Archiv

Wiedervereinigung von evangelischer Kirche Ost und West
Einheit ohne Wandel

Zwei konträre deutsche Staaten mussten vor 30 Jahren zusammengebracht werden. Es sollte zusammen wachsen, was zusammen gehört. Vieles ist gelungen. Aber der Geburtsschmerz hält an. Auch in den Kirchen. Im Januar 1990 wurde der Grundstein gelegt für die evangelische deutsche Einheit.

Von Kirsten Dietrich |
Martin Kruse und Werner Leich unterzeichnen die Loccumer Erklärung.
EKD-Ratsvorsitzender Martin Kruse (links) und Kirchenbundvorsitzender Werner Leich (rechts) unterzeichnen im Januar 1990 die Loccumer Erklärung. (Imago / epd)
Grenzen offen – und wie weiter? Die evangelische Kirche preschte da, so schien es, zwei Monate nach der Maueröffnung voraus und setzte das Gespräch über die kirchliche Wiedervereinigung auf die Tagesordnung. Das war allerdings erst mal eher ein Zufall.
"Diese Tagung in Loccum im Januar 1990, das war ja mehr so eine Tagung für Veteranen, es sollten ja 20 Jahre 'besondere Beziehung' zwischen Kirchenbund und EKD bedacht werden. Schon lange vor dem Mauerfall war diese Tagung angesetzt worden."
So erinnert sich der ehemalige Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, Axel Noack, an diese Januartage im niedersächsischen Loccum.
"Dann musste man in dieser Tagung erleben, dass da ganz viele Journalisten vor der Tür standen und wissen wollten: Was ist denn nun mit der Kirche, wie sieht die das mit der Wiedervereinigung?"
"Kommt dazu!"
"Man konnte aus EKD-Kreisen auch hören: 'Nun freut euch doch! Macht das, was jetzt dran ist, und kommt, und wir in der EKD sind stabil, wir sind eine Volkskirche, großer Veränderungsbedarf ist für uns nicht zu sehen, also kommt dazu!"'
Erinnert sich Rosemarie Cynkiewicz. Sie wurde im Februar 1990 gewählt als Präses, also Vorsitzende der Synode des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR. Als die evangelischen Kirchenleitungen Ost und West kurz nach der Wende in Loccum zusammensaßen, stellten sie schnell die Weichen – auf Wiedervereinigung.
"Wie sich auch die politische Entwicklung künftig gestalten mag, wir wollen der besonderen Gemeinschaft der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland auch organisatorisch angemessene Gestalt in einer Kirche geben."
Es gab nur wenig Widerspruch
"Als die Loccumer Erklärung erschien, gab es sofort Widerspruch von einzelnen Personen, es zeigte sich aber, dass die nicht viel Anhang in den Kirchen hatten."
Sagt Jürgen Schmude, damals Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, EKD.
"Widerspruch kam auch aus dem Westen. Zum Teil waren das namhafte Persönlichkeiten, die in einer sogenannten Berliner Erklärung gegen die Äußerungen von Loccum meinten, man müsse doch einen anderen Weg gehen, die Selbständigkeit bedenken. Das fand aber außer in kleinen Kreisen keine Zustimmung."
Viel umstrittener als die kirchliche Wiedervereinigung selbst erwies sich ihre Umsetzung. In der Loccumer Erklärung heißt es dazu:
"Mit den während der Zeit der Trennung gewachsenen Erfahrungen und Unterschieden wollen wir sorgsam umgehen."
"Ich glaube, das ist gelungen. Denn letztlich wurde eine einvernehmliche Lösung gefunden von beiden Seiten."
Sagt Jürgen Schmude, Synodenpräses West.
Lebensgefühl statt strukturierter Argumente
Rosemarie Cynkiewicz, Kirchenbund Ost, erinnert sich anders:
"Unsere Vorstellung war, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten, dass man gemeinsam noch mal prüft, ob nicht manches doch zu verändern wäre. Wir haben die Einheit bekommen, aber im Grunde keinen Wandel."
Dabei wären die Gespräche über die kirchliche Wiedervereinigung ein guter Moment gewesen für innerkirchliche Veränderungen, sagt Cynkiewicz – denn dort trafen nicht nur zwei Zweigstellen ein- und derselben Institution aufeinander.
"Die Erfahrungen, die wir gemacht haben mit der Kirche, sind andere gewesen als in der EKD, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse völlig unterschiedlich waren. Das konnte nicht so eine Episode sein, von der später nicht mehr die Rede ist, sondern wir mussten gucken, wie die Erfahrungen eingebracht werden konnten."
Jürgen Schmude bei der Verleihung des Verdienstordens des Landes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf am 14.05.2019
Jürgen Schmude betrachtet die Wiedervereinigung der Kirchen als Erfolg (imago images)
Aber das gestaltete sich als schwierig. Denn diese Erfahrungen waren mehr ein Lebensgefühl als ein strukturierter Katalog von Verwaltungsmaßnahmen. Jürgen Schmude jedenfalls ist bis heute das Befremden anzumerken, wenn er sich an die gemeinsamen Verhandlungen erinnert.
"Dort wurde überlegt, was gibt es denn für Errungenschaften und Erfahrungen im Osten, die wir übernehmen sollten, die so wertvoll sind, dass wir sie übernehmen. Und da haben unsere östlichen Partner gezögert, uns etwas zu nennen, was nicht sowieso schon miteinander berücksichtigt wurde. Das heißt, wer heute kommt und sagt, wir haben dabei wertvolle eigene Erfahrungen verloren, der sollte sogleich eine klare Definition, eine Beschreibung dieser Erfahrungen geben. Und klarmachen, uns allen, die wir es nicht verstehen, was denn verloren gegangen ist."
"Ich habe die Art, Kirche zu sein, hier in DDR-Zeiten als eine dem Evangelium angemessene erlebt. Das durfte nach meiner Überzeugung nicht verloren gehen."
Wie staatsnah soll die Kirche sein?
Staatlich garantierter Religionsunterricht, der Einzug der Kirchensteuer durch die Finanzämter und die enge Kooperation mit der Bundeswehr bei der Militärseelsorge – gerade bei der Frage, wie nahe die wiedervereinigte Kirche eigentlich dem wiedervereinigten Staat sein sollte, fand sich Rosemarie Cynkiewicz als Vertreterin der ostdeutschen Kirchen mit ihren Vorstellungen nicht wieder.
"Als nun organisatorisch die Gemeinschaft neu gestaltet werden musste, da stellten wir dann fest, dass bei aller Nähe, die es wirklich gab, dass wir da über die Unterschiede zu wenig geredet haben."
Rein organisatorisch war die Wiedervereinigung der Protestanten einfach: Denn rein juristisch waren die DDR-Kirchen, so stellte es ein Rechtsgutachten fest, nie wirklich aus der Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland ausgetreten. Man musste also nicht von Null über ein neues Bündnis verhandeln, sondern konnte einfach die ruhende Mitgliedschaft wieder in eine aktive verwandeln. Das hieß aber auch: Eigentlich mussten sich nur die ostdeutschen Landeskirchen verändern, für die Westdeutschen blieb im Wesentlichen alles beim Alten.
Die ehemalige Präses des ostdeutschen Kirchenbundes, Rosemarie Cynkiewicz, bei der Synodentagung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Dresden am Dienstag (11.11.14)
Rosemarie Cynkiewicz (imago stock&people / epb-Bild / Norbert Neetz)
"Insofern waren wir auch, bei allem Bemühen, ungleiche Partner, die Schwergewichte waren klar verteilt, wobei ich persönlich nur sagen kann: Das Bemühen von vielen verantwortlichen Menschen in der EKD war schon groß, auf uns zuzukommen, aber manches ging einfach nicht."
"Wir dürfen nicht mehr nur auf die Mitglieder gucken"
Jürgen Schmude: "Das sind alles Selbstverständlichkeiten geworden. Mit anderen Worten: Ich meine sogar, diese Vereinigung hat sich gelohnt, sie ist vernünftig gewesen."
Die evangelischen Kirchen wollten sich eigentlich drei Jahre Zeit geben, um ihre Wiedervereinigung zu beraten. Aber sowohl in der Politik als auch in den Kirchen wuchs der Druck, schnell zu handeln: Im Juni 1991, knapp zwei Jahre nach der Wende, beschlossen die Kirchenparlamente Ost und West nahezu einstimmig ihre Wiedervereinigung. Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Ost- und West-Protestanten skizziert der ehemalige mitteldeutsche Bischof so:
"Die Kirchenleute in Ost und West unterscheiden sich kaum, aber die Leute, die nicht zur Kirche gehören, die unterscheiden sich ganz kräftig. Im Westen kann man immer noch mehr oder weniger sagen: Wer nicht in der Kirche ist, ist irgendwann mal ausgetreten. Aber hier bei uns ist die Masse der Bevölkerung nie ausgetreten, weil sie nie drin war. Die Leute haben oft ein gutes Verhältnis zur Kirche, völlig entkrampft, ganz anders als im Westen. Und wir dürfen, glaube ich, nicht mehr nur auf die Mitglieder gucken."
Und so möchte Altbischof Axel Noack - 30 Jahre nach dem Mauerfall - den Blick nicht mehr zurück, sondern nach vorne richten - auf die kirchliche Zukunft.