"Das war nur eine Art Pflichtbewusstsein das mich getrieben hat dies alles zu machen."
Margrit Herbst ist eine zierliche Frau mit weißem Kurzhaarschnitt. Die 70-Jährige sitzt im Wohnzimmer ihrer kleinen Dachgeschosswohnung in einem Dorf bei Bad Bramstedt. Sie spricht langsam und in kurzen Sätzen, als wolle sie sicher gehen, nichts zu sagen, was sie später bereuen müsste. Viel ist vorgefallen seit 1990, als sie das erste Mal den Verdacht hatte, eines der Rinder, das sie als Veterinärin zum Schlachten freigeben sollte, könnte BSE haben:
"Mir sind Bewegungsstörungen aufgefallen, die an die traberkranken Schafe erinnert haben. Abartige, trabartige Bewegungen."
Während ihrer Zeit auf dem Schlachthof in Bad Bramstedt hat sie 21 verdächtige Tiere gefunden, deren Auffälligkeiten sie genau protokolliert. Noch heute ist sie stolz darauf, dass sie sich damals eigenmächtig Unterlagen besorgt hatte, die in Deutschland nicht ohne Weiteres zu Verfügung standen:
"Zunächst konnten wir alle diese Symptome nicht richtig einordnen. Das Dumme war nur, dass wir damals in Deutschland kaum Unterlagen hatten über diese Erkrankung, denn geforscht wurde nur in England. Die Forschungsergebnisse wurden geheim gehalten. Ich hab dann später auf Umwegen über die Schweiz die sogenannte geheime Diagnoseliste der BSE-kranken Tiere bekommen."
Doch ihre Vorgesetzten wollten von ihrem Verdacht nichts wissen. Gegen ihren Willen wurden die von ihr aussortierten Rinder einfach zur Schlachtung freigegeben. Schließlich sah sie sich gezwungen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Ihre Interviews, die sie dem Magazin "Stern" aber auch Fernsehsendern gab, entsprangen nicht etwa einer Oppositionshaltung, sondern waren eher Ausdruck der Einsicht, sich an Recht und Gesetz halten zu müssen.
"Als Tierärzte sind wir dazu berufen, Menschen vor Gefahren und Schädigungen durch Fleischererzeugnisse zu schützen. Das war eine ganz zentrale Aufgabe."
Sie hatte bis zuletzt gehofft, ihr Vorgehen müsste auch den Verantwortlichen einleuchten. Schließlich verlangte sie nicht mehr, als dass die von ihr als auffällig erkannten Tiere auf BSE untersucht werden. Doch Politik und Fleischindustrie wollten Ruhe an der deutschen BSE-Front und ihre Kollegen schwiegen aus Angst um ihren Arbeitsplatz. Sie wurde abgemahnt und versetzt, schließlich krank. Am 15. Dezember 1994, neun Tage vor Weihnachten, wurde der damals 54-Jährigen nach 16-jährigem Dienst als Fleischhygieneärztin wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen gekündigt:
"Zunächst war es ein Schock, ich hatte ja immerhin noch zwei Kinder in der Ausbildung, für die ich aufkommen musste. Allein mit dem Gehalt. Dass ich vom Kreis Segeberg bekommen habe und ich bin dann natürlich in der Arbeitslosigkeit gefallen und habe nie wieder eine Stelle bekommen."
Margrit Herbst lebte von Arbeitslosengeld und wurde wenig später Frührentnerin. Bis heute schwankt sie zwischen dem Versuch, alles zu vergessen und dem Wunsch, ihr möge Gerechtigkeit widerfahren. Eigentlich habe ich vieles schon weggeschmissen, sagt sie abwehrend, um im nächsten Atemzug den Computer in ihrem Arbeitszimmer anzuwerfen, in dem alle Vorgänge fein säuberlich geordnet und gesichert sind. So lässt sich unter der Rubrik "Fehlzeiten" mit einem Blick ablesen, dass sie im Jahr ihrer Entlassung fast durchgängig nicht mehr zur Arbeit erscheinen konnte.
"Nachdem ich beim Landrat gewesen bin, bin ich ja nur noch schikaniert worden."
Margret Herbst hätte in Deutschland die erste Wissenschaftlerin sein können, die BSE findet. Stattdessen wurde sie das erste deutsche BSE-Opfer. Vieles in ihrer beruflichen Vita hat diese zwei Gesichter: Ein bitteres und ein süßes. Sie hat nach 2000, dem Jahr, in dem in Deutschland erstmals BSE nachgewiesen wurde, diverse Auszeichnungen bekommen, die sie stolz aufzählt: "Weltethikpreis für Zivilcourage", die Ehrennadel "Mutige Löwin" des deutschen Ärztinnenbundes und so weiter. Das Bundesverdienstkreuz aber, die gesellschaftliche Anerkennung, musste sie ablehnen:
"Das sollte ich bekommen unter der Voraussetzung, dass ich auf sämtliche rechtlichen Ansprüche gegen den Kreis Segeberg und gegen das Land Schleswig-Holstein verzichte. Das war natürlich unmöglich, es war praktisch eine Beleidigung. Man hätte mich so gut kennen müssen, dass man diesen Kuhhandel mit mir nicht machen kann."
In diesen Tagen wird groß über zehn Jahre BSE berichtet. In die allgemeine Einschätzung, wonach die Gefahr vorüber sei, stimmt sie nicht ein. Sie selbst wird durch diesen Jahrestag einmal mehr erinnert an ihre Kündigung. Bis heute hält sich es für eine große Ungerechtigkeit, wie mit ihr verfahren wurde:
"Man kommt sich vor wie eine Art Verbrecher und hat sich im Grund genommen nur an die vorgeschriebenen Gesetze und Verordnungen gehalten."
Margrit Herbst lebt von einer mageren Rente. Wenn jemand anruft, ist es ihre Tochter oder ein Journalist. Auf ein anderes Telefonat wartet sie seit 16 Jahren vergebens. Auf eine – auch finanzielle - Rehabilitierung durch den Kreis Segeberg, das Landratsamt und die Politik in Schleswig-Holstein. Sie wünscht sich eine Aufstockung ihrer Rente, um wieder wissenschaftlich arbeiten zu können und nicht finanziell am Rande der Gesellschaft leben zu müssen. Eigentlich will sie nur Gerechtigkeit für sich.
Margrit Herbst ist eine zierliche Frau mit weißem Kurzhaarschnitt. Die 70-Jährige sitzt im Wohnzimmer ihrer kleinen Dachgeschosswohnung in einem Dorf bei Bad Bramstedt. Sie spricht langsam und in kurzen Sätzen, als wolle sie sicher gehen, nichts zu sagen, was sie später bereuen müsste. Viel ist vorgefallen seit 1990, als sie das erste Mal den Verdacht hatte, eines der Rinder, das sie als Veterinärin zum Schlachten freigeben sollte, könnte BSE haben:
"Mir sind Bewegungsstörungen aufgefallen, die an die traberkranken Schafe erinnert haben. Abartige, trabartige Bewegungen."
Während ihrer Zeit auf dem Schlachthof in Bad Bramstedt hat sie 21 verdächtige Tiere gefunden, deren Auffälligkeiten sie genau protokolliert. Noch heute ist sie stolz darauf, dass sie sich damals eigenmächtig Unterlagen besorgt hatte, die in Deutschland nicht ohne Weiteres zu Verfügung standen:
"Zunächst konnten wir alle diese Symptome nicht richtig einordnen. Das Dumme war nur, dass wir damals in Deutschland kaum Unterlagen hatten über diese Erkrankung, denn geforscht wurde nur in England. Die Forschungsergebnisse wurden geheim gehalten. Ich hab dann später auf Umwegen über die Schweiz die sogenannte geheime Diagnoseliste der BSE-kranken Tiere bekommen."
Doch ihre Vorgesetzten wollten von ihrem Verdacht nichts wissen. Gegen ihren Willen wurden die von ihr aussortierten Rinder einfach zur Schlachtung freigegeben. Schließlich sah sie sich gezwungen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Ihre Interviews, die sie dem Magazin "Stern" aber auch Fernsehsendern gab, entsprangen nicht etwa einer Oppositionshaltung, sondern waren eher Ausdruck der Einsicht, sich an Recht und Gesetz halten zu müssen.
"Als Tierärzte sind wir dazu berufen, Menschen vor Gefahren und Schädigungen durch Fleischererzeugnisse zu schützen. Das war eine ganz zentrale Aufgabe."
Sie hatte bis zuletzt gehofft, ihr Vorgehen müsste auch den Verantwortlichen einleuchten. Schließlich verlangte sie nicht mehr, als dass die von ihr als auffällig erkannten Tiere auf BSE untersucht werden. Doch Politik und Fleischindustrie wollten Ruhe an der deutschen BSE-Front und ihre Kollegen schwiegen aus Angst um ihren Arbeitsplatz. Sie wurde abgemahnt und versetzt, schließlich krank. Am 15. Dezember 1994, neun Tage vor Weihnachten, wurde der damals 54-Jährigen nach 16-jährigem Dienst als Fleischhygieneärztin wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen gekündigt:
"Zunächst war es ein Schock, ich hatte ja immerhin noch zwei Kinder in der Ausbildung, für die ich aufkommen musste. Allein mit dem Gehalt. Dass ich vom Kreis Segeberg bekommen habe und ich bin dann natürlich in der Arbeitslosigkeit gefallen und habe nie wieder eine Stelle bekommen."
Margrit Herbst lebte von Arbeitslosengeld und wurde wenig später Frührentnerin. Bis heute schwankt sie zwischen dem Versuch, alles zu vergessen und dem Wunsch, ihr möge Gerechtigkeit widerfahren. Eigentlich habe ich vieles schon weggeschmissen, sagt sie abwehrend, um im nächsten Atemzug den Computer in ihrem Arbeitszimmer anzuwerfen, in dem alle Vorgänge fein säuberlich geordnet und gesichert sind. So lässt sich unter der Rubrik "Fehlzeiten" mit einem Blick ablesen, dass sie im Jahr ihrer Entlassung fast durchgängig nicht mehr zur Arbeit erscheinen konnte.
"Nachdem ich beim Landrat gewesen bin, bin ich ja nur noch schikaniert worden."
Margret Herbst hätte in Deutschland die erste Wissenschaftlerin sein können, die BSE findet. Stattdessen wurde sie das erste deutsche BSE-Opfer. Vieles in ihrer beruflichen Vita hat diese zwei Gesichter: Ein bitteres und ein süßes. Sie hat nach 2000, dem Jahr, in dem in Deutschland erstmals BSE nachgewiesen wurde, diverse Auszeichnungen bekommen, die sie stolz aufzählt: "Weltethikpreis für Zivilcourage", die Ehrennadel "Mutige Löwin" des deutschen Ärztinnenbundes und so weiter. Das Bundesverdienstkreuz aber, die gesellschaftliche Anerkennung, musste sie ablehnen:
"Das sollte ich bekommen unter der Voraussetzung, dass ich auf sämtliche rechtlichen Ansprüche gegen den Kreis Segeberg und gegen das Land Schleswig-Holstein verzichte. Das war natürlich unmöglich, es war praktisch eine Beleidigung. Man hätte mich so gut kennen müssen, dass man diesen Kuhhandel mit mir nicht machen kann."
In diesen Tagen wird groß über zehn Jahre BSE berichtet. In die allgemeine Einschätzung, wonach die Gefahr vorüber sei, stimmt sie nicht ein. Sie selbst wird durch diesen Jahrestag einmal mehr erinnert an ihre Kündigung. Bis heute hält sich es für eine große Ungerechtigkeit, wie mit ihr verfahren wurde:
"Man kommt sich vor wie eine Art Verbrecher und hat sich im Grund genommen nur an die vorgeschriebenen Gesetze und Verordnungen gehalten."
Margrit Herbst lebt von einer mageren Rente. Wenn jemand anruft, ist es ihre Tochter oder ein Journalist. Auf ein anderes Telefonat wartet sie seit 16 Jahren vergebens. Auf eine – auch finanzielle - Rehabilitierung durch den Kreis Segeberg, das Landratsamt und die Politik in Schleswig-Holstein. Sie wünscht sich eine Aufstockung ihrer Rente, um wieder wissenschaftlich arbeiten zu können und nicht finanziell am Rande der Gesellschaft leben zu müssen. Eigentlich will sie nur Gerechtigkeit für sich.