Wolfgang Amadeus Mozart: aus: Die Zauberflöte
Akademie für Alte Musik Berlin, René Jacobs
Harmonia mundi France 902068.70
Akademie für Alte Musik Berlin, René Jacobs
Harmonia mundi France 902068.70
"Menschen, die gemeinsam Musik machen, können keine Feinde sein. Zumindest nicht, solange die Musik andauert." Paul Hindemith, Komponist.
Aber wie sieht‘s davor aus? Und danach? Immerhin sind Musikerinnen und Musiker auch nur Menschen, die all ihre Wünsche, Vorstellungen, Probleme und Sehnsüchte an den Arbeitsplatz mitbringen. Das Konfliktpotenzial ist immer dabei. Und man hat so seine Vorurteile und denkt sich: na, Künstler/innen sind doch Meister im Gestalten von Emotionen, sind sie da nicht zwangsläufig besonders emotional?
"Ja da ist absolut was dran. Es sind Menschen, die sehr dünnhäutig sind."
Barbara Tacchini, Musiktheaterregisseurin.
"Dünnhäutig, feinfühlig, jetzt mal positiv formuliert. Weil man eben beobachtet und total interessiert daran ist, was eigentlich zwischen Menschen passiert. Man spürt ganz viel, es gibt ja ganz viel, was zwischen den Zeilen gesprochen wird, damit arbeitet ein Autor, damit arbeitet ein Komponist. Und jetzt kann ich das natürlich nicht einfach abstellen, wenn ich ins Leben rausgehe."
Impulsiv die einen – dann fetzt es. Nachtragend die anderen – dann gärt es. Schlechte Stimmung, verhärtete Fronten, Eskalation und Frust. Bis so etwas passiert:
Wolfgang Amadeus Mozart: 'Der Hölle Rache' aus "Die Zauberflöte"
Compagnia d’Opera Italiana; Antonello Gotta
Bella Musica BM 31.2238
Compagnia d’Opera Italiana; Antonello Gotta
Bella Musica BM 31.2238
Mozarts Rachearie mal anders, weil der Königin der Nacht vor Ärger die Stimme weggeblieben ist. Beste Voraussetzungen also, um das Themaetwas genauer anzuschauen:
"Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen?" Wie klassische Musiker mit Konflikten umgehen. Eine Musikszene von Florian Hauser.
"Ich mag Streiten überhaupt nicht."
Chouchane Siranossian, Geigerin.
"Überhaupt nicht. Ich finde auch, um Musik zu machen ist es wichtig, eine gute Stimmung zu haben. Natürlich, wenn es Meinungen gibt, die irgendwie anders sind, kann man darüber reden. Aber normalerweise wenn zwei Leute zusammenarbeiten, es heißt auch, dass sie auf der gleichen Schiene sind. Und es ist ziemlich selten, dass ich mit Leuten arbeite, die total einer anderen Meinung sind oder etwas anderes wollen. Dann arbeiten sie halt mit jemand anders."
Giuseppe Tartini, Sonate g-moll / 3. Satz (Allegroteil)
Chouchane Siranossian, Violine, Jos van Immerseel, Cembalo
ALPHA 255
Chouchane Siranossian, Violine, Jos van Immerseel, Cembalo
ALPHA 255
"In großen Orchestern habe ich erlebt, dass Leute überhaupt nicht miteinander reden. Ich werde keine Namen nennen, aber es gibt ein Orchester, wo die beiden Klarinettisten nicht miteinander reden, seit 15 Jahren. Ich glaube, jedes Orchester braucht Psychologen regelmäßig. Man arbeitet ja auch die ganze Zeit auf einer emotionellen Ebene, und die ganze Zeit mit Leuten zu arbeiten, die man eigentlich nicht ausgewählt hat. Man muss damit umgehen und manchmal es kann gewisse Reibungen geben."
Die Geigerin Chouchane Siranossian. Unter Künstlerinnen und Künstlern gibt es alle Arten möglicher Konflikte – wie an jedem anderen Arbeitsplatz. Doch ihr Zustand ist ein besonderer, sagt der Dirigent Jonathan Stockhammer.
"Man muss davon ausgehen, dass eine gesunde Spannung immer da ist unter Musikern. Was keine negative Sache ist. Wenn wir alle nicht eigene Standpunkte hätten über Phrasierung und Dynamik, dann wären wir alle wohl keine Musiker. Diese Spannung ist gesund und dass man sich hier leidenschaftlich fühlt, ist ziemlich wichtig und die Hauptsache ist, dass man bereit ist, das objektiv zu sehen und dass man nicht bitter darüber wird."
…wenn verschiedene Meinungen aufeinanderprallen und dann die eine oder andere leidenschaftlich vertretene Überzeugung im Diskurs, im Ringen des Musikerkollektivs um eine einheitliche und stringente Interpretation untergeht. Wenn die eigene ästhetische Überzeugung keinen Anklang findet, wenn sich kein Kompromiss herausschält und nicht – wie hier – die gemeinsame Leistung beflügelt. Das sind die Geigerin Chouchane Siranossian und der Cembalist Jos van Immerseel.
Musikerinnen und Musiker – eine gefährdete Spezies. Was ein wenig in der Natur der Sache liegt, denn – Pablo Picasso hat das gesagt – als Kind ist ja jeder ein Künstler (Pablo Picasso hat das schon gesagt). Und in den meisten Künstlern steckt noch immer ein bisschen Kind. Das ist notwendig, aber risikoreich, meint Regisseurin Barbara Tacchini.
"Dass ja ein Künstler auch angehalten ist, ein Stück weit vielleicht auch von der Gesellschaft, dass ich ein Stück weit Kind bleibe. Wer dieses Kind in sich auf besondere Weise bewahren konnte, wundert sich auch immer wieder – ist ja auch sowas: Kinder wundern sich erst mal. Und deswegen kommen auch manchmal solche Verhaltensweisen an den Tag, von denen man vielleicht sagen würde, das ist unprofessionell. Also einfach direkt und emotional."
Die besondere Emotionalität betrifft nicht nur die ausführenden Musiker. Auch leitende Positionen haben im künstlerischen Bereich oft schwer mit sich zu kämpfen. Ein typischer Konfliktherd seien Auseinandersetzungen zwischen Regie und musikalischer Leitung, so die Regisseurin Barbara Tacchini.
"Da ist ein Regisseur, der will möglichst viel Action, Bewegung, direkte Emotion auf der Bühne, und dann ist da ein Dirigent, der will Genauigkeit der musikalischen Wiedergabe, eine bestimmte Interpretation, wie er sie hört. Und in den eher selteneren Fällen kriegt man das einfach mal so auf einen gemeinsamen Nenner."
Das moderne Regietheater birgt auch für die Sängerinnen und Sänger größere Schwierigkeiten.
"Wenn ich szenisch agiere und bin wirklich in dieser Emotion der Figur – auch wenn ich vorher meine Partie sehr gut gelernt habe, mach ich Fehler. Passiert. Weil ich bin mitten in der Emotion. So, jetzt gehe ich wieder ins Probenzimmer, übe wieder, sehe, wo hab ich Fehler gemacht, bin da ganz genau, dann geh ich wieder auf die Bühne. Das geht eine ganze Weile hin und her, bis ein Sänger, und das ist ja die große Kunst, das aufeinander kriegt: die Emotion, das Timing, die Psychologie der Figur und das was komponiert ist"
Früher, bevor es das Regietheater gab, hat sich der Sänger vorn an die Rampe positioniert und eine kunstvoll einstudierte Arie abgeliefert. Park and bark nannte man das. Parken und bellen.
Gaetano Donizetti, La Fille du Régiment, "Ah! Mes amis…"
Luciano Pavarotti, Tenor, Orchester
Decca 458 203-2
Luciano Pavarotti, Tenor, Orchester
Decca 458 203-2
"Ja genau, und das hatte auch Sinn, weil ich eine ganz kunstvolle Musik präsentiere, und die Musik ist das Theater. Das ist heute meistens nicht angesagt, sondern man sucht: Was tut diese Figur, was sind ihre Aktionen, gehen die vielleicht auch gegen den Duktus der Musik – was eben Störungen zur Folge hat. Und da entsteht natürlich ein Konflikt. Und der ist nur dann zu beheben, zu lösen, zu gestalten, wenn man sich über das Ziel einig ist. Das gemeinsame Ziel zwischen Dirigent und Regie: Musiktheater zu machen. Nicht Konzert."
Es gibt Dirigenten, die wirklich Musiktheater machen wollen, aber es gibt auch solche, denen die Regie ein Dorn im Auge ist. Da stecke viel Angst dahinter, sagt Barbara Tacchini, vor allem bei jungen Dirigenten.
"Da geht’s nicht nur drum, dass jemand sagt, mich interessiert doch dieses Theater auf der Bühne nicht. Sondern da sind junge Künstler, die spüren total den Druck: wenn ich das nicht hinkrieg, dass die Sänger da perfekt singen und wenn ich mich nicht durchsetze gegen den Regisseur, dann krieg ich da keinen Job mehr. Da hab ich sehr stark so ne Schieflage festgestellt. Auch bei jungen Sängern, die natürlich gerne völlig theatralisch agieren und ganz viel ausprobieren würden, dann aber wissen: wenn mir da dieser Ton entgleitet… Und solang sie ausprobieren und man Lösungen findet und die Dirigenten mittun oder auch ein Gesangslehrer mal sagt: ah da wäre die Szene, da hätte ich eine Idee, weil ich verstehe, was der Regisseur machen will, wenn man es also so oder so machen würde… Wenn man da also gemeinsame Sache macht, klappt das super. Wenn aber Gesangslehrer dagegen arbeiten und ihre jungen Sänger briefen: du musst dich gegen den Regisseur durchsetzen, mach nicht alles, was der sagt, das schadet dir. Und dann denkt man, Hilfe wo ist unsere Geschichte, wo sind unsere Figuren, weil letztendlich machen wir Musiktheater, um immer wieder neu die Frage zu erörtern: wie sollen wir leben, welche Konflikte sind da? In der Gesellschaft?"
Gemeinsam eine Geschichte erzählen. Figuren erlebbar machen. Musik und Theater machen bedeutet, aufeinander einzugehen. Die Regisseurin muss sehr genau die Partitur studieren und sich vom Dirigenten beraten lassen. Dann können die Konflikte, die daraus entstehen, fruchtbar sein, eine gesunde Auseinandersetzung, ein gemeinsames Suchen.
Nur leider kommt dieser Idealfall nicht allzu oft vor. Oft ist es umgekehrt: der Dirigent will eine ganz bestimmte musikalische Interpretation, und diese so perfekt ausgeführt wie möglich, und der Kollege Regisseur hat eine ganz andere Vision, da soll gesprungen und geflogen werden. Wenn sich die beiden dann nicht an einen Tisch setzen und versuchen, ein gemeinsames Ziel zu formulieren, bleibt der Konflikt Konflikt und ungelöst. Oft auch, weil sich Regisseur und Dirigent nicht besonders sympathisch sind, vielleicht, weil der Intendant sie zusammengespannt hat ohne Rücksicht zu nehmen. Das Problem: Am Ende der Zusammenarbeit muss ein künstlerisches Produkt der Öffentlichkeit preisgegeben werden. Was also, wenn die Chemie nicht stimmt und das Vertrauen fehlt? Beispielsweise kann man zurückgreifen auf die gegebenen hierarchischen Strukturen, erklärt die Regisseurin Barbara Tacchini.
"Es gibt z.B. die Einrichtung, dass die Bühnenorchesterproben dem Dirigenten gehören. Wenn ein Dirigent sich nicht gehört fühlt, sich nicht durchsetzen kann, wartet er ab, beobachtet, zieht sich zurück, lässt den Regisseur machen bis zur ersten Bühnen-Orchester-Probe und greift dann durch. Weil da kann er sagen: So oder so kannst du nicht singen, geht nicht, du kommst jetzt sofort runter von diesem Podest. Es gibt dann meistens noch ein paar wenige szenische Proben, da kann der Regisseur dann flicken."
Nicht die besten Voraussetzungen, unter denen ein beglückendes Kunstwerk entstehen soll. Aber man hält sie aus, die Missstimmungen, man muss sie aushalten.
"Also so schlimm kann eine Produktion gar nicht sein."
Sagt der Tenor Daniel Behle. Denn:
"In letzter Instanz stehe ich ja dann auf der Bühne und singe dann das. Und wenn ich das schön singe und dabei dumme Sachen machen muss, wird nachher die Kritik schreiben: Herr Behle hat schön gesungen, aber er hat dumme Sachen gemacht. Das nehm ich dann gar nicht persönlich."
Und das Gute an einer solchen Produktion – meist ist sie nach sechs Wochen vorbei.
"Wir sind natürlich in einer gewissen Weise sehr egoistisch gebucht. Dh. Ich komm irgendwo hin, und wenn da sechs Wochen die Hölle auf Erden ist, bin ich nach sechs Wochen auch wieder weg. Ich bin halt nicht 3o Jahre in einer Produktion, ich kann gehen, wenn das Geld bezahlt wurde."
Doch nicht jeder Künstler hat dieses Glück. Was, wenn eine unglückliche Zusammenarbeit wesentlich länger dauert? Jahrelang? Frage an den Fachmann. Pasquale Calabrese, Psychologe. Neurowissenschaftler.
"Also auf Dauer ungelöste Konflikte sind grundsätzlich nicht gut. Weil wir das mit uns mitschleppen, wie man so schön sagt, und Konflikte finden ihren Weg immer an die Oberfläche. Natürlich in unterschiedlichem Kleide. Im einfachsten Fall: wenn ich mich über irgendetwas geärgert habe, werde ich das weitergeben. Aber es gibt ja auch sehr viel komplexere Zusammenhänge, die dann tatsächlich dazu führen, dass ich auch langfristig mich verändere in meinem Verhalten gegenüber anderen. So dass man also sagen kann: Ungelöste Konflikte sind grundsätzlich der Motor für viele viele nachgeschaltete Beeinträchtigungen von Beziehungen."
Eu-Stress ist die beflügelnde Anspannung. Dis-Stress ist das Gegenteil. Kann sich zur chronischen Dauerbelastung auswachse, führt zu einer Einschränkung der Kreativität und hemmt letztlich dann auch kognitive Prozesse – Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Konzentration. Geht einher mit körperlicher Erschöpfung. Wenn man dauerhaft einer unangenehmen angespannten Situation ausgesetzt ist, ist das kreativen Prozessen nicht zuträglich. Es kann zur Anpassungsstörung kommen: zu Depression, Angstzuständen, Panikattacken.
Und dann? Ist die Karriere vorüber? Das wäre der Endpunkt einer Lebensweise, die ohnehin "gespannt" ist. Aushalten muss man als Künstler ja grundsätzlich einiges, sonst wäre man wohl auch nicht Künstler geworden. Denn man muss sich ja ausliefern auf der Bühne, macht sich verletzlich, kehrt sein Innerstes nach außen vor einer anonymen Masse. Es ist die Beschwörung des Außerordentlichen. Die Arbeit des Künstlers ist gerade dieses "Darüberhinaus". Aber diese Arbeit am einen Extrem schließt ein, dass auch das andere Extrem eintreten kann. Die Krise.
Giacomo Puccini: TOSCA / Arie Cavardossi "E lucevan le stelle"
Jonas Kaufmann (Tenor), Orchestra Sinfonica di Milano; Marco Armiliato
Decca 478 5943
Jonas Kaufmann (Tenor), Orchestra Sinfonica di Milano; Marco Armiliato
Decca 478 5943
Kann eine Krise auch mit Rache gelöst werden? Tenor Daniel Behle erzählt die Geschichte einer zarten, subtilen Rache.
"Rachegefühle hab ich mal eine ganz herzige Geschichte: von einem Kollegen, der war mit einem großen italienischen Tenor auf der Bühne und der hat sich in den Proben total ätzend und arrogant verhalten. Auf der Bühne war das glaub ich Tosca, da ist ja Pizzarry der Bösewicht. Und da stand dann der Cavaradossi auf der Bühne und er hat ihm während der Vorführung die Schuppen von der Schulter geputzt. Eine schöne kleine Rache für dummes Rumgegockel."
Der Rivale zupft dem anderen Rivalen den Staub von der Jacke während der Vorstellung. Hier Pizarro und Cavaradossi in einer zarten Form von subtiler Rache, wie sie Daniel Behle erlebt hat. Hätten das zwei Frauen auch so gemacht? Dazu mal eine grundsätzliche Frage an den Neurowissenschaftler Pasquale Calabrese.
"Grundsätzlich ist es tatsächlich so, dass Frauen eher offensiv damit umgehen, darüber kommunizieren, Konflikte schon auch mal auf den Tisch bringen oder ansprechen, während wir Herren der Schöpfung eher Vermeider sind. Man hat natürlich unterschiedliche evolutionsbiologisch angehauchte Begründungen dafür bemüht. Z.B. Frauen sind in der Regel die, die die Kinder erziehen, also müssen sie natürlich auch diese basalen menschlichen Interaktionsweisen, nämlich die Kommunikation beherrschen und auch entsprechend weitergeben. Während vielleicht wir Männer in der Evolution diejenigen waren, die aufeinander abstimmen sich müssend mehr mit Machtkämpfen beschäftigt waren, aus denen heraus sich dann eine Leitfigur herauskristallisiert, die dann ansagt, wo man am besten hingeht und sich die Beute sichert."
Michel Roth: Töne oder Tiere
Samuel Stoll, Naturhorn
EA SRF 09.01.17, Gare du Nord, Basel
Samuel Stoll, Naturhorn
EA SRF 09.01.17, Gare du Nord, Basel
Apropos Frauen und Männer. Der Hornist hat eine Affäre mit der Frau an der Harfe. Es ist sehr geheim, aber alle wissen davon, denn wenn sie sich vor den Konzerten umziehen, kann jeder die Kratzer am Rücken des Hornisten sehen. Dann aber ist die Affäre vorbei, weil die Harfenistin ein Problem mit seinem Alkoholproblem hat. Er ist sauer und sperrt die Dame nach einer Aufführung in den Orchestergraben, so dass sie die Nacht dort verbringen muss, obwohl am nächsten Tag Tannhäuser auf dem Programm steht und jeder weiß, wie schwer und anstrengend Tannhäuser für die Harfe ist. Na. Zu weit hergeholt. Vielleicht einfach so: Die Bratscherin fängt mit dem Hornisten ein Verhältnis an. Was passiert? Kurze Fragen an Daniel Behle, kurze Antworten.
"Ja wenns meine Bratschistin ist, ist es blöd. Ansonsten hab ich so einige Jugendorchestererfahrungen, das ist aber schon so lange her."
Was macht der Geiger, der seinen Pultnachbar nicht mehr ausstehen kann, aber mit ihm zusammenspielen muss?
"Also ich schätz, man muss sich irgendwie arrangieren, dass das so funktioniert, und das hat glaub ich sehr viel mit Alkoholismus und Frust zu tun, grad im Orchester."
Die Sängerin ist beleidigt und macht ihre Widersacherin fertig auf der Bühne.
"Geht gar nicht. Jeder Kollege, der einen anderen Kollegen fertigmacht, ist immer diejenige Klientel, die nicht im eigenen Garten saubermacht. Wenn man austeilt, ist es immer eigenes Unvermächtnis. Leute, die in ihrer Profession ruhen, teilen nicht aus."
Gute Vorbereitung ist das A und O. Zumindest für den Tenorsänger Daniel Behle. So lässt sich so manch Musikerkrieg vermeiden.
"Ja also Hölle auf Erden gibt es immer dann, wenn man schlecht studiert ist. Dann kriegt man Druck von allen Seiten. Sowohl vom Regieteam, weil man immer noch mit dem Klavierauszug auf der Bühne herumeiert, als auch vom Dirigenten, weil man nicht umsetzt, was er gerne möchte. Das ist dann wirklich ein frustiger Job. Und deswegen hab ich mir irgendwann vorgenommen, immer perfekt vorbereitet zur Produktion zu kommen. Weil dann bist du unantastbar."
Natürlich kann es dennoch zu Stresssituationen kommen. Daniel Behles Lösungsstrategie steht unter dem Motto: "Ersticken in Freundlichkeit." Oder: "Du hast recht und ich meine Ruhe."
"Wenn Leute sehr alphatierig daherkommen und austeilen, dann bin ich eher jemand, der versucht, Harmonie herzustellen, indem ich halt den Schlag aufnehme und dann in einer weichen Bewegung das Ganze so im Raum verpuffen lasse. Da kommt man immer ganz gut übers Ego – also wenn Leute immer austeilen, sagt man: das ist doch wunderbar, wie du das machst, ich sehe überhaupt keine Probleme, das klingt so fantastisch wie du singst. Da kommt man auch weiter als wenn man gleich dagegen geht und sagt: Das klappt hinten und vorne nicht, wir müssen uns was anderes überlegen. Das ist keine Diplomatie."
Und: Der Ton macht die Musik. Ein kleines Fallbeispiel. Ein Streichquartett probt eine Stelle. Die klappt nicht. Einer der Musiker sagt nun (in leichter Verzweiflung): "Es ist hinten und vorne nicht zusammen!" Der Satz könnte auf vierfach unterschiedliche Weise gemeint sein: Erstens: als Sachinhalt (die reine Information: die Stimmen erklingen nicht gleichzeitig). Zweitens: als Selbstoffenbarung (ich weiß nicht, wann ich spielen soll). Drittens: als Schuldzuweisung (hört ihr denn nicht, dass ihr falsch seid?). Oder viertens; als Appell: (versuchen wir doch bitte, besser aufeinander zu hören).
Thomas Kakuska, einst Bratscher des legendären Alban Berg Quartetts, hatte da seine eigene Kurzversion. Seine Autorität war gefürchtet, vor allem weil er sie eher selten einsetzte. So erinnert sich Quartettkollege Günter Pichler:
"Zum Beispiel war ein gängiger Spruch, wenn die Diskussionen zu lang wurden, dass er sagte: weißt was, halt die Goschn und spü im Takt. Da war nichts mehr zu entgegnen sozusagen, das war Ende der Diskussion."
Übel genommen haben ihm die anderen Quartettspieler den Wiener Charme nicht, weil sie sich ja jahrelang kannten und unter guten Freunden vieles möglich ist, was andernorts zum Duell geführt hätte.
Ludwig van Beethoven: Streichquartett op. 130 / Scherzo
Alban Berg Quartett
EMI 7 54587 2
Alban Berg Quartett
EMI 7 54587 2
Erscheint ein Konflikt unlösbar, gibt es immer auch die Option, sich rauszuhalten. Oder dominant die Situation an sich zu reißen. Was mit der jeweiligen Hierarchiestufe zu tun hat. Ein Untergebener wird mit dem Chef anders umgehen (respektive ein Orchestermusiker mit dem Dirigent) als zwei Chefs miteinander (respektive eine Regisseurin und eine Dirigentin). (Das ist im Menschenreich nicht anders als im Tierreich). Überhaupt haben wir noch viel Tierisches in uns. Psychologe Pasquale Calabrese erklärt es: wir Menschen sind Herdenwesen und haben als Antriebsfedern nicht nur die biologischen (Hunger, Durst, Schlaf, Sex), sondern auch sogenannte "soziale Motive".
"Z.B. das sog. Anschluss- und Intimitätsmotiv. Eine Triebfeder, die uns sagt: suche den Anschluss zu anderen und versuche, ein harmonisches Gemeinsames zu finden. Und dann gibt es daneben auch so etwas wie ein Leistungsmotiv: die Tatsache, dass ich mich selber an meinen Leistungen (wie war ich gestern, wie bin ich heute, möchte ich mich verbessern, habe ich nachgelassen) ständig messe – sowohl mich selber als auch im Vergleich zu anderen: bin ich besser als der, bin ich schlechter als der? Und schließlich haben wir noch einen anderen relevanten Motivaspekt: das Machtmotiv. Das dafür verantwortlich ist, dass Menschen sich in ihrer Leistungsfähigkeit, ihrer Ausdrucksweise, in ihrem Können, Tun und Wollen auch über andere zu stellen."
Atmo: Toscanini - Probenausschnitt
Man muss gar nicht verstehen, was er sagt, um Angst zu bekommen… Arturo Toscanini.
DIESE Zeiten sind ja vorbei, sollte man meinen. Die Zeiten von diesem alten Witz, nach dem ein Orchester unter Toscanini aus 100 Musikern bestehe und aus 100 Magengeschwüren. Auch die Zeiten eines Despoten wie Sergiu Celibidache sind vorbei. Der ein begnadeter Orchestererzieher war, wenn man aber zu langsam verstand, was er wollte, wenn man seine Kritik nicht sofort umsetzte, sehr heftig und sehr unangenehm werden konnte…
Celibidache "Merkwürdigerweise hören wir eine halbe Cellostimme, was ist denn dabei! (Probenmitschnitt). Um Gottes willen, wie das degeneriert!
Wie gut, dass sich heute keiner mehr Ausfälle a la Toscanini oder Celibidache leisten kann. Der Dirigent und Mittvierziger Jonathan Stockhammer zum Beispiel ist freundlich und nett zu seinen Musikern. Versucht, wertschätzend den Kolleginnen und Kollegen gegenüber zu sein. Ohne eine bewusste Strategie dabei zu verfolgen. Stockhammer plädiert lieber für Diplomatie. Also eine Milde, die nicht berechnend daherkommt und sich stattdessen aus dem Respekt speist.
"Wenn man eine Strategie anwendet, ist es klar, dass man das künstlich macht. Ich glaube, wir alle sind auf eine Art da nackt. Wir sind in Positionen, wo wir von uns was Verwundbares zeigen. Ich als Dirigent, andere als Instrumentalisten: Es gehört dazu ein Grundrespekt. Wir erlauben uns alle, etwas mehr aufzumachen. Wenn wir würden diese Grenzen setzen: ich mache nur auf soweit es mir möglich ist und soweit ich keinen Fehler zeige, dann funkt es nicht. Egal, wie man innerlich sich fühlt: es ist immer ein Fehler, Feuer mit Feuer zu vergelten vor einer großen Gruppe von Menschen. Weil selbst wenn ich Recht habe, objektiv gesehen, ist es für alle ein bisschen unangenehm und es tut weh, wenn von dem Leiter konfrontiert wird und auf den Kopf geklopft wird. Das ist nicht nötig und tut auch nicht gut. Es ist viel stärker, den Mund zu halten und diplomatisch darauf zu reagieren. Das lässt die Situation anders ausspielen."
Doch Stockhammer war nicht immer so diplomatisch.
"Ich bin sehr häufig ein geduldiger Mensch und ein sanfterer Mensch, dass wenn ich explodiere und dann wirklich angreife – es ist sowas von ohne Vorwarnung, das ist sehr sehr übel angekommen."
Jugendliche Impulsivität? Damals? Könnte sein.
"Ich glaube, innerlich ich bin sehr konfliktscheu. Wahrscheinlich aus diesem Grund, wenn ich gemerkt habe, dass Unangenehmes kommt, habe ich ausgehalten und ausgehalten oder bin sehr schnell explodiert. Diese Explosion war anderen bestimmt superunangenehm, aber ich glaube, das war eine Art Schutz für mich. Weil die Explosion war eine Art Rechtfertigung: jetzt habe ich meine eigene Grenze auch nicht halten können, siehst du, du hast mich so provoziert, dass ich mich nicht mehr beherrschen konnte."
Das könnte bedeuten, die Art, mit einem Konflikt umzugehen, ändert sich mit dem Alter. Hat jedes Lebensalter seine eigenen Konfliktlösungen und wird man vielleicht ruhiger mit den Jahren? Ja, sagt, Peter Eötvös, Dirigent, Komponist, und 30 Jahre älter als Stockhammer.
"Äh ja, mit den Jahren es mildert sich auch. Man hat mehr Erfahrung aus dem Leben. Ich würde nie nochmal jung sein wollen. Ich erinnere mich, in dieser Zeit hatte ich schon sehr viele Probleme. Nicht mit mir selber, aber mit der Situation. Ich musste mich nur darin zurechtfinden. Die Umgebung war bei mir sehr oft schwierig, unerträglich. Das hab ich einfach mit Kraft überstanden. Und je älter ich werde, umso weniger betreffen mich diese Situationen. Ich habe eine Übersicht darüber und kann das wie ein Blitzableiter irgendwie schon schaffen."
Eine der Situationen, damals in Ungarn, war lebensbedrohlich. 23. Oktober 1956, Peter Eötvös ist zwölf Jahre alt. An diesem 23. Oktober gehen Studenten auf die Straße, fordern demokratische Freiheiten und die Unabhängigkeit Ungarns. Noch in derselben Nacht weitet sich die Demonstration zum Volksaufstand aus: Studenten, Bauern, Arbeiter, Intellektuelle, Kommunisten, Sozialdemokraten, Priester schließen sich an, auch Armee und Polizei gehen zu den Aufständischen über. Ein paar Tage später jagen die Ungarn ihre stalinistische Regierung zum Teufel, erklären sich für neutral und fordern die sowjetischen Besatzer auf, das Land zu verlassen. Die allerdings schicken noch mehr Truppen, positionieren Panzer in Budapest und schlagen die Revolte blutig nieder. Peter Eötvös lernt daraus; aus all den schwierigen Situationen, in die er im Laufe seines Lebens gerät. Er entwickelt sein ruhiges Naturell, lässt Dinge auch mal geschehen, die er nicht beeinflussen kann – und versucht, aus jeder Situation das Beste zu machen.
"Meine Natur ist so, dass es sehr leicht in andere Richtungen gehen kann. Alles was ich mache – dass ich Komponist bin, dass ich Dirigent bin, ich kann unterrichten, ich kann spazieren. Wenn etwas nicht geht, dann mach ich was anderes. Das ist auch eine Lebensauffassung."
Das haben übrigens alle Gesprächspartner dieser Sendung gemeinsam: Grosßes Engagement ja. Aber stur beharren auf etwas: nein. Die Geigerin Chouchane Siranossian zum Beispiel:
"Wenn etwas nicht funktioniert, kann man sagen ok, mit diesen Personen lohnt es sich nicht zu arbeiten, sie wären sicher glücklicher mit anderen Leuten und ich auch mit anderen Musikern. Es gibt ja genug Musiker auf dieser Welt."
Neben dem Konflikt zwischen Menschen gibt es ja auch noch den Konflikt mich sich selbst, mit dem eigenen Ideal, das vielleicht nicht erreichbar ist. So hatte der Dirigent Carlos Kleiber immer wieder schwer mit sich zu kämpfen. Auch kurz vor der Aufführung. Im Dezember 1982 etwa, in Wien. Knapp vor Ende der letzten Probe für ein Philharmonisches Abonnementkonzert stürmte er davon und ließ das Orchester verstört zurück – der Tropfen, der Fass zum Überlaufen gebracht hatte, war eine rhythmische Figur. Sie soll, so Kleibers Vision, den Namen der "Unsterblichen Geliebten" von Beethoven wiedergeben, aber es ist ihm nicht gelungen, das zu vermitteln. Ende. Keine Vorstellung.
Peter Eötvös kennt das. Nicht als Dirigent, aber als Komponist.
Peter Eötvös kennt das. Nicht als Dirigent, aber als Komponist.
"Das gibt es bei mir auch, aber es ist nicht so prompt. D.H. mein Charakter ist nicht so, dass er etwas sofort hinschmeißt, sondern er überlegt zuerst: Etwas stimmt nicht – mit der Sache nicht oder mit mir selbst nicht. Aber ich nehme solche Sachen nicht tragisch. Wenn ich das so nehmen würde, dann könnte ich nicht weiterkommen, dann würde ich blockiert sein."
Eötvös "Die Tragödie des Teufels"
(Eigenaufnahme Peter Eötvös)
(Eigenaufnahme Peter Eötvös)
"Im Prinzip war diese erste Oper "Die Tragödie des Teufels" eigentlich in Ordnung. Aber nicht vollkommen, deswegen musste ich das nochmal bearbeiten. Und die zweite Bearbeitung hat geklappt und in diesem Moment komm ich sozusagen aus der Hölle heraus."
"Es gibt immer Sachen, wo man denkt: Das könnte ich verbessern, das könnte ich anders machen. Und das ist auch sehr gesund. Das ist auch, was uns vorwärts bringt."
Sagt die Geigerin Chouchane Siranossian, und der Tenor Daniel Behle ergänzt:
"Also, wir haben sicherlich an uns immer der Perfektionsanspruch. Und der ist auch wichtig. Dass wir selber wissen, ob mal etwas gut war oder nicht, weil manchmal das Feedback von außen eher… also: Gerade wenn man berühmter ist, kriegt man eh immer nur schöne Sachen gesagt. Oder ne Woche später in der Kritik halt nicht. Da ist es schon wichtig, dass man sein eigener Lehrer wird."
"Natürlich gibt es manchmal Momente, in denen wir verzweifelt sind und denken: Das werde ich nicht schaffen. Aber was ist unser Ziel? Ein Ziel, das nicht wirklich existiert. Weil, je weiter wir gehen, desto weiter sind auch unsere Erwartungen."
Und aus den Erwartungen, sagt Dirigent Jonathan Stockhammer, ergeben sich die eigentlichen, die wesentlichen Konflikte.
"Die Konflikte außen kann man mit Ruhe und Geduld und Verstand meistens überwinden. In allen solchen Situationen, man muss nicht unbedingt Recht haben, kann dann der andere Partner auch gesprächsbereit sein. Und meistens in einer neuen Situation sind dann die Flammen runter. Jedoch die Situationen, die in einem selbst kochen, sind Konflikte, die meistens viel größere Ursprünge haben. Wenn man entscheidet, wirklich beim ersten Weckerruf aufzustehen oder unter kaltem Wasser zu duschen, wenn es kein heißes gibt und darüber nicht lange studiert, trainiert man, sich in Situationen zu begeben, ohne sofort an die Bequemlichkeit zu denken. Das heißt nicht, wenn ich das sage, dass ich das beherrsche. Aber ich merke, wenn man schnell entscheidet anstatt all die Alternativen zu überlegen, dass man in vielen Situationen weniger gehemmt ist."
Konflikte hin oder her, weibliche oder männliche Herangehensweisen hin oder her – Konflikte werden uns immer begleiten. Vielleicht sind Musikerinnen und Musiker sogar leicht im Vorteil, weil sie auch ein Gegengewicht haben? Eben die schöne, sinnliche, aufregende Musik, die vieles vergessen lässt oder für den inneren Ausgleich sorgen kann? Vielleicht. Noch besser: Einfach mal raus aus demArbeitsumfeld, selbst, wenn es so stark mit dem Leben verflochten ist wie bei Musikern.
"Also, bei mir hab ich den Ausgleich in den Bergen gefunden. Da ist man einfach in der Natur. Sehr wenige Menschen, nur frische Luft und Schnee und Natur und auch Stille. Das tut so gut. Da habe ich meine Inspiration. Wenn ich ein Werk lerne, lerne ich sehr viel auswendig in den Bergen. Wenn ich viel zu tun habe und irgendwann müde bin, weiß ich: In ein paar Tagen werde ich in den Bergen sein."
Um dann mit Energie wieder weiter zu arbeiten auf diesem Gebiet, das keine Hölle kennt. Eigentlich. Oder? Dirigent Jonathan Stockhammer.
"Wenn es das gibt, dann habe ich es zum Glück nicht erfahren, ich habe es umgangen. Ich glaube, die Hölle wäre, wenn ich das nicht mehr machen könnte und müsste mich für einen Job entscheiden, wo ich hinter einem Arbeitstisch sitze und dieselbe Information in den Computer tippe jeden Tag. Die Hölle ist die Vorstellung, dass ich nicht hätte, was ich habe."
Mozart: aus: Die Zauberflöte (Schluss)
"Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen?" Wie klassische Musiker mit Konflikten umgehen. Das war eine Musikszene von Florian Hauser.
Mozart: aus: Die Zauberflöte (Schluss)