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Wie kommt die Manguste ans Ei?

Zoologie.- Lange galten Traditionen als etwas typisch Menschliches - bis sich herausstellte, dass Schimpansen nur in einer Region mit Grashalmen nach Termiten fischen. Doch auch andere Lebewesen können Traditionen weitergeben.

Von Volkart Wildermuth | 07.06.2010
    Zebramangusten spielen vor einer ihrer Höhlen. Diese etwas größeren Verwandten der Erdmännchen sind im ganzen Afrika südlich der Sahara zu finden. Sie leben in Gruppen von rund 20 Tieren und haben ein ganz besonderes Sozialsystem. Die Jungen werden nicht von Vater oder Mutter aufgezogen, sie schließen sich einem anderen Erwachsenen an, das hat Dr. Corsin Müller in Uganda beobachtet.

    "Wenn Jungtiere den Bau verlassen, in dem sie geboren wurden, sucht sich ein jedes ein bestimmtes Erwachsenes aus und folgt ihm dann ständig bei der Futtersuche."

    Von diesem Beschützer und Mentor lernen sie alles, was eine Zebramanguste so über das Leben wissen muss - zum Beispiel wie man einen harten Nashornkäfer knackt. Da gibt es zwei Möglichkeiten: mit den Pfoten festhalten und zubeißen oder den Käfer so lange gegen einen Stein schleudern bis er bricht. Schwierige Techniken, wer die eine meistert, gibt sich mit der anderen nicht ab.

    "Die einen Individuen benutzen praktisch nur die Beißtechnik und andere zeigen eine klare Bevorzugung der Schleudertechnik."

    Corsin Müller wollte wissen, woher diese Vorlieben kommen. Experimentieren die Jungen eigenständig und stellen dabei fest, welche Technik ihnen liegt. Oder ahmen sie einfach ihren Mentor nach? Diese Frage konnte der Biologe von der Universität im englischen Exeter mithilfe eines künstlichen Nashornkäferersatz klären. Er füllte den Plastikbehälter aus einem Kinderüberraschungsei mit einer verlockenden Mischung aus Reis und Fisch. Zuerst erhielten die Mentoren den neuen Leckerbissen. Nach eigner Zeit kamen sie mit ihrer jeweiligen Lieblingstechnik an das Futter. Monate später präsentierte Corsin Müller den Zebramangusten-Schülern die Überraschungseier. Und die machten ohne jedes Herumprobieren genau das, was sie bei ihrem Mentor gelernt hatten.

    "Wenn das Erwachsene, dem sie zugeguckt haben, immer nur die Beißtechnik benutzt hat, dann hat das Jungtier dann anschließend auch die Beißtechnik bevorzugt. Und umgekehrt, Jungtiere, die die Schleudertecknik beobachtet haben, haben dann selbst später auch die Schleudertechnik bevorzugt."

    Damit ist zum ersten Mal im Freiland bei einem Kleinsäuger die Weitergabe einer Tradition nachgewiesen worden. Denn für Biologen sind Traditionen sozial gelernte Verhaltensvorlieben. So wie in manchen menschlichen Familien das Frühstücksei geköpft wird und in anderen gepellt, so übernehmen offenbar Zebramangusten den richtigen Umgang mit Überraschungseiern und Nashornkäfern von ihrem Mentor.

    "Was meine Arbeit jetzt zeigt ist, dass es eigentlich gar nicht außergewöhnlich intelligente Tiere sein müssen, damit sie Traditionen haben können. Sondern normale in Anführungszeichen Tiere wie die Zebramangusten können Traditionen haben, obwohl viele Leute bei denen eigentlich gar keine Traditionen vermuten würden."

    Corsin Müller ist davon überzeugt, dass nicht nur Zebramangusten unterschätzt wurden. Dass Esstraditionen nicht die Ausnahme, sondern der Normalfall sind.

    "Das bedeutet nun, dass möglicherweise sogar die meisten Wirbeltiere Traditionen haben. Nicht vielleicht ganze Batterien von Traditionen, wie wir Menschen sie haben, dass nennen wir dann Kultur, sondern vielleicht zwei oder drei."

    Wer nur grast oder an Blättern zupft, kommt gut mit angeborenen Instinkten zurecht. Wer aber auf schwieriges oder gefährliches Futter angewiesen ist, für den sollte sich der Aufwand des sozialen Lernens lohnen. Ganz besonders hat das offenbar für eine Art gegolten: den Homo sapiens.

    "Der Mensch ist immer noch sehr speziell, aber was sich nun zeigt, ist, dass nicht nur in Sachen von Traditionen sondern auch bei vielen anderen Aspekten, sehr basale Formen unseres Verhaltens eben bei Tieren auch schon vorhanden ist",

    so Corsin Müller. Biologisch betrachtet gehen selbst Oper oder Karneval zurück auf ein Überlebenswerkzeug, auf das schon Zwergmangusten setzen: soziales Lernen und die Tradition.