ein neues, ganz neues Projekt, aber das neue Projekt ist dann halt wirklich sehr neu, das heißt, da kann ich dann nicht im selben Zeitrahmen wieder weiterdenken, da muss ich dann erst wieder ein paar Jahre Grundlagenforschung einbauen, insofern ist das eine große Schwelle. Aber ich habe das Gefühl, im Moment sind die Leute dabei, diese Schwelle zu überspringen. Und wenn die übersprungen ist, dann ist es schon ein wesentlicher Wechsel im Roboterbau."

    " Ich bin überzeugt, dass in denjenigen Bereichen, wo beispielsweise Adaptivität, flexibles Verhalten auf veränderte Umweltbedingungen gefragt ist, dass genau dort die biologisch orientierten Designs die evolutionären erfolgreichere Schiene sein werden in Zukunft. Im Moment ist - auch wenn man in Japan schaut - die Community, also die Anzahl Forscher, die auf diese Art und Weise wie wir über die Probleme nachdenken, die ist relativ klein, im Vergleich zur traditionellen, man möchte fast sagen Kontroll-Engineering-Mafia, die wirklich noch das meiste kontrolliert. "

    " Es gibt da hier so viele Dinge, die wir eigentlich noch nicht gelöst haben, und die werden wir in der Zukunft lösen, damit wir auch da von der biologischen Seite her Dinge noch umsetzen, und da bin ich überzeugt davon: Das wird natürlicher werden, Das ist noch nicht so ein natürlicher Gang, und das geht nicht von heute auf morgen, das ist wirklich Step by Step, kann man sagen, aber die Schritte werden vielleicht ein bisschen größer in der Zukunft. "

    " Das ist alles wichtig - aber nicht nur das: Wir sollten auch in der Lage sein, sehr leichte Maschinen zu bauen. Also brauchen wir auch eine Menge Hilfs-Technologie wie Energieversorgung oder schnelle Computer. All diese Gebiete müssen sich noch weiter entwickeln. Erst dann können wir ihn verwirklichen, unseren Traum."