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Wie weiter nach Jamaika?
"Mir fehlt die Fantasie für einen neuen Anlauf"

Hat das gescheiterte Jamaika-Bündnis vielleicht doch noch eine Chance? Johannes Vogel (FDP) glaubt nicht dran. Wenn man vier Wochen lang nicht vorankomme, weder bei Inhalten noch bei der Vertrauensebene, fehle ihm die Fantasie, dass sich das jetzt über Nacht ändere, sagte Vogel im Dlf.

Johannes Vogel im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Johannes Will bei der Anne-Will-Talk-Show
    Johannes Vogel: "Eine gute Regierung braucht eine echte Modernisierungsagenda" (imago / Jürgen Heinrich)
    Jasper Barenberg: Das hat es noch nicht gegeben, dass das Land ohne Aussicht auf ein stabiles Regierungsbündnis dasteht, dass nach dem Ausstieg der FDP aus den Verhandlungen nicht mehr die Maklerin Angela Merkel den weiteren Gang der Dinge bestimmt, sondern der Bundespräsident in Schloss Bellevue.
    Mitgehört hat Johannes Vogel, ehemaliger Vorsitzender der Jungen Liberalen, jetzt gewählter Abgeordneter im Bundestag und in den letzten Wochen zeitweilig zumindest auch an den Sondierungsverhandlungen in Berlin beteiligt. Schönen guten Tag, Herr Vogel.
    Johannes Vogel: Hallo! – Guten Tag.
    "Haben uns alles andere als gedrückt"
    Barenberg: Niemand darf sich drücken. Das hat der Bundespräsident gestern an die Adresse der Parteien gesagt, und zwar mit großem Nachdruck. Für die FDP gilt das jetzt nicht mehr?
    Vogel: Na, das stimmt ja nicht. Wir haben uns ja alles andere als gedrückt. Anders als zum Beispiel die SPD haben wir natürlich Gespräche geführt und haben jetzt ja wochenlang ernsthaft gerungen und auch mit dem ernsthaften Ziel ja zu gucken, kann man zusammenkommen, kann man eine gute Regierung bilden. Aber eine Regierungsbildung ist eben kein Selbstzweck, sondern es muss auch im Vertrauen miteinander und vor allem auch inhaltlich passen. Sie braucht auch eine Agenda und ich finde natürlich sehr bedauerlich, dass es nicht gelungen ist, sich auf eine echte Modernisierungsagenda zu einigen. Aber wenn das nicht so ist, dann bringt es auch nichts, weiter zu reden und so eine Regierung zu bilden. Das könnten wir zumindest nicht unseren Wählern erklären als Freie Demokraten.
    Barenberg: Steinmeier sagt ja sinngemäß in etwa, die Bemühungen reichen bis jetzt noch nicht. Gesellen Sie sich jetzt trotzdem zur SPD, der Sie ja vorgeworfen haben in den letzten Wochen, dass sie sich aus der Verantwortung zurückzieht?
    Vogel: Nein, ich habe gar nichts vorgeworfen. Ich habe einfach nur beschrieben, was wir die letzten Wochen gemacht haben. Und natürlich haben wir alle eine Verantwortung und deshalb sind wir der auch nachgekommen. Ich war ja selber beteiligt, tage-, wochen-, nächtelang. Aber wenn am Ende keinerlei Trendwende erkennbar ist, wenn es im Wesentlichen eine "Weiter so"-Politik gewesen wäre, wenn wir nicht vorankommen zum Beispiel bei der Bildung, bei der Entlastung der Menschen, bei der Modernisierung, dann, glaube ich, ist es auch Verantwortung, den Bürgern das offen zu sagen.
    Weil ich höre viel und habe auch viel im letzten Bundestagswahlkampf gehört, dass es große Kritik gab an einer gefühlten Ununterscheidbarkeit der Parteien so im Sinne, egal was wir wählen, es wird einfach die Politik wie in den letzten Jahren fortgesetzt. Und das, glaube ich, tut einer Demokratie auch nicht gut, und dann ist es auch die Verantwortung, das transparent zu machen, dass wir dafür nicht zur Verfügung stehen.
    Barenberg: Sie sagen jetzt, das wäre auf ein "Weiter so" hinausgelaufen, Herr Vogel. Noch am vergangenen Sonntagabend, etwa zwei Stunden, genauer gesagt, bevor Christian Lindner dann den Ausstieg der FDP erklärt hat, waren Sie im ARD-Fernsehen noch zu Gast, und wenn Sie gestatten, würde ich gerne mal vorspielen, was Sie da gesagt haben.
    Vogel: Ja.
    O-Ton Johannes Vogel: "Ja, es gab im früheren Verlauf des Abends wohl einen Diskussionsstand. Den kann man Gesamtpaket nennen. Und mit dem hätten wir als Freie Demokraten gut leben können und können wir gut leben. Und die Frage ist, ist das bei allen Parteien so."
    "Alles wieder zurückgenommen, als ich in der Sendung war"
    Barenberg: So haben Sie sich am Sonntagabend noch eingelassen. Da haben Sie jetzt von einem Gesamtpaket gesprochen, mit dem Sie gut leben können. Was ist denn dann passiert?
    Vogel: Ich habe ja gesagt, es gab im früheren Verlauf des Abends wohl, es gab den ernsthaften Willen, das zum Erfolg zu führen, gerade auch von uns. Man spricht ja nicht, um nicht erfolgreich zu sein. Es gab dann letzten Donnerstag eine festgefahrene Situation. Da hat man gesagt, lasst uns das Wochenende noch mal zusammensetzen. Dann ist Christian Lindner am Sonntagmorgen in die Gespräche noch mal gegangen, nachdem er das vorher schon gemacht hatte, und hat gesagt: Leute, wenn wir jetzt nichts ändern, kommen wir nicht zusammen. Und dann am Sonntagnachmittag haben noch mal alle Parteien miteinander gesprochen und in der Tat hatten wir da den Eindruck, hatte unser Verhandlungsführer den Eindruck, dass es bei den zentralen Feldern endlich Bewegung gäbe.
    Johannes Vogel mit Parteichef Christian Lindner vor einem Wahkplakat
    Johannes Vogel mit Parteichef Christian Lindner stellen im Februar 2017 die Wahlplakate der FDP vor. (imago / Rainer Unkel)
    Da gab es wohl auch ein Nicken und eine Andeutung, dass wir zum Beispiel bei dem Thema "Politik hält Glaubwürdigkeit, indem sie die Abschaffung des Solis zumindest im Laufe dieser Legislatur vereinbart", dass es da doch Bewegung gäbe. Dies war die Wahrnehmung, die auch unsere Generalsekretärin hatte und dann gesagt hat, na ja, das könnte ja doch eine Grundlage sein. Da freut man sich ja auch, wenn sich Bewegung noch mal abzeichnet. Darauf wurde ich angesprochen und habe das gesagt.
    Aber gerade während ich in dieser Sendung war, gab es dann noch mal ein Gespräch der Verhandlungsführer, und da wurde alles wieder zurückgenommen und man ist im Wesentlichen auf das Angebot zurückgefallen wie von vor vier Wochen. Die CDU hat dann als Kompromiss ihr eigenes Wahlprogramm angeboten, als Kompromiss, und gesagt – ich bleibe mal bei dem Beispiel; das ist ja nur ein Thema, aber ein wichtiges Beispiel -, die Abschaffung des Solis, das verschieben wir in die nächste Legislaturperiode – ein Thema, wo alle Parteien versprochen haben, der läuft irgendwann aus. Da haben wir gesagt, hier gibt es keine Bewegung.
    "Es geht nicht nur um den Soli"
    Barenberg: Es macht ja ein bisschen stutzig, Herr Vogel, wenn ich das sagen darf, dass immer dieses Beispiel Solidaritätszuschlag als einziges genannt wird. Denn meine Frage an Sie wäre: Da ist innerhalb von wenigen Stunden, von zwei Stunden möglicherweise alles abhandengekommen, über das Sie seit vier Wochen so hartnäckig, wie Sie es uns beschrieben haben, verhandelt haben?
    Vogel: Ja. Das ist ja das Problem bei diesen Verhandlungen gewesen. Es gab bei den ganz zentralen Fragen, die dann letztlich ja auch eine ganze Richtung einer Regierung entscheiden, eine ganze Richtung einer Agenda oder eben nicht eine Agenda, die waren ja bis zuletzt strittig und bis zuletzt hat man gerungen. Es geht nicht nur um den Soli; es geht zum Beispiel auch um die Frage, Bildung als nationale Aufgabe zu begreifen, endlich das Kooperationsverbot zu beseitigen, mehr Geld für Bildung auszugeben, die Modernisierung auch der Arbeitswelt. Aber all diese Fragen, die letztlich ja ausmachen, kommt man überhaupt voran bei wesentlichen Fragen, oder wurstelt man auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner weiter, die waren bis zuletzt umstritten.
    Und in der Tat: Ich wunder mich auch, dass dann am Sonntagabend um 23:30 Uhr man auf dem Status quo ist, mit dem man vier Wochen vorher Gespräche begonnen hat, selbst bei Themen, wo ein Partner - in dem Fall des Solis wir als Freie Demokraten - gesagt hat, das ist für uns eine von den zentralen Fragen, und genau dann scheitert es, weil mich das genauso wundert wie Sie. Wie kann das sein, dass wir dann zurückfallen? Das ist dann am Ende nicht ausreichend. Dann gibt es keine gemeinsame Grundlage.
    Wunsch nach einer großen Steuerreform hinten angestellt
    Barenberg: Wir werden das sicherlich nicht auflösen können, denn Sie wissen genauso gut wie ich: Es gibt Darstellungen anderer Beobachter, die sagen, dass man der FDP weit entgegengekommen ist, dass man viele Bereiche vereinbart hatte, gerade unter den Stichworten Digitalisierung und Bildung, dass das Ergebnis ein bisschen anders war, als Sie es jetzt gesagt haben. Das können wir hier nicht aufklären. Meine Frage an Sie wäre: Wie wollen Sie denn den Eindruck aus der Welt schaffen, dass es nun ausgerechnet die FDP gewesen ist, die die Sondierungen kalkuliert hat platzen lassen? Weil Sie haben ja eben selbst gesagt, dass die Zweifel schon davor da waren, speziell an diesem Donnerstagabend davor.
    Vogel: Ja, indem ich hier sage, wie unsere Haltung ist, wie unsere Überzeugung ist, und darstelle, wie die Gespräche stattgefunden haben. Ich habe dargestellt, wie wir den Gesprächsstand empfunden haben, was unsere Verhandlungsführer berichtet haben, und ich glaube, da gibt es keinen Grund, daran zu zweifeln.
    Natürlich haben Sie recht. Es ist wichtig, deutlich zu machen, dass allen Beteiligten klar sein musste, es muss Kompromisse geben. Das sage ich aber auch für uns Freie Demokraten. Natürlich waren wir kompromissbereit. Wir haben unseren Wunsch einer großen Steuerreform hinten angestellt, gesagt, das kann man hier nicht machen, sind bei der Energiepolitik den Grünen weit entgegengekommen. Natürlich haben die Bürger einen Anspruch auf Kompromissbereitheit von allen Seiten. Das war bei uns aber auch vorhanden.
    Genauso, finde ich, haben die Bürger aber auch einen Anspruch darauf, dass es einen Unterschied macht, wen sie wählen, und dass Parteien nach der Wahl nicht vergessen, was sie vor der Wahl gesagt haben. Und wenn dann bei wesentlichen Fragen keine Trendwenden erkennbar sind, gar keine Agenda in Richtung einer Modernisierung des Landes, für die wir zumindest gewählt worden sind, dann, glaube ich, gehört es zur Ehrlichkeit zu sagen, wir wollten den Erfolg, haben ernsthaft gerungen, aber es gibt keine gemeinsame Grundlage, und das muss man dann auch ernsthaft und ehrlich konstatieren.
    Barenberg: Dann möchte ich noch mal zurückkommen auf die Gespräche, die der Bundespräsident jetzt führt, heute beispielsweise mit Ihrem Parteichef, mit Christian Lindner. Ein Beobachter schreibt heute Morgen: "Warum nicht die naheliegendste Option wählen?" Durchatmen hieße das, einen neuen Anlauf nehmen auch von Seiten der FDP?
    Vogel: Ich finde, es gehört genau zu diesem konstruktiven Anspruch, den alle einbringen müssen, den wir auch einbringen, dass man jetzt natürlich mit dem Bundespräsidenten redet. Deshalb tut das natürlich auch Christian Lindner. Aber, um offen zu sein: Wenn man vier Wochen immer wieder sich im Kreis gedreht hat, nicht vorangekommen ist, weder bei den Inhalten – darüber haben wir jetzt ausführlich gesprochen -, noch bei der Frage, gibt es eigentlich eine gemeinsame Vertrauensebene, mit der man vielleicht auch unvorhergesehene Fragen gemeinsam durchgehen will, da fehlt mir die Fantasie, dass sich das jetzt über Nacht ändert.
    Kein Mut für eine Modernisierungsagenda
    Barenberg: Weil Sie das Stichwort selber gerade genannt haben – würden Sie sagen, am Ende war es zum einen die Sachpolitik, zum anderen das mangelnde Vertrauen, oder überwiegt da das eine oder das andere in Ihrem Blick?
    Vogel: Nach meinem Eindruck kommt beides zusammen. Es gab nicht ausreichend Mut für eine Modernisierungsagenda. Es gab nicht ausreichend eine gemeinsame inhaltliche Grundlage. Das sage ich mit allem Respekt, weil alle Parteien ja ihre Überzeugungen einbringen. Das ist auch gut so. Wir wollen ja, dass Parteien Überzeugungen haben und nicht ununterscheidbar sind.
    Und zweitens natürlich aber auch die Vertrauensebene. Wenn Sie sehen, wie die letzten Wochen auch Berichterstattung war, wie Durchstechereien stattgefunden haben, wie schlecht auch übereinander geredet wurde, ich muss auch sagen, auch nach dem Scheitern der Verhandlungen, was ich teilweise an wirklich Hass und Bösartigkeit auch über meine Partei gelesen habe in den sozialen Medien von Vertretern der Grünen insbesondere. Dann muss ich sagen, da war offenbar auch nicht genügend Vertrauensgrundlage, und das brauchen Sie.
    Weil in der letzten Legislaturperiode wusste am Anfang niemand, dass die Migrationskrise das große Thema sein wird. Bei der vorletzten Legislaturperiode wusste am Anfang niemand, dass die Eurokrise das große Thema sein wird. Sie müssen eine Basis haben der vertrauensvollen Zusammenarbeit, auch wenn Unvorhergesehenes passiert. Das ist in manchen Fachbereichen durchaus gelungen, das aufzubauen. Das sage ich auch für den Bereich, den ich behandelt habe, in der Sozialpolitik. Aber insgesamt nicht ausreichend, und das konnte, glaube ich, auch jeder Beobachter in den letzten Wochen und Tagen, der das über die Medien verfolgt hat, spüren. Und dann muss man auch diese Wahrheit aussprechen.
    Barenberg: Und Sie haben ja auch deutlich gemacht, dass Sie kaum Chancen sehen, oder im Grunde genommen gar keine Chancen, dass der Bundespräsident vielleicht noch mal erreichen könnte, dass die FDP noch mal zurückkehrt an den Verhandlungstisch. – Wenn wir noch einen Schritt weiter vorausschauen auf mögliche Neuwahlen, die es am Ende dieses Verfahrens dann geben könnte, dann deutet nichts darauf hin, dass die Optionen danach andere wären, als wieder die zwischen Großer Koalition oder Jamaika. Wie wird sich die FDP dann verhalten?
    Vogel: Wir werden uns genauso verhalten, wie wir uns in den letzten Wochen verhalten haben, nämlich gesprächsbereit und auch kompromissbereit, aber eben nicht bereit, die Themen, Überzeugungen und Inhalte, für die wir gewählt wurden, völlig hinten anzustellen. Ich glaube, das ist auch die richtige Einstellung in einer Demokratie. Wir wissen nicht, wie es jetzt weitergeht. Der Ball liegt jetzt beim Bundespräsidenten. Falls es zu Neuwahlen kommt, ist das eine Situation, die sich niemand wünscht, aber die man dann mit offenem Visier und auch mit Ehrlichkeit angehen muss, und wir würden dann vor den Wähler treten und sagen, so war die Lage, das war unsere Kompromissbereitschaft und für folgende Themen sind wir gewählt worden. So werden das die anderen Parteien auch tun und dann die Wählerinnen und Wähler hätten dann das Wort, eben zu entscheiden, ob sie eine veränderte Konstellation wollen, ja oder nein. Aber da sind wir noch nicht, sondern jetzt liegt der Ball laut unserer Verfassung ja eindeutig beim Bundespräsidenten, und wir müssen gucken, wie es weitergeht.
    Barenberg: … sagt der FDP-Bundestagsabgeordnete Johannes Vogel. Vielen Dank für die Zeit und das Gespräch heute Mittag.
    Vogel: Gerne! – Danke Ihnen! – Schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.