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Kommentar zu Sánchez-Wiederwahl
Eigennutz als Chance für Spanien

Pedro Sánchez wurde als spanischer Ministerpräsident wiedergewählt. Eine gute Wahl? Ja, meint unsere Autorin, denn sie sieht in seiner Haltung zur Amnestie für katalanische Separatisten eine Chance für Versöhnung, die dem Land nutzen könnte.

Ein Kommentar von Franka Welz |
Pedro Sanchez im spanischen Parlament
Das spanische Parlament hat den geschäftsführenden Ministerpräsidenten Pedro Sánchez als Regierungschef wiedergewählt. (IMAGO / ABACAPRESS / IMAGO / Europa Press / ABACA)
Wer ernsthaft befrieden und versöhnen will, muss aufeinander zugehen. Pedro Sánchez tut genau das – er reicht katalanischen Separatisten die Hand. Doch er macht es vor allem aus Eigennutz. Überwiegend aus machtpolitischem Kalkül hat Sánchez seine Haltung zu einer Amnestie für katalanische Unabhängigkeitsbefürworter geändert. Und damit ist er beileibe nicht der erste Berufspolitiker, der aus eigennützigen Motiven handelt. Aber, na und?
Warum nicht anders denken: Eigennutz als Chance, um womöglich eine Verletzung verheilen zu lassen, die seit Jahrzehnten durch Spanien verläuft? Und Pedro Sánchez entsprechend in die Pflicht nehmen.
Ein Blick in andere Regionen der Welt zeigt, dass Versöhnung nur mit Entgegenkommen überhaupt erst möglich wird. Die in Südafrika nach dem Ende der Apartheid eingesetzte Wahrheits- und Versöhnungskommission gilt weltweit als Erfolgsmodell, um eine Bevölkerung nach Bürgerkriegen wieder zusammenzubringen. Ohne diesen Kompromiss wäre der friedliche Übergang zur Demokratie womöglich gescheitert.

Amnestie als Versöhnungsangebot

Im Fall von Nordirland wurde eine Amnestie als politisches Instrument gewählt, vorausgesetzt die Täter kooperierten mit einer unabhängigen Versöhnungskommission – umstritten und sicher nicht perfekt, aber damit ja nicht per se verfassungswidriges Teufelszeug. Spaniens Verfassung sieht eine Amnestie zwar nicht vor, verbietet sie aber auch nicht ausdrücklich. Gut, dass Sánchez diesen Spielraum offenbar nutzen will.
Und es geht ja um viel mehr als nur Katalonien. Andere autonome Gemeinschaften wie Galicien oder das Baskenland verstehen sich als Nationen in der Nation. Ein Konstrukt, das in einem gewissen Vereinigten Königreich seit vielen Jahren durchaus stabil funktioniert. Und daher ist es gut, dass Sánchez Bewegung eine ähnliche Richtung signalisiert.

Sprachliche und kulturelle Vielfalt als Gewinn

Die Alternative sähe hingegen so aus: Die konservative Volkspartei scheint an Amnestie oder Vielfalt kein ernsthaftes Interesse zu haben – über die rechtsextreme Partei Vox müssen wir hier gar nicht erst reden. Deren Sicht ist klar: Spanisch ist alles, was kastilisch ist und alle anderen haben die Klappe zu halten. Andere Minderheiten im Land dürften das aufmerksam zur Kenntnis nehmen.
Wer etwa ernsthaft behauptet, das Zulassen von Co-Amtssprachen wie Baskisch, Galizisch oder eben Katalanisch in Parlamentsdebatten gefährde den Zusammenhalt der Nation, dem geht es nicht um Gleichheit für alle, sondern um Gleichmacherei und Dominanz.
Mit seinem Eigennutz hat der Sozialist Pedro Sánchez zumindest theoretisch eine Chance geschaffen für ein anderes Spanien, in dem all seine Bestandteile auf Augenhöhe miteinander umgehen könnten. Das seine sprachliche und kulturelle Vielfalt als Gewinn sieht und nicht als Betriebsunfall – und daran sollte man ihn messen.