In und um die Wiener Hofburg gibt es so viele Pferde wie wohl in keiner anderen Großstadt der Welt: Draußen trotten müde die braunen Fiakerstuten über das Pflaster des Michaelerplatzes, drinnen stehen 72 edle weiße Hengste in ihren vornehmen Stallungen.
Die Spanische Hofreitschule. An die 300.000 Besucher kommen jedes Jahr, um das Ballett der weißen Hengste zu sehen: Die edlen Lipizzaner zeigen Pirouetten und Piaffen, Courbetten, Kapriolen und Pas de Deux. Reiterliche Kunst in höchster Vollendung, im Takt von Walzer und Wiener Klassik. In den Logen der barocken Winterreitschule sitzen heute vor allem Touristen - vor der Einführung der Republik waren die Vorführungen ausschließlich dem Adel vorbehalten, so die heutige Direktorin Elisabeth Gürtler:
"Die Lipizzaner und die Spanische Hofreitschule waren der Öffentlichkeit nicht zugänglich, hier hat die Aristokratie reiten gelernt, für Paraden, für Repräsentationen, vielleicht auch für Kriegszwecke, das Kaiserhaus war hier, die Öffentlichkeit hat nie gesehen, was sich hier tut."
Die ersten Pferde kamen aus dem Gestüt Lipica
Edle Pferde gab es an allen europäischen Königshäusern der frühen Neuzeit. Denn unter den wiederentdeckten Schriften der Antike hatten Gelehrte auch einen Text des griechischen Philosophen Xenophon gefunden: "Über die Reitkunst". Nach diesen klassischen Anleitungen entstanden höfische Reitakademien in Neapel, am spanischen und am portugiesischen Königshaus - und in Wien. Die ersten Pferde kamen aus dem Gestüt Lipica im heutigen Slowenien an den Hof der Habsburger, schwere und trittsichere Tiere aus dem Karstgebirge. Die Eleganz brachte erst Ferdinand I. mit, erzählt die junge Fremdenführerin Alexia Havlicek:
"Er wuchs ja in Spanien auf, war ein Habsburger der spanischen Linie, kam 1521 von Spanien nach Österreich. Und er brachte diese spanischen Pferde mit und übernahm teilweise auch die Reiterei, und das alles kam den Wienern sehr spanisch vor. Nicht nur wegen diesen sehr kleinen zarten Pferden, sondern auch natürlich wegen dieser Reitweise, wegen dem Hofzeremoniell, und von dieser Zeit stammt auch dieser Ausdruck: Es kommt einem etwas spanisch vor."
Wann Wiens Spanische Hofreitschule tatsächlich gegründet wurde, lässt sich anhand von Urkunden aus dem österreichischen Nationalarchiv belegen:
"Eine Zeit lang galt ja 1572 als das Gründungsjahr der Hofreitschule, aus dem einfachen Grund, dass es da eine Geruchsbeschwerde gab, das heißt, hier erfolgte eine Beschwerde über den Geruch der Pferde im Stadtbereich, und das war die erste festgeschriebene Erwähnung der Hofreitschule."
Doch dann tauchte ein neues Dokument auf: eine handgeschriebene Rechnung, datiert auf den 20. September 1565. Danach wurde ein Betrag von 100 Gulden an die Stadt Wien gezahlt‚ zur "Aufrichtung des Thumblplatz im Garten an der Purgkh". Dieser Kauf des ersten Wiener Tummel- und Trainingsplatzes für Pferde, vermutlich gelegen auf dem Areal des heutigen Josefsplatzes, gilt inzwischen als offizielles Gründungsjahr der Spanischen Hofreitschule.
"Die klassische Reitkunst sagt, das Pferd gibt das Tempo der Ausbildung vor. Das kostet Geld, denn ein Pferd, das von vier Jahren bis elf Jahren nicht eingesetzt wird, ist nur Kostenfaktor und bringt erst mit elf Jahren etwas, bei einer Vorführung oder bei einer Tournee."
Gesellschaft öffentlichen Rechts und gesetzlich geschützt
Die Direktorin Elisabeth Gürtler, früher Chefin der Sacher Hotels und des Wiener Opernballs, muss dafür sorgen, dass der luxuriöse Schaustall schwarze Zahlen schreibt. Seit dem Jahr 2001 ist die Spanische Hofreitschule eine Gesellschaft öffentlichen Rechts, finanziell selbstständig und gesetzlich geschützt:
"Mittlerweile gibt es das Spanische Hofreitschulgesetz, das heißt, wir haben die Traditionen aufrechtzuerhalten, und ein Teil der Tradition ist es, dass man sich auf die Vergangenheit besinnt und sagt, ja, wir wurden gegründet, als man spanische Pferde, spanische Reiter und spanische Pfleger nach Wien gebracht hat."
Die weißen Hengste sind längst keine reinen Spanier mehr: Die Wiener Lipizzaner werden heute im staatseigenen Gestüt Piber in der Steiermark gezüchtet, sie sollen gelehriger und gelenkiger sein als andere Pferderassen. Trotzdem brauchen auch sie eine gründliche, jahrelange Ausbildung in feiner Kommunikation zwischen Reiter und Pferd. Solche Pferdeflüsterer gibt es in vielen Reitställen. Dass die Spanische Hofreitschule die berühmteste Reitschule der Welt werden konnte, liegt nicht nur an den besonders eleganten Schritten und Sprüngen der Pferde. Sondern wohl vor allem daran, dass das Wiener Hengstballett als Marke funktioniert: prächtige Kaiserschimmel unter Reitern in weißer Hirschlederreithose und einem Zweispitz aus Hasenfell: die perfekte Inszenierung einer längst vergangenen Kaiserzeit, gleich neben dem Sissi-Museum mitten in Wien.