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Wie viel Ethik braucht die Wissenschaft?

Studierende, die widerrechtlich einen Promotionsberater heranziehen, Wissenschaftler, die nicht wissen, wer ihr Geldgeber ist, plagiierte Arbeiten: Ist die Ethik im Forschungsbereich vernachlässigt?

Von Verena Herb |
    "Wir brauchen vor allem einen hochkarätigen, ethischen Diskurs in der Wissenschaft, um so schwierige Fragen zu beantworten: Wie weit dürfen wir etwa in der Stammzellforschung gehen, wo liegen die Grenzen der Präimplantationsdiagnostik, was heißt Tierschutz – wo liegen dort die ethischen Grenzen für die Forschung? Das sind außerordentlich schwierige Fragen, die dürfen wir nicht dem politischen Tagesgeschehen überantworten, sondern die müssen wir in der Wissenschaft sehr konkret diskutieren …"

    … erklärt Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes. Er hat nach Hamburg geladen, wo sich die Berufsvertretung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diesem Jahr mit dem Thema "Wissenschaft und Ethik" auseinandersetzen. Doch die Diskussion muss viel weiter gefasst werden, jenseits der Auseinandersetzung in den Lebenswissenschaften zu Stammzellen und Co. Denn nicht nur in der Medizin spielt die Ethik eine Rolle, sondern auch und vor allem im Wissenschaftsbetrieb. Das räumt auch Bernhard Kempen ein.

    "Und da sind die traurigen Stichworte, mit denen wir zu tun haben – die lauten: Titelhandel, Plagiatsunwesen und dergleichen mehr."
    Schließlich bilde der redliche Umgang mit Methoden, Quellen und Daten sowie dem geistigen Eigentum das Fundament für die Arbeit eines Wissenschaftlers. Bei manchen scheint eben dieses Fundament zu bröckeln: Sogenannte Doktorfabriken, professionelle Unternehmen, die zahlungswillige und zahlungsfähige Promotionskandidaten an Doktorväter vermitteln, Hilfestellungen bei der Literaturrecherche bieten, manches Mal sogar Ghostwriting in ihrem Portfolio anbieten – so mancher Promovend hat die Hilfestellung in Anspruch genommen. Anfang Februar gab es dazu ein Urteil beim niedersächsischen Oberverwaltungsgericht: Doktoranden können von der Promotion ausgeschlossen werden, wenn sie einen gewerblichen Promotionsberater in Anspruch nehmen. Der Deutsche Hochschulverband begrüßt das und erneuert deshalb noch einmal die Forderung an die Universitäten, Doktoranden in einer eidesstattlichen Erklärung explizit versichern zu lassen, keine Hilfe eines Promotionsberaters in Anspruch genommen zu haben.

    "Jede Promotionsberatung, auch die Promotionsberatung in der Grauzone, wollen wir nicht. Wir verlangen von unseren Doktoranden, dass sie auf die Hilfe von Promotionsberatern vollständig verzichten. Auch, wenn sie möglicherweise vor den Augen des Gesetzes legal sein sollten."

    Allerdings begünstigen äußere Rahmenbedingungen ein unethisches Verhalten, auch und gerade bei jungen Wissenschaftlern. Häufig sei der Wettbewerbsdruck von außen sehr groß, so Kempen. Das ständige Drängen auf eine Erhöhung von Drittmittelquote und die persönliche Bezahlung nach Parametern wie eben Drittmittel-Akquise, Promotionen und Veröffentlichungen sei wissenschaftsinadäquat. Dennoch verurteilt der Professor Fälle wie an der Uni Göttingen. Dort wurde gegen 14 Forscher Anklage wegen Betrugs erhoben. Sie haben bei der Deutschen Forschungsgesellschaft Gelder für Publikationen beantragt, die noch nicht existierten.

    "Wir müssen in den einzelnen Bewilligungsinstitutionen sehr wachsam sein. Wir können nur daran appellieren, alle Mechanismen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um Betrugsfällen nachzugehen. Das heißt, wenn jemand mit getürkten Daten und gefälschten Unterlagen versucht, an Drittmittel zu kommen, dann muss jedem Anfangsverdacht sehr intensiv nachgegangen werden."

    Der Deutsche Hochschulverband will dazu strikte Resolutionen verabschieden, fordert Transparenz:

    "Wir wollen unsere Mitglieder auffordern, doch deutlich zu machen, mit welchen Drittmitteln sie forschen, wer ihre Drittmittelgeber sind. Das sind ja nicht nur die institutionalisierten Drittmittelgeber – Deutsche Forschungsgemeinschaft und Co., sondern es gibt auch private Drittmittelgeber. Und wir meinen, dass es guter, ethisch verantworteter Stil wäre, wenn Wissenschaftler sie deutlich machen, mit welcher Hilfe sie überhaupt forschen."

    Deshalb sei es wichtig schon früh, schon während des Studiums, ethische Fragen in das Curriculum einzubauen. Fachbezogene Ethik sollte daher an allen Universitäten Teil des Pflichtlehrangebots sein.