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Wie man Lesen richtig lernt

Jeder fünfte 15-Jährige in Europa und viele Erwachsene können nicht richtig lesen. Die Europäische Union hat sich das Ziel gesetzt, dies zu ändern. Eine Studie rät, vor allem bei jungen Nichtlesern aus benachteiligten Milieus anzusetzen.

Von Doris Simon | 30.07.2011
    Besonders erfolgreich sind die nordischen Länder, die speziell ausgebildete Fachkräfte für Leseförderung einsetzen. Die Fachleute fürs Lesenlernen unterstützen Lehrer im regulären Unterricht, indem sie sich gezielt Schülern mit Leseschwäche widmen, in Einzel- oder Gruppenförderung. Dieses Modell könnte auch in den übrigen europäischen Staaten die Zahl der funktionellen oder echten Analphabeten senken, bestätigt nun eine Studie der Europäischen Kommission. Doris Pack, die Vorsitzende des Kultur- und Bildungsausschusses im Europäischen Parlament, kann sich solche Fachkräfte für Leseförderung auch in Deutschland gut vorstellen:

    "Wir haben immer weniger Kinder und immer mehr Lehrer, die wir nicht auf die Straße setzen sollten, sondern umschulen. Auch mir hat es die Augen geöffnet, weil ich weiß, dass wir in vielen Schulen Sonderschullehrer haben, Lehrer, die sich mit Legasthenie befassen. Aber wenn es so speziell ausgebildete Lehrer gibt, um das Lesen richtig zu lehren, wenn es da wirklich eine tolle Ausbildung gäbe, fände ich das eine tolle Sache, die wir uns auch zu eigen machen sollten."

    In ihrer Bewertung der Studie plädiert die Europäische Kommission für einen möglichst breiten Ansatz verschiedener Strategien: ein weit gefächertes Angebot von Büchern und Lesematerial in Kindergarten und Schule, spezielle Förderung für sozial benachteiligte Kinder und solche mit Leseschwäche. Besser ausgestattete Bibliotheken in Schulen und Gemeinden gehören ebenfalls dazu und Lehrer, die nach dem Lesen regelmäßig überprüfen, ob die Inhalte auch angekommen sind. EU-Bildungskommissarin Androula Vassiliou:

    "Einige Länder könnten in ihren Vorgaben deutlich mehr Wert darauf legen, dass das Gelesene auch wirklich verstanden wird. Dazu gehört, dass die Schüler ermutigt werden, Fragen zu stellen, den Text zu interpretieren und Teile der Lektüre in eigene Worte zu fassen, um sicher zu stellen, dass die Schüler den Text auch verstanden haben."

    Leseprogramme sollten Eltern nicht nur empfehlen, laut vorzulesen, sondern auch zuzuhören, wenn ihre Kinder selber laut lesen. Kritik üben die Autoren der Leselernstudie daran, dass viele Maßnahmen zur Leseförderung in den EU-Staaten sich an Kinder richten, die ohnehin lesen. Zugleich aber greife jedes vierte Kind in Europa im Alter von 10 Jahren von sich aus nie zu einem Buch, die meisten Nichtleser sind Jungen. Viele von ihnen kommen aus benachteiligten Milieus. Gerade diesen Kindern müssten die Mitgliedsländer besonders helfen beim Lesen lernen, genau da aber versagen sie bislang häufig, konstatiert die Studie. So können etwa auffällig viele junge Roma in Bulgarien, Rumänien, der Slowakei und Tschechien schlecht oder gar nicht lesen. EU-Bildungskommissarin Androulla Vassiliou drängt nun die Mitgliedsregierungen zur gezielten Leseförderung:

    "Wenn sie sich nicht ernsthaft diesen Problemen stellen, dann nehmen die Probleme weiter zu, mit allen negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Gesellschaft in diesen Ländern. Menschen mit Leseschwäche, jung oder alt, fühlen sich ausgeschlossen und finden oft keine Arbeit."

    Machen die 27 EU-Staaten weiter wie bisher, werden sie nie ihr Ziel erreichen, bis 2020 europaweit den Anteil der Jugendlichen mit Leseschwäche auf unter 15 Prozent zu senken. EU-Bildungskommissarin Vassiliou hat nun eine Alphabetisierungskampagne angekündigt, die sich vor allem an Leseschwache aus benachteiligten Verhältnissen richtet - also diejenigen, die bisher in vielen EU-Staaten durch die Leseförderprogramme hindurchgefallen sind.