Nicht mit der Heftnummer eins, sondern 170 startet die neue Redaktion ihre erste Ausgabe. Wenn man das kaum veränderte Outfit hinzunimmt, dann könnte man auf den ersten Blick fast annehmen, dass hier nach vierjähriger Unterbrechung ein couragierter Verlag eine ebenso reputierliche wie sperrige Tradition wieder zu neuem Leben erwecken möchte. Doch der Eindruck täuscht. Herausgeber Armin Nassehi, Soziologe an der Münchner Universität, denkt nicht an die Pflege einer avantgardistischen Tradition mit dem Ziel einer Gegenöffentlichkeit:
"Gegenöffentlichkeit setzt ja quasi eine Öffentlichkeit voraus, wo etwas wie eine herrschende Meinung, so etwas wie einen bürgerlichen Konsens über das Sagbare und über die Chiffren, in denen man zu sprechen hat. Das gibt es heute nicht mehr, insofern sind wir heute nicht mehr Gegenöffentlichkeit, sondern wir sind vielleicht eher Moderatoren einer Öffentlichkeit, also eine ganz andere Form letztlich des Subversiven. Das Subversive hatte damals womöglich etwas Antagonistisches. Heute müssen wir gucken, was da ist und aufeinander beziehen."
Wer die "Kursbuch"-Redaktion besuchen möchte, hält vergeblich nach Räumen Ausschau. Denn das redaktionelle Dreierteam ist nicht nur geistig mobil, es pendelt zwischen der Münchener Universität und dem Hamburger Murmann-Verlag. Professionell wurde die Rückkehr auf den Zeitschriftenmarkt vorbereitet, begleitet von einem Buch des Suhrkamp-Lektors Henning Marmulla über "Enzensbergers Kursbuch" aus der 68er-Zeit. Darin wird an die eher reservierte Gründungsbotschaft des einst so rebellischen Schriftstellers erinnert, in der sich seine späten Nachfolger durchaus wiederfinden können:
"Kursbücher schreiben keine Richtungen vor. Sie geben Verbindungen an, und sie gelten so lange wie diese Verbindungen. So versteht die Zeitschrift ihre Aktualität."
Aber so sehr sich die neue Redaktion auch um intellektuelle Kontinuität bemüht, Brüche mit der "Kursbuch"-Tradition sind kaum zu übersehen. '68 sah Enzensberger in der Gefahr eines weltweiten Atomtods ein ebenso gigantisches Inferno wie jenes von Auschwitz heraufziehen. Dagegen begegnen Enzensbergers Enkel unserem täglichen Alarmismus mit fast schon spielerischer Gelassenheit.
"Das, was wir die Gelassenheit nennen, die Kultur der Gelassenheit, eine Haltung der Gelassenheit, meint nicht Indifferenz oder Beliebigkeit, ganz im Gegenteil, die Kultur der Gelassenheit lässt womöglich tatsächlich die Dinge erst mal sprechen und aufeinander beziehen, dafür braucht man Platz, dafür braucht man Raum, dafür braucht man Zeit, dafür braucht man vielleicht auch mal schwierige Sätze."
Und davon gibt es einige in der ersten Ausgabe, die unter dem provokanten Titel "Krisen lieben" der Permanenz von Schreckensnachrichten und Untergangsszenarien widerstehen möchte. Armin Nassehi selbst nimmt in seinem Beitrag den "Ausnahmezustand als Normalfall" wahr. Die "Zeit der Hauptwidersprüche" und "hegemonialen Diskurse" sei vorüber. Er misstraut allen platten Gemeinplätzen und modischen Fortschrittsphrasen:
"Lebt Demokratie nicht von der Limitierung von Partizipation? Und ist die Langsamkeit politischer Entscheidungen nicht doch ein Potenzial, das gegen die Geschwindigkeitserpressung durch ökonomisch so eindeutig wirkende Sachzwänge durchgesetzt werden muss. Stabilisieren Reformen womöglich das, was da reformiert wird?"
Auch Parteienforscherin Jasmin Siri bürstet gehörig gegen den Strich. Was ist dran an der ewigen Parteienkrise, fragt sie und gelangt zu der Erkenntnis, dass Krisendiagnosen die Parteien begleiten, seit es sie gibt. Die Krisen seien aufbauend, weil sie die Erfahrung vermittelten, dass die Politik gerade nicht für das Ganze stehe.
"Die Krise der Parteien ist geradezu ein Demokratiegenerator. Sie ermöglicht die Formulierung von Geltungsansprüchen und macht das politische Publikum sichtbar. (…) So richtig in der Krise wären die Demokratie und ihre Organisationen wohl erst dann, wenn es keine Krisenkommunikation mehr gäbe. (…) Es ist tatsächlich so: Parteien lieben die Krise, weil die Krise und die Kritik der politischen Organisierung Gewähr dafür leisten, dass es weitergeht."
So möchte das neue "Kursbuch" unorthodoxe Wege aufzeigen, "um Sachen und Orte besser zu verstehen", die immer woanders lägen, wünscht sich Verleger Sven Murmann im Vorwort. Wie weit sein Atem auf dem schwierigen Terrain von Periodika reicht, muss sich noch erweisen. Bis dahin stellt uns Herausgeber Nassehi erst einmal einen weiteren Denkanstoß in Aussicht:
"Ja, unsere nächsten Projekte sehen so aus, dass das nächste Heft sich mit dem Thema 'Besser optimieren' beschäftigen wird. Optimieren heißt, es gibt ja überall in der Gesellschaft zur Zeit Optimierungsstrategien, alles muss optimiert werden, die Prozesse, das Leben, sogar den Glauben an den lieben Gott, Sexualität, alles muss optimiert werden, muss immer besser gehen, und wir erleben ja, dass diese Optimierungsstrategien bisweilen genau das Gegenteil von dem hervorbringen, was man eigentlich möchte. Deshalb die ironische Formulierung 'Besser optimieren', was natürlich unter logischen Gesichtspunkten gar nicht geht."
"Gegenöffentlichkeit setzt ja quasi eine Öffentlichkeit voraus, wo etwas wie eine herrschende Meinung, so etwas wie einen bürgerlichen Konsens über das Sagbare und über die Chiffren, in denen man zu sprechen hat. Das gibt es heute nicht mehr, insofern sind wir heute nicht mehr Gegenöffentlichkeit, sondern wir sind vielleicht eher Moderatoren einer Öffentlichkeit, also eine ganz andere Form letztlich des Subversiven. Das Subversive hatte damals womöglich etwas Antagonistisches. Heute müssen wir gucken, was da ist und aufeinander beziehen."
Wer die "Kursbuch"-Redaktion besuchen möchte, hält vergeblich nach Räumen Ausschau. Denn das redaktionelle Dreierteam ist nicht nur geistig mobil, es pendelt zwischen der Münchener Universität und dem Hamburger Murmann-Verlag. Professionell wurde die Rückkehr auf den Zeitschriftenmarkt vorbereitet, begleitet von einem Buch des Suhrkamp-Lektors Henning Marmulla über "Enzensbergers Kursbuch" aus der 68er-Zeit. Darin wird an die eher reservierte Gründungsbotschaft des einst so rebellischen Schriftstellers erinnert, in der sich seine späten Nachfolger durchaus wiederfinden können:
"Kursbücher schreiben keine Richtungen vor. Sie geben Verbindungen an, und sie gelten so lange wie diese Verbindungen. So versteht die Zeitschrift ihre Aktualität."
Aber so sehr sich die neue Redaktion auch um intellektuelle Kontinuität bemüht, Brüche mit der "Kursbuch"-Tradition sind kaum zu übersehen. '68 sah Enzensberger in der Gefahr eines weltweiten Atomtods ein ebenso gigantisches Inferno wie jenes von Auschwitz heraufziehen. Dagegen begegnen Enzensbergers Enkel unserem täglichen Alarmismus mit fast schon spielerischer Gelassenheit.
"Das, was wir die Gelassenheit nennen, die Kultur der Gelassenheit, eine Haltung der Gelassenheit, meint nicht Indifferenz oder Beliebigkeit, ganz im Gegenteil, die Kultur der Gelassenheit lässt womöglich tatsächlich die Dinge erst mal sprechen und aufeinander beziehen, dafür braucht man Platz, dafür braucht man Raum, dafür braucht man Zeit, dafür braucht man vielleicht auch mal schwierige Sätze."
Und davon gibt es einige in der ersten Ausgabe, die unter dem provokanten Titel "Krisen lieben" der Permanenz von Schreckensnachrichten und Untergangsszenarien widerstehen möchte. Armin Nassehi selbst nimmt in seinem Beitrag den "Ausnahmezustand als Normalfall" wahr. Die "Zeit der Hauptwidersprüche" und "hegemonialen Diskurse" sei vorüber. Er misstraut allen platten Gemeinplätzen und modischen Fortschrittsphrasen:
"Lebt Demokratie nicht von der Limitierung von Partizipation? Und ist die Langsamkeit politischer Entscheidungen nicht doch ein Potenzial, das gegen die Geschwindigkeitserpressung durch ökonomisch so eindeutig wirkende Sachzwänge durchgesetzt werden muss. Stabilisieren Reformen womöglich das, was da reformiert wird?"
Auch Parteienforscherin Jasmin Siri bürstet gehörig gegen den Strich. Was ist dran an der ewigen Parteienkrise, fragt sie und gelangt zu der Erkenntnis, dass Krisendiagnosen die Parteien begleiten, seit es sie gibt. Die Krisen seien aufbauend, weil sie die Erfahrung vermittelten, dass die Politik gerade nicht für das Ganze stehe.
"Die Krise der Parteien ist geradezu ein Demokratiegenerator. Sie ermöglicht die Formulierung von Geltungsansprüchen und macht das politische Publikum sichtbar. (…) So richtig in der Krise wären die Demokratie und ihre Organisationen wohl erst dann, wenn es keine Krisenkommunikation mehr gäbe. (…) Es ist tatsächlich so: Parteien lieben die Krise, weil die Krise und die Kritik der politischen Organisierung Gewähr dafür leisten, dass es weitergeht."
So möchte das neue "Kursbuch" unorthodoxe Wege aufzeigen, "um Sachen und Orte besser zu verstehen", die immer woanders lägen, wünscht sich Verleger Sven Murmann im Vorwort. Wie weit sein Atem auf dem schwierigen Terrain von Periodika reicht, muss sich noch erweisen. Bis dahin stellt uns Herausgeber Nassehi erst einmal einen weiteren Denkanstoß in Aussicht:
"Ja, unsere nächsten Projekte sehen so aus, dass das nächste Heft sich mit dem Thema 'Besser optimieren' beschäftigen wird. Optimieren heißt, es gibt ja überall in der Gesellschaft zur Zeit Optimierungsstrategien, alles muss optimiert werden, die Prozesse, das Leben, sogar den Glauben an den lieben Gott, Sexualität, alles muss optimiert werden, muss immer besser gehen, und wir erleben ja, dass diese Optimierungsstrategien bisweilen genau das Gegenteil von dem hervorbringen, was man eigentlich möchte. Deshalb die ironische Formulierung 'Besser optimieren', was natürlich unter logischen Gesichtspunkten gar nicht geht."