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Wie entsorgt man heute Dünnsäure

Vor 30 Jahren trat Greenpeace zum ersten Mal in Deutschland öffentlich in Erscheinung: Aktivisten protestierten in Schlauchbooten gegen die Verklappung von Dünnsäure in der Nordsee. Inzwischen zählt Greenpeace zu den großen Umweltverbänden in unserem Land.

Von Verena Herb |
    "Sie tragen die Verantwortung, wenn sie die Pumpen öffnen. Wenn sie die Dünnsäure ins Meer schütten. Das ist ihre Verantwortung."

    13. Oktober 1980. Erstmals treten Aktivisten der Umweltschutzorganisation in Deutschland an die Öffentlichkeit. Eine Kampagne gegen Dünnsäure-Verklappung in der Nordsee. Im Visier: Der Chemiekonzern Kronos Titan. Die Verklappung von Dünnsäure in der Nordsee sei damals das dringendste Umweltproblem gewesen - so Gerhard Wallmeyer, Greenpeace-Aktivist der ersten Stunde. Jeden Tag fuhr ein Schiff raus.

    "Mit 1200 Tonnen dieser sogenannten Dünnsäure und in der Nähe von Helgoland wurden dann die Pumpen angestellt. Und es einfach über Bord gepumpt. Und dagegen hatten schon seit Jahren die Fischer protestiert, weil die Fische immer mehr krank wurden. Teilweise hatten die 30, 40 Prozent sogenannter Beifang. Den man nicht verwerten konnte, das heißt das waren Fische, die waren äußerlich sichtbar krank."

    Dünnsäure - ein Abfallprodukt, das bei der Produktion von Titandioxid entsteht. Einem Weißpigment, das im Grunde vollkommen ungefährlich ist, häufig in Zahnpasta und weißer Wandfarbe vorkommt. Doch nicht nur Säure fiel bei der Herstellung an, sondern:

    "Da waren viele andere Substanzen drin. Giftige Substanzen, Kadmium, Schwermetalle, alles Mögliche war da drin. Ein Gemisch …"
    … das von Verklappungsschiffen überall auf der Welt in die Meere gepumpt wurde, so Umweltexperte Wallmeyer. Denn es gab nicht nur Kronos Titan in Deutschland, sondern auch Fabriken in Holland, Finnland oder den USA.

    "Und man sah es eben äußerlich sichtbar. Was dahinten herauskam aus dem Schiff: Das war so eine eklig grünlich anzuschauende Suppe. Und man sah eben die ganzen Fischkrankheiten."

    Dünnsäure verdünne sich ganz schnell - so die Argumentation der Chemiekonzerne für die Verklappung und die Auflagen der Behörden deshalb unglaublich. Die einzige Vorschrift: Das Schiff muss mindestens neun Knoten, denn:

    "Das Rohr endete am Heck des Schiffes. Direkt über der Schiffschraube, und das Schraubenwasser der Schiffsschraube sollte die Säure möglichst schnell im Meer verdünnen. Ein Taucher ist vor ihnen im Wasser. Stoppen Sie die Maschine. Sie gefährden Menschenleben. Stoppen Sie die Maschine. Sie gefährden Menschenleben. Stoppen sie. Schwimmer sind ins Wasser gesprungen vor diesen Dünnsäuretanker und haben dadurch diesen Dünnsäure-Tanker aufgehalten, weil wenn Schwimmer im Wasser sind, muss er die Schiffsschraube abstellen, und dann durfte er nicht mehr pumpen."

    Die Aktionen gehen weiter: Das Presseecho ist groß. Die Öffentlichkeit wird auf das große Problem der Verschmutzung der Meere und das Fischsterben aufmerksam gemacht. Auch die Bundesregierung: Sie stellen Kronos Titan Fördergeld zur Verfügung um ein besonderes Verfahren zu entwickeln, so Wallmeyer.

    "Und die haben dann ein Verfahren entwickelt, um die Dünnsäure zu konzentrieren, auf richtig konzentrierte Säure. Das ist wiederum ein Verkaufsprodukt. Das braucht man in der chemischen Industrie. Und in der Dünnsäure ist das sogenannte Grünsalz enthalten. Grünsalz braucht man wiederum für Kläranlagen."

    Ein Verfahren zur Weiterverwendung von Dünnsäure bedeutete das Ende der Verklappung. Dennoch dauerte es knapp zehn Jahre vom Greenpeace Einsatz bis 1989, bis das letzte Verklappungsschiff aufs Meer fährt.

    Die Aktionen gegen die Dünnsäureentsorgung auf See habe das Bewusstsein vieler geschärft, so Gerhard Wallmeyer. Nicht zuletzt habe das sogenannte Vorsorgeprinzip - also dass Schäden für die Umwelt im Voraus, trotz unvollständiger Wissensbasis, vermieden oder weitestgehend verringert werden sollen - als neues Rechtsprinzip Einzug in die Gesetzgebung gehalten.

    "Das heißt, wir haben das europäische Recht, und später auch das weltweite Recht - weil dieses Prinzip heute weltweit angewendet wird, in allen entwickelten Staaten - ist im Grunde während der Kampagne gegen die Verklappung von Dünnsäure entwickelt worden. Die Idee. Und das ist eigentlich das Entscheidende."

    Gerhard Wallmeyer, der Aktivist der ersten Stunde, ist stolz, was sich in den 30 Jahren entwickelt hat.

    "Ursprünglich war es ja nur eine kleine Bürgerinitiative in Vancouver, dann London, Holland und Hamburg. Und daraus ist eine weltweite professionelle Organisation geworden. Und das ist einfach unglaublich, das alles mitzuerleben. Man freut sich richtig."