- "Der Papagei sagt was vor und du sagst etwas nach. Das heißt, dass du heute mal der Papagei bist. Wollen wir das mal machen?"
- "Hmmmm!" (bejahend)
- "Der Mann hat den Jungen im Laden gesehen."
- "Der Mann hat den Jungen im Laden gesehen."
- "Hier ist der Junge, den der Mann geärgert hat."
- "Hier ist der Junge, der der Mann geärgert hat."
- "Genau."
- "Das ist der Mann, den der Hund gestern im Park gebissen hat."
- "Das ist der Mann, der Hund ... den der den Mann gestern im Park gegessen hat. Eh, gebissen hat."
Elisabeth aus Leipzig spielt den Papagei. Die Fünfjährige kämpft noch ein wenig mit den Relativsatzkonstruktionen, die ihr die Entwicklungspsychologin Silke Brandt vorgesprochen hat. Jonathan, ihr achtjähriger Bruder, soll in einem anderen Test den Geschichten und Sätzen die passenden Bilder zuordnen:
- "Auf jedem Bild sind zwei Leute drauf, die machen etwas miteinander und ich gucke, ob du für die Geschichte das richtige Bild findest."
- "Wo kitzelt das Mädchen den Jungen?"
- "Da."
- "Wo ist die Großmutter, die die Fotografin umarmt?"
- "Da."
- "Wo ist die Malerin, die die Ärztin bespritzt?"
- "Da."
- "Wo ist die Ballerina, die die Malerin schubst?"
- "Da."
Das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig untersucht in einem großen Forschungsprojekt, wie Kinder Sprache lernen. Denn sprachliche Strukturen sind nicht angeboren, Sprache wird erworben, davon gehen die Forscher aus. Aber was genau geschieht beim Spracherwerb? In welchem Alter haben Kinder welche kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten entwickelt? Wie gelingt es den Kindern überhaupt, aus all dem Gesprochenen, was sie hören, aus diesem Input für sich Regeln herauszufiltern, lange bevor sie in die Schule gehen.
Silke Brandt konzentriert sich in ihrer Studie besonders auf die Frage, wie ein Kind Satzstrukturen und syntaktische Regeln lernt, um zum Beispiel - wie eben Jonathan - erfolgreich Subjekt und Objekt auseinander zu halten.
"Wenn ich so einen Satz habe wie 'Der Löwe schubst den Hund' zum Beispiel, dann muss ich als Kind herausfinden, dass der Löwe etwas mit dem Hund macht, denn wenn ich sage 'Den Löwen schubst der Hund' da muss ich als Kind lernen, dass der Kasus, also ob ich jetzt 'der Löwe' oder 'den Löwen' sage, dass das einen Unterschied macht. Wenn ich 'der Löwe' sage, ist der Löwe Agens, also derjenige der etwas tut, wenn ich 'den Löwen' sage, ist der Löwe der Patiens, derjenige, mit dem etwas getan wird - und das ist wichtig zu wissen, wer macht was mit wem."
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Spracherwerb bei Kindern gibt es schon länger, aber meist sind sie punktuell und nicht repräsentativ. Die Leipziger stellen ihre neue Forschung auf eine breite empirische Basis. Mehrere Studien laufen gleichzeitig, bei manchen werden die Kinder zum Test ins Institut eingeladen, bei anderen gehen die Forscher hinaus.
"Wir kooperieren mit vielen Kindergärten und haben dort meistens auch relativ viele Kinder zur Auswahl, wir sagen vorher, wir möchten Kinder 'testen' zwischen drei und dreineinhalb Jahren, und dann ist es oft so, dass in einem bestimmten Kindergarten fünf, sechs Kinder in dem bestimmten Alter sind, und wir kommen in diese Gruppen, machen uns erst einmal mit den Kindern vertraut, weil die uns meistens das erste Mal sehen, erklären was wir machen wollen und wenn das Kind mit uns warm geworden ist, gehen wir einen ruhigeren Raum und machen dieses Sprachspiel mit den Kindern."
Vorher muss auch ein Missverständnis bei Eltern und Erziehern ausgeräumt werden. Die Kinder sind keine Versuchskaninchen. Und die Experimente keine Tests in dem Sinne, dass Kinder auf ihr individuelles sprachliches Niveau und Leistungsvermögen hin geprüft und bewertet würden. Vielmehr geht es darum, ganz allgemein zu untersuchen, wie Kinder sich das Reich der Sprache erschließen und ihre einzelnen Schritte auf diesem Weg nachzuzeichnen.
Niemand wird überredet teilzunehmen. Vielmehr machen die Kinder mit, weil die Experimente als Spiele konzipiert sind und Spaß versprechen. Und hier liegt vielleicht die größte Herausforderung für die Wissenschaftler.
"Im Prinzip sind wir ständig dabei, neue Spiele zu entwickeln, man kann uns hier vergleichen mit einer Spielentwicklungsfirma, weil die Studien für die Kinder immer als Spiele gestaltet sind, das können Suchspiele sein, 'wir bauen etwas zusammen'-Spiele sein, das können Sprechspiele sein, das kann ein Hund sein, der etwas vorspricht, aber die Sprache noch nicht richtig beherrscht und immer Fehler macht und wir müssen dem jetzt helfen - lauter ganz verschiedene Spiele, und das ist genau die Schwierigkeit der wissenschaftlichen Arbeit, kreativ zu sein, sich Spiele auszudenken und auch die langweiligste wissenschaftliche Fragestellung in ein Spiel zu übersetzen, das Kindern sehr viel Spaß macht."
Susanne Grassmann, Linguistin und Psychologin, ebenfalls am Leipziger Max-Planck-Institut fokussiert in ihrer Studie das erste Stadium des Spracherwerbs, wenn das Kind zu sprechen beginnt. Meist um den ersten Geburtstag herum sagen die Kinder auch ihr erstes Wort. Aber wie kommen die Wörter in den Kopf? Wie hat das Kind herausbekommen, dass das Auto Auto heißt und der Ball Ball und dass man diese Wörter für verschiedene Gegenstände verwenden kann.
Ein elementare Strategie des Wörter-Lernprozesses ist bekannt und allen Eltern intuitiv geläufig. Sie spielen mit ihren Kindern so Susanne Grassmann, eine Art Benennungsspiel.
"Also die Mutter zeigt nacheinander auf verschiedene Gegenstände, die im Raum sind oder in einem Bilderbuch und gesagt: 'Guck mal, da ist ein Hund. Und guck mal, der Hund fährt mit dem Auto.' Sodass ständig parallel mit der Zeigegeste die Wörter fallen. Kinder verstehen die Zeigegeste mit ungefähr neun bis zwölf Monaten, da entwickelt sich das Verständnis der Zeigegeste, dass die Zeigegeste wirklich referierend ist, also auf einen externen Gegenstand bezogen ist, und dieses Verständnis der Zeigegeste können Kinder dann drei, vier Monate später verwenden, um ihre ersten Wörter zu lernen. Das wissen wir schon."
Susanne Grassmann beschäftigt sich in ihrer Studie mit sogenannten indirekten Wortlernsituationen. Denn Kinder eignen sich auch dann Wörter an, wenn es keine Zeigegesten oder Blicke gibt, die eine Brücke zwischen Wort und Sache schlagen.
Kinder leiten neue Bedeutungen auch aus dem Verständnis der Situation ab. Um dieses Phänomen nachzuweisen, hat Susanne Grassmann spezielle Testspiele mit Kindern entwickelt.
"Zum Beispiel, wenn es ein Auto gibt, das auf dem Fußboden herumliegt, und ein Gegenstand, den das Kind noch nicht kennt, für unsere Studie nutzen wir Gegenstände, die es gar nicht gibt, um sicher zu sein, dass Kinder sie noch nie gesehen haben. Also stellen wir uns vor, es ist vom Mars gefallen, irgendein Objekt, und da liegt das Auto und das Marsobjekt, und ich sage jetzt: 'Gib mir mal die Nohle' - Nohle gibt es als Wort nicht im Deutschen, aber es klingt deutsch - und dann können Kinder erraten, dass Nohle wohl das komische Marsobjekt ist, das sie vorher noch nicht gesehen haben, indem sie ausschließen, dass Auto Nohle ist, denn Auto ist ja schon Auto."
Im Spracherwerb verbinden sich kognitive Fähigkeiten - wie hier das logische Ausschlussprinzip - mit sprachlicher Sensibilität. Das alles entwickelt sich in der dialogischen Kommunikation, vor allem zwischen Eltern oder Bezugspersonen und dem Kind.
Die Leipziger Forscher haben ihrer Arbeit eine pragmatische Auffassung von Sprache zugrunde gelegt, wie sie vor allem Ludwig Wittgenstein in seiner späten Philosophie entwickelt hat. Wittgenstein sagt, dass man die Sprache nicht als ein von Mensch und Situation ablösbares Zeichensystem betrachten soll, wo man dann tote Sätze analysiert, sondern als ein kommunikatives Geschehen, als eine symbolische Tätigkeit, die mit anderen nichtsprachlichen Formen verbunden ist. Wittgenstein nennt es das Sprachspiel. Sprache wird also ganz unter dem Aspekt ihrer kommunikativen Verwendung und im sozialen Miteinander erfasst.
Übertragen auf die Erforschung des kindlichen Spracherwerbs bedeutet dies, den Dialog zwischen Eltern, Erziehern und den Kindern genauer zu analysieren.
Barbara Stumper, Psychologin und ausgebildete Logopädin konzentriert sich in ihrer Arbeit auf den Input vonseiten der Erwachsenen, auf das was Kinder hören, womit sie sozusagen sprachlich gefüttert werden.
"Ich interessiere mich vor allem dafür, wie denn die Sprache, die die Kinder hören, strukturiert ist. Welche Regelhaftigkeiten es in der kindgerichteten Sprache gibt. Es gibt eben Studien, die zeigen, dass Kinder diese Regeln sehr schnell auffassen, zum Beispiel das grammatische Geschlecht im Deutschen, 'der, die, das', was für Fremdsprachenlerner schwierig ist, ist für Kinder ganz einfach,, weil Kinder ganz schnell diese Regelhaftigkeit erkennen können, dass zum Beispiel Wörter die ein 'e' am Ende haben mit dem Artikel 'die' zusammenfallen. Und damit eben auch sehr schnell das grammatikalische Geschlecht lernen."
Konkret untersucht Barbara Stumper, wann und wie bestimmte sprachliche Strukturen, die das Kind gehört hat, von ihm selber übernommen und aktiv eingesetzt werden. Barbara Stumper treibt keine eigene Feldforschung, sondern arbeitet das umfassende Datenmaterial auf, das in einer Langzeitstudie vom Max-Planck-Institut gesammelt worden ist.
"Ich habe hier die Möglichkeit einen ganz großen Sprachkorpus untersuchen zu können, das heißt die gesammelte Sprache, die eine Mutter und ein Vater an ihr Kind richten, dass ist der große Korpus, Leo-Korpus genannt, das heißt Leo und seine Eltern wurden von dem ersten Geburtstag bis zum vierten des Jungen aufgenommen, in den ersten zwei Jahren fünfmal die Woche à zwei Stunden und im dritten und vierten Jahr dann in größeren Abständen, das heißt die kindgerichtete Sprache besteht aus mehreren Millionen Wörtern, und ich gucke mir an, wie Wörter innerhalb von Konstruktionen, zum Beispiel der Dativsatz 'ich gebe dir das Auto' auftauchen, und wiederkehrend auftauchen, sodass Kinder daraus eine Regel ableiten können, dass ich nämlich den Kasus Dativ anwenden muss in den und den Wörtern und in einer bestimmten Position im Satz."
Dass der Sprachkorpus, diese große empirische Datensammlung aufgebaut wurde, ist vor allem das Verdienst von Elena Lieven. Die britische Professorin forscht seit über zehn Jahren in Leipzig, kooperiert dabei intensiv mit dem Max Planck Child Study Centre in Manchester und der Universität im niederländischen Nijmwegen. Elena Lieven rückt die Erforschung des Spracherwerbs bei Kindern in eine sprachen- und kulturübergreifende Perspektive. Die Untersuchungen, so Elena Lieven, dürften nicht an den spezifischen Bedingungen kleben, unter denen europäische oder nordamerikanische Kinder aufwachsen und sprechen lernen, man müsse auch andere Spracherwerbskontexte studieren.
"Eines der Probleme unserer Forschung ist bis heute, dass sie an Einzelkindern aus Mittelschicht-Familien in entwickelten technologischen Gesellschaften orientiert ist. Und wir wissen sehr wenig darüber, wie Kinder lernen, wenn sie mehr von anderen Kindern oder von vielen Erwachsenen umgeben sind, und nicht in einer Eins-zu-eins-Situation. Deshalb haben wir angefangen die natürlichen Sprachäußerungen von 6 Kindern in einem Dorf in Ost-Nepal zu sammeln, die eine tibeto-burmesische Sprache sprechen. Wir folgen jedem der Kinder zwei Jahre lang. Und das ist eine Sprache, in der das Verb zweitausend mögliche Flexionen hat, also völlig verschieden vom Englischen oder Deutschen. Und es ist eine vom Aussterben bedrohte Sprache ohne Schrift. Also wir müssen sie zuerst transkribieren und in Nepalesisch übersetzen. Dann ein Glossar anlegen, damit uns die Linguisten sagen können, was ihre differenten Einheiten sind und dann, erst dann, können wir beginnen herauszuarbeiten, wie die Kinder ins Sprachsystem hineinkommen."
Das Projekt der Leipziger Wissenschaftler gehört zur Grundlagenforschung, es geht nicht um schnelle pädagogische Konzepte. Trotzdem fragen Eltern und Erzieher, ob und wie der Spracherwerb bei Kindern gefördert werden kann, da die Sorge um spätere Arbeitsplätze bereits in die Kindergärten Einzug hält. Barbara Stumper gibt hier Entwarnung, rät zur Gelassenheit:
"Grundsätzlich kann man sagen, dass man kaum ein Kind davon abhalten kann, die Sprache zu erwerben. Kinder wollen dazugehören, und sie merken, dass andere Sprache brauchen, um sich zu unterhalten, um etwas zu bekommen, von daher ist das Wichtigste, dass das Kind Motivation hat, eine Sprache zu lernen. Und es gibt Studien, die zeigen, dass Eltern ganz automatisch und natürlich Äußerungen ihrer Kinder erweitern oder auch verbessern. Zum Beispiel: das Kind zeigt auf den Ball und sagt dann 'Ball', und die Eltern erweitern häufig die Äußerung, in dem sie sagen 'Genau, da ist der Ball.' Dann haben sie den Artikel gegeben, das grammatische Geschlecht und sie haben einen kompletten Satz daraus gebildet, und das machen Eltern ungefähr in zehn Prozent der Fälle - es gibt also einen starken Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Eltern, und wie Kinder Vokabular erwerben."
Insbesondere betonen die Forscher, dass das Entwicklungstempo und die Lernwege bei Kindern sehr unterschiedlich sind. Eltern und Erzieher sollten das respektieren. Das eine Kind spricht früher, das andere später, das eine spricht viel, das andere wenig. Und doch nivellieren gravierende Unterschiede wenig später in erstaunlicher Weise.
Elena Lieven:
"Eins der interessantesten Dinge, die wir herausgefunden haben, ist Folgendes: Wenn man Zweijährige vergleicht, so haben sie sehr verschiedenen Grammatiken. Also was sie hinein nehmen von all dem was sie hören, kann wirklich ziemlich unterschiedlich sein - Ich meine es ist natürlich Englisch, aber sehr unterschiedlich - aber wenn wir ihre Grammatiken im Alter von drei vergleichen, dann sind sie viel näher beieinander. Man nimmt an, dass Kinder ihren Lernprozess mit kleinen Einheiten aus dem Gehörten starten. Und sie benutzen das, um die Sprache zu analysieren, aber bis sie drei Jahre alt sind, konvergieren sie hin zur Erwachsenensprache: also individuelle Unterschiede zu Beginn, aber am Ende muss es darauf hinauslaufen, miteinander zu sprechen."
- "Hmmmm!" (bejahend)
- "Der Mann hat den Jungen im Laden gesehen."
- "Der Mann hat den Jungen im Laden gesehen."
- "Hier ist der Junge, den der Mann geärgert hat."
- "Hier ist der Junge, der der Mann geärgert hat."
- "Genau."
- "Das ist der Mann, den der Hund gestern im Park gebissen hat."
- "Das ist der Mann, der Hund ... den der den Mann gestern im Park gegessen hat. Eh, gebissen hat."
Elisabeth aus Leipzig spielt den Papagei. Die Fünfjährige kämpft noch ein wenig mit den Relativsatzkonstruktionen, die ihr die Entwicklungspsychologin Silke Brandt vorgesprochen hat. Jonathan, ihr achtjähriger Bruder, soll in einem anderen Test den Geschichten und Sätzen die passenden Bilder zuordnen:
- "Auf jedem Bild sind zwei Leute drauf, die machen etwas miteinander und ich gucke, ob du für die Geschichte das richtige Bild findest."
- "Wo kitzelt das Mädchen den Jungen?"
- "Da."
- "Wo ist die Großmutter, die die Fotografin umarmt?"
- "Da."
- "Wo ist die Malerin, die die Ärztin bespritzt?"
- "Da."
- "Wo ist die Ballerina, die die Malerin schubst?"
- "Da."
Das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig untersucht in einem großen Forschungsprojekt, wie Kinder Sprache lernen. Denn sprachliche Strukturen sind nicht angeboren, Sprache wird erworben, davon gehen die Forscher aus. Aber was genau geschieht beim Spracherwerb? In welchem Alter haben Kinder welche kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten entwickelt? Wie gelingt es den Kindern überhaupt, aus all dem Gesprochenen, was sie hören, aus diesem Input für sich Regeln herauszufiltern, lange bevor sie in die Schule gehen.
Silke Brandt konzentriert sich in ihrer Studie besonders auf die Frage, wie ein Kind Satzstrukturen und syntaktische Regeln lernt, um zum Beispiel - wie eben Jonathan - erfolgreich Subjekt und Objekt auseinander zu halten.
"Wenn ich so einen Satz habe wie 'Der Löwe schubst den Hund' zum Beispiel, dann muss ich als Kind herausfinden, dass der Löwe etwas mit dem Hund macht, denn wenn ich sage 'Den Löwen schubst der Hund' da muss ich als Kind lernen, dass der Kasus, also ob ich jetzt 'der Löwe' oder 'den Löwen' sage, dass das einen Unterschied macht. Wenn ich 'der Löwe' sage, ist der Löwe Agens, also derjenige der etwas tut, wenn ich 'den Löwen' sage, ist der Löwe der Patiens, derjenige, mit dem etwas getan wird - und das ist wichtig zu wissen, wer macht was mit wem."
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Spracherwerb bei Kindern gibt es schon länger, aber meist sind sie punktuell und nicht repräsentativ. Die Leipziger stellen ihre neue Forschung auf eine breite empirische Basis. Mehrere Studien laufen gleichzeitig, bei manchen werden die Kinder zum Test ins Institut eingeladen, bei anderen gehen die Forscher hinaus.
"Wir kooperieren mit vielen Kindergärten und haben dort meistens auch relativ viele Kinder zur Auswahl, wir sagen vorher, wir möchten Kinder 'testen' zwischen drei und dreineinhalb Jahren, und dann ist es oft so, dass in einem bestimmten Kindergarten fünf, sechs Kinder in dem bestimmten Alter sind, und wir kommen in diese Gruppen, machen uns erst einmal mit den Kindern vertraut, weil die uns meistens das erste Mal sehen, erklären was wir machen wollen und wenn das Kind mit uns warm geworden ist, gehen wir einen ruhigeren Raum und machen dieses Sprachspiel mit den Kindern."
Vorher muss auch ein Missverständnis bei Eltern und Erziehern ausgeräumt werden. Die Kinder sind keine Versuchskaninchen. Und die Experimente keine Tests in dem Sinne, dass Kinder auf ihr individuelles sprachliches Niveau und Leistungsvermögen hin geprüft und bewertet würden. Vielmehr geht es darum, ganz allgemein zu untersuchen, wie Kinder sich das Reich der Sprache erschließen und ihre einzelnen Schritte auf diesem Weg nachzuzeichnen.
Niemand wird überredet teilzunehmen. Vielmehr machen die Kinder mit, weil die Experimente als Spiele konzipiert sind und Spaß versprechen. Und hier liegt vielleicht die größte Herausforderung für die Wissenschaftler.
"Im Prinzip sind wir ständig dabei, neue Spiele zu entwickeln, man kann uns hier vergleichen mit einer Spielentwicklungsfirma, weil die Studien für die Kinder immer als Spiele gestaltet sind, das können Suchspiele sein, 'wir bauen etwas zusammen'-Spiele sein, das können Sprechspiele sein, das kann ein Hund sein, der etwas vorspricht, aber die Sprache noch nicht richtig beherrscht und immer Fehler macht und wir müssen dem jetzt helfen - lauter ganz verschiedene Spiele, und das ist genau die Schwierigkeit der wissenschaftlichen Arbeit, kreativ zu sein, sich Spiele auszudenken und auch die langweiligste wissenschaftliche Fragestellung in ein Spiel zu übersetzen, das Kindern sehr viel Spaß macht."
Susanne Grassmann, Linguistin und Psychologin, ebenfalls am Leipziger Max-Planck-Institut fokussiert in ihrer Studie das erste Stadium des Spracherwerbs, wenn das Kind zu sprechen beginnt. Meist um den ersten Geburtstag herum sagen die Kinder auch ihr erstes Wort. Aber wie kommen die Wörter in den Kopf? Wie hat das Kind herausbekommen, dass das Auto Auto heißt und der Ball Ball und dass man diese Wörter für verschiedene Gegenstände verwenden kann.
Ein elementare Strategie des Wörter-Lernprozesses ist bekannt und allen Eltern intuitiv geläufig. Sie spielen mit ihren Kindern so Susanne Grassmann, eine Art Benennungsspiel.
"Also die Mutter zeigt nacheinander auf verschiedene Gegenstände, die im Raum sind oder in einem Bilderbuch und gesagt: 'Guck mal, da ist ein Hund. Und guck mal, der Hund fährt mit dem Auto.' Sodass ständig parallel mit der Zeigegeste die Wörter fallen. Kinder verstehen die Zeigegeste mit ungefähr neun bis zwölf Monaten, da entwickelt sich das Verständnis der Zeigegeste, dass die Zeigegeste wirklich referierend ist, also auf einen externen Gegenstand bezogen ist, und dieses Verständnis der Zeigegeste können Kinder dann drei, vier Monate später verwenden, um ihre ersten Wörter zu lernen. Das wissen wir schon."
Susanne Grassmann beschäftigt sich in ihrer Studie mit sogenannten indirekten Wortlernsituationen. Denn Kinder eignen sich auch dann Wörter an, wenn es keine Zeigegesten oder Blicke gibt, die eine Brücke zwischen Wort und Sache schlagen.
Kinder leiten neue Bedeutungen auch aus dem Verständnis der Situation ab. Um dieses Phänomen nachzuweisen, hat Susanne Grassmann spezielle Testspiele mit Kindern entwickelt.
"Zum Beispiel, wenn es ein Auto gibt, das auf dem Fußboden herumliegt, und ein Gegenstand, den das Kind noch nicht kennt, für unsere Studie nutzen wir Gegenstände, die es gar nicht gibt, um sicher zu sein, dass Kinder sie noch nie gesehen haben. Also stellen wir uns vor, es ist vom Mars gefallen, irgendein Objekt, und da liegt das Auto und das Marsobjekt, und ich sage jetzt: 'Gib mir mal die Nohle' - Nohle gibt es als Wort nicht im Deutschen, aber es klingt deutsch - und dann können Kinder erraten, dass Nohle wohl das komische Marsobjekt ist, das sie vorher noch nicht gesehen haben, indem sie ausschließen, dass Auto Nohle ist, denn Auto ist ja schon Auto."
Im Spracherwerb verbinden sich kognitive Fähigkeiten - wie hier das logische Ausschlussprinzip - mit sprachlicher Sensibilität. Das alles entwickelt sich in der dialogischen Kommunikation, vor allem zwischen Eltern oder Bezugspersonen und dem Kind.
Die Leipziger Forscher haben ihrer Arbeit eine pragmatische Auffassung von Sprache zugrunde gelegt, wie sie vor allem Ludwig Wittgenstein in seiner späten Philosophie entwickelt hat. Wittgenstein sagt, dass man die Sprache nicht als ein von Mensch und Situation ablösbares Zeichensystem betrachten soll, wo man dann tote Sätze analysiert, sondern als ein kommunikatives Geschehen, als eine symbolische Tätigkeit, die mit anderen nichtsprachlichen Formen verbunden ist. Wittgenstein nennt es das Sprachspiel. Sprache wird also ganz unter dem Aspekt ihrer kommunikativen Verwendung und im sozialen Miteinander erfasst.
Übertragen auf die Erforschung des kindlichen Spracherwerbs bedeutet dies, den Dialog zwischen Eltern, Erziehern und den Kindern genauer zu analysieren.
Barbara Stumper, Psychologin und ausgebildete Logopädin konzentriert sich in ihrer Arbeit auf den Input vonseiten der Erwachsenen, auf das was Kinder hören, womit sie sozusagen sprachlich gefüttert werden.
"Ich interessiere mich vor allem dafür, wie denn die Sprache, die die Kinder hören, strukturiert ist. Welche Regelhaftigkeiten es in der kindgerichteten Sprache gibt. Es gibt eben Studien, die zeigen, dass Kinder diese Regeln sehr schnell auffassen, zum Beispiel das grammatische Geschlecht im Deutschen, 'der, die, das', was für Fremdsprachenlerner schwierig ist, ist für Kinder ganz einfach,, weil Kinder ganz schnell diese Regelhaftigkeit erkennen können, dass zum Beispiel Wörter die ein 'e' am Ende haben mit dem Artikel 'die' zusammenfallen. Und damit eben auch sehr schnell das grammatikalische Geschlecht lernen."
Konkret untersucht Barbara Stumper, wann und wie bestimmte sprachliche Strukturen, die das Kind gehört hat, von ihm selber übernommen und aktiv eingesetzt werden. Barbara Stumper treibt keine eigene Feldforschung, sondern arbeitet das umfassende Datenmaterial auf, das in einer Langzeitstudie vom Max-Planck-Institut gesammelt worden ist.
"Ich habe hier die Möglichkeit einen ganz großen Sprachkorpus untersuchen zu können, das heißt die gesammelte Sprache, die eine Mutter und ein Vater an ihr Kind richten, dass ist der große Korpus, Leo-Korpus genannt, das heißt Leo und seine Eltern wurden von dem ersten Geburtstag bis zum vierten des Jungen aufgenommen, in den ersten zwei Jahren fünfmal die Woche à zwei Stunden und im dritten und vierten Jahr dann in größeren Abständen, das heißt die kindgerichtete Sprache besteht aus mehreren Millionen Wörtern, und ich gucke mir an, wie Wörter innerhalb von Konstruktionen, zum Beispiel der Dativsatz 'ich gebe dir das Auto' auftauchen, und wiederkehrend auftauchen, sodass Kinder daraus eine Regel ableiten können, dass ich nämlich den Kasus Dativ anwenden muss in den und den Wörtern und in einer bestimmten Position im Satz."
Dass der Sprachkorpus, diese große empirische Datensammlung aufgebaut wurde, ist vor allem das Verdienst von Elena Lieven. Die britische Professorin forscht seit über zehn Jahren in Leipzig, kooperiert dabei intensiv mit dem Max Planck Child Study Centre in Manchester und der Universität im niederländischen Nijmwegen. Elena Lieven rückt die Erforschung des Spracherwerbs bei Kindern in eine sprachen- und kulturübergreifende Perspektive. Die Untersuchungen, so Elena Lieven, dürften nicht an den spezifischen Bedingungen kleben, unter denen europäische oder nordamerikanische Kinder aufwachsen und sprechen lernen, man müsse auch andere Spracherwerbskontexte studieren.
"Eines der Probleme unserer Forschung ist bis heute, dass sie an Einzelkindern aus Mittelschicht-Familien in entwickelten technologischen Gesellschaften orientiert ist. Und wir wissen sehr wenig darüber, wie Kinder lernen, wenn sie mehr von anderen Kindern oder von vielen Erwachsenen umgeben sind, und nicht in einer Eins-zu-eins-Situation. Deshalb haben wir angefangen die natürlichen Sprachäußerungen von 6 Kindern in einem Dorf in Ost-Nepal zu sammeln, die eine tibeto-burmesische Sprache sprechen. Wir folgen jedem der Kinder zwei Jahre lang. Und das ist eine Sprache, in der das Verb zweitausend mögliche Flexionen hat, also völlig verschieden vom Englischen oder Deutschen. Und es ist eine vom Aussterben bedrohte Sprache ohne Schrift. Also wir müssen sie zuerst transkribieren und in Nepalesisch übersetzen. Dann ein Glossar anlegen, damit uns die Linguisten sagen können, was ihre differenten Einheiten sind und dann, erst dann, können wir beginnen herauszuarbeiten, wie die Kinder ins Sprachsystem hineinkommen."
Das Projekt der Leipziger Wissenschaftler gehört zur Grundlagenforschung, es geht nicht um schnelle pädagogische Konzepte. Trotzdem fragen Eltern und Erzieher, ob und wie der Spracherwerb bei Kindern gefördert werden kann, da die Sorge um spätere Arbeitsplätze bereits in die Kindergärten Einzug hält. Barbara Stumper gibt hier Entwarnung, rät zur Gelassenheit:
"Grundsätzlich kann man sagen, dass man kaum ein Kind davon abhalten kann, die Sprache zu erwerben. Kinder wollen dazugehören, und sie merken, dass andere Sprache brauchen, um sich zu unterhalten, um etwas zu bekommen, von daher ist das Wichtigste, dass das Kind Motivation hat, eine Sprache zu lernen. Und es gibt Studien, die zeigen, dass Eltern ganz automatisch und natürlich Äußerungen ihrer Kinder erweitern oder auch verbessern. Zum Beispiel: das Kind zeigt auf den Ball und sagt dann 'Ball', und die Eltern erweitern häufig die Äußerung, in dem sie sagen 'Genau, da ist der Ball.' Dann haben sie den Artikel gegeben, das grammatische Geschlecht und sie haben einen kompletten Satz daraus gebildet, und das machen Eltern ungefähr in zehn Prozent der Fälle - es gibt also einen starken Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Eltern, und wie Kinder Vokabular erwerben."
Insbesondere betonen die Forscher, dass das Entwicklungstempo und die Lernwege bei Kindern sehr unterschiedlich sind. Eltern und Erzieher sollten das respektieren. Das eine Kind spricht früher, das andere später, das eine spricht viel, das andere wenig. Und doch nivellieren gravierende Unterschiede wenig später in erstaunlicher Weise.
Elena Lieven:
"Eins der interessantesten Dinge, die wir herausgefunden haben, ist Folgendes: Wenn man Zweijährige vergleicht, so haben sie sehr verschiedenen Grammatiken. Also was sie hinein nehmen von all dem was sie hören, kann wirklich ziemlich unterschiedlich sein - Ich meine es ist natürlich Englisch, aber sehr unterschiedlich - aber wenn wir ihre Grammatiken im Alter von drei vergleichen, dann sind sie viel näher beieinander. Man nimmt an, dass Kinder ihren Lernprozess mit kleinen Einheiten aus dem Gehörten starten. Und sie benutzen das, um die Sprache zu analysieren, aber bis sie drei Jahre alt sind, konvergieren sie hin zur Erwachsenensprache: also individuelle Unterschiede zu Beginn, aber am Ende muss es darauf hinauslaufen, miteinander zu sprechen."