"Gáls Musik ist so verwurzelt in der deutsch-österreichischen Tradition, und ist so geblieben, und wenn man so lang lebt, wie er, dann wurde es mehr und mehr anachronistisch, die Leute haben auf das Datum geschaut und, das wurde dann unmöglicher und unmöglicher."
So erklärt Eva Fox-Gál, die Tochter des österreichischen Komponisten Hans Gál, warum die Musik ihres Vaters leider bis heute kaum im Bewusstsein ist. Zu Unrecht! Wie jetzt die hochklassige Aufführung von Hans Gáls Oper "Das Lied der Nacht" in Osnabrück unter Beweis stellt.
Als Komponist doppelt verfemt
Hans Gáls Musik wurde während des Nationalsozialismus verboten, weil er Jude war. Doch er teilt auch das Schicksal mancher Komponisten, die im 20. Jahrhundert den Weg in die Frei- und Atonalität nicht mitgehen wollten. Diese Künstler sind im Grunde doppelt verfemt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war tonales Komponieren in der Tradition der deutsch-österreichischen Romantik "strengstens verboten". In den 1950er und 60er Jahren ließen die Dogmatiker des Serialismus nichts anderes gelten. Eva Fox-Gál:
"Die Leute, die in der Zeit ausgebildet wurden haben auch es nur so gelernt, dass die Idee, von was progressiv ist und was konservativ ist, ich kann bloß sagen, dass der Mensch Hans Gal niemals ein Konservativer war, er war auch niemals konventionell."
Heute schaut man glücklicherweise nicht mehr auf die Jahreszahl, sondern auf die Qualität der Musik. Hans Gál zeigt sich nicht nur in seiner Oper "Das Lied der Nacht" als ein technisch äußerst souveräner Komponist mit einem exzellenten Formbewusstsein, einer ungeheuer farbigen, fantasievollen Instrumentation, einer niemals konventionellen Harmonik und vor allem mit einem untrüglichen musiktheatralischen Instinkt. Seine Musik packt unmittelbar.
"Das ist wie im Existenzialismus des 20. Jahrhunderts. Dass der Mensch selber entscheiden muss, und nicht nur Dinge tun, weil es der ethische Code von ihm verlangt, die Normen, die Sittennormen."
Pubertierende Prinzessin in Strickstrümpfen
"Eigentlich ist für mich das der stärkste Bezug, dieser Moment von Erkenne dich selber, verleugne dich nicht, nimm den Augenblick wahr, lebe in der Realität, flüchte nicht, ansonsten ist das ein Märchen."
... sagt die Regisseurin der Osnabrücker Inszenierung Mascha Pörzgen. Die Geschichte spielt im Sizilien im 12. Jahrhunderts. Um dem verwaisten Volk wieder einen König zu geben, wird die Erbprinzessin Lianora gedrängt zu heiraten. Davon will das sichtlich pubertierende Mädchen in ihrem Faltenröcken und bunten Strickstrümpfen nun gar nichts wissen. Ihrem präpotenten, nach der Krone schielenden Cousin Tancred, erteilt sie eine Abfuhr. Von der steinernen Äbtissin verlangt sie Einlass ins Kloster. Doch aus eigener Erfahrung rät die Äbtissin der Prinzessin sich zu ihren verborgenen weiblichen Wünschen zu bekennen. Nicht nur musikalisch erinnert diese Äbtissin an Wagners wissende Urmutter Erda.
"Die Äbtissin ist in meiner Interpretation ein Teil von Lianora, der Prinzessin selbst, sie scheint es schon erlebt zu haben, was Lianora noch bevorsteht, sie verklausuliert sehr symbolistisch, aber es ist kein Gegenpol, sondern ein und dieselbe Person."
Es geht auch um Angst vor Sexualität, vor Verantwortung. Ein Sujet, das in den 1920er-Jahren auch andere Komponisten interessierte, Puccini verarbeitete es in "Turandot" oder Korngold in "Das Wunder der Heliane". Mascha Pörzgen:
"Ich nehme an, dass die Emanzipation, die begonnene, der Frau den Männern Angst gemacht hat, oder Sorgen oder Thema war, das waren offensichtlich die Themen, die da in der Luft lagen."
In der Nacht – natürlich in ihrem Unbewussten -, hört die Prinzessin immer wieder einen "Namenlosen Sänger", dessen Zauber sie sich nicht entziehen kann. Im zweiten Akt kommt es zur großen Begegnung, vielleicht zum Liebesakt. Doch der Traum von dieser tristanesken "Nacht der Liebe" zerplatzt. Als die Prinzessin den "Namenlosen Sänger" vor dem Volk als ihren Gemahl und neuen König ankündigt, gleichzeitig aber seine Identität erfahren will, entpuppt sich dieser als ihr Bootsmann. Sie verleugnet sich und ihn. "O Schmach" sind ihre Worte. Der Sänger tötet sich, die Prinzessin fristet fortan ihr Leben im Kloster. Hans Gáls Musik steigert sich zu unglaublich packender Dramatik.
Spannende Inszenierung mit erstklassigen Sängern
Regisseurin Mascha Pörzgen hat ein auch schauspielerisch spannendes interaktives Spiel in einer märchenhaften Welt inszeniert. Bühnen- und Kostümbildner Frank Fellmann zeigt auf der Bühnenrückwand ein tosendes Meer, im Raum haben ein alter Schrank und Sessel ebenso Platz wie moosbewachsene, hügelige Flächen oder ein großes Himmelbett. Und auch musikalisch kann man dem Theater Osnabrück zur dieser Produktion nur gratulieren. Aus dem exzellenten Gesangsensemble beeindruckte Lina Liu als Prinzessin mit ihrem facettenreichen, fein geführten, sehr runden lyrischen Sopran nachhaltig, auch Gritt Gnauck als Äbtissin oder Susann Vent-Wunderlich waren sängerisch erstklassig. Die anspruchsvolle Partitur wurde vom Osnbabrücker Sinfonieorchester unter Andreas Hotz sehr vielschichtig und subtil umgesetzt. Hans Gáls zu Unrecht vergessene Oper "Das Lied der Nacht" sollte bald an vielen weiteren Opernhäusern zu sehen sein!