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"Wie im Westen, nur anders"

Jenseits vom "Sandmännchen" und dem "Schwarzen Kanal" beschreibt ein neu erschienenes Sachbuch die Medien in der DDR - von der Spielkonsole bis hin zur illegal kopierten Kulturzeitschrift. Dabei beleuchte "Wie im Westen, nur anders" vor allem die Mediennutzung, die so weit weg von westdeutschen und europäischen Medienentwicklungen gar nicht lag.

Von Bettina Mittelstraß |
    "Man konnte in der DDR sagen: Ich scheiß auf euer System, DDR ist furchtbar und ich hasse Erich Honecker. Da musste man aber möglichst schnell einen schrecklichen Unfall sterben. Also am besten noch in der gleichen Szene, damit das dann über die Leinwand gehen konnte."

    Was in den Medien der DDR gesagt und getan werden konnte, folgte keiner einfachen Logik. Es gab die klassische Zensur, aber es gab auch Vielfalt und Nischen, sagt Stefan Zahlmann, Kulturhistoriker an der Universität Konstanz.

    "Je nachdem wie das innenpolitische Klima aufgrund der außenpolitischen Einbindung gerade war. Mal gab es Eiszeit im Spielfilm, mal gab es Tauwetterperioden."

    Dann war viel mehr möglich in den Medien, als man von Außen betrachtet einer Diktatur zutrauen würde. Lesen, sehen, inszenieren, hören, spielen - 16 Millionen Menschen in der DDR nutzten täglich die vorhandenen Medien: Tageszeitungen, Bücher, Film und Fernsehen, Radio und sogar, wenn auch seltener, Video- und Automatenspiele.

    Ihre Biografien sind nach dem Fall der Mauer nicht abgerissen. Die mediale Sozialisation in der DDR, die Konsum- und Sehgewohnheiten der Ostdeutschen, sind seit 20 Jahren Teil der gesamtdeutschen Mediengesellschaft. Ein guter Grund sich wissenschaftlich damit zu beschäftigen, wie die Menschen unter den Bedingungen einer Diktatur Medien genutzt haben. "Wie im Westen, nur anders" - das verrät der Titel eines neuen, umfangreichen Buch, das Stefan Zahlmann gerade herausgegeben hat.

    "Wir wollten nicht so eine Mottenkiste der normalen DDR-Medienkultur, in dem beitragweise abgearbeitet wird der 'Kessel Buntes', der 'Polizeiruf', der 'Schwarze Kanal', so wie klassische DDR-Mediengeschichte in der Regel immer funktioniert. Also so eine Anatomie - noch einmal den Medienbaum der DDR nachzeichnen. Sondern wir wollten einfach aufzeigen, dass allgemeine Prinzipien in der Medienproduktion und Rezeption auch in der DDR wirksam waren, die sich einfach eingliedert in eine normale mediale Kultur des späten 20. Jahrhunderts."

    Den Ethnologen, Kultur- oder Kommunikationswissenschaftlern, die ihre Untersuchungen in dem neuen Buch präsentieren, geht es vor allem um die Menschen als Nutzer von Medien und nicht allein um die Medien selbst und ihre Entwicklungsgeschichte. Auch in der DDR waren Mediennutzer Konsumenten. Und weder Zeitungen noch Filme oder Fernsehformate kamen umhin, das Verhalten der Leser, Zuschauer, oder Hörer zu berücksichtigen. Man wollte sie medial erreichen, wie überall, wo Medien im Einsatz sind. Die Ferienwelle im Radio oder die Unterhaltungsshow im Fernsehen gab es in der DDR, weil sie eingeschaltet wurden.

    "So gab es immer auch das Format, und das ist auch der Anspruch des Fernsehens gewesen, die eben Ratgeberformate sein sollten. Also natürlich muss man den Menschen auch irgendwie was erzählen, wie sie im praktischen Leben ihre Aufgaben und ihre Probleme meistern können oder sollen. Das waren diese Ratgeberformate, ob es Garten war, "Du und dein Garten" oder "Du und dein Haustier" oder "Sie und er und tausend Fragen", ein Magazin zu Elternproblematik, Sexualität und so weiter, Beziehungsproblematik, also durchaus auch Formate, die sehr fortschrittlich in der Thematik zumindest waren."

    Das DDR-Fernsehen ist ohne die Präsenz westlicher Fernsehproduktionen im Äther nicht denkbar. Seit 1952, als das erste DDR-Programm vier Tage vor der ARD auf Sendung ging, spielte der Wettbewerb der deutsch-deutschen Fernsehsender eine erhebliche Rolle in der DDR, sagt der Medienwissenschaftler Uwe Breitenborn von der Hochschule Magdeburg.

    "Dieser Faktor dieser Konkurrenz, diese unmittelbare Konkurrenz hatte eine große Auswirkung einerseits auf Programmgestaltung und natürlich auf das Rezipientenverhalten. Die Zuschauer konnten wegschalten. Und wenn sie dort nicht abgeholt wurden, wo sie waren, haben sie das getan. Das ist eine Logik, die ist sehr schwierig für so ein System."

    Denn nicht die Bürger und ihr Konsumverhalten sollten in der DDR das Programm bestimmen, sondern umgekehrt. Das Programm in der sozialistischen Gesellschaft sollte die Menschen zu lenken.

    "Ein Straßenfeger: 'Das unsichtbare Visier' aus den 70er-Jahren. Eine Spionage Reihe, in der Armin Müller-Stahl einen MfS-Offizier spielt, der also im Einsatz ist im Westen und da die faschistisch unterwanderte Bundesrepublik ausspäht und aufklärt im Grunde genommen. Das waren auch erfolgreiche Serien, Mehrteiler, die aber auch erfolgreich deswegen waren, weil sie gewisse Anleihen hatten bei den James-Bond-Filmen. Armin Müller-Stahl war einfach ein smarter junger Mann, der da abenteuerliche Einsätze hatte. Sicherlich nicht ganz so spektakulär wie der 'Spion ihrer Majestät', aber doch durchaus sehenswert."

    "Die Art und Weise, wie die Geschichten erzählt werden, auch selbst wenn sie sozusagen linientreu erzählt werden und dann gesendet werden, führen ja immer noch dazu, dass die Leute sich ein eigenes Bild machen","

    ... sagt Markus Merkel, Doktorand am Institut für Europäische Ethnologie und Inhaber des Panama Verlags. So bleibt es sehr fraglich, ob die Zuschauer sich mit der Stasi identifiziert haben, weil Armin Müller-Stahl den Agenten spielte. Ein anderes Beispiel zeigt eher das Gegenteil:

    ""Der Klassiker war im Prinzip, dass sich die Punks den 'Schwarzen Kanal' zusammen angeschaut haben als ein großes Event, um gemeinsam abzufeiern. Also das ist eine Frage des Angebots und: Wie nutze ich dieses Angebot für mich selbst? Und dann passiert etwas ganz anderes."

    "Vielen DDR Bürgern ging es darum, auch eigenständig die Medien zu lesen. Und jedes mediale Element, seien es Sätze, Worte, Bilder, Töne, beinhalten auch das Potenzial der freien Zuschreibbarkeit von Bedeutung durch die Nutzer an dieses Moment. Und das wird medientheoretisch gar nicht immer erfasst."

    Zeitungsleser in der DDR waren besonders darauf angewiesen, ihre eigene Lesart zu finden, um hinter die schön gefärbte politische Berichterstattung zu schauen. Denn anders als bei Funkmedien ließ die Mauer so gut wie keine Printmedien durch. Michael Meyen, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, hat am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung die Nutzung von Medien in der DDR intensiv untersucht. Sein Artikel zusammen mit der Kommunikationswissenschaftlerin Anke Fiedler widmet sich den Tageszeitungen in der DDR und der Frage, wie unter Zensur und Kontrolle doch so etwas wie eine kommunikative Öffentlichkeit möglich sein konnte.

    "Wie im Westen gibt es in der DDR politische Public Relations. Die Regierung, Parteien versuchen, ihre Version von bestimmten Ereignissen in die Öffentlichkeit zu bringen. Was es in der DDR nicht gab, was dann anders war, ist, dass es nicht mehrere Versionen gab und vor allem, dass es keine relativ unabhängigen Journalisten gibt, die diese Version einordnen, bewerten, vielleicht auch aussondern, sodass der DDR Bürger letztlich diese Arbeit übernehmen musste, die ein unabhängiges Mediensystem leisten kann."

    Was dann auch geschah. DDR Bürger lasen viel. Drei Tageszeitungen im Abonnement waren keine Seltenheit, sagt Meyen. Außerdem lasen sie genau. Wie sie letztlich die Artikel zum Beispiel in der SED-Zeitung "Neues Deutschland" gelesen haben, hing davon ab, wie der Einzelne zur DDR stand, sagt Michael Meyen.

    "Wir haben im Archiv Zeitungsexemplare gefunden, die mit verschiedenen Buntstiftfarben angemalt sind, wo Leute also sehr intensiv die doch scheinbar sehr langweiligen Reden aus dem Politbüro oder dem ZK gelesen haben. Das sind Menschen, die das, was dort gesagt worden ist, gebraucht haben für ihre tägliche Arbeit, Funktionäre zum Beispiel, Lehrer zum Beispiel."

    Andere überblättern die ersten drei Seiten und lesen Todesanzeigen und Wetterbericht.

    "Und es gibt auch DDR-Gegner, die sehr intensiv in den Zeitungen danach schauen, wie die jeweilige Lesart der Führung ist, um daraus auf die Lage in der DDR schließen zu können."

    "Im Dezember 81, wenn ich mich richtig erinnere, erschien ja im 'Neuen Deutschland' eben auf dieser Kommentarseite, wo man wusste, das ist das, was jetzt zählt, der Artikel eines KFZ-Schlossermeisters aus Gera - Hubert Vater. Und der kritisierte die DEFA und das DDR-Fernsehen, weil es an allem nur herummäkle und das Gigantische der sozialistischen Veränderung nicht darstellen würde. Und da wussten wir natürlich. Dieser Brief hat damals einen unglaublichen Einschnitt gemacht."

    Erika Richter arbeitete zu der Zeit als Dramaturgin im DEFA-Spielfilm-Studio. Sie gehörte zu den kritischen, kreativen Köpfen. Arbeite eng mit bekannten Regisseuren wie Rainer Simon oder Heiner Carow zusammen. 2003 wurde sie für ihr Lebenswerk mit der Berlinale-Kamera ausgezeichnet. Der Zeitungsartikel hat das Ende einer Tauwetterperiode angekündigt, die für die Filmschaffenden sofort spürbar war.

    "Die Premiere von Jadup und Boel von Rainer Simon, ein sehr bemerkenswerter Film, sehr zeitkritisch auch, ist daraufhin abgesetzt worden und später ist der Film verboten worden. Also diese Lektüre wurde sehr genau gelesen. Die schwachsinnigsten Sachen wurden sehr genau gelesen."

    "Medientheoretiker gehen davon aus, man schlägt eine Zeitung auf, liest eine Aussage, glaubt sie oder glaubt sie nicht und schlägt sie wieder zu. Jede dieser Aussagen steht aber in einer Rezeption, die jeden Morgen erfolgt. Jeden Morgen schlägt man die Zeitung auf und man vergleicht auch diese Nachrichtenkarrieren mit seiner bisherigen Nutzung. Alles das sind theoretische Momente, die von mir als Kulturhistoriker anders wahrgenommen werden als von klassischen Medienwissenschaftlern."

    ... so Stefan Zahlmann. Während in der Medienwissenschaft das Medium im Mittelpunkt steht - der DEFA-Film etwa und seine Entwicklung oder das DDR-Radio, seine Reichweite und sein Programm - fragt Stefan Zahlmann in seinen Untersuchungen zum Beispiel auch nach den Erinnerungen der Mediennutzer, nach ihren Wahrnehmungen oder ihren dem praktischen Umgang mit Medien. Der unterschiedliche Umgang von Regisseuren mit dem Medium Film etwa erklärt, warum dort sehr viel mehr Regimekritik möglich war, als vermutet.

    "Es gab die subversiven Kräfte, die sich bemüht haben, etwas ganz anderes darzustellen und es gab wirklich die Künstler - also ich möchte nur Heiner Carow nennen, der in diesem Band ja mit seinem nicht verwirklichten Film 'Paule Panke' vorgestellt wird, aber es gab auch Egon Günther -, die auf höchst intelligente Art und Weise ein Spiel mit den Spielregeln unternommen haben. Sie haben alles das, was sie gezeigt haben, dadurch zeigen können, dass sie die etablierten Regeln der Darstellung von Inhalten, auch die etablierten Regeln der Repräsentation anderer filmischer Bestandteile, so neu kombiniert haben, dass etwas ganz Eigenständiges doch subversiv Lesbares herauskam. Das verlangte einfach einen großen persönlichen Mut, Intelligenz, aber auch ein Maß an Kreativität, das nicht bei jedem da war."

    "Und das ist auch die zentrale Idee dieses Bandes, zu zeigen: Also es gibt unterschiedliche Varianten von medialen Angeboten, die dann ganz unterschiedlich genutzt werden und einfach dieses Bild aufbrechen wollen von einer durchherrschten Gesellschaft. Na klar, gab es das. Wenn dann Heiner Carow seinen Film nicht machen darf von der Rockoper 'Paule Panke', dann, ganz klar, da wird durchherrscht. Da wird ganz klar gesagt: So etwas machen wir nicht, das entspricht nicht unserem Bild. Nichtsdestotrotz ist die Oper ja gespielt worden. Das ist ja das Absurde. Also während sozusagen der Film nicht gemacht werden darf, wird parallel, in ganz anderen Nischen mit anderen Entscheidungsträgern, wird die Oper aufgeführt und war ein großer Erfolg im Berliner Raum. Also diese Ambivalenzen sind das Starke dieses Buchs auch wieder."

    Das Rockspektakel"Paule Panke" der Gruppe Pankow wurde 1982 live uraufgeführt. Im Mittelpunkt steht ein aufmüpfiger junger Mann. Eine Aufnahme auf einem Tonträger hat es deshalb vor 1990 wiederum nicht gegeben. Erika Richter:

    "Ich glaube, in der Rockszene spielt die ganze Gestik, der Habitus, der Rocksänger oder der Musiker auch eine ganz wichtige Rolle. Da muss nicht alles ausgesprochen werden. Der Gestus war aufmüpfig, ja."

    Die Geschichte interessiert den Regisseur Heiner Carow, der inzwischen gesamtdeutsch durch seinen Erfolgsfilm "Die Legende von Paul und Paula" bekannt ist. Erika Richter erinnert sich an die Arbeit am Drehbuch mit Carow und ihrem Mann Rolf Richter, einem Szenarium über einen positiven Helden, einen junger Schlosser - ein Arbeiterkind jedoch, dessen Charakter kaum in die offiziellen Vorstellungen der Parteiführung passte.

    "Dieser Paule Panke ist so ein unschuldiger und ungeduldiger Mensch. Der will eben das, was er für richtig hält, absolut jetzt durchsetzen."

    Für eine alte Frau, die er mag und die ihm immer die Wäsche wäscht, will er das blaue Glas zurückholen, aus dem sie bei der ersten Begegnung mit ihrem Mann einst getrunken hat. So die Geschichte. Das führt ihn vor verschlossene Türen und Probleme.

    "Und jetzt akzeptiert er das einfach nicht, den normalen Weg zu gehen, durch die Instanzen. Den will er nicht gehen. Aber die Alte ist ja auch kurz davor zu sterben. Also er hat auch keine Zeit. Also es ist vollkommen normal, so wie er sich verhält. Aber die meisten Leute würden eigentlich aufgeben. Würden sagen, was soll es, dann trinken wir eben aus einem anderen Glas. Aber er, er hat es aufgebrochen, er ist zu seinem Vater gegangen, der Staatssekretär war, und hat gesagt: Du musst hier helfen! Und der Vater sagt, ich versteh nicht, was in deinem Kopf vorgeht. Geh zu den Genossen, die werden dir schon die Tür öffnen. Der hat die Instanzen und die Autoritäten nicht akzeptiert. Er wollte den direkten Weg zur Gerechtigkeit. Und das war natürlich in einem wohlorganisierten sozialistischen Gemeinwesen gar nicht geliebt."

    "Paule Panke" war wohl auch der Versuch, auszuloten, ob die jüngste "Eiszeit" beendet war. Aber die Darstellung eines offenen Generationenkonflikts war zu viel. Die Vater-Sohn-Szene sollte umgeschrieben werden. Das haben Carow und Richter verweigert. Dieser kritische Film wurde zwar nie gedreht, aber sehr wohl zu Papier gebracht, während das Rockspektakel der Gruppe Pankow, wenn auch nur life, tatsächlich aufgeführt werden durfte.

    Nichts folgt einfachen Gesetzen von Entweder-oder. "Wie im Westen, nur anders", das Buch über die Medien in der DDR, erschienen im Panama Verlag, zeigt noch viel mehr Facetten vorhandener Medien und ihrer Nutzung in der DDR. Wie wurde Puppentrick in der Werbung verwendet? Was für eine Rolle spielten Computer und Spielekonsolen? Und nicht zuletzt: Welche Funktion übernahm belletristische Literatur in der DDR?

    "Uns war es wichtig, noch einen weiteren Bereich aufzunehmen, nämlich den der geheimen Literatur, etwa der von Thomas Rusch am Kopierer vervielfältigten Literaturzeitschrift 'Mikado'. Und das ist einer der besonders wichtigen Aspekte, dass eben Literatur, obwohl sie schon als alternatives Medium aufgefasst wurde, trotzdem sich noch mal differenziert in einen auch illegalen Literaturbetrieb."