Ein geschlossener Raum, drei billige Resopaltische, hinten aufgestapelt Kartons, Dosen und Eimer aus dem Warenhaus des Westens. Mayonnaisetuben, Schokoküsse, Ketchupflaschen, Mehl - damit wird im Laufe des Stückes kräftig gesprüht, geschüttelt und geschmiert.
Die einzigen Akteure in diesem abstrakten Bühnenraum sind die eineiigen Zwillinge Franz und Karl, der eine mit der Mutter im Westen, der andere mit dem Vater im Osten aufgewachsen. Sie besuchen sich, sie erleben den Fall der Mauer, es entfaltet sich eine Geschichte von Anziehung und Abstoßung, Fremdheit und Annäherung, Rivalität und Bruderliebe.
Die Idee, ein eineiiges Zwillingspaar als Metapher der deutsch-deutschen Situation zu nehmen, kam Ravenhill, als er die jungen Schauspieler Luke und Harry Treadaway, eineiige Zwillinge, in der Schauspielschule kennenlernte.
Aber das Stück so zu beschreiben, wäre nur die halbe Wahrheit: Ravenhill hat kein naturalistisches Familiendrama geschrieben. Die Bühne mit ihrem chaotischen Durcheinander grenzt vielmehr einen post-dramatischen Reflexionsraum ab, in dem Charaktere aufhören, Charaktere zu sein, in dem Psychologie nicht Psychologie und der Dialog eigentlich kein Dialog ist, eher ein diskursives Gedankenspiel. So werden Möglichkeiten durchgespielt, Geschichte und ihre verlorenen Chancen werden noch einmal aufgesucht.
Das dramatische Element, das dieses eine gute Stunde dauernde Stück vorantreibt, ist die Auseinandersetzung über den Sohn. Franz, der Westdeutsche, hat ein Kind, das er eifersüchtig vor dem Einfluss Karls schützt - und auf das dieser ebenso eifersüchtig Einfluss nehmen will. Verkörpert wird dieses Kind durch einen Schwamm und den Rest einer Papiertüte, die, als noch Mehl in ihr war, als Urne des toten Vaters diente.
"Er ist mein Junge, ich werde ihn aufziehen, du verstehst unser Leben nicht und wirst es nie verstehen. Du wirst nie unsere Kenntnisse haben, unsere Sprache, Kleider, Jobs, Essen". Mit solchen Vorwürfen spricht Franz seinem östlichen Zwillingsbruder die Zukunftsfähigkeit ab: Indem die beiden über das Kind streiten, über ihren Einfluss auf die Zukunft, streiten sie über ihre eigene Identität und erkennen die Unmöglichkeit, die Zukunft des anderen zu akzeptieren. "Es gibt zwei von uns. Ich möchte nicht, dass wir zwei sind", sagt Karl. "Du bis nur ein Echo, ein Schatten, du bis ein beschissenes kleines Spiegelbild, das weggeworfen werden muss", sagt Franz.
Zwei fast genau gleich aussehende Menschen auf der Bühne, die beide mit genau der gleichen Stimme sprechen, das hat etwas irritierendes. Wenn beide unisono sprechen und sich gegenseitig ins Wort fallen und die Sätze ergänzen, werden die Grenzen zwischen Dialog, Monolog und sogar antikem Chor verwischt: Man kann sich nicht einmal immer sicher sein, dass Karl und Franz zwei verschiedene Personen und nicht nur Ausformungen einer Identität sind, die wieder zusammenkommen will. Und wenn am Schluss, der eine den anderen erst tötet und dann verschlingt, so wie Westdeutschland Ostdeutschland verschlungen hat, dann ist das ein kannibalistischer Liebesakt, eine Wiedervereinigung.
In einem der schönsten Momente baut Karl, der Ostdeutsche, dem Schwamm-Kind ein Lagerfeuer aus Senfdosen und Sahne-Sprühdosen und fächelt aus dem Müllhaufen des Westkonsums noch einmal ein bisschen junge Pionier-Romantik heraus. Unsere schönen Ferienkolonien, sagt er, wurden alle von Wessies und ihren dicken Frauen übernommen.
Mit Utopie und Ostalgie geht Ravenhill gottlob sparsam um. Aber es ist klar, dass über allem die verlorene Möglichkeit einer gemeinsamen, neuen Zukunft steht, die nicht westlicher Kapitalismus und nicht östlicher Sozialismus gewesen wäre.
Das Thema Wiedervereinigung, berichtet Ravenhill den Briten, ist auch nach 20 Jahren noch aktuell, eine Wunde. Man spürt die Faszination des Außenstehenden an der deutschen Geschichte. Vielleicht stellt Ravenhill alles mit einer etwas zu naiven Unbekümmertheit dar, aber eben auch jener rigorosen Klarheit, zu der nur Außenstehende fähig sind.
Info:
royalcourttheatre.com
Die einzigen Akteure in diesem abstrakten Bühnenraum sind die eineiigen Zwillinge Franz und Karl, der eine mit der Mutter im Westen, der andere mit dem Vater im Osten aufgewachsen. Sie besuchen sich, sie erleben den Fall der Mauer, es entfaltet sich eine Geschichte von Anziehung und Abstoßung, Fremdheit und Annäherung, Rivalität und Bruderliebe.
Die Idee, ein eineiiges Zwillingspaar als Metapher der deutsch-deutschen Situation zu nehmen, kam Ravenhill, als er die jungen Schauspieler Luke und Harry Treadaway, eineiige Zwillinge, in der Schauspielschule kennenlernte.
Aber das Stück so zu beschreiben, wäre nur die halbe Wahrheit: Ravenhill hat kein naturalistisches Familiendrama geschrieben. Die Bühne mit ihrem chaotischen Durcheinander grenzt vielmehr einen post-dramatischen Reflexionsraum ab, in dem Charaktere aufhören, Charaktere zu sein, in dem Psychologie nicht Psychologie und der Dialog eigentlich kein Dialog ist, eher ein diskursives Gedankenspiel. So werden Möglichkeiten durchgespielt, Geschichte und ihre verlorenen Chancen werden noch einmal aufgesucht.
Das dramatische Element, das dieses eine gute Stunde dauernde Stück vorantreibt, ist die Auseinandersetzung über den Sohn. Franz, der Westdeutsche, hat ein Kind, das er eifersüchtig vor dem Einfluss Karls schützt - und auf das dieser ebenso eifersüchtig Einfluss nehmen will. Verkörpert wird dieses Kind durch einen Schwamm und den Rest einer Papiertüte, die, als noch Mehl in ihr war, als Urne des toten Vaters diente.
"Er ist mein Junge, ich werde ihn aufziehen, du verstehst unser Leben nicht und wirst es nie verstehen. Du wirst nie unsere Kenntnisse haben, unsere Sprache, Kleider, Jobs, Essen". Mit solchen Vorwürfen spricht Franz seinem östlichen Zwillingsbruder die Zukunftsfähigkeit ab: Indem die beiden über das Kind streiten, über ihren Einfluss auf die Zukunft, streiten sie über ihre eigene Identität und erkennen die Unmöglichkeit, die Zukunft des anderen zu akzeptieren. "Es gibt zwei von uns. Ich möchte nicht, dass wir zwei sind", sagt Karl. "Du bis nur ein Echo, ein Schatten, du bis ein beschissenes kleines Spiegelbild, das weggeworfen werden muss", sagt Franz.
Zwei fast genau gleich aussehende Menschen auf der Bühne, die beide mit genau der gleichen Stimme sprechen, das hat etwas irritierendes. Wenn beide unisono sprechen und sich gegenseitig ins Wort fallen und die Sätze ergänzen, werden die Grenzen zwischen Dialog, Monolog und sogar antikem Chor verwischt: Man kann sich nicht einmal immer sicher sein, dass Karl und Franz zwei verschiedene Personen und nicht nur Ausformungen einer Identität sind, die wieder zusammenkommen will. Und wenn am Schluss, der eine den anderen erst tötet und dann verschlingt, so wie Westdeutschland Ostdeutschland verschlungen hat, dann ist das ein kannibalistischer Liebesakt, eine Wiedervereinigung.
In einem der schönsten Momente baut Karl, der Ostdeutsche, dem Schwamm-Kind ein Lagerfeuer aus Senfdosen und Sahne-Sprühdosen und fächelt aus dem Müllhaufen des Westkonsums noch einmal ein bisschen junge Pionier-Romantik heraus. Unsere schönen Ferienkolonien, sagt er, wurden alle von Wessies und ihren dicken Frauen übernommen.
Mit Utopie und Ostalgie geht Ravenhill gottlob sparsam um. Aber es ist klar, dass über allem die verlorene Möglichkeit einer gemeinsamen, neuen Zukunft steht, die nicht westlicher Kapitalismus und nicht östlicher Sozialismus gewesen wäre.
Das Thema Wiedervereinigung, berichtet Ravenhill den Briten, ist auch nach 20 Jahren noch aktuell, eine Wunde. Man spürt die Faszination des Außenstehenden an der deutschen Geschichte. Vielleicht stellt Ravenhill alles mit einer etwas zu naiven Unbekümmertheit dar, aber eben auch jener rigorosen Klarheit, zu der nur Außenstehende fähig sind.
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royalcourttheatre.com