Christian Bremkamp: Die Aufständischen in Libyen haben die Machtzentrale des langjährigen Machthabers Gaddafi erobert, aber die Kämpfe in der Hauptstadt Tripolis gehen weiter und Gaddafi ist noch immer nicht gefasst. Angeblich konnte er gar unerkannt durch Tripolis spazieren gehen.
Die Situation in Libyen bleibt also weiter unübersichtlich. Dennoch machen sich Politiker rund um den Globus Gedanken darüber, wie die Zukunft des Landes aussehen könnte und wie man bei einem Aufbau funktionierender Strukturen helfen kann. – Am Telefon begrüße ich dazu jetzt Berit Bliesemann de Guevara von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Guten Tag!
Berit Bliesemann de Guevara: Ja, guten Tag!
Bremkamp: Sie haben sich auch in einem Buch vor allem mit dem sogenannten State-Building auf dem Balkan auseinandergesetzt. Trotz aller Unterschiede haben die Regionen eines gemeinsam: Erst gab es Krieg, dann musste vieles neu aufgebaut werden. Worauf sollte man ganz am Anfang achten bei einem solchen State-Building?
Bliesemann de Guevara: Ja. Meine Forschungen haben gezeigt – und nicht nur meine, auch die von Kollegen -, dass der Westen sich vor allen Dingen nicht überschätzen darf. State-Building - das ist das, was wir in Krisenregionen seit den frühen 2000er-Jahren machen, also der Versuch, Staatlichkeit nach westlichem Vorbild aufzubauen -, das hat sich doch im Grunde in allen Regionen, wo wir das beobachten können, sei es auf dem Balkan oder in Afghanistan, als sehr große Aufgabe erwiesen, und zwar als eine Aufgabe, die zunächst mal eine Art potemkinsche Staatlichkeit hervorbringt. Das wäre so meine Kernthese dazu. Der Westen kann zwar Staatsfassaden aufbauen, er kann dafür sorgen, dass es Ministerien gibt, Institutionen, demokratische Verfahren, aber er kann nicht dafür sorgen, dass diese Verfahren und Institutionen auch tatsächlich genutzt werden und tatsächlich lokal anerkannt werden.
Bremkamp: Was heißt das? Sollte man die Menschen vor Ort ernster nehmen, oder vielleicht auch dann noch an Reststrukturen, die es noch gibt, anknüpfen, oder wie verstehe ich das?
Bliesemann de Guevara: Ja, das wäre ganz wichtig. Die Intervention tut ganz häufig so, als wäre so ein State-Building so eine Art Stunde null, als hätte man jetzt eine Tabula rasa und könnte dort neue Staatsstrukturen nach dem Idealbild aufbauen, aber das stimmt natürlich nicht. Es gibt staatliche Strukturen, es gibt wirtschaftliche Strukturen und soziale, es gibt Traditionen, es gibt bestimmte Verständnisse von dem, was richtig und falsch ist, in einer Gesellschaft und all das muss Berücksichtigung finden, und so kann es nur funktionieren.
Bremkamp: Wer sollte denn so ein State-Building organisieren? Wer wäre da sagen wir mal aus Deutschland der Richtige?
Bliesemann de Guevara: Aus Deutschland? – Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube anhand meiner Forschungen zu Bosnien, dass alles, was von außen kommt, im Grunde nur unterstützend sein kann, dass aber federführend die lokalen Akteure sein müssen.
Bremkamp: ... denn in Bosnien sieht man, auch über 15 Jahre nach dem Krieg gibt es immer noch ganz viele Helfer aus dem Ausland, und man muss so ehrlich sein und sagen, dass die Strukturen, die man sich vielleicht wünschen würde, dort immer noch nicht funktionieren.
Bliesemann de Guevara: Ja. Das ist im Grunde das beste Beispiel, was wir dafür haben, wie schwierig das State-Building ist, dass wir in Bosnien nach über 15 Jahren sehr viel Geld, sehr viel Engagement durch den Westen noch immer nicht sicher sein können, was eigentlich passieren wird, wenn die internationalen Akteure sich gänzlich aus dem Land zurückziehen, und Fragen, die Anfang der 90er-Jahre zu dem Krieg geführt haben, Probleme der Machtverteilung, die ungeklärt waren, die bleiben bis heute ungelöst.
Bremkamp: Wer wäre denn jetzt in Libyen aus der Ferne betrachtet aus Ihrer Sicht der oder die richtigen Ansprechpartner?
Bliesemann de Guevara: Zu Libyen kenne ich mich leider nicht besonders gut aus. Ich habe aber so meine gewissen Zweifel, dass wir dort sofort die richtigen Ansprechpartner finden werden. Ein bisschen problematisch ist ja immer bei Staaten, wenn sie sich stark auf wirtschaftliche Renten, in diesem Fall auf Ölrenten, verlassen können. Die Rebellen haben ja jetzt Wahlen angekündigt, das hört sich ja erst mal ganz gut an, aber da würde ich mal zu bedenken geben, dass Wahlen erstens noch nicht wirklich Demokratie bedeuten und sie bedeuten auch noch lange nicht, dass es wirklich moderne rechenschaftspflichtige Staatsstrukturen gibt. Und das Problem bei Rentenstaaten ist immer, egal wer an der Macht ist, solange das Geld eben nicht durch Steuern von der Bevölkerung erhoben wird und man deswegen auch als Staat Leistungen erbringen muss gegenüber der Bevölkerung, sondern das Geld kommt eben in diesem Falle aus Ölrenten, ist jedwede Staatsführung relativ entkoppelt von den Wünschen der Bevölkerung und das widerspricht ja komplett unserer Vorstellung eines demokratischen Staates.
Bremkamp: Freut sich der Westen in der Regel zu früh?
Bliesemann de Guevara: Wenn er sich freut, würde ich sagen, ja. Ja, auf jeden Fall.
Bremkamp: Das war Berit Bliesemann de Guevara von der Helmut-Schmidt-Universität in Berlin. Sie ist Expertin für State-Building. Ich danke Ihnen ganz herzlich.
Bliesemann de Guevara: Ja, vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Berit Bliesemann de Guevara: Ja, guten Tag!
Bremkamp: Sie haben sich auch in einem Buch vor allem mit dem sogenannten State-Building auf dem Balkan auseinandergesetzt. Trotz aller Unterschiede haben die Regionen eines gemeinsam: Erst gab es Krieg, dann musste vieles neu aufgebaut werden. Worauf sollte man ganz am Anfang achten bei einem solchen State-Building?
Bliesemann de Guevara: Ja. Meine Forschungen haben gezeigt – und nicht nur meine, auch die von Kollegen -, dass der Westen sich vor allen Dingen nicht überschätzen darf. State-Building - das ist das, was wir in Krisenregionen seit den frühen 2000er-Jahren machen, also der Versuch, Staatlichkeit nach westlichem Vorbild aufzubauen -, das hat sich doch im Grunde in allen Regionen, wo wir das beobachten können, sei es auf dem Balkan oder in Afghanistan, als sehr große Aufgabe erwiesen, und zwar als eine Aufgabe, die zunächst mal eine Art potemkinsche Staatlichkeit hervorbringt. Das wäre so meine Kernthese dazu. Der Westen kann zwar Staatsfassaden aufbauen, er kann dafür sorgen, dass es Ministerien gibt, Institutionen, demokratische Verfahren, aber er kann nicht dafür sorgen, dass diese Verfahren und Institutionen auch tatsächlich genutzt werden und tatsächlich lokal anerkannt werden.
Bremkamp: Was heißt das? Sollte man die Menschen vor Ort ernster nehmen, oder vielleicht auch dann noch an Reststrukturen, die es noch gibt, anknüpfen, oder wie verstehe ich das?
Bliesemann de Guevara: Ja, das wäre ganz wichtig. Die Intervention tut ganz häufig so, als wäre so ein State-Building so eine Art Stunde null, als hätte man jetzt eine Tabula rasa und könnte dort neue Staatsstrukturen nach dem Idealbild aufbauen, aber das stimmt natürlich nicht. Es gibt staatliche Strukturen, es gibt wirtschaftliche Strukturen und soziale, es gibt Traditionen, es gibt bestimmte Verständnisse von dem, was richtig und falsch ist, in einer Gesellschaft und all das muss Berücksichtigung finden, und so kann es nur funktionieren.
Bremkamp: Wer sollte denn so ein State-Building organisieren? Wer wäre da sagen wir mal aus Deutschland der Richtige?
Bliesemann de Guevara: Aus Deutschland? – Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube anhand meiner Forschungen zu Bosnien, dass alles, was von außen kommt, im Grunde nur unterstützend sein kann, dass aber federführend die lokalen Akteure sein müssen.
Bremkamp: ... denn in Bosnien sieht man, auch über 15 Jahre nach dem Krieg gibt es immer noch ganz viele Helfer aus dem Ausland, und man muss so ehrlich sein und sagen, dass die Strukturen, die man sich vielleicht wünschen würde, dort immer noch nicht funktionieren.
Bliesemann de Guevara: Ja. Das ist im Grunde das beste Beispiel, was wir dafür haben, wie schwierig das State-Building ist, dass wir in Bosnien nach über 15 Jahren sehr viel Geld, sehr viel Engagement durch den Westen noch immer nicht sicher sein können, was eigentlich passieren wird, wenn die internationalen Akteure sich gänzlich aus dem Land zurückziehen, und Fragen, die Anfang der 90er-Jahre zu dem Krieg geführt haben, Probleme der Machtverteilung, die ungeklärt waren, die bleiben bis heute ungelöst.
Bremkamp: Wer wäre denn jetzt in Libyen aus der Ferne betrachtet aus Ihrer Sicht der oder die richtigen Ansprechpartner?
Bliesemann de Guevara: Zu Libyen kenne ich mich leider nicht besonders gut aus. Ich habe aber so meine gewissen Zweifel, dass wir dort sofort die richtigen Ansprechpartner finden werden. Ein bisschen problematisch ist ja immer bei Staaten, wenn sie sich stark auf wirtschaftliche Renten, in diesem Fall auf Ölrenten, verlassen können. Die Rebellen haben ja jetzt Wahlen angekündigt, das hört sich ja erst mal ganz gut an, aber da würde ich mal zu bedenken geben, dass Wahlen erstens noch nicht wirklich Demokratie bedeuten und sie bedeuten auch noch lange nicht, dass es wirklich moderne rechenschaftspflichtige Staatsstrukturen gibt. Und das Problem bei Rentenstaaten ist immer, egal wer an der Macht ist, solange das Geld eben nicht durch Steuern von der Bevölkerung erhoben wird und man deswegen auch als Staat Leistungen erbringen muss gegenüber der Bevölkerung, sondern das Geld kommt eben in diesem Falle aus Ölrenten, ist jedwede Staatsführung relativ entkoppelt von den Wünschen der Bevölkerung und das widerspricht ja komplett unserer Vorstellung eines demokratischen Staates.
Bremkamp: Freut sich der Westen in der Regel zu früh?
Bliesemann de Guevara: Wenn er sich freut, würde ich sagen, ja. Ja, auf jeden Fall.
Bremkamp: Das war Berit Bliesemann de Guevara von der Helmut-Schmidt-Universität in Berlin. Sie ist Expertin für State-Building. Ich danke Ihnen ganz herzlich.
Bliesemann de Guevara: Ja, vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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