Archiv


Wie die Topkanzleien Nachwuchsjuristen auswählen

Wer als Jurist in einer der großen Wirtschaftskanzleien unterkommen will, sollte am besten Freischussexamen, Prädikatsexamina, Promotion, Master of Law und erste Arbeitserfahrungen mitbringen. Viele Kanzleien sind bei der Nachwuchssuche dazu übergegangen, workshops anzubieten - die Studenten müssen bis zu drei Tage lang fiktive Unternehmenskaufverträge ausarbeiten, Vorträge halten, gegeneinander verhandeln.

Von Pascal Fischer |
    Freitag morgen, 11 Uhr, Etage 8 in einem Frankfurter Hotel im Bankenviertel. Beginn des "Scholarship 2005" - ein Workshop von Linklaters, Oppenhoff und Rädler. Die Wirtschaftskanzlei hat sechzehn Jungjuristen aus 100 Bewerbern ausgewählt und will deren Fähigkeiten testen. Stephan Oppenhoff, Partner der Kanzlei, erklärt die Aufgabe:

    " Die heutige Aufgabe besteht darin, einen Unternehmenskaufvertrag gründlich durchzusehen und änderungsbedürftige Sachverhalte zu identifizieren,... "

    Zu viert in der Gruppe einen vorgegebenen 18seitigen Vertrag stellenweise umformulieren - eine ungewohnte Aufgabe für die Teilnehmer, obwohl sie in Freiburg, Heidelberg, Passau oder Marburg studiert haben, zwischendurch im Ausland waren, zum Beispiel in Genf. Aber gute Unis und Auslandsaufenthalte sind Mindestanforderungen für die Einstellung in einer Großkanzlei, und nach Noten, Praktika und Fremdsprachenkenntnissen wurden die Teilnehmer für das Seminar auch ausgewählt. Nun kommt es auf soft skills wie die Teamfähigkeit an:

    " Ich mach den Vertrag, Du machst die zweite Hälfte des Vertrags, und Du den Rest - jeder drei Punkte! "

    Katja, Johannes, Philipp und Christian haben knapp zwei Stunden Zeit für die Aufgabenverteilung und die Vorbereitung eines gemeinsamen freien Vortrags. Zusätzlicher Stress: Als Beobachter kommen mehrere Kanzleianwälte nacheinander in den Gruppenraum, zum Beispiel Stefan König. Sein Bewertungskriterium ist,...

    "...ob die Teilnehmer im Kopf eine Gliederung hatten, die sie fördern, oder ob Leute irgendwelche Ideen einwerfen, die nichts mit der Sache zu tun haben. "

    Stress und Leistungsdruck pur. Warum tun sich das die Mittzwanziger an?

    " Ich hatte eher mit mittelständischen Kanzleien zu tun, aber möchte mir einen Gesamtüberblick verschaffen, und da gehören die Spitzenkanzleien natürlich dazu! "

    Trotz der hohen Anforderungen am ersten Tag sind die meisten begeistert vom Einblick in den Arbeitsalltag einer Großkanzlei. Junge Kollegen, eine lockere Arbeitsatmosphäre trotz Leistungsdruck, das sehen die einen. Zu kleine Büros für die Jungjuristen, monieren die anderen. Johannes und Louisa:

    " Viele Klischees bewahrheiten sich - dass es viele Großanwälte gibt, die sich auch wie Großanwälte benehmen. "

    " Ich hätte damit gerechnet, dass mehr Frauen hier sind. Natürlich ist es dann toll, hier zu sein, aber es ist schon ein wenig schwierig. "

    80-Stunden-Wochen, mal 18-Stunden-Tage - das will nicht jeder. Und deshalb sind es im Grunde die Kanzleien, die sich um die Absolventen bemühen müssen - und erstaunlicherweise nicht umgekehrt, sagt Natascha Antonio von der Personalberatung Whitehead-Mann in Frankfurt am Main: Schließlich will man am liebsten Kandidaten mit zwei Prädikatsexamina und einer Promotion oder einem Master of Law.

    " Dann wird die Auswahl schon relativ gering. Dann sind es vielleicht zehn bis zwölf Prozent, und davon wollen ja nicht alle Anwalt werden, also...schlagen sich die Kanzleien um sechs bis Prozent der Absolventen, und das sind immer noch relativ wenige! "

    Am Samstagnachmittag liegt der Stress dennoch auf Seiten der Seminarteilnehmer.

    Sie präsentieren die ausgearbeiteten Verträge für einen Unternehmenskauf vor einer vierköpfigen Jury. Die einen tragen nur im Stehen vor, die anderen nutzen ein Flipchart. In der letzten Runde verhandeln sogar zwei Gruppen als Käufer und Verkäufer eines Unternehmens miteinander - oder eher: gegeneinander.

    Manchmal unrealistisch in der Streitlust, aber immer überraschend praxisnah - so bewertet die Jury am Ende die Teilnehmer. Und am Abend, ein wenig außerhalb im Schlosshotel in Kronberg, bei Rotwein und Dreigangmenu, ist es dann soweit:

    " Platz eins: Christian Balzer - Applaus "

    Siegerehrung. Christian darf sich nun für eine Referendariatsstation eines der weltweit 30 Büros der Kanzlei aussuchen. Philipp und Carlos, auf Platz drei und zwei, können eine europäische Niederlassung wählen. Und mit denen, die einen guten Eindruck gemacht haben, will die Kanzlei auch weiterhin Kontakt halten...