"Hier rattern die Dinger rum, das ist nicht nur der Lärm – da kommt jetzt so ein Güterzug – sondern das sind auch die Wellen, die sich über den Boden auf die Häuser übertragen…"
Rolf Müller versteht kaum sein eigenes Wort. Mit hochgeschlagenem Kragen steht der Rentner im Nieselregen auf der Kalkstraße in Leverkusen-Manfort. Eine zugige Durchgangsstraße, neben dem Fußgängerweg donnern LKW vorbei, unter der Überführung rasen alle paar Minuten Güterzüge über die Gleise:
"Die dürfen hier bis (zu) 100 Stundenkilometern fahren. Umso schneller, umso höher natürlich der Lärmpegel"
So wie in Manfort ergeht es den Leverkusenern in vielen Stadtvierteln – Autobahnen und Eisenbahntrassen durchschneiden die Stadt wie ein Spinnennetz. Die Chemiestadt liegt mitten im größten Verkehrsknotenpunkt der Republik. Lärm, Luftverschmutzung, fehlende Grünflächen sind die Folge. Für die örtlichen Grünen eigentlich eine Steilvorlage, um sich als Ökopartei zu profilieren. Aber: Fehlanzeige. Rolf Müller hat eine eigene Interessengemeinschaft gegen Bahnlärm gegründet, denn von den Grünen fühlt er sich nicht unterstützt:
"Nein, gar nicht. Da hätte ich mir auch als Bürgerrechtler viel mehr Zuspruch und auch Engagement von den Grünen gewünscht. Wenn die so weitermachen, geht das in den Keller."
Der 62-Jährige spielt auf die Kommunalwahlen im kommenden Jahr an. Der Unmut gegen die Ökopartei sei groß in seiner Stadt, erzählt er, und führt als Beleg die zahlreichen Bürgerinitiativen an – gegen Lärm, für mehr Baumschutz, gegen die Bebauung von Naturschutzgebieten, für den Lebensraum des streng geschützten Steinkauzes. Früher, erinnert sich Müller, hätten die Grünen für den Feldhamster gekämpft, heute bilden sie mit CDU und FDP eine Jamaikakoalition im Stadtrat. Die Spritzigkeit sei ihnen da abhandengekommen:
"Hier fehlt eindeutig das Profil der Grünen, auch mal mit der Faust auf den Tisch zu schlagen und der CDU zu sagen, wenn ich schon mit der kuschele, aber dann bitte auch unsere Vorstellungen über Natur oder Lärmschutz."
"Es können Bürgerinitiativen letzten Endes nicht davon ausgehen, dass Politik immer so entscheidet, wie das die Bürgerinitiativen wollen."
Verteidigt sich Roswitha Arnold. Obwohl die Fraktionschefin der Grünen im Leverkusener Stadtrat seit Langem Zielscheibe der Bürgerkritik ist, gibt sie sich selbstbewusst. Arnold pocht auf die Sach- und Geldzwänge der Kommunalpolitik. Der Umweltschutz sei den Grünen zwar weiterhin heilig, aber noch wichtiger sei in einer hoch verschuldeten Stadt wie Leverkusen die Haushaltskonsolidierung – und damit auch die Anwerbung von Investoren.
"Es ist nicht so, dass wir Grüne uns Investorenwünschen gebeugt haben, sondern wir Grüne haben von Anfang an die Meinung vertreten, dass wir Investoren natürlich benötigen, um in Leverkusen stadtentwicklungspolitisch auch agieren zu können. Dass wir dieses aber dann tun, nachdem wir eigene Vorstellungen entwickelt haben, wie wir bestimmte Gebiete entwickeln wollen."
Leverkusen ist nicht Berlin und auch nicht Stuttgart. In der Chemiestadt wird nicht um einen Großbahnhof oder die Energiewende gestritten, dafür aber um eine sehr zentrale Frage, die weit über die kommunale Ebene hinaus das Selbstverständnis der Grünen berührt: Wie bürgernah und idealistisch ist die Ökopartei dreißig Jahre nach ihrer Gründung noch? Eine, die es wissen muss, ist Brigitte von Bonin, Gründungsmitglied der Grünen. Drei Jahrzehnte saß die 71-Jährige für ihre Partei im Leverkusener Stadtrat, 2009 ist sie bei den Grünen ausgetreten. Statt Idealisten habe sie dort nur noch Karrieristen erlebt, sagt von Bonin:
"Es hat etwas damit zu tun, dass man ganz gerne auch eine Karriere machen würde. Das war in den Anfängen natürlich völlig utopisch, von Karriere keine Spur. Da war unser Grundsatz: Nicht unbedingt mitregieren, aber mitreden, mithilfe der Bürger. Und das vermisse ich."
Das räumt auch Klaus Wolf ein, der Dritte am Kaffeetisch. Wolf war 1979 der erste grüne Bürgermeister in Leverkusen. Heute sieht er die Lage der Grünen ebenfalls kritisch, aber er nimmt seine Partei, weit über Leverkusen hinaus, auch in Schutz:
"Ganz schnell sind wir an der Stelle, wo wir auf einmal mit den Naturschutzverbänden in den Clinch geraten, wenn es darum geht, Strommasten oder Windmühlen in die Landschaft zu setzen. Auf der anderen Seite wissen wir alle, dass die Energiewende stattfinden muss, weil Ressourcen endlich sind. Also irgendwo muss man zu Entscheidungen kommen, und die Entscheidungen laufen dann zum Teil auch gegen Bürgerinitiativen, darüber muss man sich klar sein."
Es riecht nach der alten Auseinandersetzung zwischen Fundis und Realos, aber davon will Klaus Wolf nichts mehr hören. Die Probleme der Grünen seien viel handfester, der fehlende Nachwuchs zum Beispiel und der veränderte Zeitgeist. 2013 sei eben nicht 1979. Da widerspricht nun Rolf Müller:
"Auch wenn die Menschen sich verändert haben, dann wähle ich doch eine Partei, um mich mit denen zu identifizieren."
Müller beruft sich auf das letzte Kommunalwahlprogramm der Leverkusener Grünen von 2009, in dem ausdrücklich mehr Bürgerbeteiligung versprochen wurde. Das strebt jetzt auch die Bundespartei an, auf ihrem Parteitag Ende April wollen die Grünen ihr Programm erst nach Rücksprache mit der Basis endgültig beschließen. Rolf Müller schöpft da neue Zuversicht, zumal er wegen der Lärmschutzproblematik in Leverkusen sogar schon mit Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckhardt korrespondiert hat. Die Hoffnung stirbt eben zuletzt, das sieht auch Brigitte von Bonin so:
"Der grüne Kern ist einfach auch ein idealistischer Ansatz, nach wie vor. Wenn der verloren geht, Klaus, können die Grünen einpacken. Ich bin gar nicht so pessimistisch, ich glaube nur, dass es eine Neubesinnung geben muss auf diese Grundwerte."
Rolf Müller versteht kaum sein eigenes Wort. Mit hochgeschlagenem Kragen steht der Rentner im Nieselregen auf der Kalkstraße in Leverkusen-Manfort. Eine zugige Durchgangsstraße, neben dem Fußgängerweg donnern LKW vorbei, unter der Überführung rasen alle paar Minuten Güterzüge über die Gleise:
"Die dürfen hier bis (zu) 100 Stundenkilometern fahren. Umso schneller, umso höher natürlich der Lärmpegel"
So wie in Manfort ergeht es den Leverkusenern in vielen Stadtvierteln – Autobahnen und Eisenbahntrassen durchschneiden die Stadt wie ein Spinnennetz. Die Chemiestadt liegt mitten im größten Verkehrsknotenpunkt der Republik. Lärm, Luftverschmutzung, fehlende Grünflächen sind die Folge. Für die örtlichen Grünen eigentlich eine Steilvorlage, um sich als Ökopartei zu profilieren. Aber: Fehlanzeige. Rolf Müller hat eine eigene Interessengemeinschaft gegen Bahnlärm gegründet, denn von den Grünen fühlt er sich nicht unterstützt:
"Nein, gar nicht. Da hätte ich mir auch als Bürgerrechtler viel mehr Zuspruch und auch Engagement von den Grünen gewünscht. Wenn die so weitermachen, geht das in den Keller."
Der 62-Jährige spielt auf die Kommunalwahlen im kommenden Jahr an. Der Unmut gegen die Ökopartei sei groß in seiner Stadt, erzählt er, und führt als Beleg die zahlreichen Bürgerinitiativen an – gegen Lärm, für mehr Baumschutz, gegen die Bebauung von Naturschutzgebieten, für den Lebensraum des streng geschützten Steinkauzes. Früher, erinnert sich Müller, hätten die Grünen für den Feldhamster gekämpft, heute bilden sie mit CDU und FDP eine Jamaikakoalition im Stadtrat. Die Spritzigkeit sei ihnen da abhandengekommen:
"Hier fehlt eindeutig das Profil der Grünen, auch mal mit der Faust auf den Tisch zu schlagen und der CDU zu sagen, wenn ich schon mit der kuschele, aber dann bitte auch unsere Vorstellungen über Natur oder Lärmschutz."
"Es können Bürgerinitiativen letzten Endes nicht davon ausgehen, dass Politik immer so entscheidet, wie das die Bürgerinitiativen wollen."
Verteidigt sich Roswitha Arnold. Obwohl die Fraktionschefin der Grünen im Leverkusener Stadtrat seit Langem Zielscheibe der Bürgerkritik ist, gibt sie sich selbstbewusst. Arnold pocht auf die Sach- und Geldzwänge der Kommunalpolitik. Der Umweltschutz sei den Grünen zwar weiterhin heilig, aber noch wichtiger sei in einer hoch verschuldeten Stadt wie Leverkusen die Haushaltskonsolidierung – und damit auch die Anwerbung von Investoren.
"Es ist nicht so, dass wir Grüne uns Investorenwünschen gebeugt haben, sondern wir Grüne haben von Anfang an die Meinung vertreten, dass wir Investoren natürlich benötigen, um in Leverkusen stadtentwicklungspolitisch auch agieren zu können. Dass wir dieses aber dann tun, nachdem wir eigene Vorstellungen entwickelt haben, wie wir bestimmte Gebiete entwickeln wollen."
Leverkusen ist nicht Berlin und auch nicht Stuttgart. In der Chemiestadt wird nicht um einen Großbahnhof oder die Energiewende gestritten, dafür aber um eine sehr zentrale Frage, die weit über die kommunale Ebene hinaus das Selbstverständnis der Grünen berührt: Wie bürgernah und idealistisch ist die Ökopartei dreißig Jahre nach ihrer Gründung noch? Eine, die es wissen muss, ist Brigitte von Bonin, Gründungsmitglied der Grünen. Drei Jahrzehnte saß die 71-Jährige für ihre Partei im Leverkusener Stadtrat, 2009 ist sie bei den Grünen ausgetreten. Statt Idealisten habe sie dort nur noch Karrieristen erlebt, sagt von Bonin:
"Es hat etwas damit zu tun, dass man ganz gerne auch eine Karriere machen würde. Das war in den Anfängen natürlich völlig utopisch, von Karriere keine Spur. Da war unser Grundsatz: Nicht unbedingt mitregieren, aber mitreden, mithilfe der Bürger. Und das vermisse ich."
Das räumt auch Klaus Wolf ein, der Dritte am Kaffeetisch. Wolf war 1979 der erste grüne Bürgermeister in Leverkusen. Heute sieht er die Lage der Grünen ebenfalls kritisch, aber er nimmt seine Partei, weit über Leverkusen hinaus, auch in Schutz:
"Ganz schnell sind wir an der Stelle, wo wir auf einmal mit den Naturschutzverbänden in den Clinch geraten, wenn es darum geht, Strommasten oder Windmühlen in die Landschaft zu setzen. Auf der anderen Seite wissen wir alle, dass die Energiewende stattfinden muss, weil Ressourcen endlich sind. Also irgendwo muss man zu Entscheidungen kommen, und die Entscheidungen laufen dann zum Teil auch gegen Bürgerinitiativen, darüber muss man sich klar sein."
Es riecht nach der alten Auseinandersetzung zwischen Fundis und Realos, aber davon will Klaus Wolf nichts mehr hören. Die Probleme der Grünen seien viel handfester, der fehlende Nachwuchs zum Beispiel und der veränderte Zeitgeist. 2013 sei eben nicht 1979. Da widerspricht nun Rolf Müller:
"Auch wenn die Menschen sich verändert haben, dann wähle ich doch eine Partei, um mich mit denen zu identifizieren."
Müller beruft sich auf das letzte Kommunalwahlprogramm der Leverkusener Grünen von 2009, in dem ausdrücklich mehr Bürgerbeteiligung versprochen wurde. Das strebt jetzt auch die Bundespartei an, auf ihrem Parteitag Ende April wollen die Grünen ihr Programm erst nach Rücksprache mit der Basis endgültig beschließen. Rolf Müller schöpft da neue Zuversicht, zumal er wegen der Lärmschutzproblematik in Leverkusen sogar schon mit Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckhardt korrespondiert hat. Die Hoffnung stirbt eben zuletzt, das sieht auch Brigitte von Bonin so:
"Der grüne Kern ist einfach auch ein idealistischer Ansatz, nach wie vor. Wenn der verloren geht, Klaus, können die Grünen einpacken. Ich bin gar nicht so pessimistisch, ich glaube nur, dass es eine Neubesinnung geben muss auf diese Grundwerte."