Christine Heuer: Eigentlich sollte es beim G20-Gipfel in Sankt Petersburg ja um Wirtschafts- und Währungsfragen gehen, aber das Treffen so vieler Staaten mitten in der Syrienkrise hat die Agenda deutlich verschoben. E wird in Russland ab heute Nachmittag vor allem über Krieg und Frieden gesprochen. Am Telefon bin ich jetzt mit Andreas Schockenhoff verbunden, dem CDU-Außenpolitiker und Koordinator für die deutsch-russische Zusammenarbeit. Guten Tag, Herr Schockenhoff!
Andreas Schockenhoff: Guten Tag, Frau Heuer!
Heuer: Der G20-Gipfel bietet die letzte Chance auf eine diplomatische Einigung. Aber mal ehrlich, ist dieser Zug nicht längst abgefahren?
Schockenhoff: Man muss auch die kleinste Chance nutzen. Am nächsten Mittwoch entscheidet der US-Kongress, deswegen gibt es bis dorthin die Chance, und man darf keine Möglichkeit auslassen. Natürlich sind die Chancen gering. Nach dem Gehabe der russischen Führung gestern hat man eher das Gefühl, dass es darum geht, auch die Unfähigkeit, die Schwierigkeit des Westens, hier eine Einigung herbeizuführen, vorzuführen.
Heuer: Putin schließt ja eine Einigung im Sicherheitsrat gar nicht aus, aber er blockiert ihn gleichzeitig. Wie finden Sie das?
Schockenhoff: Ich finde zynisch, dass es gerade Russland verhindert hat, dass sich die UN-Inspektoren zu der Frage äußern, wer für den Einsatz verantwortlich ist. Russland hat erst dann zugestimmt, als es ausschließlich darum ging, die Frage, ob, zu beantworten, aber nicht die Frage, wer. Jetzt eindeutige Beweise zu verlangen, wer es war, ist ein ziemlich zynisches Spiel.
Heuer: Obama sucht jetzt Rückendeckung bei den anderen Staaten, auch in Sankt Petersburg. Kann Putin das denn verhindern?
Schockenhoff: Putin kann auf jeden Fall zeigen, dass ohne Russland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nichts läuft. Er fordert den Westen heraus, um in der Region Einfluss zu gewinnen. Denn wenn Obama oder eine Koalition der Willigen ohne ein Mandat das Chemiewaffenverbot sanktioniert, dann wird das Ansehen Amerikas in der Region noch weiter sinken. Und in dieses Vakuum hofft Russland dann stoßen zu können, um seine Rolle in der Region wieder zu stärken. Es ist ein strategisches Spiel, in dem es erst in zweiter Linie um Syrien geht.
Heuer: Andererseits, Herr Schockenhoff, wirkt Obama ja jetzt auch nicht gerade, als wolle er dringend mit Wladimir Putin verhandeln. Ist das ein Fehler? Müssten die USA sich gesprächsbereiter zeigen?
Schockenhoff: Im Spiel müssen die Vereinten Nationen bleiben. Denn die Vereinten Nationen haben den Einsatz von Giftgas geächtet, deswegen ist das erste Ziel, dass auch die Vereinten Nationen dann hinterher in der Lage sind, dieses Verbot durchzusetzen beziehungsweise auch den Verstoß dagegen zu ahnden. Es ist nicht in erster Linie eine Sache von Amerika und Russland, aber aus der Sicht von Putin ist jetzt wieder Augenhöhe hergestellt. Also wie im Kalten Krieg blickt die Welt auf Moskau und Washington, und damit hat Putin eine Rolle wieder gewonnen, die er nach dem Zerfall der Sowjetunion verloren glaubte für Russland.
Heuer: Ja, aber auf Augenhöhe, Herr Schockenhoff, lässt es sich ja bekanntlich besser verhandeln, als wenn das anders ist. Noch mal die Frage, müsste nicht die US-Seite auch etwas konzilianter auftreten?
Schockenhoff: Aber die USA haben ja gesagt, es geht ihnen nicht um einen Regimewechsel, es geht darum, eine politische Lösung zu ermöglichen. Es geht um zwei Dinge: Es geht einerseits um die Zukunft Syriens, wo wir eine politische Lösung brauchen, aber es geht auch um eine angemessene Reaktion darauf, dass Menschen durch Giftgas im eigenen Land zu Tode kommen. Das kann nicht ohne Antwort bleiben, denn es gibt viele Potentaten in der Welt, die über Massenvernichtungswaffen verfügen. Und wenn die Weltgemeinschaft ein Verbot nicht mehr durchsetzen kann, dann wird es in anderen Teilen der Welt natürlich eine neue Realität schaffen.
Heuer: Womit könnte der Westen denn gegenüber Russland noch punkten?
Schockenhoff: Man muss Russland zeigen, dass es selbst seine scheinbar starke Rolle nicht dauerhaft stärkt. Denn wenn Russland hier nur destruktiv eine Rolle spielt, aber keine konstruktiven Angebote macht, auch nicht dazu beiträgt, dass etwa die Genfer Konferenz mit allen Bürgerkriegsparteien wieder in Gang kommt, dann wird Russland langfristig eben nicht zu einer Stärkung des internationalen Systems beitragen.
Heuer: Kann China da jetzt eine konstruktive Rolle spielen beim Treffen in Sankt Petersburg?
Schockenhoff: China spielt eigentlich keine eigenständige Rolle. Auch die jüngsten Äußerungen mit Hinweis auf den Ölpreis sind eigentlich unangemessen. Man kann Tausende von Toten durch Giftgas nicht politisch aufrechnen gegen die drohende Ölpreissteigerung. Das zeigt, dass China eben strategisch noch nicht die Vereinten Nationen als ihr Hauptaktionsfeld sieht.
Heuer: In Deutschland ist immer mal davon die Rede, die deutsche Bundesregierung hätte nun gute Chancen, zwischen Russland und vielleicht den USA zu vermitteln. Werner Schulz von den Grünen hat heute gesagt, Angela Merkel solle Putin mal wieder ausschimpfen. Bringt das was?
Schockenhoff: Dass es überhaupt in Amerika einen Aufschub gibt, dass der Präsident wartet, bis der Kongress entscheidet, dass Putin in Sankt Petersburg bereit ist, darüber zu sprechen, ist ja einer intensiven Gesprächsdiplomatie zu verdanken, die in erster Linie von der deutschen Bundeskanzlerin, aber auch vom deutschen Außenminister ausging. Also Deutschland hat seine Rolle wirklich offensiv gespielt, um ein kleines Fenster für die Diplomatie zu öffnen. Aber natürlich kann Deutschland weder Russland noch die Vereinigten Staaten zwingen, irgendeine Position einzunehmen.
Heuer: Was haben Merkel und Westerwelle denn da genau gesagt?
Schockenhoff: Sie haben gesagt, dass es um die Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen geht. Denn das Chemiewaffenverbot ist internationales Recht, das seit 90 Jahren gilt – 1925 wurde das Chemiewaffenverbot erlassen. Und dass es auch darum geht, wie wir künftig in einer Welt, in der die Vereinten Nationen 46 scheiternde und gescheiterte Staaten zählen, überhaupt noch Stabilität und Sicherheit durchsetzen können.
Heuer: Deutschland setzt auf eine Einigung im UN-Sicherheitsrat, Herr Schockenhoff, das ist ja sehr anständig, aber es ist doch völlig unrealistisch, und da kommen wir wieder an den Anfang unseres Gespräches zurück.
Schockenhoff: Aber die letzte Chance ist noch nicht vorbei, und deswegen muss man auch die kleinste Chance nutzen. Und dann, da war die Bundeskanzlerin ganz eindeutig, wird Deutschland an der Seite derer stehen, die ein so grausames Vergehen gegen die Menschlichkeit, einen so eklatanten Verstoß gegen die Chemiewaffenkonvention, ächten, dass sie es ahnden. Aber auf der anderen Seite wird Deutschland alles tun, um – zu welchem Zeitpunkt auch immer – die Möglichkeit einer politischen Lösung des Konflikts in Syrien und darüber hinaus der Situation im Nahen Osten nicht endgültig zu verbauen.
Heuer: Aber was heißt das konkret, wenn Deutschland an der Seite derer steht, die in Syrien dann eingreifen?
Schockenhoff: Man kann nicht für jede Lösung eine spekulative Antwort bieten, und es gibt auch Situationen, in der unsere Handlungsmöglichkeiten begrenzt sind. Und genau diese Begrenzung vorzuführen, das ist nun offensichtlich der Ansatz der russischen Diplomatie, das ist eben nicht konstruktiv, sondern es zeigt eben nur die Schwäche des Westens. Der Westen allein kann ohne eine konstruktive Zusammenarbeit in den Vereinten Nationen eben die Probleme des 21. Jahrhunderts nicht lösen. Aber das aufzuzeigen ist für Russland und seine eigenen Ambitionen viel zu wenig.
Heuer: Andreas Schockenhoff, der Koordinator für die deutsch-russische Zusammenarbeit. Er ist CDU-Außenpolitiker. Herr Schockenhoff, vielen Dank!
Schockenhoff: Bitte schön, Frau Heuer!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Andreas Schockenhoff: Guten Tag, Frau Heuer!
Heuer: Der G20-Gipfel bietet die letzte Chance auf eine diplomatische Einigung. Aber mal ehrlich, ist dieser Zug nicht längst abgefahren?
Schockenhoff: Man muss auch die kleinste Chance nutzen. Am nächsten Mittwoch entscheidet der US-Kongress, deswegen gibt es bis dorthin die Chance, und man darf keine Möglichkeit auslassen. Natürlich sind die Chancen gering. Nach dem Gehabe der russischen Führung gestern hat man eher das Gefühl, dass es darum geht, auch die Unfähigkeit, die Schwierigkeit des Westens, hier eine Einigung herbeizuführen, vorzuführen.
Heuer: Putin schließt ja eine Einigung im Sicherheitsrat gar nicht aus, aber er blockiert ihn gleichzeitig. Wie finden Sie das?
Schockenhoff: Ich finde zynisch, dass es gerade Russland verhindert hat, dass sich die UN-Inspektoren zu der Frage äußern, wer für den Einsatz verantwortlich ist. Russland hat erst dann zugestimmt, als es ausschließlich darum ging, die Frage, ob, zu beantworten, aber nicht die Frage, wer. Jetzt eindeutige Beweise zu verlangen, wer es war, ist ein ziemlich zynisches Spiel.
Heuer: Obama sucht jetzt Rückendeckung bei den anderen Staaten, auch in Sankt Petersburg. Kann Putin das denn verhindern?
Schockenhoff: Putin kann auf jeden Fall zeigen, dass ohne Russland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nichts läuft. Er fordert den Westen heraus, um in der Region Einfluss zu gewinnen. Denn wenn Obama oder eine Koalition der Willigen ohne ein Mandat das Chemiewaffenverbot sanktioniert, dann wird das Ansehen Amerikas in der Region noch weiter sinken. Und in dieses Vakuum hofft Russland dann stoßen zu können, um seine Rolle in der Region wieder zu stärken. Es ist ein strategisches Spiel, in dem es erst in zweiter Linie um Syrien geht.
Heuer: Andererseits, Herr Schockenhoff, wirkt Obama ja jetzt auch nicht gerade, als wolle er dringend mit Wladimir Putin verhandeln. Ist das ein Fehler? Müssten die USA sich gesprächsbereiter zeigen?
Schockenhoff: Im Spiel müssen die Vereinten Nationen bleiben. Denn die Vereinten Nationen haben den Einsatz von Giftgas geächtet, deswegen ist das erste Ziel, dass auch die Vereinten Nationen dann hinterher in der Lage sind, dieses Verbot durchzusetzen beziehungsweise auch den Verstoß dagegen zu ahnden. Es ist nicht in erster Linie eine Sache von Amerika und Russland, aber aus der Sicht von Putin ist jetzt wieder Augenhöhe hergestellt. Also wie im Kalten Krieg blickt die Welt auf Moskau und Washington, und damit hat Putin eine Rolle wieder gewonnen, die er nach dem Zerfall der Sowjetunion verloren glaubte für Russland.
Heuer: Ja, aber auf Augenhöhe, Herr Schockenhoff, lässt es sich ja bekanntlich besser verhandeln, als wenn das anders ist. Noch mal die Frage, müsste nicht die US-Seite auch etwas konzilianter auftreten?
Schockenhoff: Aber die USA haben ja gesagt, es geht ihnen nicht um einen Regimewechsel, es geht darum, eine politische Lösung zu ermöglichen. Es geht um zwei Dinge: Es geht einerseits um die Zukunft Syriens, wo wir eine politische Lösung brauchen, aber es geht auch um eine angemessene Reaktion darauf, dass Menschen durch Giftgas im eigenen Land zu Tode kommen. Das kann nicht ohne Antwort bleiben, denn es gibt viele Potentaten in der Welt, die über Massenvernichtungswaffen verfügen. Und wenn die Weltgemeinschaft ein Verbot nicht mehr durchsetzen kann, dann wird es in anderen Teilen der Welt natürlich eine neue Realität schaffen.
Heuer: Womit könnte der Westen denn gegenüber Russland noch punkten?
Schockenhoff: Man muss Russland zeigen, dass es selbst seine scheinbar starke Rolle nicht dauerhaft stärkt. Denn wenn Russland hier nur destruktiv eine Rolle spielt, aber keine konstruktiven Angebote macht, auch nicht dazu beiträgt, dass etwa die Genfer Konferenz mit allen Bürgerkriegsparteien wieder in Gang kommt, dann wird Russland langfristig eben nicht zu einer Stärkung des internationalen Systems beitragen.
Heuer: Kann China da jetzt eine konstruktive Rolle spielen beim Treffen in Sankt Petersburg?
Schockenhoff: China spielt eigentlich keine eigenständige Rolle. Auch die jüngsten Äußerungen mit Hinweis auf den Ölpreis sind eigentlich unangemessen. Man kann Tausende von Toten durch Giftgas nicht politisch aufrechnen gegen die drohende Ölpreissteigerung. Das zeigt, dass China eben strategisch noch nicht die Vereinten Nationen als ihr Hauptaktionsfeld sieht.
Heuer: In Deutschland ist immer mal davon die Rede, die deutsche Bundesregierung hätte nun gute Chancen, zwischen Russland und vielleicht den USA zu vermitteln. Werner Schulz von den Grünen hat heute gesagt, Angela Merkel solle Putin mal wieder ausschimpfen. Bringt das was?
Schockenhoff: Dass es überhaupt in Amerika einen Aufschub gibt, dass der Präsident wartet, bis der Kongress entscheidet, dass Putin in Sankt Petersburg bereit ist, darüber zu sprechen, ist ja einer intensiven Gesprächsdiplomatie zu verdanken, die in erster Linie von der deutschen Bundeskanzlerin, aber auch vom deutschen Außenminister ausging. Also Deutschland hat seine Rolle wirklich offensiv gespielt, um ein kleines Fenster für die Diplomatie zu öffnen. Aber natürlich kann Deutschland weder Russland noch die Vereinigten Staaten zwingen, irgendeine Position einzunehmen.
Heuer: Was haben Merkel und Westerwelle denn da genau gesagt?
Schockenhoff: Sie haben gesagt, dass es um die Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen geht. Denn das Chemiewaffenverbot ist internationales Recht, das seit 90 Jahren gilt – 1925 wurde das Chemiewaffenverbot erlassen. Und dass es auch darum geht, wie wir künftig in einer Welt, in der die Vereinten Nationen 46 scheiternde und gescheiterte Staaten zählen, überhaupt noch Stabilität und Sicherheit durchsetzen können.
Heuer: Deutschland setzt auf eine Einigung im UN-Sicherheitsrat, Herr Schockenhoff, das ist ja sehr anständig, aber es ist doch völlig unrealistisch, und da kommen wir wieder an den Anfang unseres Gespräches zurück.
Schockenhoff: Aber die letzte Chance ist noch nicht vorbei, und deswegen muss man auch die kleinste Chance nutzen. Und dann, da war die Bundeskanzlerin ganz eindeutig, wird Deutschland an der Seite derer stehen, die ein so grausames Vergehen gegen die Menschlichkeit, einen so eklatanten Verstoß gegen die Chemiewaffenkonvention, ächten, dass sie es ahnden. Aber auf der anderen Seite wird Deutschland alles tun, um – zu welchem Zeitpunkt auch immer – die Möglichkeit einer politischen Lösung des Konflikts in Syrien und darüber hinaus der Situation im Nahen Osten nicht endgültig zu verbauen.
Heuer: Aber was heißt das konkret, wenn Deutschland an der Seite derer steht, die in Syrien dann eingreifen?
Schockenhoff: Man kann nicht für jede Lösung eine spekulative Antwort bieten, und es gibt auch Situationen, in der unsere Handlungsmöglichkeiten begrenzt sind. Und genau diese Begrenzung vorzuführen, das ist nun offensichtlich der Ansatz der russischen Diplomatie, das ist eben nicht konstruktiv, sondern es zeigt eben nur die Schwäche des Westens. Der Westen allein kann ohne eine konstruktive Zusammenarbeit in den Vereinten Nationen eben die Probleme des 21. Jahrhunderts nicht lösen. Aber das aufzuzeigen ist für Russland und seine eigenen Ambitionen viel zu wenig.
Heuer: Andreas Schockenhoff, der Koordinator für die deutsch-russische Zusammenarbeit. Er ist CDU-Außenpolitiker. Herr Schockenhoff, vielen Dank!
Schockenhoff: Bitte schön, Frau Heuer!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.