Andreas Michelmann, Präsident des Deutschen Handballbundes und Daniel Keller, Präsident des Deutschen Judo-Bundes blicken in unserem Sportgespräch nicht nur zurück auf die Wiedervereingung im Sport. Sie diskutieren vor allem die Auswirkungen auf den heutigen Zustand des Sportsystems und ihre Prognosen für die Zukunft.
Auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es im Sport Unterschiede zwischen Ost und West: "Wir müssen auch bemerken, wie der Organisationsgrad vom Sport in Ostdeutschland ist und auch in Westdeutschland, was sich natürlich auch am Ende in Mitgliederzahlen ausdrückt und am Ende auch in Stimmenmehrheiten bei Mitgliederversammlungen von Spitzensportverbänden", sagt Daniel Keller über den unterschiedlichen Einfluss von Ost und West in Sportverbänden. Wobei für ihn die Begriffe ost- und westdeutsch gar nicht mehr so klar seien.
"Ich hatte neulich ein Gespräch mit Mecklenburg-Vorpommern. Die sagten mir: 'Wir fühlen uns so, wie wir uns als Ostdeutsche fühlen, fühlen wir uns auch als Norddeutsche.' Will sagen: da kommt mittlerweile ja viel zusammen. Mir ist wichtiger, wenn wir in Besetzung von Spitzenpositionen bei den Verbänden kommen, muss man schon sagen, dass da natürlich eine deutlichere westdeutsche Prägung ist. Am Ende müssen wir aber schauen, auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung: Wo können wir was lernen? Bei den Sichtungsprozessen und bei den Strukturen, die es in Ostdeutschland gab, kann man ein Stück weit mitnehmen und gucken: Was hat funktioniert? Was kann man auch in den Westen übertragen?"
Dabei habe es zu Zeiten der Wiedervereinigung Fehlentscheidungen gegeben, sagt Andreas Michelmann: "Ich finde, eine der größten sportpolitischen Dummheiten war sozusagen das Schleifen der DHfK (Deutsche Hochschule für Körperkultur in Leipzig) damals, was ja im Einigungsvertrag nicht vorgesehen war, aber praktisch trotzdem stattgefunden hat. Ich finde, da haben wir uns wirklich ein riesengroßes Eigentor geschossen." Für Michelmann waren auch die Dopingstrukuren im DDR-Sport und der Hochschule kein ausreichender Grund:
"Die Doping Vergangenheit, die muss man nicht schönreden und auch nicht kleinreden. Das ist alles großer Mist. Aber damit sozusagen gleichzeitig funktionierende Strukturen kaputt zu kloppen, nur weil man sie nicht kennt. Das war ein Fehler und das müssen wir genauso auch ansprechen dürfen."
Genau so sollte aber auch die Dopingvergangenheit aufgearbeitet werden, findet Keller: "Man muss Schlüsse für heute daraus ziehen. Und man muss erwarten von denen, die in der Ostzeit dort gearbeitet haben: ein ganz klares Bekenntnis und eine ganz klare Aussage. (...) Und es kann, wie auch Herr Michelmann gesagt hat, nur darin münden, dass man Doping an der Stelle nicht nur ablehnt, sondern proaktiv bekämpfen muss. Zum einen durch Aufklärung, zum anderen aber auch klar durch Testungen, Überprüfungen und Kontrollen."
Gauck, Merkel, Michelmann. Langsam reicht es.
Eher von Frotzeleien als von großen Nachteilen aufgrund ihrer ostdeutschen Herkunft berichten sowohl Keller (34), der die DDR nur als Kind erlebte. Michelmann (60) musste bei seiner Wahl viele Fragen zu seiner Vergangenheit im DDR-Sport beantworten, erinnert sich aber auch an Witze:
"Da gab es eigentlich nur 2015 eher so eine lustige Randerscheinung. Das war zu der Zeit, als Herr Gauck Bundespräsident war, Frau Merkel war schon Bundeskanzlerin. Und da hat jemand gesagt: 'Jetzt haben wir schon Gauck, Merkel und jetzt auch noch Michelmann. Langsam reicht es.'"
Michelmann blickt in Sachen Einheit positiv in die Zukunft: "So wie sich die Strukturen angleichen und so wie sich die Probleme auch angleichen, wird, so denke ich, wird sich auch die sportpolitische Diskussion angleichen. Und wahrscheinlich werden wir uns in 30 Jahren noch hören. Bei Herrn Keller ist es doch sehr wahrscheinlich, bei mir eher weniger. Dann wird es, glaube ich, eine ganz andere Diskussion geben."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.