Burkhard Müller-Ullrich: Der französische Schriftsteller Charles Perrault hat vor mehr als 300 Jahren eine Märchensammlung veröffentlicht, die einerseits ein Vorbild für unsere deutschen Brüder Grimm war und andererseits dem abendländischen Kulturbetrieb genügend Stoff für Bearbeitungen, Auskoppelungen und Weiterspinnungen bis heute lieferte. Ganz besonders ertragreich: die Geschichte vom Frauen mordenden Blaubart und seinem Spukschloss mit der verbotenen Kammer. Davon gibt es Erzählungen, Dramen, Filme, Opern, Illustrationen in Hülle und Fülle. Nehmen wir allein die Opern: je eine von Jacques Offenbach, Paul Dukas, Bela Bartok und Franz Hummel sowie von Emil Nikolaus von Reznicek. Den Letzteren kennt man etwas weniger, er lebte von 1860 bis 1945, und seinen Blaubart gab es jetzt in Augsburg zu sehen und zu hören. Jörn Florian Fuchs, Sie waren dort. Die meisten Blaubart-Opern sind ja so um die anderthalb Stunden lang, bloß Reznicek kommt auf das Doppelte. Trägt das? Oder sollte ich fragen: Erträgt man das?
Jörn Florian Fuchs: Na ja, einerseits ist es interessant, wenn man so eine Wiederentdeckung, eine szenische Erstaufführung nach über 80 Jahren macht, dass man es natürlich doch (oder ich) ganz gern komplett haben möchte. Dann Abstriche zu machen, finde ich nicht so klug. Andererseits trägt es nicht so ganz. Warum ist es überhaupt so lang? Weil es auf ein Stück von Herbert Eulenberg zurückgeht, und der betont nun einige Nebenfiguren. Es gibt den Diener von Blaubart, der sich zunehmend von seinem Herren abwendet, einige Randfiguren auch noch, die auftauchen. Und es liegt auch an der Musik von Reznicek, weil er eine ganze Reihe von zum Teil sehr, sehr, sehr langen Zwischenspielen komponiert hat.
Müller-Ullrich: Reznicek ist ja eine merkwürdige Figur. Um mal ein bisschen ihm näherzutreten: Er war sehr bekannt, beliebt bei den Nazis. Konnte er was dafür?
Fuchs: Das ist immer noch nicht richtig aufgearbeitet und das wäre wirklich mal ein Forschungsgegenstand, vielleicht auch mal für die eine oder andere Promotion: Wie war das eigentlich wirklich? Ich schätze ihn als einen Mitläufer ein, der auch durch Gelder, die er bekommen hat, damals von den Machthabern und durch Aufträge, gesagt hat, ja okay, ich schwimme im Strom der Zeit. Dass er überzeugter Nationalsozialist war, kann man eigentlich nicht sagen. Fest steht aber, dass der Stil dieser Musik – und das merkt man auch beim Blaubart – eigentlich sehr gut mit dem Ideal eines spätromantisch-schwelgerischen Orchestersatzes und sehr schön harmonischen Gesangslinien, was man damals ja hatte, übereingeht. Das ist in diesem Blaubart gerade auch bei diesen Zwischenspielen weitestgehend gelungen. Das Erstaunliche ist aber, dass ich ihn, Reznicek, entdeckt habe als einen Vorläufer wirklich der Piraten, denn Sie hören unfassbar viel Wagner und das Finale, die brennende Burg, das ist wirklich reinster Wotan, Feuerzauber, Walküre und vermischt mit dem Erlösungsmotiv aus der Götterdämmerung. Das wäre, glaube ich, in dieser Form, meine ich jetzt mal ganz ernst, heute justiziabel.
Müller-Ullrich: Jetzt sollten wir mal über die Szene sprechen. Inszeniert hat Manfred Weiß, eine Art Hausregisseur in Dresden gewesen, jetzt in Augsburg. Was hat er daraus gemacht?
Fuchs: Er ist in die Stummfilm-Ära zurückgegangen. Wir sehen also einzelne schwarz-weiß flimmernde Bilder von Figuren und Zwischentiteln. Überhaupt ist das Ganze eine recht schön gestaltete Bühne mit transparenten Wänden, wo sich sehr viel immer wieder dreht und immer neue Spielorte entstehen, und nun arbeitet Weiß wirklich das Stück für Stück ab. In den Zwischenspielen gibt es eigens gedrehte Filme, zum Teil Comics, zum Teil auch wird die Handlung dann vorweggenommen, oder es wird in Rückblenden erzählt. Das ist ziemlich aufwendig und wird dem Stück, dem Stoff, finde ich, schon gerecht. Es ist letztlich mir ein bisschen zu dekorativ und auch dann doch zu langatmig und trägt eben nicht über diese knapp drei Stunden, wie halt dann Musik und Stück auch nicht ganz tragen.
Müller-Ullrich: Denn der Stoff ist ja nicht wahnsinnig kompliziert, muss man sagen. Erstens kann man die Geschichte beim Publikum voraussetzen und sie ist in sich schnell erzählt.
Fuchs: Das ist richtig. Es ist wirklich nur der mordende Blaubart, der an mehrere Frauen gerät. Hier ist am Ende noch eine Schwester, Agnes mit Namen, die dann aber auch stirbt, und im Flammensturm stirbt dieser Frauenmörder, der letztendlich einfach nicht mit Liebe, mit Sexualität, mit Beziehungen klarkam. Übrigens: Ein Wort eben zur Musik, das Stück ist sehr, sehr gut besetzt: der Blaubart gesungen von Stephen Owen etwa und auch Judith, Sally du Randt, eine sehr gute Besetzung für ein relativ kleines Haus wie Augsburg.
Müller-Ullrich: Und das Orchester?
Fuchs: Das Orchester hat mir sehr, sehr gut gefallen. Dirk Kaftan, Generalmusikdirektor, hat das sehr, sehr gut präpariert. Wir hatten allerdings dann leider einen Zwischenfall, wo man merkt: Alles, was man über ein Stück und die Regie sagt, das ist plötzlich Nebensache. Zehn Minuten vor Schluss gab es einen großen Knall und der Dirigent Dirk Kaftan ist gestürzt, vom Pult in den Orchestergraben hinein. Es gab eine ziemliche Unruhe natürlich im Publikum, es wurde unterbrochen. Es war auch noch ein spastisches Kind in der Nähe, das dann eine Panikattacke bekam, es war also wirklich mal eine ganz andere Welt. Lange Rede, kurzer Sinn: Es ging ihm dann etwas später besser und nach 20 Minuten wurden diese Schluss-zehn-Minuten auch noch gespielt, allerdings dirigiert vom Assistenten.
Müller-Ullrich: Und kam er noch mal auf die Bühne, oder war er im Krankenhaus? Weiß man, wie es ihm geht?
Fuchs: Ja, es kamen am Ende dann beide, Dirk Kaftan samt seinem Assistenten Händchen haltend, was ganz rührend war, auf die Bühne. Es hat sich herausgestellt, dass Kaftan offenbar eine Virusgrippe, die er von seinen Kindern sich eingefangen hat, länger schon etwas angeschlagen hat. Diese Premiere wollte er sich natürlich nicht entgehen lassen, und das war einfach zu viel.
Müller-Ullrich: Eine Opernaufführung mit Zwischenfällen – Jörn Florian Fuchs hat berichtet (per Telefon übrigens, weil er selber ein bisschen erkrankt ist, gute Besserung, vielleicht auch der Virus), das Ganze in Augsburg an der Oper "Blaubart" von Emil Nikolaus von Reznicek.
Jörn Florian Fuchs: Na ja, einerseits ist es interessant, wenn man so eine Wiederentdeckung, eine szenische Erstaufführung nach über 80 Jahren macht, dass man es natürlich doch (oder ich) ganz gern komplett haben möchte. Dann Abstriche zu machen, finde ich nicht so klug. Andererseits trägt es nicht so ganz. Warum ist es überhaupt so lang? Weil es auf ein Stück von Herbert Eulenberg zurückgeht, und der betont nun einige Nebenfiguren. Es gibt den Diener von Blaubart, der sich zunehmend von seinem Herren abwendet, einige Randfiguren auch noch, die auftauchen. Und es liegt auch an der Musik von Reznicek, weil er eine ganze Reihe von zum Teil sehr, sehr, sehr langen Zwischenspielen komponiert hat.
Müller-Ullrich: Reznicek ist ja eine merkwürdige Figur. Um mal ein bisschen ihm näherzutreten: Er war sehr bekannt, beliebt bei den Nazis. Konnte er was dafür?
Fuchs: Das ist immer noch nicht richtig aufgearbeitet und das wäre wirklich mal ein Forschungsgegenstand, vielleicht auch mal für die eine oder andere Promotion: Wie war das eigentlich wirklich? Ich schätze ihn als einen Mitläufer ein, der auch durch Gelder, die er bekommen hat, damals von den Machthabern und durch Aufträge, gesagt hat, ja okay, ich schwimme im Strom der Zeit. Dass er überzeugter Nationalsozialist war, kann man eigentlich nicht sagen. Fest steht aber, dass der Stil dieser Musik – und das merkt man auch beim Blaubart – eigentlich sehr gut mit dem Ideal eines spätromantisch-schwelgerischen Orchestersatzes und sehr schön harmonischen Gesangslinien, was man damals ja hatte, übereingeht. Das ist in diesem Blaubart gerade auch bei diesen Zwischenspielen weitestgehend gelungen. Das Erstaunliche ist aber, dass ich ihn, Reznicek, entdeckt habe als einen Vorläufer wirklich der Piraten, denn Sie hören unfassbar viel Wagner und das Finale, die brennende Burg, das ist wirklich reinster Wotan, Feuerzauber, Walküre und vermischt mit dem Erlösungsmotiv aus der Götterdämmerung. Das wäre, glaube ich, in dieser Form, meine ich jetzt mal ganz ernst, heute justiziabel.
Müller-Ullrich: Jetzt sollten wir mal über die Szene sprechen. Inszeniert hat Manfred Weiß, eine Art Hausregisseur in Dresden gewesen, jetzt in Augsburg. Was hat er daraus gemacht?
Fuchs: Er ist in die Stummfilm-Ära zurückgegangen. Wir sehen also einzelne schwarz-weiß flimmernde Bilder von Figuren und Zwischentiteln. Überhaupt ist das Ganze eine recht schön gestaltete Bühne mit transparenten Wänden, wo sich sehr viel immer wieder dreht und immer neue Spielorte entstehen, und nun arbeitet Weiß wirklich das Stück für Stück ab. In den Zwischenspielen gibt es eigens gedrehte Filme, zum Teil Comics, zum Teil auch wird die Handlung dann vorweggenommen, oder es wird in Rückblenden erzählt. Das ist ziemlich aufwendig und wird dem Stück, dem Stoff, finde ich, schon gerecht. Es ist letztlich mir ein bisschen zu dekorativ und auch dann doch zu langatmig und trägt eben nicht über diese knapp drei Stunden, wie halt dann Musik und Stück auch nicht ganz tragen.
Müller-Ullrich: Denn der Stoff ist ja nicht wahnsinnig kompliziert, muss man sagen. Erstens kann man die Geschichte beim Publikum voraussetzen und sie ist in sich schnell erzählt.
Fuchs: Das ist richtig. Es ist wirklich nur der mordende Blaubart, der an mehrere Frauen gerät. Hier ist am Ende noch eine Schwester, Agnes mit Namen, die dann aber auch stirbt, und im Flammensturm stirbt dieser Frauenmörder, der letztendlich einfach nicht mit Liebe, mit Sexualität, mit Beziehungen klarkam. Übrigens: Ein Wort eben zur Musik, das Stück ist sehr, sehr gut besetzt: der Blaubart gesungen von Stephen Owen etwa und auch Judith, Sally du Randt, eine sehr gute Besetzung für ein relativ kleines Haus wie Augsburg.
Müller-Ullrich: Und das Orchester?
Fuchs: Das Orchester hat mir sehr, sehr gut gefallen. Dirk Kaftan, Generalmusikdirektor, hat das sehr, sehr gut präpariert. Wir hatten allerdings dann leider einen Zwischenfall, wo man merkt: Alles, was man über ein Stück und die Regie sagt, das ist plötzlich Nebensache. Zehn Minuten vor Schluss gab es einen großen Knall und der Dirigent Dirk Kaftan ist gestürzt, vom Pult in den Orchestergraben hinein. Es gab eine ziemliche Unruhe natürlich im Publikum, es wurde unterbrochen. Es war auch noch ein spastisches Kind in der Nähe, das dann eine Panikattacke bekam, es war also wirklich mal eine ganz andere Welt. Lange Rede, kurzer Sinn: Es ging ihm dann etwas später besser und nach 20 Minuten wurden diese Schluss-zehn-Minuten auch noch gespielt, allerdings dirigiert vom Assistenten.
Müller-Ullrich: Und kam er noch mal auf die Bühne, oder war er im Krankenhaus? Weiß man, wie es ihm geht?
Fuchs: Ja, es kamen am Ende dann beide, Dirk Kaftan samt seinem Assistenten Händchen haltend, was ganz rührend war, auf die Bühne. Es hat sich herausgestellt, dass Kaftan offenbar eine Virusgrippe, die er von seinen Kindern sich eingefangen hat, länger schon etwas angeschlagen hat. Diese Premiere wollte er sich natürlich nicht entgehen lassen, und das war einfach zu viel.
Müller-Ullrich: Eine Opernaufführung mit Zwischenfällen – Jörn Florian Fuchs hat berichtet (per Telefon übrigens, weil er selber ein bisschen erkrankt ist, gute Besserung, vielleicht auch der Virus), das Ganze in Augsburg an der Oper "Blaubart" von Emil Nikolaus von Reznicek.