Eine Wohnung in der Nähe des Sigmund Freud-Hauses. Hohe Wände hinauf bis zur Decke mit Bücherregalen, in denen Ilija Trojanows über Kontinente verstreute Bibliothek endlich Platz gefunden hat. Wien sagt er, sei nun das Basislager für seine künftigen Expeditionen. Die Stadt liege wunderbar zentral am Rande Europas. Sie lebe von der positiven Entwicklungshilfe aus dem Osten. Sie sei ein Ort der produktiven Vermischung von Kulturen und somit der richtige Platz für einen wie ihn, der immer das Leben in Zwischenräumen bevorzugt habe.
"Bei Gesprächen oder Interviews muss ich immer wieder meine Position verteidigen, dass ich nicht darunter leide, zwischen den Kulturen zu stecken, sondern im Gegenteil. Ich bin da, wo richtig was abgeht, wo es spannend wird, in dem großen Kessel, in dem sich was tut. Insofern fühl ich mich in einer privilegierten Position und keineswegs in einer bedauernswerten. Es klingt nämlich immer so: Sie Armer, sie sind jetzt in diesem Graben zwischen der einen oder anderen Kultur oder Sprache oder Religion."
Die Vermischung beziehungsweise der Zusammenfluss von Kulturen ist auch das zentrale Thema der friedlichen Streitschrift "Kampfabsage", die Ilija Trojanow und der indische Autor und Kulturphilosoph Ranjit Hoskote miteinander verfasst haben. Ursprünglich war es ein mit Wissen gesättigtes akademisches Werk auf hohem theoretischen Niveau, das vielleicht 2000 Menschen gelesen hätten, die ohnehin derselben Meinung sind. Nun ist es eine leicht lesbare, nichtsdestoweniger fundierte Abhandlung, in der Trojanow und Hoskote auch mit populären Exempeln und Mitteln des Humors zu belegen versuchen, dass unsere westliche Kultur ohne Einflüsse aus dem Osten nicht das geworden wäre, was sie heute ist.
"Ich war im Jahr 2007 Stadtschreiber in Mainz, und Mainz hat einen Fußballverein, der im ganzen deutschen Raum sehr beliebt ist, weil es sich um so eine richtige Underdog-Geschichte handelt - kein Wein, kein Geld - hat es dieser Fußballverein gegen alle Widerstände trotzdem geschafft, in die erste Liga zu kommen. So war ich als Mainzer Stadtschreiber im Stadion und hörte diese Rufe, die jeder, der je in einem Fußballstadion in ganz Europa gewesen ist, kennt, diese Wellen von "olé olé olé" und ich hab mir gedacht, jetzt erlaubst du dir mal einen Spaß und dann guckte ich einen dieser sehr erregten jungen Männer an, die um mich herumstanden, und fragte den, sag, weißt du eigentlich was "olé" heißt, wo das Wort herkommt? Da sagte der, ja, ich glaube, das kommt aus Spanien, das hat doch was mit diesen Stierkämpfern zu tun, die sagen doch "olé" . Ja, ja, sag ich, das stimmt schon alles, aber weißt du auch, was die ursprüngliche Bedeutung von "olé" war? Sagt er, ne, keine Ahnung, sag ich, das kommt von Allah, das heißt, jedes Mal wenn ihr Olé ruft, ruft ihr das arabische Wort für Gott aus."
Wer hätte gedacht, dass die Olé-Rufe in unseren Fußballstadien auf eine Meditationstechnik der Sufis, Anhänger eines weltoffenen Islam, zurückgeht, die das Wort "Allah" so schnell hintereinander aussprachen, bis es wie "olé" klang?
Wer hätte gewusst, dass die Gabel eine Erfindung des Orients ist, die im 13. Jahrhundert von einer byzantinischen Prinzessin nach Venedig gebracht wurde, sehr zum Leidwesen des Erzbischofs, der sie für ein gottloses Instrument hielt und allen, die sie verwendeten, mit Exkommunikation drohte?
"Es hat daher mehr als 200 Jahre gedauert, bis die Gabel sich allein in Venedig durchgesetzt hat und zwar deswegen, weil inzwischen hygienische Bedürfnisse aufgekommen waren. Die hatten wiederum etwas mit den intensiven Handelskontakten zur orientalischen Welt zu tun, denn der Orient war punkto Hygiene ja schon viel weiter als wir. Insofern hat man begonnen, über Hygiene nachzudenken und sich gedacht, ja klar, mit der Gabel zu essen, ist hygienischer.
Und erst dann, im 16. Jahrhundert, als Katharina von Medici den französischen König heiratet, wird die Gabel nach Frankreich exportiert. Und trotzdem hat noch Ludwig XIV. darauf bestanden, dass in seiner Gegenwart mit den Fingern gegessen wird. Und es hat wirklich sehr lang gedauert, bis die Gabel in der europäischen Alltagskultur angekommen war. Aber dann waren all die andern, von denen wir es ursprünglich übernommen haben, die Wilden, weil sie mal mit den Fingern essen."
Detailliert und mit Genuss belegen Trojanow und Hoskote, dass vieles, was wir für Errungenschaften unserer westlich aufgeklärten und zivilisierten Welt halten, auf avancierte Denker aus anderen Kulturkreisen zurückgeht, die Trennung zwischen Kirche und Staat beispielsweise auf islamische Philosophen des 11. Jahrhunderts. Interessant auch, dass in Al Andalus, einem islamischen Reich zersplitterter Staaten, das 400 Jahre lang vom heutigen Spanien in die Türkei reichte, bis es durch die christliche Reconquista zerstört wurde, auch Angehörige nicht islamischer Religionsgemeinschaften höchste Ämter innehaben konnten. Samuel ha-Nagid, ein jüdischer Rabbi etwa, war Großwesir von Granada und somit wichtigster Mann im Land, nach dem Emir. Zum Vergleich müsse man sich vorstellen, meint Trojanow, dass die deutsche Bundeskanzlerin heute ein Imman oder Mullah wäre.
Man könnte einwenden, dass die schönsten Beispiele aus der Geschichte mit denen die Autoren einen weltoffenen, toleranten Islam aus vergangenen Jahrhunderten beschwören, nichts an der aktuellen politischen Situation ändern, in der sich der Westen von fundamentalistischen Strömungen bedroht sieht. Doch dieser Vorwurf trifft nicht.
Denn Trojanow und Hoskote entwerfen keineswegs eine naiv-heile Welt der gegenseitigen kulturellen Befruchtung, sondern zeigen, dass Zusammenfluss oder confluence im Positiven wie im Negativen funktioniert. Die Gefahr, die von radikal-fundamentalistischen Strömungen ausgeht, sei es vom Islamismus, sei es vom Hindutva - seinem im Westen noch weitgehend ignorierten, indischen Bruder im fanatischen Geiste - wird nirgendwo geleugnet, sondern in ihrer vollen Tragweite herausgearbeitet.
Auf der Suche nach den Ursachen für den islamistischen Fundamentalismus stoßen die Autoren unter anderem auf Said Qutb, einen Theoretiker der ägyptischen Muslimbruderschaft, der von Lenin und Nietzsche beeinflusst war. Ein Mann von ungeheurer Vorbildwirkung für radikale Bewegungen, der die Aspekte der Moderne aufgesogen und umgepolt hat, um eine Verteidigungsstrategie gegen die Allmacht des Westens zu entwickeln.
"Was wir in unserer Diskussion immer wieder vergessen, ist, dass die Freiheit, die wir für uns selber mal erkämpft haben und die für uns - die wir Bürger dieser Gesellschaften sind - teilweise auch existiert, Angehörigen anderer Gesellschaften vorenthalten wurde. Das ist das Grundgesetz des Liberalismus, denn schon bei einem seiner Ahnherren, dem Engländer Milles, war es so, dass es ein Gesetz für die Briten und ein anderes Gesetz für die kolonialisierten Völker gab.
Das zieht sich durch die Geschichte der letzten 500 Jahre. Man kann die heutigen Spannungen nur verstehen, wenn man sich vor Augen führt, dass die anderen es seit 500 Jahren nur so kennen, dass sie keinen Zugang zu unserem Liberalismus und unserer Freiheit haben. Das hat nicht nur viel Zorn und Wut provoziert, sondern bei intellektuellen Menschen auch die Suche nach einer Gegenposition, und diese Gegenposition musste logischer Weise in der allmächtigen Gegenposition des Westens ihren Ausgang nehmen, weil man sich gedacht hat, okay, die sind so stark, deren Grundthesen müssen sehr erfolgreich sein."
Hilft es etwas, den Ursachen politischer Fehlentwicklungen auf die Spur zu kommen? Trojanow und Hoskote sind davon überzeugt. Warnungen vor "Mekka-Deutschland", wie das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" vor einigen Monaten titelte, halten sie für überzogen. Gebe es beispielsweise nur einen einzigen islamischen Abgeordneten im Deutschen Bundestag? Man möge, schlagen Trojanow und Hoskote vor, endlich damit aufhören, den Islam pauschal als rückständig, intolerant und gefährlich abzustempeln. Man möge gerechterweise nicht nur über das Kopftuchgebot bei islamischen Frauen sprechen, sondern auch über die pornografische Ausbeutung des weiblichen Körpers im Westen. Man solle endlich damit aufhören, kulturelle Unterschiede politisch zu missbrauchen. "Kampfabsage" ist ein differenziertes Buch, das beide Seiten an ihre gewaltsame Geschichte, aber auch an humanistisch-aufgeklärte Traditionen erinnert, an die man im gegenseitigen Interesse anknüpfen könnte.
"Es wird bis zum heutigen Tag so getan, als wären wir per se immer aufgeklärt und tolerant und rationalistisch gewesen, während die islamische Welt von Anfang an per se und für alle Zeiten, primitiv, dogmatisch, fromm und uneinsichtig gewesen ist. Und das Gefährliche an dieser Position ist, dass man politisch dann natürlich nur verlangen kann, die Moslems müssten sich uns völlig anpassen.
Wenn man allerdings weiß, dass es auch in der islamischen Philosophie und arabischen Geistesgeschichte eine Vielzahl von anderen Strömungen gab, dann kann man natürlich völlig anders argumentieren, dann kann man sagen, Leute, wo ist die Differenz? Ihr hatte doch einen Ibn Sina oder einen Ibn Rushd (Averreos). Lest doch mal Eure eigenen Klassiker!"
Ilija Trojanow, Ranjit Hoskote: Kampfabsage
Übersetzt von Heike Schlatterer
Karl Blessing Verlag, München
"Bei Gesprächen oder Interviews muss ich immer wieder meine Position verteidigen, dass ich nicht darunter leide, zwischen den Kulturen zu stecken, sondern im Gegenteil. Ich bin da, wo richtig was abgeht, wo es spannend wird, in dem großen Kessel, in dem sich was tut. Insofern fühl ich mich in einer privilegierten Position und keineswegs in einer bedauernswerten. Es klingt nämlich immer so: Sie Armer, sie sind jetzt in diesem Graben zwischen der einen oder anderen Kultur oder Sprache oder Religion."
Die Vermischung beziehungsweise der Zusammenfluss von Kulturen ist auch das zentrale Thema der friedlichen Streitschrift "Kampfabsage", die Ilija Trojanow und der indische Autor und Kulturphilosoph Ranjit Hoskote miteinander verfasst haben. Ursprünglich war es ein mit Wissen gesättigtes akademisches Werk auf hohem theoretischen Niveau, das vielleicht 2000 Menschen gelesen hätten, die ohnehin derselben Meinung sind. Nun ist es eine leicht lesbare, nichtsdestoweniger fundierte Abhandlung, in der Trojanow und Hoskote auch mit populären Exempeln und Mitteln des Humors zu belegen versuchen, dass unsere westliche Kultur ohne Einflüsse aus dem Osten nicht das geworden wäre, was sie heute ist.
"Ich war im Jahr 2007 Stadtschreiber in Mainz, und Mainz hat einen Fußballverein, der im ganzen deutschen Raum sehr beliebt ist, weil es sich um so eine richtige Underdog-Geschichte handelt - kein Wein, kein Geld - hat es dieser Fußballverein gegen alle Widerstände trotzdem geschafft, in die erste Liga zu kommen. So war ich als Mainzer Stadtschreiber im Stadion und hörte diese Rufe, die jeder, der je in einem Fußballstadion in ganz Europa gewesen ist, kennt, diese Wellen von "olé olé olé" und ich hab mir gedacht, jetzt erlaubst du dir mal einen Spaß und dann guckte ich einen dieser sehr erregten jungen Männer an, die um mich herumstanden, und fragte den, sag, weißt du eigentlich was "olé" heißt, wo das Wort herkommt? Da sagte der, ja, ich glaube, das kommt aus Spanien, das hat doch was mit diesen Stierkämpfern zu tun, die sagen doch "olé" . Ja, ja, sag ich, das stimmt schon alles, aber weißt du auch, was die ursprüngliche Bedeutung von "olé" war? Sagt er, ne, keine Ahnung, sag ich, das kommt von Allah, das heißt, jedes Mal wenn ihr Olé ruft, ruft ihr das arabische Wort für Gott aus."
Wer hätte gedacht, dass die Olé-Rufe in unseren Fußballstadien auf eine Meditationstechnik der Sufis, Anhänger eines weltoffenen Islam, zurückgeht, die das Wort "Allah" so schnell hintereinander aussprachen, bis es wie "olé" klang?
Wer hätte gewusst, dass die Gabel eine Erfindung des Orients ist, die im 13. Jahrhundert von einer byzantinischen Prinzessin nach Venedig gebracht wurde, sehr zum Leidwesen des Erzbischofs, der sie für ein gottloses Instrument hielt und allen, die sie verwendeten, mit Exkommunikation drohte?
"Es hat daher mehr als 200 Jahre gedauert, bis die Gabel sich allein in Venedig durchgesetzt hat und zwar deswegen, weil inzwischen hygienische Bedürfnisse aufgekommen waren. Die hatten wiederum etwas mit den intensiven Handelskontakten zur orientalischen Welt zu tun, denn der Orient war punkto Hygiene ja schon viel weiter als wir. Insofern hat man begonnen, über Hygiene nachzudenken und sich gedacht, ja klar, mit der Gabel zu essen, ist hygienischer.
Und erst dann, im 16. Jahrhundert, als Katharina von Medici den französischen König heiratet, wird die Gabel nach Frankreich exportiert. Und trotzdem hat noch Ludwig XIV. darauf bestanden, dass in seiner Gegenwart mit den Fingern gegessen wird. Und es hat wirklich sehr lang gedauert, bis die Gabel in der europäischen Alltagskultur angekommen war. Aber dann waren all die andern, von denen wir es ursprünglich übernommen haben, die Wilden, weil sie mal mit den Fingern essen."
Detailliert und mit Genuss belegen Trojanow und Hoskote, dass vieles, was wir für Errungenschaften unserer westlich aufgeklärten und zivilisierten Welt halten, auf avancierte Denker aus anderen Kulturkreisen zurückgeht, die Trennung zwischen Kirche und Staat beispielsweise auf islamische Philosophen des 11. Jahrhunderts. Interessant auch, dass in Al Andalus, einem islamischen Reich zersplitterter Staaten, das 400 Jahre lang vom heutigen Spanien in die Türkei reichte, bis es durch die christliche Reconquista zerstört wurde, auch Angehörige nicht islamischer Religionsgemeinschaften höchste Ämter innehaben konnten. Samuel ha-Nagid, ein jüdischer Rabbi etwa, war Großwesir von Granada und somit wichtigster Mann im Land, nach dem Emir. Zum Vergleich müsse man sich vorstellen, meint Trojanow, dass die deutsche Bundeskanzlerin heute ein Imman oder Mullah wäre.
Man könnte einwenden, dass die schönsten Beispiele aus der Geschichte mit denen die Autoren einen weltoffenen, toleranten Islam aus vergangenen Jahrhunderten beschwören, nichts an der aktuellen politischen Situation ändern, in der sich der Westen von fundamentalistischen Strömungen bedroht sieht. Doch dieser Vorwurf trifft nicht.
Denn Trojanow und Hoskote entwerfen keineswegs eine naiv-heile Welt der gegenseitigen kulturellen Befruchtung, sondern zeigen, dass Zusammenfluss oder confluence im Positiven wie im Negativen funktioniert. Die Gefahr, die von radikal-fundamentalistischen Strömungen ausgeht, sei es vom Islamismus, sei es vom Hindutva - seinem im Westen noch weitgehend ignorierten, indischen Bruder im fanatischen Geiste - wird nirgendwo geleugnet, sondern in ihrer vollen Tragweite herausgearbeitet.
Auf der Suche nach den Ursachen für den islamistischen Fundamentalismus stoßen die Autoren unter anderem auf Said Qutb, einen Theoretiker der ägyptischen Muslimbruderschaft, der von Lenin und Nietzsche beeinflusst war. Ein Mann von ungeheurer Vorbildwirkung für radikale Bewegungen, der die Aspekte der Moderne aufgesogen und umgepolt hat, um eine Verteidigungsstrategie gegen die Allmacht des Westens zu entwickeln.
"Was wir in unserer Diskussion immer wieder vergessen, ist, dass die Freiheit, die wir für uns selber mal erkämpft haben und die für uns - die wir Bürger dieser Gesellschaften sind - teilweise auch existiert, Angehörigen anderer Gesellschaften vorenthalten wurde. Das ist das Grundgesetz des Liberalismus, denn schon bei einem seiner Ahnherren, dem Engländer Milles, war es so, dass es ein Gesetz für die Briten und ein anderes Gesetz für die kolonialisierten Völker gab.
Das zieht sich durch die Geschichte der letzten 500 Jahre. Man kann die heutigen Spannungen nur verstehen, wenn man sich vor Augen führt, dass die anderen es seit 500 Jahren nur so kennen, dass sie keinen Zugang zu unserem Liberalismus und unserer Freiheit haben. Das hat nicht nur viel Zorn und Wut provoziert, sondern bei intellektuellen Menschen auch die Suche nach einer Gegenposition, und diese Gegenposition musste logischer Weise in der allmächtigen Gegenposition des Westens ihren Ausgang nehmen, weil man sich gedacht hat, okay, die sind so stark, deren Grundthesen müssen sehr erfolgreich sein."
Hilft es etwas, den Ursachen politischer Fehlentwicklungen auf die Spur zu kommen? Trojanow und Hoskote sind davon überzeugt. Warnungen vor "Mekka-Deutschland", wie das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" vor einigen Monaten titelte, halten sie für überzogen. Gebe es beispielsweise nur einen einzigen islamischen Abgeordneten im Deutschen Bundestag? Man möge, schlagen Trojanow und Hoskote vor, endlich damit aufhören, den Islam pauschal als rückständig, intolerant und gefährlich abzustempeln. Man möge gerechterweise nicht nur über das Kopftuchgebot bei islamischen Frauen sprechen, sondern auch über die pornografische Ausbeutung des weiblichen Körpers im Westen. Man solle endlich damit aufhören, kulturelle Unterschiede politisch zu missbrauchen. "Kampfabsage" ist ein differenziertes Buch, das beide Seiten an ihre gewaltsame Geschichte, aber auch an humanistisch-aufgeklärte Traditionen erinnert, an die man im gegenseitigen Interesse anknüpfen könnte.
"Es wird bis zum heutigen Tag so getan, als wären wir per se immer aufgeklärt und tolerant und rationalistisch gewesen, während die islamische Welt von Anfang an per se und für alle Zeiten, primitiv, dogmatisch, fromm und uneinsichtig gewesen ist. Und das Gefährliche an dieser Position ist, dass man politisch dann natürlich nur verlangen kann, die Moslems müssten sich uns völlig anpassen.
Wenn man allerdings weiß, dass es auch in der islamischen Philosophie und arabischen Geistesgeschichte eine Vielzahl von anderen Strömungen gab, dann kann man natürlich völlig anders argumentieren, dann kann man sagen, Leute, wo ist die Differenz? Ihr hatte doch einen Ibn Sina oder einen Ibn Rushd (Averreos). Lest doch mal Eure eigenen Klassiker!"
Ilija Trojanow, Ranjit Hoskote: Kampfabsage
Übersetzt von Heike Schlatterer
Karl Blessing Verlag, München