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"Wie sollen sich da Märkte orientieren?"

Das Aufkaufen von Anleihen kriselnder Euroländer durch die Europäische Zentralbank ist ein großer Fehler, sagt der Wirtschaftsforscher Wim Kösters. Das beruhige die Märkte kurzfristig - mache aber die Bank von den Krisenländern abhängig.

Wim Kösters im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bettina Klein: Hektische Betriebsamkeit bestimmte das Wochenende und bestimmte den Beginn der Woche: Herabstufung der US-Kreditwürdigkeit am späten Freitagabend und Zweifel an der Finanzkraft Italiens und Spaniens führten zu neuem Handlungsdruck in der Politik diesseits und jenseits des Atlantiks. Die Börsen hatten vergangene Woche bereits eine Talfahrt und lange nicht dagewesene Verluste gesehen, gestern und heute sah es vielleicht nicht so schlimm aus wie erwartet, aber doch nicht viel besser. Am Telefon begrüße ich Professor Wim Kösters, er ist Vorstandsmitglied im Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung. Guten Morgen, Herr Professor Kösters!

    Wim Kösters: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Die Politik rennt im Augenblick der Entwicklung an den Finanzmärkten hinterher. Kann sie sie noch einholen?

    Kösters: Ja, das ist schwer, ich glaube, auf diese Art und Weise nicht. Die Politik handelt gegenwärtig nicht entschlossen und gibt den Märkten keine Orientierung.

    Klein: Was wäre notwendig?

    Kösters: Ja, wenn Sie sich anschauen, was in den USA passiert ist – mit dem langen Hin und Her bezüglich der Anhebung der Schuldengrenze –, und wenn Sie sehen, was in Europa passiert – da beschließt man kaum ein Programm, die europäischen Regierungschefs beschließen ein Rettungsprogramm, und kurze Zeit später sagt Herr Barroso dann, das sei alles nicht genug, er zweifelt selbst an diesem Programm –, wie sollen sich da Märkte orientieren und wie soll da Ruhe einkehren?

    Klein: Nun wurden ja von der EZB wohl Staatsanleihen aufgekauft von Italien und Spanien. Es hieß dann im Anschluss, es ist dadurch gelungen, doch die europäischen Märkte ein wenig zu stützen. Ist das nicht aufgegangen nach Ihrer Meinung?

    Kösters: Ja, ein wenig stimmt ja vielleicht, dass jetzt eine Beruhigung eintritt. Aber ob das dauerhaft ist, das ist doch immer die Frage. Man beschließt solche Rettungsmaßnahmen und hat dann einen kurzfristigen Effekt, aber es zeigt sich dann, dass es nicht durchschlägt. Und die Europäische Zentralbank macht sich gegenwärtig selbst abhängig, obwohl sie vom Statut her eine unabhängige Institution ist und den Märkten dadurch auch Orientierung geben soll, und das tut sie gegenwärtig nicht. Auf vage Ankündigungen nur der italienischen Regierung hin kauft sie italienische Staatsanleihen, obwohl Italien und Spanien gar nicht unterm Rettungsschirm sind. Nur wenn man unterm Rettungsschirm ist, kann man, muss man ja bestimmte Konditionen akzeptieren für die Konsolidierung der Haushalte – das müssen die Italiener gar nicht. Sie haben nur vage Ankündigungen gemacht, dass sie konsolidieren wollen und schneller konsolidieren wollen als bisher vorgesehen, und daraufhin gibt sich dann die Europäische Zentralbank hin und kauft italienische Staatsanleihen auf, und macht dann die Fiskalpolitik Italiens. Das kann nicht aufgehen, diese Rechnung, das ist ein großer Fehler, der da gemacht wird.

    Klein: Die EZB stand und steht von einer gewissen Seite des Diskussionsspektrums deshalb in der Kritik, die anderen sagen, die EZB ist unabhängig und sie ist auch unabhängig von der Abstimmung in den Parlamenten – so war es mal gedacht. Wovon ist sie jetzt abhängig, Ihrer Meinung nach?

    Kösters: Ja, Sie können das ja ganz einfach sich anschauen: Die italienische Regierung sagt, sie will Konsolidierungsprogramme vorziehen, kündigt das nur an, macht das nicht konkret, und auf diese Ankündigung hin erwartet dann Herr Berlusconi – das hat er explizit so geäußert –, dass jetzt die Europäische Zentralbank tätig würde. Und am nächsten Tag wird die Europäische Zentralbank tätig. Das ist doch nicht unabhängig, das ist doch Abhängigkeit von der italienischen Regierung in diesem Fall.

    Klein: Aber was wäre die Alternative, Herr Professor Kösters?

    Kösters: Die Alternative wäre, dass man den Märkten Orientierung gibt, dass man sagt, wo die Probleme liegen, dass man von der Lüge Abstand nimmt, es gäbe nur eine Illiquiditätskrise in Europa – es gibt eine Solvenzkrise Griechenlands, und da muss man dann entschlossen umschulden, was man nicht getan hat, sondern nur halbgar, und hat auf freiwillige Beteiligung gesetzt und die Banken sehr gut wegkommen lassen. Das ist alles keine Orientierung für die Märkte, sondern man muss die Realitäten anerkennen und dann entschlossen handeln, und nicht so wie in den USA ein langes Gezerre veranstalten vor der Öffentlichkeit, und in Europa dann auch jeden Tag eine neue Ankündigung durchs Dorf schicken. Das geht so nicht, das gibt keine Orientierung für die Märkte.

    Klein: Aber konkret für Europa: Sie meinen, wir sind angekommen in der Transferunion, und wir sollten uns auch dazu dann bekennen und das konsequent durchziehen, oder wie verstehe ich Sie?

    Kösters: Es ist viel schlimmer. Wir sind in einer Haftungsgemeinschaft, und aus dieser Haftungsgemeinschaft resultiert eine Transfergemeinschaft mit unbekanntem Ausgang. Bei einer Transferunion wären ja die Transfers geregelt, wer was bekommt nach welchen Regeln – das ist ja gegenwärtig nicht ersichtlich, sondern es wird ja nur verlangt, gerade auch von der SPD in letzter Zeit, Eurobons dann einzurichten und damit die Schulden anderer Länder zu übernehmen, da in die Haftung einzutreten mit unbekanntem Ausgang. Das kann nicht die Lösung sein.

    Klein: Sie haben gerade gesagt, es mangelt an Führung und an Vorgaben aus der Politik. Wir haben gerade am Wochenende und gestern vor allen Dingen gesehen, wie sehr wieder einmal Angst und auch Panik die Aktienmärkte teilweise gesteuert haben, als seien die Börsen eine Art unkontrollierbare Instanz, der wir hilflos ausgeliefert sind. Es ist interessant, da wir ja glauben, dass unsere Welt auf rationalen Grundlagen fußt und wir uns offenbar gleichzeitig damit abgefunden haben, wie stark ein so wichtiges System wie eben die Börsenfinanzmärkte eben auch von irrationalen Anteilen gesteuert sind. Halten Sie das für etwas, womit wir uns abfinden müssen?

    Kösters: Ich denke schon, also an den Börsen spielen natürlich auch Stimmungen und so etwas eine Rolle, und es geht nicht immer nur mit kühlem Kopf zu, und man muss sich ja auch anschauen: Eine Herabstufung der Führungsmacht der Welt, USA jetzt, muss ja verdaut werden. Es muss ja gefragt werden: Was bedeutet das jetzt für die Kurse? Und da findet jetzt der Versuch statt an den Märkten, den neuen Gleichgewichtspreis für die Finanzaktiva zu finden, und das ist ein Prozess, der verbunden ist mit einem Overshooting, Übersteuern oder Untersteuern. Und deswegen sehen wir gegenwärtig eine starke Volatilität der Kurse, die sich hoffentlich dann beruhigt irgendwann, sodass man dann, dass die Einschätzung der Märkte dann zu neuen Gleichgewichtswerten führt. Aber die Politik sollte das nicht zusätzlich dann aufschaukeln, sondern die Politik sollte für Orientierung sorgen und für eine Beruhigung sorgen, und das vermisse ich gegenwärtig.

    Klein: Professor Wim Kösters vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung. Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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