Nach der Parlamentswahl
Wie könnte es jetzt in Frankreich weitergehen?

Die Ereignisse der Parlamentswahl in Frankreich haben viele überrascht: Das linke Lager gewinnt, die Rechtsnationalen legen zu, haben aber keine Chance auf eine eigene Regierung. Und Premierminister Attal kündigt seinen Rücktritt an - den der Präsident vorerst ablehnt. Wie es jetzt weitergeht? Ein Überblick zu möglichen Szenarien.

08.07.2024
    Menschen versammeln sich auf der Place de la République nach den Parlamentswahlen in Frankreich. Eine große französiche Nationalflagge weht neben der Mariannen-Statue.
    Menschen feiern nach der Parlamentswahl auf der Place de la République in Paris. (AP/dpa/Aurelien Morissard)

    Kommt das Linksbündnis jetzt an die Macht?

    Trotz ihres Überraschungserfolgs bleiben die Linken weit von einer absoluten Mehrheit entfernt. Damit könnten die anderen Fraktionen eine linke Regierung nicht nur per Misstrauensvotum stürzen. Auch haben die vergangenen zwei Jahre, in denen das Lager von Präsident Macron nur eine relative Mehrheit in der Parlamentskammer hatte, gezeigt, wie schwer es in Frankreich ist, ohne absolute Mehrheit zu regieren. Ob dies den Linken besser gelingen würde, ist unklar, zumal sie noch über weit weniger Sitze verfügen dürften als Macrons Mitte-Kräfte vor der Auflösung der Nationalversammlung vor wenigen Wochen.
    Dennoch haben die Spitzen der Neuen Volksfront ihren Anspruch auf das Amt des Regierungschefs angemeldet. Das Linksbündnis müsse zeigen, dass es regierungsfähig sei, sagte der Chef der Sozialisten, Faure. Die Fraktionschefin der linkspopulistischen Partei La France insoumise, Panot, kündigte an, noch in dieser Woche "einen Premierminister und eine Regierung" vorzuschlagen.

    Wer könnte aus dem linken Lager den Premierminister stellen?

    Panot brachte nach der Wahl erneut den früheren LFI-Chef Mélenchon ins Spiel, der bei den übrigen beteiligten Partnern jedoch auf heftige Ablehnung stößt. Im Gespräch für den Posten sind auch Grünen-Chefin Tondelier und der Abgeordnete Ruffin, der sich von der LFI getrennt hat. Vor der Abstimmung hatte sich die Neue Volksfront nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Premierministers einigen können.

    Wer entscheidet über den Regierungschef?

    Als Präsident obliegt es Emmanuel Macron, den Premierminister zu ernennen. Amtsinhaber Attal hatte ein Rücktrittsgesuch eingereicht, doch Macron ließ inzwischen mitteilen, er habe Attal gebeten, "vorerst Ministerpräsident zu bleiben, um die Stabilität des Landes zu gewährleisten". Beobachter rechnen damit, dass der Premierminister sein Amt wenigstens bis zum Ende der Olympischen Spiele in Paris behalten soll.
    Wer danach mit der Regierungsbildung beauftragt wird, lässt sich nicht absehen - nicht einmal, ob die Person überhaupt aus den Reihen der Neuen Volksfront kommen wird. Denn theoretisch wäre auch eine Koalition aus Linken und Mitte-Kräften möglich. Aus dem Linksbündnis heraus kamen indes klare Absagen an eine solche Allianz.

    Welchen Zeitplan gibt es für die Regierungsbildung?

    Hierzu gibt es keine genauen Vorgaben. Macron könnte mit der Ernennung eines neuen Premiers bis nach der parlamentarischen Sommerpause warten. Das neu gewählte Parlament kommt aber bereits am 18. Juli zu seiner ersten Sitzung zusammen, also während Attal noch im Amt sein dürfte. Dabei wird die Parlamentspräsidentin oder der Parlamentspräsident gewählt. Am Folgetag wird über die Vizepräsidenten und die Besetzung von Ausschüssen entschieden.

    Was passiert, wenn keine Regierung gefunden wird?

    Wenn keines der politischen Lager zur Bildung einer Regierung in der Lage ist, könnte Macron eine aus Experten, hohen Verwaltungskräften und Ökonomen zusammengestellte technische Regierung bilden. Mit einem Technokraten-Kabinett beträte Frankreich politisches Neuland, wenngleich es nicht das erste Mal wäre, dass eine eher unbekannte Person das Amt des Premierministers bekleidet. So war der frühere Amtsinhaber Castex zuvor Bürgermeister eines kleinen Pyrenäen-Ortes.
    Fest steht nur: Eine nochmalige Auflösung des Parlaments und weitere Neuwahlen sind erst in einem Jahr wieder möglich.

    Was sind die Auswirkungen für Deutschland und Europa?

    Das ist völlig offen. Weil das Linksbündnis kein gemeinsames Programm hat, ist noch nicht ausgemacht, welche Art von Außenpolitik es umsetzen will, wenn es an die Regierung kommt. Fest steht aber, dass die Neue Volksfront bis auf einzelne Teile am linken Rand pro-europäisch eingestellt ist und auch fest zur Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg steht.
    Im Falle eines politischen Stillstands könnten Berlin und Brüssel aber nicht weiter auf Frankreich als starken Partner setzen. Das Land wäre dann vermutlich mehr auf das reine Verwalten als auf das Anstoßen neuer Vorhaben ausgerichtet.

    Profitieren Le Pens Rechtsnationale dennoch vom Wahlausgang?

    Auch wenn der Rassemblement National - anders als prognostiziert - nicht stärkste Kraft geworden ist und sogar noch hinter dem Präsidentenlager landete, verbucht die Partei von Marine Le Pen erhebliche Zugewinne in der Nationalversammlung; sie ist dort stärker denn je vertreten. Damit wächst auch ihr Einfluss in der Parlamentsarbeit. Zudem hat das Wahlergebnis finanzielle Folgen: Der RN erhält mehr Geld aus der Parteienfinanzierung, womit er bereits die Vorbereitung der Präsidentschaftswahl 2027 und der spätestens dann auch anstehenden nächsten Parlamentswahl vorbereiten kann.

    Welche Folgen hat das Ergebnis für Macron?

    Obwohl ein Sieg der Rechtsnationalen bei der Parlamentswahl verhindert wurde, hat Macron sich und seinem Vermächtnis durch die Neuwahl nach Ansicht vieler Beobachter mehr geschadet als genützt. Ob er noch etwas von seinem ursprünglichen Anspruch als Frankreichs Reformer und Verfechter eines starken Europas wird retten können, wird sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen. Sollte es ihm mit Taktieren und Zugeständnissen entgegen der überwiegenden Erwartung gelingen, eine auf Dauer regierungsfähige Mehrheit unter Beteiligung seines Regierungslagers auf die Beine zu stellen, käme er möglicherweise mit einem blauen Auge davon.
    Da es aber bereits in den vergangenen zwei Jahren unter wesentlich klareren Machtverhältnissen nicht gelang, eine Koalition zu schmieden, wird die verbleibende Amtszeit womöglich aus dem Verwalten instabiler Verhältnisse in Frankreich bestehen. Innen- und außenpolitisch wäre Macron geschwächt - bis zur nächsten Wahl des Staatsoberhaupts, die planmäßig 2027 stattfinden soll, würde er zur sprichwörtlichen "Lame Duck", also zu einer lahmen Ente.
    (mit Material von dpa und AFP)

    Weiterführende Informationen

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    Diese Nachricht wurde am 08.07.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.