"Gespenster" - in Basel hat Regisseur Tom Kühnel den Titel ganz wörtlich genommen - ohne auch nur entfernt ins Magisch-Düstere abzugleiten. Die Figuren sind die Gespenster: verfremdete Schatten, groteske Doubles, Wiedergänger ihrer selbst. Tischler Engstrand arbeitet sich mit einer Axt von unten nach oben, bricht krachend durch den splitternden Bühnenboden, als käme er direkt aus der Unterwelt: monströs schwitzend, rotgesichtig und mit einem langen Rattenschwanz die Inkarnation des Teufelsklischees. Während sein - zunächst jedenfalls - Gegenspieler, Pastor Manders, sehr würdig von oben, aus dem Schnürboden einschwebt, ein fallender Engel mit Talar und Flügelchen, der sich gewohnheitsmäßig in Überlegenheitspose und Strafpredigtton rettet und dabei den Boden unter den Füßen verliert. Gegen Ende stellt er sich, bescheiden geworden, zum Zwecke der Selbstvergrößerung und Unanfechtbarkeit nur noch auf einen Aktenstapel. Aber als er anfangs Frau Alving die Leviten liest, hebt ihn ein aus dem Boden wachsendes Podest weit über die ehelichen Verirrungen hinaus, die er ihr vorhält. Diesen Höhenunterschied hat nötig, wer anderen Moral predigt - zeigt Kühnel, verändert er doch den Blick auf die unschöne Wirklichkeit, an deren Herstellung der Pastor vor Jahren durch einen ebenso passiv-feigen Rückzug ins Erhaben-Unanfechtbare nicht unerheblich beteiligt war. War er es doch, der die Eheflüchtige zu ihrer Pflicht, konkret: zu ihrem verkommenen Mann zurückschickte.
Nicht zuletzt um sich selbst vor Gefühlsverstrickungen zu schützen. Gespenstisch sind sie alle in diesem Totentanz-Reigen: Frau Alving, eine schmerzerfüllte Mutter voller Machtgier, die über ihr verpfuschtes Leben wütet, in einer Verpuppung von künstlicher Damenhaftigkeit; ihr todkranker Sohn Oswald, der sich, vergebens, als eine Art Oblomow zu stilisieren versucht. Und Regine, wie sich herausstellt: seine Halbschwester - in Basel die wohl schrägste aller Figuren. Silvia Fenz macht aus ihr ein gespenstisch konserviertes altes Mädchen, das wie ein junges Mädchen kokettiert, mit bleckenden Zähnen lächelt, wie eine Ballerina-Debütantin herumtänzelt und als einzige - geht. Die ihr abverlangte Rolle als Geliebte, Trösterin und Töterin des dahinvegetierenden Oswald verweigert.
Alle Figuren kultivieren auf ihre Art das Sein in den Augen anderer, ob Gottesdiener, reiche Witwe, verlorener und heimgekehrter Sohn, gehorsames Dienstmädchen oder Höllenhund - sie alle heucheln was das Zeug hält, wenn es gilt, ihre Interessen zu verfolgen. Und sie tun nichts anderes.
Der bereits mehrfach ausgezeichnete und vielversprechende junge Regisseur Tom Kühnel zeigt, dass sie Theater spielen, füreinander und voreinander: Der Underdog spielt den guten Menschen und der Pastor fällt drauf rein. Die Witwe meinte es gut und fällt auf sich selber rein, weil sie ihr Leben nach dem Bild der Heiligen Familie inszeniert hat. Die Jungen können nichts für die Vergangenheit, aber sie sind wie Spielkarten, mit denen man spielt, beherrschen die Spielregeln auch selbst und sind alt oder krank zum Tode, bevor sie ein eigenes Leben beginnen könnten. Kühnel zieht einen doppelten Boden ein. Er zeigt, dass diese Vorzeige- und Selbstinszenierungswut durchaus nicht aufs Ende des 19.Jahrhunderts beschränkt war - und dass sie soziales Leben und Theater, die Darstellungskunst von Leben einschließt. Er verdoppelt das Vexierspiel auf einander überlagernden Ebenen, indem er immer wieder mal das gerade so im Trend liegende, mit Klischees Bedeutsamkeit suggerierende Bebilderungs- und Zeigetheater auf der Bühne zeigt und zugleich karikiert.
In wichtigen Augenblicken öffnet sich die bühnenhohe Flügeltür in der Mitte des gefängnisartigen, von wuchtigen kassettierten Wänden abgeschlossenen Raumes und gibt den Blick frei auf ein auratisch ausgeleuchtetes Arrangement, in dem am Ende Frau Alving ganz unerbaulich herumirrt, allein gelassen mit der Entscheidung, ob sie ihren umnachteten Sohn mit Morphium erlösen soll oder nicht. Vorhang. Bei alledem, und das ist eine ebenso seltene wie hohe Theater-Kunst und macht die besondere Qualität dieser Aufführung aus - Kühnel und die großen Menschendarsteller geben die Figuren nie preis, sooft sie auch am Rande der Komik, ja Lächerlichkeit balancieren, sich in diesem auch sehr körperlichen Theaterspiel ineinander verhaken, verschlingen, verkrallen. Wenn es darauf ankommt, nimmt er sie ernst: ihre Ängste, ihren Schmerz, ihre Wut, ihre Ohnmacht, ihre Trauer. Ein sehr bemerkenswerter Theaterabend.
Nicht zuletzt um sich selbst vor Gefühlsverstrickungen zu schützen. Gespenstisch sind sie alle in diesem Totentanz-Reigen: Frau Alving, eine schmerzerfüllte Mutter voller Machtgier, die über ihr verpfuschtes Leben wütet, in einer Verpuppung von künstlicher Damenhaftigkeit; ihr todkranker Sohn Oswald, der sich, vergebens, als eine Art Oblomow zu stilisieren versucht. Und Regine, wie sich herausstellt: seine Halbschwester - in Basel die wohl schrägste aller Figuren. Silvia Fenz macht aus ihr ein gespenstisch konserviertes altes Mädchen, das wie ein junges Mädchen kokettiert, mit bleckenden Zähnen lächelt, wie eine Ballerina-Debütantin herumtänzelt und als einzige - geht. Die ihr abverlangte Rolle als Geliebte, Trösterin und Töterin des dahinvegetierenden Oswald verweigert.
Alle Figuren kultivieren auf ihre Art das Sein in den Augen anderer, ob Gottesdiener, reiche Witwe, verlorener und heimgekehrter Sohn, gehorsames Dienstmädchen oder Höllenhund - sie alle heucheln was das Zeug hält, wenn es gilt, ihre Interessen zu verfolgen. Und sie tun nichts anderes.
Der bereits mehrfach ausgezeichnete und vielversprechende junge Regisseur Tom Kühnel zeigt, dass sie Theater spielen, füreinander und voreinander: Der Underdog spielt den guten Menschen und der Pastor fällt drauf rein. Die Witwe meinte es gut und fällt auf sich selber rein, weil sie ihr Leben nach dem Bild der Heiligen Familie inszeniert hat. Die Jungen können nichts für die Vergangenheit, aber sie sind wie Spielkarten, mit denen man spielt, beherrschen die Spielregeln auch selbst und sind alt oder krank zum Tode, bevor sie ein eigenes Leben beginnen könnten. Kühnel zieht einen doppelten Boden ein. Er zeigt, dass diese Vorzeige- und Selbstinszenierungswut durchaus nicht aufs Ende des 19.Jahrhunderts beschränkt war - und dass sie soziales Leben und Theater, die Darstellungskunst von Leben einschließt. Er verdoppelt das Vexierspiel auf einander überlagernden Ebenen, indem er immer wieder mal das gerade so im Trend liegende, mit Klischees Bedeutsamkeit suggerierende Bebilderungs- und Zeigetheater auf der Bühne zeigt und zugleich karikiert.
In wichtigen Augenblicken öffnet sich die bühnenhohe Flügeltür in der Mitte des gefängnisartigen, von wuchtigen kassettierten Wänden abgeschlossenen Raumes und gibt den Blick frei auf ein auratisch ausgeleuchtetes Arrangement, in dem am Ende Frau Alving ganz unerbaulich herumirrt, allein gelassen mit der Entscheidung, ob sie ihren umnachteten Sohn mit Morphium erlösen soll oder nicht. Vorhang. Bei alledem, und das ist eine ebenso seltene wie hohe Theater-Kunst und macht die besondere Qualität dieser Aufführung aus - Kühnel und die großen Menschendarsteller geben die Figuren nie preis, sooft sie auch am Rande der Komik, ja Lächerlichkeit balancieren, sich in diesem auch sehr körperlichen Theaterspiel ineinander verhaken, verschlingen, verkrallen. Wenn es darauf ankommt, nimmt er sie ernst: ihre Ängste, ihren Schmerz, ihre Wut, ihre Ohnmacht, ihre Trauer. Ein sehr bemerkenswerter Theaterabend.