Archiv

Wiederaufbau im Ahrtal
Wie der Sport unter der Flut gelitten hat

In Rheinland-Pfalz sind fast 100 Sportvereine an der Ahr und in der Eifel direkt von der Flutkatastrophe betroffen. Die Schäden an den Sportanlagen belaufen sich auf 25 Millionen Euro. Doch die Geschädigten profitieren von der großen Hilfs- und Spendenbereitschaft.

Von Anke Petermann |
m Bild Flutschäden an einem Fußballplatz in der Ortschaft Bad Neuenahr, in der die Flut viele Häuser zerstörte
Nach dem Jahrhunderthochwasser in der Eifel sind auch viele Sportstätten zerstört (picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres)
Warmlaufen auf Stäbchen-Parkett - im Bürgerhaus von Gimmigen, einem dörflichen Stadtteil von Bad Neuenahr. Der Saal ist höchstens ein Viertel so groß wie eine gewöhnliche Turnhalle. Christine Münn, eine von 70 Übungsleitern beim TUS Ahrweiler, nimmt einen Ball aus einem mitgebrachten Korb. Mangels Lagermöglichkeiten beim Verein stellt sie Trainingsgeräte in ihrer Garage unter: "Könnt ihr euch gegenseitig zuwerfen."
Die sechs Leichtathleten der Altersgruppe 45 plus laufen, werfen und fangen. Mitte August, vier Wochen nach der Flutkatastrophe, trafen sie sich erstmals auf dem Bolzplatz von Gimmigen, einer unbeleuchteten Wiese. Ersatz für die Leichtathletik-Anlage im Apollinaris-Stadion von Bad Neuenahr, dem eigentlichen Trainingsort im Sommer. Aber: "Das Stadion war auch bis zwei Meter hoch voll Wasser. Wenn das Wasser abfließt, bleibt der Dreck und der Schlamm übrig."
Den trugen Sportler in den vergangenen Wochen in gemeinsamen Arbeitseinsätzen von den Laufbahnen ab: "Wir waren eigentlich alle mal am Start, und wenn es nur darum ging, Geräte sauber zu spritzen, wie die Hürden zum Beispiel, die können wir noch benutzen."

Geräte für mehr als eine Million Euro weggeschwemmt

Vieles aber schwamm dem TUS Ahrweiler und anderen Vereinen im Ahrtal weg - Geräte im Wert von mehr als einer Million Euro. Gespendete rote Therabänder hat Übungsleiterin Christine Münn fürs Zirkeltraining im Bürgerhaus dabei. Das beherbergt nach den Leichtathleten an diesem Abend noch eine Senioren-Trainingsgruppe und am Tag danach drei Kindergruppen.
Sie alle trainierten vor der Katastrophe den Winter über in den Schulturnhallen von Bad Neuenahr-Ahrweiler. Aber: "Die sind alle betroffen, und von daher gibt’s im Moment gerade gar nichts. Deswegen sind wir froh, wenn wir hier so ein Bürgerhaus nutzen dürfen."
Keine Schulturnhalle ist nutzbar, deshalb suchen alle Vereine Ausweichmöglichkeiten. Die Mitglieder wollen wieder anfangen zu trainieren. Christine Münn ist Köchin und seit der Flut ständig im Einsatz für diejenigen, die alles verloren haben.

Gymnastik als Gegenprogramm zu Aufräumarbeiten

"Ich merke es am Rücken. Ich habe irgendwann Rückenschmerzen beim Arbeiten gekriegt." - "Das ist auch ein Stück Stressbewältigung", sagt TUS-Mitglied Helga Jahr. Ihre Wohnung in Ahrweiler befindet sich im Rohbauzustand, mit ihrem Mann ist sie in eine Ein-Zimmer-Keller-Wohnung ausgewichen. Die drahtige Sportlerin mit kurzem, weißen Haar hilft anderen beim Aufräumen:
"Wenn man dann Gymnastik macht, dann kann man wieder was mit aufarbeiten, sonst hat man irgendwann Probleme, und dann brauche ich irgendwann einen Arzt oder einen Physiotherapeuten oder Medikamente - dem will ich aus dem Weg gehen."
Hochwasser-Katastrophe an der Ahr in Deutschland. Zerstörtes Haus in Dernau, 08.10.2021.
Nach der Flutkatastrophe im Ahrtal - Leben mit dem Risiko
Dernau im Ahrtal ist Idylle pur. Wäre da nicht die Flut im Sommer gewesen. Wissenschaftler und Umweltexperten sagen: So etwas kann es wieder geben. Gesucht werden Konzepte, die das Schlimmste in Zukunft verhindern könnten.
Christine Münn hat Kärtchen mit aufgezeichneten Übungen fürs Zirkeltraining auf den Boden gelegt. Was sie sich für die Zukunft wünscht:
"Für den Verein: dass die Leute, die wegziehen mussten, wieder zurückkommen können, dass die Kinder wieder Trainingsstätten haben. Und dass Stadien und Hallen schnell wieder aufmachen."

"Sicherheit über die Planung wäre wichtig"

Von großer Unsicherheit spricht Arne Heuser, Vorsitzender des TUS Ahrweiler. Heuser leitet den Lauftreff am Ahrtor, dem Eingang zur flutzerstörten Altstadt von Ahrweiler. Mit 1.300 Mitgliedern ist der TUS neben dem TV 06 Bad Neuenahr einer der großen Breitensportvereine der Region. Noch sei vieles offen, sagt Heuser, bevor die zehnköpfige Gruppe bei leuchtendem Abendrot los joggt:
"Wo werden Sportstätten wiederaufgebaut? Welche Sportstätten werden wiederaufgebaut? Welche werden zusammengelegt, wo werden größere Sportstätten gemacht? Diese Konzepte gibt es noch nicht. Und das wäre wichtig für uns, dass wir eine Sicherheit haben, wo es hingeht."

10-20 von 100 Angeboten laufen wieder

Dank gespendeter Stirnlampen können die Läufer und Läuferinnen den Schlaglöchern ausweichen, wenn sie in der Dämmerung zunächst die Altstadt durchqueren – noch fehlt an vielen Stellen Licht.
Am Zukunftskonzept arbeiten die Kommunen gemeinsam mit dem Sportbund Rheinland und dem Koblenzer Institut für Sportstättenentwicklung. Geld fließt aus dem Spendentopf des Deutschen Olympischen Sportbundes und den Erlösen von Benefizspielen und –Läufen. Mittel aus dem Wiederaufbaufonds von Bund und Ländern können beantragt werden.
Ganz allmählich wächst das Sportangebot im Ahrtal wieder. Für den TUS Ahrweiler sagt Geschäftsführerin Sabine Schenke: "Wir hatten vorher ungefähr 100 Angebote in der Woche, jetzt sind wir bei 10 bis 20." Mit jedem neuen Angebot wächst die Hoffnung, Mitglieder bei der Stange zu halten.
Die Läufer sind Richtung Weinberge unterwegs. "Danach kommt man nach Hause, ist tiefenentspannt und ist mal aus allem rausgekommen.", sagt Carsten Renner. "Das ist schon wichtig." Selbst oder gerade wenn das Zuhause erst wiederaufgebaut werden muss.