17. April 1975. Junge Soldaten, in schwarze Uniformen gekleidet und mit rot-weiß karierten Schals um den Hals, marschieren in die kambodschanische Hauptstadt Phnom Penh ein. Die Menschen auf den Straßen bejubeln die siegreichen Truppen, sind glücklich und zuversichtlich. Denn viele hoffen, dass die Soldaten der Roten Khmer Kambodscha Frieden bringen werden und dass nun endlich der Bürgerkrieg aufhört, der das Land im Griff hält, seit sich General Lon Nol 1970 ins Amt geputscht hat. Doch es kommt anders. In seinem Buch "Die Kinder der Killing Fields" schreibt Erich Follath:
"Die Führer der Roten Khmer trieben die "Verweichlichten" aus den Städten, fegten schon Stunden nach der Machteroberung Phnom Penh leer, trieben die Menschen hinaus auf die Dörfer und Felder zur Umerziehung, zum Dammbau und zum Reispflanzen. So zerstörten die Roten Khmer Bibliotheken, Museen und Universitäten, sie schafften das Geld ab und sprengten oder schlossen alle Banken. Wer eine Fremdsprache konnte, wer studiert hatte, ja auch schon jeder, der eine Brille trug, war als intellektueller Abweichler verdächtig und damit vogelfrei."
Die Roten Khmer unter ihrem Führer Pol Pot wollten eine völlig neue Gesellschaft schaffen, ein Land, in dem jeder als Bauer arbeiten sollte, autark und auf sich gestellt, ohne jede zivilisatorische Errungenschaft. Eine Art Steinzeit-Kommunismus. Drei Jahre, acht Monate und zwanzig Tage dauerte dieses grausige Experiment. Rund 1,7 Millionen der knapp acht Millionen Kambodschaner starben. Die internationale Gemeinschaft, durchaus informiert über das, was im Land passiert, sieht damals tatenlos zu. Und so sind es die Vietnamesen, die 1979 schließlich dem grausamen Spuk im Nachbarland ein Ende machen und Pol Pot und die Roten Khmer vertreiben. Nur ein Jahr später reist Erich Follath nach Kambodscha. Er sieht ein Land ...
"Eine verwundete Zivilisation, jede Familie, aber wirklich jede, hatte zahlreiche Opfer zu beklagen, jeden, den man fragte, sagte sofort unaufgefordert, ja, es war meine Schwester, es war meine Frau, ich weiß nicht wo meine Kinder sind. Der eine ist verhungert, den anderen haben sie totgeschlagen auf dem Feld. Also es war manchmal wirklich wie ein Land von Geistern, durch das man da wanderte und überall sah man noch Totenfelder, kleine Kinder spielten mit Knöchelchen von Menschen, eine furchtbare traumatisierte Gesellschaft, die sich davon natürlich nie ganz erholen wird und auch heute nicht erholt hat."
Erich Follaths Buch "Die Kinder der Killing Fields" trägt den Untertitel "Kambodschas Weg vom Terrorland zum Touristenparadies". Und in der Tat ist sein Buch weniger eine Geschichte der Roten Khmer und ihrer Herrschaft. Follath beleuchtet vielmehr einzelne Aspekte der Roten Khmer. Er beschreibt ihre Anfänge, etwa wie spätere Führer wie Pol Pot in den 1950er-Jahren in Paris studieren und sich dort für den Kommunismus begeistern. Er spricht mit Opfern und auch Tätern der Roten Khmer Herrschaft. Und er erläutert immer wieder das nun arbeitende Völkerrechts-Tribunal, wie es zusammengesetzt ist, wer als Anwalt dort arbeitet oder wie die Bevölkerung es beurteilt:
"Die Leute fragen sich, warum jetzt erst, 30 Jahre danach. Unmittelbar nach der Niederlage der Roten Khmer gab es natürlich so etwas ähnliches wie spontane Abrechnungen, in manchen Dörfern wurden die Killer sozusagen erschlagen, ohne Gerichtsverhandlung. Dann kam lange nichts und der Eindruck, dass man noch in irgendeiner Form ernsthaft diese Zeit aufarbeiten will, hat sich bei vielen Kambodschanern verflüchtigt. Sie glauben`s einfach nicht."
Follath hat mit seiner Publikation ein informatives Buch vorgelegt, das die Auswirkungen des Regimes, unterschiedliche Sichtweisen darauf und die aktuelle juristische Aufarbeitung durch das Tribunal kenntnisreich beschreibt und hervorragend erläutert. Follaths Buch ist - und das stellt ein weiteres Verdienst dar - zudem ausgesprochen lesbar. Man merkt ihm an, dass sein Autor weiß, wie man die Fülle an Material spannend und interessant aufbereitet.
Allerdings ist an manchen Stellen schwer nachzuvollziehen, von welchen Fragen sich der Autor leiten ließ und auf welche Schwerpunkte er sich konzentrieren wollte. So geht er etwa ausführlich auf das Leben von Kieu Sampan ein, dem Staatspräsidenten unter den Roten Khmer und einem der Angeklagten vor dem Tribunal. Über Ieng Sary, den ehemaligen Außenminister und ebenfalls angeklagt, verliert Follath hingegen kaum ein Wort. Trotzdem: Follaths Buch ist interessant. Und weil er beim Schreiben verschiedene Stile benutzt, bleibt es packend und man kann sich das Thema insgesamt vielschichtig und plastisch erschließen.
Wie das Grauen unter der Herrschaft der Roten Khmer ganz konkret aussah, darum geht es wiederum in dem Buch "Der Deich der Witwen. Eine Frau in der Hölle der Roten Khmer" von Denise Affonco. Affonco wurde 1944 in Phnom Penh als Tochter eines Franzosen und einer Vietnamesin geboren. Anders als fast alle anderen Ausländer, die vor der Machtübernahme der Roten Khmer Phnom Penh in Richtung Ausland verließen, blieb sie im Jahr 1975 mit ihrem Mann und ihren Kindern in Kambodscha. Und einen Tag nach dem Einmarsch der Truppen in die Hauptstadt werden auch sie aus ihrem Haus in Richtung Land getrieben.
Zitat Affonco:
"Ein Strom von Männern, Frauen, Alten und Kindern, die Karren mit Gepäck oder Möbelstücken hinter sich herzogen bewegte sich mühsam fort. Sogar die Krankenhäuser hatte man schonungslos geräumt und die Kranken - manche hatten die Transfusionsflasche noch am Arm - auf ihren Tragbahren zu der wandernden Masse verfrachtet."
Während der nächsten vier Jahre wird Affonco wie hunderttausend andere von den Roten Khmer immer wieder umgesiedelt, je nachdem, wo im Land gerade Arbeitskräfte nötig sind. Sie arbeitet von morgens bis abends auf den Feldern. Sie sieht, wie Frauen und Kinder ermordet werden. Per Axthieb, denn Pistolenkugeln waren den Roten Khmer dafür zu teuer. Und sie selbst versucht, einfach nur zu überleben. Immer wieder schreibt sie etwa davon, wie sie Skorpione isst, Heuschrecken, Frösche, Ratten oder Wasserpflanzen:
"Es kam sogar vor, dass ich unter der Hütte des Dorfvorstehers nach Nahrung suchte. In dem Augenblick, wo die Reste durch den Küchenfußboden hinabgeworfen wurden, stürzte ich mich darauf und sammelte alles Essbare ein. So kam es, dass mich eines Tages der Hund biss. Ich hatte nämlich versucht, ihm das Stück Rinderhaut, das er gerade fraß, zu entreißen."
Affoncos Buch ist eine Schilderung dessen, was ihr stellvertretend für das ganze Volk während der Herrschaft der Roten Khmer widerfahren ist. Aufgeschrieben nur wenige Wochen nach dem Ende des Regimes 1979 und dann, gut 20 Jahre später, noch einmal überarbeitet. Ihr Buch führt persönlich und ganz direkt mitten hinein in das von den Roten Khmer geknechtete Land, es beschreibt die Qualen der Menschen und verdeutlicht den menschenverachtenden Wahnwitz der Roten Khmer. Als Affonco 1979 nach der Befreiung durch die Vietnamesen nach vier Jahren wieder nach Phnom Penh zurückkehrt, entdeckt sie etwa:
Zitat Affonco:
"Die Roten Khmer hatten die Wohnungen in Lagerräume verwandelt und die in der Stadt beschlagnahmten Möbel und Einrichtungsgegenstände - nach Gattung geordnet - dort abgestellt. Ganze Appartements waren so bis zur Decke voll mit Kühlschränken oder Fernsehgeräten, Bügeleisen, Küchengeräten, Möbeln, Betten, Sofas und so weiter. Diese Scheusale hatten alles sortiert, so, wie sie es mit uns gemacht hatten."
Während der Anhörungen des Völkerrechts-Tribunals in Phnom Penh in diesem Jahr wird Denise Affonco als Nebenklägerin auftreten. In ihrem Buch kann man eindrücklich lesen, von welchen Gräueln sie dann wahrscheinlich berichten wird.
Silke Ballweg über Denise Affonco: "Der Deich der Witwen. Eine Frau in der Hölle der Roten Khmer". Im C. H. Beck Verlag, 207 Seiten für 18 Euro.
und
Erich Follath: "Die Kinder der Killing Fields. Kambodschas Weg vom Terrorland zum Touristenparadies", erschienen in der Deutschen Verlags Anstalt, 363 Seiten für 19 Euro und 95 Cent.
"Die Führer der Roten Khmer trieben die "Verweichlichten" aus den Städten, fegten schon Stunden nach der Machteroberung Phnom Penh leer, trieben die Menschen hinaus auf die Dörfer und Felder zur Umerziehung, zum Dammbau und zum Reispflanzen. So zerstörten die Roten Khmer Bibliotheken, Museen und Universitäten, sie schafften das Geld ab und sprengten oder schlossen alle Banken. Wer eine Fremdsprache konnte, wer studiert hatte, ja auch schon jeder, der eine Brille trug, war als intellektueller Abweichler verdächtig und damit vogelfrei."
Die Roten Khmer unter ihrem Führer Pol Pot wollten eine völlig neue Gesellschaft schaffen, ein Land, in dem jeder als Bauer arbeiten sollte, autark und auf sich gestellt, ohne jede zivilisatorische Errungenschaft. Eine Art Steinzeit-Kommunismus. Drei Jahre, acht Monate und zwanzig Tage dauerte dieses grausige Experiment. Rund 1,7 Millionen der knapp acht Millionen Kambodschaner starben. Die internationale Gemeinschaft, durchaus informiert über das, was im Land passiert, sieht damals tatenlos zu. Und so sind es die Vietnamesen, die 1979 schließlich dem grausamen Spuk im Nachbarland ein Ende machen und Pol Pot und die Roten Khmer vertreiben. Nur ein Jahr später reist Erich Follath nach Kambodscha. Er sieht ein Land ...
"Eine verwundete Zivilisation, jede Familie, aber wirklich jede, hatte zahlreiche Opfer zu beklagen, jeden, den man fragte, sagte sofort unaufgefordert, ja, es war meine Schwester, es war meine Frau, ich weiß nicht wo meine Kinder sind. Der eine ist verhungert, den anderen haben sie totgeschlagen auf dem Feld. Also es war manchmal wirklich wie ein Land von Geistern, durch das man da wanderte und überall sah man noch Totenfelder, kleine Kinder spielten mit Knöchelchen von Menschen, eine furchtbare traumatisierte Gesellschaft, die sich davon natürlich nie ganz erholen wird und auch heute nicht erholt hat."
Erich Follaths Buch "Die Kinder der Killing Fields" trägt den Untertitel "Kambodschas Weg vom Terrorland zum Touristenparadies". Und in der Tat ist sein Buch weniger eine Geschichte der Roten Khmer und ihrer Herrschaft. Follath beleuchtet vielmehr einzelne Aspekte der Roten Khmer. Er beschreibt ihre Anfänge, etwa wie spätere Führer wie Pol Pot in den 1950er-Jahren in Paris studieren und sich dort für den Kommunismus begeistern. Er spricht mit Opfern und auch Tätern der Roten Khmer Herrschaft. Und er erläutert immer wieder das nun arbeitende Völkerrechts-Tribunal, wie es zusammengesetzt ist, wer als Anwalt dort arbeitet oder wie die Bevölkerung es beurteilt:
"Die Leute fragen sich, warum jetzt erst, 30 Jahre danach. Unmittelbar nach der Niederlage der Roten Khmer gab es natürlich so etwas ähnliches wie spontane Abrechnungen, in manchen Dörfern wurden die Killer sozusagen erschlagen, ohne Gerichtsverhandlung. Dann kam lange nichts und der Eindruck, dass man noch in irgendeiner Form ernsthaft diese Zeit aufarbeiten will, hat sich bei vielen Kambodschanern verflüchtigt. Sie glauben`s einfach nicht."
Follath hat mit seiner Publikation ein informatives Buch vorgelegt, das die Auswirkungen des Regimes, unterschiedliche Sichtweisen darauf und die aktuelle juristische Aufarbeitung durch das Tribunal kenntnisreich beschreibt und hervorragend erläutert. Follaths Buch ist - und das stellt ein weiteres Verdienst dar - zudem ausgesprochen lesbar. Man merkt ihm an, dass sein Autor weiß, wie man die Fülle an Material spannend und interessant aufbereitet.
Allerdings ist an manchen Stellen schwer nachzuvollziehen, von welchen Fragen sich der Autor leiten ließ und auf welche Schwerpunkte er sich konzentrieren wollte. So geht er etwa ausführlich auf das Leben von Kieu Sampan ein, dem Staatspräsidenten unter den Roten Khmer und einem der Angeklagten vor dem Tribunal. Über Ieng Sary, den ehemaligen Außenminister und ebenfalls angeklagt, verliert Follath hingegen kaum ein Wort. Trotzdem: Follaths Buch ist interessant. Und weil er beim Schreiben verschiedene Stile benutzt, bleibt es packend und man kann sich das Thema insgesamt vielschichtig und plastisch erschließen.
Wie das Grauen unter der Herrschaft der Roten Khmer ganz konkret aussah, darum geht es wiederum in dem Buch "Der Deich der Witwen. Eine Frau in der Hölle der Roten Khmer" von Denise Affonco. Affonco wurde 1944 in Phnom Penh als Tochter eines Franzosen und einer Vietnamesin geboren. Anders als fast alle anderen Ausländer, die vor der Machtübernahme der Roten Khmer Phnom Penh in Richtung Ausland verließen, blieb sie im Jahr 1975 mit ihrem Mann und ihren Kindern in Kambodscha. Und einen Tag nach dem Einmarsch der Truppen in die Hauptstadt werden auch sie aus ihrem Haus in Richtung Land getrieben.
Zitat Affonco:
"Ein Strom von Männern, Frauen, Alten und Kindern, die Karren mit Gepäck oder Möbelstücken hinter sich herzogen bewegte sich mühsam fort. Sogar die Krankenhäuser hatte man schonungslos geräumt und die Kranken - manche hatten die Transfusionsflasche noch am Arm - auf ihren Tragbahren zu der wandernden Masse verfrachtet."
Während der nächsten vier Jahre wird Affonco wie hunderttausend andere von den Roten Khmer immer wieder umgesiedelt, je nachdem, wo im Land gerade Arbeitskräfte nötig sind. Sie arbeitet von morgens bis abends auf den Feldern. Sie sieht, wie Frauen und Kinder ermordet werden. Per Axthieb, denn Pistolenkugeln waren den Roten Khmer dafür zu teuer. Und sie selbst versucht, einfach nur zu überleben. Immer wieder schreibt sie etwa davon, wie sie Skorpione isst, Heuschrecken, Frösche, Ratten oder Wasserpflanzen:
"Es kam sogar vor, dass ich unter der Hütte des Dorfvorstehers nach Nahrung suchte. In dem Augenblick, wo die Reste durch den Küchenfußboden hinabgeworfen wurden, stürzte ich mich darauf und sammelte alles Essbare ein. So kam es, dass mich eines Tages der Hund biss. Ich hatte nämlich versucht, ihm das Stück Rinderhaut, das er gerade fraß, zu entreißen."
Affoncos Buch ist eine Schilderung dessen, was ihr stellvertretend für das ganze Volk während der Herrschaft der Roten Khmer widerfahren ist. Aufgeschrieben nur wenige Wochen nach dem Ende des Regimes 1979 und dann, gut 20 Jahre später, noch einmal überarbeitet. Ihr Buch führt persönlich und ganz direkt mitten hinein in das von den Roten Khmer geknechtete Land, es beschreibt die Qualen der Menschen und verdeutlicht den menschenverachtenden Wahnwitz der Roten Khmer. Als Affonco 1979 nach der Befreiung durch die Vietnamesen nach vier Jahren wieder nach Phnom Penh zurückkehrt, entdeckt sie etwa:
Zitat Affonco:
"Die Roten Khmer hatten die Wohnungen in Lagerräume verwandelt und die in der Stadt beschlagnahmten Möbel und Einrichtungsgegenstände - nach Gattung geordnet - dort abgestellt. Ganze Appartements waren so bis zur Decke voll mit Kühlschränken oder Fernsehgeräten, Bügeleisen, Küchengeräten, Möbeln, Betten, Sofas und so weiter. Diese Scheusale hatten alles sortiert, so, wie sie es mit uns gemacht hatten."
Während der Anhörungen des Völkerrechts-Tribunals in Phnom Penh in diesem Jahr wird Denise Affonco als Nebenklägerin auftreten. In ihrem Buch kann man eindrücklich lesen, von welchen Gräueln sie dann wahrscheinlich berichten wird.
Silke Ballweg über Denise Affonco: "Der Deich der Witwen. Eine Frau in der Hölle der Roten Khmer". Im C. H. Beck Verlag, 207 Seiten für 18 Euro.
und
Erich Follath: "Die Kinder der Killing Fields. Kambodschas Weg vom Terrorland zum Touristenparadies", erschienen in der Deutschen Verlags Anstalt, 363 Seiten für 19 Euro und 95 Cent.