"Wer jetzt schon investiert, wird nach dem Krieg eine gute Rendite erzielen", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft beim sechsten Deutsch-Ukrainischen Wirtschaftsforum in Berlin. Und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz fügte hinzu: „Wer heute in die Ukraine investiert, der investiert in ein zukünftiges EU-Mitgliedsland, das Teil sein wird unserer Rechtsgemeinschaft und unseres Binnenmarktes.“
Deutschland mag sich schwer tun beim Thema Militärhilfe für die Ukraine, doch beim Thema Wiederaufbau gibt es einen klaren Investitions-Appell. Und das obwohl der Ausgang des Krieges alles andere als sicher ist und sich die Kämpfe noch Jahre hinziehen könnten.
Überblick:
- Warum wird schon jetzt über den Wiederaufbau für die Ukraine gesprochen?
- Wie groß ist die Zerstörung und wieviel Geld ist nötig?
- Auf welche Summen haben sich die Staaten verpflichtet?
- Wo liegt das Potential für Investitionen in der Ukraine?
- Wie groß ist die Bereitschaft deutscher Unternehmen in der Ukraine zu investieren?
- Wo riskant sind Investitionen in die Ukraine?
Warum wird schon jetzt über den Wiederaufbau für die Ukraine gesprochen?
Während an einigen Stellen Bomben fallen und Häuser und Infrastruktur zerstört werden, gibt es auch Gebiete, die bereits befreit wurden – dazu zählt zum Beispiel die Gegend nördlich von Kiew. Hier kann der Wiederaufbau bereits beginnen.
Zudem wird die Infrastruktur ja auch in Kriegszeiten gebraucht. Das gilt insbesondere für den Bereich der Energieversorgung. Hier wird repariert, wieder aufgebaut und sicherer gemacht, trotz laufender Angriffe. Insbesondere Wärmekraftwerke hat Russland im vergangenen Witner regelmäßig attackiert.
Beim Thema Wiederaufbau geht es auch darum, die Zeit nach dem Krieg vorzubereiten. Unternehmen wollen sich in eine gute Startposition bringen um nach einem Frieden schnell Fuß zu fassen.
Wie groß ist die Zerstörung in der Ukraine und wieviel Geld ist nötig?
Die Zerstörung ist am größten an Orten in denen derzeit Kämpfe stattfinden oder stattgefunden haben. Teilweise sind ganze Dörfer und Stadtteile systematisch in Schutt und Asche gelegt worden und wirken wie Geisterstädte. Das ist vor allem an der Frontlinie der Fall, also im Osten und im Süden der Ukraine.
Das Kyiv School of Economics hat im Juni 2023 die Zerstörung analysiert. Den höchsten Wiederaufbaubedarf zeigen dort vor allem Donezk, Kharkiv, Luhansk und Saporischschja auf.
Insgesamt kommen die Ökonomen auf zerstörte Gebäude und Infrastruktur im Wert von 150 Milliarden Dollar (umgerechnet 140 Milliarden Euro). Demnach machen private Wohnungen den größten Teil aus, gefolgt von Infrastruktur, wie beispielsweise zerstörte Straßen. Doch auch zerbombte öffentliche Gebäude und Waldflächen flossen in die Analyse ein.
Die Weltbank schätzte im März 2023 die Kosten für den Wiederaufbau in der Ukraine in einem Zeitraum von zehn Jahren auf 411 Milliarden US-Dollar (umgerechnet 383 Milliarden Euro).
Um das Leben der Menschen in der Ukraine zeitnah zu verbessern, sind laut Weltbank kurzfristig 14 Milliarden Dollar (umgerechnet 13 Milliarden Euro) für Gebäude und Infrastruktur nötig. Das Geld hierfür müsse von Staaten und der Privatwirtschaft aufgebracht werden.
Auf welche Summen haben sich die Staaten verpflichtet?
Bei großen internationalen Geberkonferenzen in Lugano und London sind insgesamt 60 Milliarden an Unterstützung zugesagt worden. Der Großteil davon soll von der EU kommen. Im Oktober hat das Europäische Parlament einer Wiederaufbau-Hilfe für die Ukraine im Umfang von 50 Milliarden Euro bis 2027 zugestimmt. Das Paket umfasst neben 17 Milliarden Euro an Zuschüssen und 33 Milliarden Euro Darlehen auch öffentliche und private Investitionen sowie technische Hilfen und andere Unterstützungen. Damit das Geld bereitgestellt werden kann, müssen noch die 27 Mitgliedstaaten ihr Einverständnis geben.
Die USA, der größte Geldgeber im Bereich der Militärhilfe, stellte 1,3 Milliarden Dollar (1,1 Milliarden Euro) an neuen Aufbauhilfen in London in Aussicht. Eine weitere große Wiederaufbau-Konferenz ist für 2024 in Berlin geplant.
Wo liegt das Potential für Investitionen in der Ukraine?
Vor allem für die Agrarbranche ist die Ukraine interessant. Mit 70 Millionen Tonnen Getreide gehört das Land zu den größten Getreideexporteuren der Welt und wird auch häufig gemeinsam mit Russland als „Kornkammer der Welt bezeichnet. Viel Wachstumspotential sehen Experten in der Verarbeitung des Getreides. Hinzu kommt, dass die Ukraine über eine sehr dynamische IT-Branche verfügt mit vielen Fachleuten.
Der Ukraine-Chef des Pharmakonzerns Bayer, Oliver Gierlichs, sieht für seinen Konzern „riesige Potentiale“ in der Ukraine. Das Land könnte eine wichtige Rolle spielen, um Lieferketten widerstandsfähiger zu machen. Die Ukraine könnte dabei helfen, die Lieferketten zu verkürzen und “unmittelbar an die Grenzen der EU heranzuführen“, so Gierlichs.
Auch das Wirtschaftsumfeld zeigt sich positiv. So erwartet der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal in diesem Jahr trotz des anhaltenden Krieges vier Prozent und im kommenden Jahr fünf Prozent Wirtschaftswachstum. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet dagegen ein Wachstum von zwei Prozent in 2023 und 3,2 Prozent im kommenden Jahr. Allerdings war die Wirtschaft der Ukraine im Jahr 2022 auch um fast 30 Prozent eingebrochen.
Für Investitionen von deutschen Unternehmen bietet die Bundesregierung auch Staatsgarantien an. Im August übernahm sie laut der staatlichen Außenwirtschaftsagentur GTAI Garantien für 14 Firmen in Höhe von 280 Millionen Euro. Deutlich mehr Anträge für weitere Unternehmen sind derzeit in Bearbeitung.
Wie groß ist die Bereitschaft deutscher Unternehmen in der Ukraine zu investieren?
Das Interesse an der Ukraine wächst. Laut dem der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft wurden etliche neue Projekte in der Ukraine begonnen. Insgesamt machten derzeit 2000 Unternehmen Geschäfte mit der Ukraine. Vor allem in den westlichen und mittleren Landesteilen sei das Kriegsrisiko beherrschbar, schreibt der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft auf seiner Homepage.
Demnach ist auch der deutsch-ukrainische Handel in den ersten acht Monaten 2023 um rund 30 Prozent gewaschen auf 6,2 Milliarden Euro. Während die deutschen Importe dabei zurückgingen, wuchsen die deutschen Exporte in das Land.
Zuletzt war auch eine Wirtschaftsdelegation aus Frankreich in der Ukraine – aber viele Unternehmen wollen erst nach einem Ende der Kampfhandlungen stärker investieren. Ein ähnliches Feedback bekam auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Ende September bei einem Besuch in den USA. Dort haben ihm etliche Unternehmer klar gemacht, dass er mit Investitionen rechnen könne – aber erst nach Ende des Krieges.
Wie riskant sind Investitionen in die Ukraine?
Eines der Hauptrisiken liegt auf der Hand: Die Zerstörung der eigenen Anlagen. Deshalb seien die Investitionsgarantien der Bundesregierung sehr wichtig, sagt Oliver Gierlichs, Ukraine-Geschäftsführer von Bayer. Kleinere und mittlere Unternehmen könnten eine Zerstörung der eigenen Anlage nur schwer auffangen. Die Investitionsgarantien der Bundesregierung seien „ein klares Signal von der Politik, dass Investitionen gewünscht sind, und dass man die Ukraine unterstützt", so Gierlichs.
Ein weiteres Risiko ist die Hohe Korruption. Seit langem belegt das Land die hinteren Plätze des Korruptionsindex von Transparency International. Deshalb knüpfen die USA ihre finanzielle Unterstützung auch an Bemühungen im Kampf gegen die Korruption.
Auch innerhalb der Zivilbevölkerung gibt es starke Bemühungen für mehr Transparenz. So hat sich beispielsweise „Rise“ gegründet - eine Koalition für einen gerechten und transparenten Wiederaufbau. Dabei handelt es sich um eine digitale Plattform, in der Aufträge, Summen und Anschaffungen öffentlich zugänglich gemacht werden. Durch die Transparenz will „Rise“ die Demokratie stärken.
Für Unternehmen sind natürlich auch die Dauer und Intensität des Krieges nicht absehbar. Wer sich schon heute in die ideale Startposition für die Zeit nach dem Krieg bringt, der riskiert eben auch, dass sich dieser Zeitpunkt noch sehr lange hinzieht. Denn die wenigsten Experten sehen kurzfristig ein Ende des Krieges.
nm, rtr, dpa, kna