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Wie geht es weiter nach der Grundschule?
Die Lehrerempfehlung als soziales Korrektiv

Am Ende der Grundschule stellt sich die Frage: Gymnasium, Real- oder Hauptschule - wie geht es weiter? Bildungsforscher Jörg Dollmann hat festgestellt, dass bildungsnahe Eltern ihre Kinder bei gleichen Leistungen eher aufs Gymnasium schicken als bildungsferne. Lehrer seien da weniger selektiv in ihren Empfehlungen, sagte Dollmann im DLF.

Jörg Dollmann im Gespräch mit Jörg Biesler |
    Schüler der Klasse 7c der Heinrich-Hertz-Stadtteilschule in Hamburg nehmen am 24.03.2014 am Unterricht im Fach Mathematik teil.
    Ist es eine gute Idee den Eltern die Entscheidung zu überlassen, ob ihr Kind auf das Gymnasium, die Real- oder Hauptschule geht? (dpa / Christian Charisius)
    Jörg Biesler: Die Schulempfehlung, wir haben es gerade gehört, gibt's nicht mehr in Baden-Württemberg, und nachdem nun die Zahl der Sitzenbleiber erheblich zugenommen hat, ist ein Streit ausgebrochen darüber, ob das wirklich eine gute Idee war, den Eltern die Entscheidung zu überlassen, auf welche weiterführende Schulform ihr Kind gehen soll. Jörg Dollmann ist Wissenschaftler am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung und hat geforscht zum ersten Bildungsübergang. Guten Tag, Herr Dollmann!
    Jörg Dollmann: Guten Tag, Herr Biesler!
    Biesler: Die Eltern wollten selbst entscheiden und haben das durchgesetzt in Baden-Württemberg, woanders auch - können Sie das überhaupt?
    Dollmann: Also, wir wissen aus einer Vielzahl von Untersuchungen, dass Eltern eben auch relativ sozial selektiv urteilen, wenn es um den ersten Bildungsübergang geht. Sozial selektiv bedeutet, dass gerade Eltern aus höheren sozialen Schichten eben bei gleichen Leistungen sich eher für das Gymnasium entscheiden oder für eine höhere weiterführende Schulart, als dies eben Familien aus niedrigeren sozialen Schichten tun.
    Druck auf Grundschulkinder sollte genommen werden
    Biesler: Und das führt dann unter Umständen dazu, dass die Kinder überfordert sind und die Schulart noch mal wechseln müssen, also sieht man an der Zahl jetzt, 2.700 Kinder auf der Realschule sind sitzen geblieben, worüber sich die Lehrer dann aufregen. Ein Argument dafür war ja, dass der Druck genommen werden soll in der Grundschule von den Kindern, dass die nicht die ganze Zeit schon dran denken, ich muss hier gute Noten haben, ich muss gut mitarbeiten, damit ich aufs Gymnasium oder auf die Realschule komme. Funktioniert das System?
    Dollmann: Ja, dieses Argument, dass der Druck genommen werden soll durch eine unverbindliche Regelung, wird häufig vorgebracht. Allerdings ist eben die Frage - und die Zahlen aus Baden-Württemberg deuten ja jetzt auch drauf hin -, ob nicht eher der Druck einfach verlagert wird in die Sekundarschule. Also wenn dann eben die Frage ist, ob ein Kind, das vielleicht von den Leistungen her nicht ganz so gut geeignet ist für diese Schulform, ob das nicht dann eben die Druck erfährt, auch die Angst vor einer bevorstehenden Klassenwiederholung, dann von Freunden getrennt zu werden. Also die Frage ist, ob wirklich dieser Druck genommen wird in der Grundschule. Das mag sein, aber ob dieser Druck komplett wegfällt oder ob er nicht einfach nur verlagert wird in die Sekundarstufe, das ist meiner Meinung nach eine offene Frage.
    "Die sozialen Ungleichheiten sind eher kleiner, wenn die Lehrer entscheiden"
    Biesler: Die Lehrer sagen ja jetzt, die Eltern können das nicht entscheiden. Sie haben gerade auch Argumente gebracht, dass das zumindest nicht objektiv ist, könnte es ja auch gar nicht sein, wenn die Eltern über ihre Kinder entscheiden. Jetzt gibt's aber auch Studien, die den Lehrern bescheinigen, keineswegs objektiv zu sein und Kinder beim Abschluss der Grundschule gar nicht einschätzen zu können. Sie haben ja geforscht zu sozialen Ungleichheiten bei diesem Übergang. Sind die eher größer oder kleiner, wenn die Lehrer entscheiden?
    Dollmann: Also die Ungleichheiten, die sozialen Ungleichheiten, sind eher kleiner, wenn die Lehrer entscheiden. Sie haben völlig recht, Lehrer entscheiden auch nicht völlig objektiv. Also auch hier haben wieder Kinder aus sozial höheren Familien bei gleichen Leistungen eine größere Chance oder eine höhere Chance, von Lehrern eben eine vorteilhafte Bildungsempfehlung zu bekommen, eher eine Empfehlung für das Gymnasium. Aber man weiß eben, dass die Bildungsentscheidung der Eltern selbst noch deutlich selektiver ist. Also hier kann man sagen, scheint die Lehrerempfehlung ein Korrektiv darzustellen mit Blick auf soziale Ungleichheiten beim Bildungsübergang.
    Was könne gegen sozial Selektion getan werden?
    Biesler: Das heißt, die verbindliche Schulempfehlung, wie es sie vorher auch in Baden-Württemberg gegeben hat, wäre, was die soziale Selektion angeht, die vielleicht bessere Lösung, aber gibt's eigentlich eine Ideallösung, die den Kindern gerecht wird, sie nicht unter Druck setzt und vielleicht sogar noch Eltern und Schulen zufriedenstellt?
    Dollmann: Ja, das ist eine wirklich sehr schwierige Frage, und da befasst sich die Bildungsforschung in Deutschland, aber auch in anderen Ländern schon mehrere Jahre damit. Ja, es ist wirklich schwierig zu beantworten. Oftmals wird vorgebracht, dass eine längere gemeinsame Grundschulzeit vielleicht eine Lösung darstellt, also diesen Übergang etwas nach hinten zu verlagern. Man sieht aus international vergleichenden Studien wie der PISA-Untersuchungen, dass Länder, die relativ früh aufteilen, wie Deutschland, eben größere Leistungsunterschiede zwischen den sozialen Gruppen generieren, während Länder, die längeres gemeinsames Lernen verfolgen, eher geringere Leistungsunterschiede zwischen sozialen Gruppen haben. Aber das ist natürlich auch eben eine relativ ... wäre eine weitreichende Reform, die vielleicht auch nicht so einfach umzusetzen ist. Also die Frage nach einer ideellen Regelung oder idealen Regelung ist, ja, wirklich schwer zu beantworten.
    Biesler: Jörg Dollmann, am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung, forscht zu den Bildungsübergängen und den sozialen Selektionen. Danke schön!
    Dollmann: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.