Karin Fischer: In London läuft der Countdown für Olympia 2012, die Stadt brummt vor freundlicher Geschäftigkeit, und wer das Sport-Gedöns nicht leiden kann, der findet überall auf Plakaten Hinweise auf Internet-Adressen, die helfen, zumindest dem Verkehrschaos zu entkommen. Natürlich ist die Stadt schon jetzt voller Touristen, die sich gegenseitig auf den Brücken oder am Ufer vor den fünf bunten Ringen fotografieren, die unter der Tower Bridge hängen. Und auch die Sicherheitsvorkehrungen sind spürbar, an den Eingängen der Pubs werden Taschen kontrolliert. Natürlich, und das ist unser Thema, ist auch die Kultur involviert. Olympische Spiele werden gerne zum Aushängeschild einer Nation gemacht, denn natürlich präsentiert sich auch das Land. - Frage an Matthias Thibaut in London: Welches im weiteren Sinne kulturelle Selbstverständnis spiegelt sich denn in dem, was jenseits der Spiele liegt?
Matthias Thibaut: Ich glaube, dass vor allem jetzt, was hier in London so passiert – man muss natürlich immer genau gucken, was es eigentlich ist, was die Londoner mit ihrem "London 2012 Festival" im Sinne haben -, aber es geht um Pluralismus, Chaos wird großgeschrieben in der Stadt jetzt, es geht um Gemeinsamkeit und Mitmachen, um Publikumsbeteiligung, um kostenlosen Eintritt, Massen-Appeal, Performance, Livechills an allen Ecken und Enden der Stadt. Ich würde mal sagen, es wird hier eine hedonistische, urbane, globale Kultur präsentiert, die vielleicht mehr auf den Bauch als den Kopf abzielt und mehr auf Kitzel der fünf Sinne als auf die intellektuelle Herausforderung oder die Ergriffenheit der Seele. Es ist eigentlich Brot und Spiele, was hier jetzt abläuft.
Fischer: Das ist ja vielleicht auch ganz angemessen für eine Stadt, die überhaupt die erste ist, in der Menschen aus jeder der 205 Nationen auch leben, die am Freitag im Stadion einlaufen. Eine Stadt mit Kultur von unten, wenn ich Sie richtig verstehe. Wie sieht das konkret aus?
Thibaut: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Es gab am Sonntag oder Samstag und Sonntag ein riesiges Musikfestival, eine dieser Sachen, die sich in London mit seinen sieben Millionen natürlich auch verlaufen und gar nicht so eine große Rolle spielen. Da gab es sechs Bühnen entlang der Themse, das hieß "BT River". BT ist die Telefongesellschaft, die das gesponsert hat. Es gab sechs Bühnen, fünf für jeden Erdteil und wir Europäer hatten zwei Bühnen. Die kleineren Bühnen waren sofort ausverkauft, da hat zum Beispiel im Sommerset House – das ist ein alter Stadtpalast in der Mitte der Stadt – Andy Sheppard, ein berühmter englischer Saxofonspieler, und hat eine Massen-Saxofonvorführung gemacht mit 250 und mehr Saxofonisten. Aber es gab auch die Asia-Bühne im Battersea Park, da waren 30.000 vorgesehen, ich war da, da war eine chinesische Sängerin, Superstar in China, Gong Lina, vielleicht bekannt auch in Deutschland, sie hat einen deutschen Mann, da waren nur 1000 Zuhörer. Da sieht man, wie sich diese Super-Veranstaltungen in der Stadt verlaufen. Der Sinn dieses Festivals war natürlich, jedes Land sollte auch musikalisch bei diesem Festival vertreten sein.
Fischer: Olympia ist ein Mega-Geschäft, mit dem üblichen Quantum Leid und Lust, was Infrastruktur, neue Bauten etc. betrifft. Eine Stadt, sei sie auch noch so groß, wird bewegt durch solche Spiele. Londons Osten zum Beispiel wurde einfach neu belebt. Was für Veränderungen sehen Sie noch?
Thibaut: London schwimmt ja auf einer Welle ungeheueren Selbstbewusstseins. Sie müssen nur Zeitungen aufschlagen, Magazine, der "The Economist" oder die "New York Times" oder das "Times Magazin". London ist jetzt in diesen Jahren die globale Hauptstadt geworden. Ob das der Kunstmarkt ist, ob es das Theater ist, ob es die Filme sind, was die Kultur angeht, ob es die Reichen sind, die Punker, die aus aller Welt kommen, ob es diese 250 Nationen sind, die hier leben und miteinander eigentlich verhältnismäßig viel Kreativität und auch Geschäfte machen, dieses Selbstbewusstsein, das kommt bei diesen Olympischen Spielen jetzt wirklich zum Ausdruck und man feiert es auch. Das ist, was die Londoner eigentlich von sich selber begeistert macht.
Fischer: London habe kollektiv und osmotisch beschlossen, diese Spiele zu hassen, schrieb der Autor A. A. Gill in einem Essay in der Zeitung. Wie äußern sich andere Kulturmenschen oder Intellektuelle zu diesem Groß-Event?
Thibaut: Ja das ist immer etwas Mode. Gill ist ein besonders blasierter Intellektueller, der sich gerne als Nörgler hier outet bei diesen Sachen. In Wirklichkeit ist es so, dass natürlich viele Londoner sehr mürrisch sind. Aber die, die mürrisch sind, das sind die Arbeiter, die zum Beispiel jetzt ihre Auslieferungen nachts machen müssen, weil der Verkehr am Tag zu toll wird und man die Bierfässer nicht in die Pubs kriegt. Aber in Wirklichkeit steigt die Begeisterung bei den Londonern, man merkt das jeden Tag etwas mehr. Es gibt hier das "London Eye", dieses Riesenrad an der Themse, das gibt jetzt Abends immer als Stimmungsbarometer die Stimmung in der Stadt durch. Ein Professor in Newcastle hat ein Computerprogramm entwickelt, bei dem er aus Twitter-Botschaften immer in real time die Stimmung der Nation ermitteln kann. Und ich habe, bevor ich ins Studio ging, nachgeguckt: die Stimmung in London ist heute Abend 69 Prozent positiv.
Fischer: Vielen Dank an Matthias Thibaut für diesen Einblick in die kulturelle Taktung Londons und Großbritanniens vor den Olympischen Spielen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Matthias Thibaut: Ich glaube, dass vor allem jetzt, was hier in London so passiert – man muss natürlich immer genau gucken, was es eigentlich ist, was die Londoner mit ihrem "London 2012 Festival" im Sinne haben -, aber es geht um Pluralismus, Chaos wird großgeschrieben in der Stadt jetzt, es geht um Gemeinsamkeit und Mitmachen, um Publikumsbeteiligung, um kostenlosen Eintritt, Massen-Appeal, Performance, Livechills an allen Ecken und Enden der Stadt. Ich würde mal sagen, es wird hier eine hedonistische, urbane, globale Kultur präsentiert, die vielleicht mehr auf den Bauch als den Kopf abzielt und mehr auf Kitzel der fünf Sinne als auf die intellektuelle Herausforderung oder die Ergriffenheit der Seele. Es ist eigentlich Brot und Spiele, was hier jetzt abläuft.
Fischer: Das ist ja vielleicht auch ganz angemessen für eine Stadt, die überhaupt die erste ist, in der Menschen aus jeder der 205 Nationen auch leben, die am Freitag im Stadion einlaufen. Eine Stadt mit Kultur von unten, wenn ich Sie richtig verstehe. Wie sieht das konkret aus?
Thibaut: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Es gab am Sonntag oder Samstag und Sonntag ein riesiges Musikfestival, eine dieser Sachen, die sich in London mit seinen sieben Millionen natürlich auch verlaufen und gar nicht so eine große Rolle spielen. Da gab es sechs Bühnen entlang der Themse, das hieß "BT River". BT ist die Telefongesellschaft, die das gesponsert hat. Es gab sechs Bühnen, fünf für jeden Erdteil und wir Europäer hatten zwei Bühnen. Die kleineren Bühnen waren sofort ausverkauft, da hat zum Beispiel im Sommerset House – das ist ein alter Stadtpalast in der Mitte der Stadt – Andy Sheppard, ein berühmter englischer Saxofonspieler, und hat eine Massen-Saxofonvorführung gemacht mit 250 und mehr Saxofonisten. Aber es gab auch die Asia-Bühne im Battersea Park, da waren 30.000 vorgesehen, ich war da, da war eine chinesische Sängerin, Superstar in China, Gong Lina, vielleicht bekannt auch in Deutschland, sie hat einen deutschen Mann, da waren nur 1000 Zuhörer. Da sieht man, wie sich diese Super-Veranstaltungen in der Stadt verlaufen. Der Sinn dieses Festivals war natürlich, jedes Land sollte auch musikalisch bei diesem Festival vertreten sein.
Fischer: Olympia ist ein Mega-Geschäft, mit dem üblichen Quantum Leid und Lust, was Infrastruktur, neue Bauten etc. betrifft. Eine Stadt, sei sie auch noch so groß, wird bewegt durch solche Spiele. Londons Osten zum Beispiel wurde einfach neu belebt. Was für Veränderungen sehen Sie noch?
Thibaut: London schwimmt ja auf einer Welle ungeheueren Selbstbewusstseins. Sie müssen nur Zeitungen aufschlagen, Magazine, der "The Economist" oder die "New York Times" oder das "Times Magazin". London ist jetzt in diesen Jahren die globale Hauptstadt geworden. Ob das der Kunstmarkt ist, ob es das Theater ist, ob es die Filme sind, was die Kultur angeht, ob es die Reichen sind, die Punker, die aus aller Welt kommen, ob es diese 250 Nationen sind, die hier leben und miteinander eigentlich verhältnismäßig viel Kreativität und auch Geschäfte machen, dieses Selbstbewusstsein, das kommt bei diesen Olympischen Spielen jetzt wirklich zum Ausdruck und man feiert es auch. Das ist, was die Londoner eigentlich von sich selber begeistert macht.
Fischer: London habe kollektiv und osmotisch beschlossen, diese Spiele zu hassen, schrieb der Autor A. A. Gill in einem Essay in der Zeitung. Wie äußern sich andere Kulturmenschen oder Intellektuelle zu diesem Groß-Event?
Thibaut: Ja das ist immer etwas Mode. Gill ist ein besonders blasierter Intellektueller, der sich gerne als Nörgler hier outet bei diesen Sachen. In Wirklichkeit ist es so, dass natürlich viele Londoner sehr mürrisch sind. Aber die, die mürrisch sind, das sind die Arbeiter, die zum Beispiel jetzt ihre Auslieferungen nachts machen müssen, weil der Verkehr am Tag zu toll wird und man die Bierfässer nicht in die Pubs kriegt. Aber in Wirklichkeit steigt die Begeisterung bei den Londonern, man merkt das jeden Tag etwas mehr. Es gibt hier das "London Eye", dieses Riesenrad an der Themse, das gibt jetzt Abends immer als Stimmungsbarometer die Stimmung in der Stadt durch. Ein Professor in Newcastle hat ein Computerprogramm entwickelt, bei dem er aus Twitter-Botschaften immer in real time die Stimmung der Nation ermitteln kann. Und ich habe, bevor ich ins Studio ging, nachgeguckt: die Stimmung in London ist heute Abend 69 Prozent positiv.
Fischer: Vielen Dank an Matthias Thibaut für diesen Einblick in die kulturelle Taktung Londons und Großbritanniens vor den Olympischen Spielen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.