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Wiener Burgtheater
Das Ensemble hat gesprochen

Die bisherige Direktorin des Burgtheaters Wien ist die künftige, Karin Bergmann macht einfach weiter. Die Entscheidung lag nahe. Denn auch wenn Bergmann sich nicht beworben hat, wollte das Ensemble sie an der Spitze des krisengeschüttelten Hauses. Nun hat sie die Chance, alle zu überraschen.

Von Sven Ricklefs |
    Karin Bergmann
    Karin Bergmann (dpa / picture alliance / Roland Schlager)
    Diese Entscheidung war zu erwarten. Und überrascht dann doch. Nicht nur, weil Karin Bergmann ihrem Geschlecht nach weiblich ist. Deswegen auch. Immerhin gerät damit das heiligste Wiener Heiligtum erstmals in seiner fast 240-jährigen Geschichte in die Hände einer Frau. Und Wien ist konservativ, bis in die Knochen. Das passiert zwar anderen großen Häusern auch höchst selten, also: dass sie von Frauen geleitet werden. Aber wenn die Burg fällt, ist das doch schon mal einen Schluckauf wert, immerhin ist sie das größte deutsche Sprechtheater, das bestsubventionierte sowieso, Misswirtschaft hin oder her, die Burg ist die reichste und größte Repertoirebühne der Welt und die zweitälteste Europas.
    Und nun also Karin Bergmann: eine Frau, und nicht nur als krisenmanagender Notnagel, als der sie nach der unrühmlichen Entlassung ihres Vorgängers Mathias Hartmann von Österreichs Kunst- und Kulturminister Josef Ostermayer zunächst einmal ins Burgportal gehämmert worden war. Nein: eine Frau: an der Spitze. Für fünf Jahre. Dabei lag die Entscheidung nahe, so nahe, dass man sich eigentlich das ganze Findungsprozedere hätte sparen können. Doch eine Ausschreibung musste es geben. Allerdings: Karin Bergmann hatte sich, wie es heißt, nicht beworben. Sie ist gefragt worden. Und: sie war gewollt. Vor allem auch: vom Ensemble.
    Verunsichertes Ensemble
    Das war zuletzt durch jene skandalöse Entlassungspolitik zutiefst verunsichert worden, mit der Matthias Hartmann vor einem Jahr versuchte, dem klaffenden Finanzdebakel entgegenzusteuern, das das Burgtheater nach jahrelanger autokratischer Misswirtschaft nicht nur unter seiner Intendanz an den Rand des Ruins gebracht hatte. Karin Bergmann vertraut dieses Ensemble, einer Frau, die schon unter der noch immer legendären Intendanz von Claus Peymann in den späten 80er und frühen 90er Jahren Pressesprecherin war an dieser Burg, und die unter Klaus Bachler in den Nullerjahren zum Leitungsteam gehörte. Vertrauen, Stabilität, eine über Jahrzehnte gewachsene tiefe Kenntnis des Hauses, die auch für den anstehenden beziehungsweise schon eingeleiteten radikalen Sparkurs notwendig ist, all dies ist für die jetzt gefallene Entscheidung sichtlich wichtiger gewesen als künstlerisches Profil. Denn das muss Karin Bergmann erst noch unter Beweis stellen oder: vielleicht sogar erst kreieren.
    Das Wiener Burgtheater
    Das Wiener Burgtheater (picture-alliance / dpa / Georg Hochmuth)
    Die Chance, alle zu überraschen
    Wer weiß das schon so genau, hat sie doch bisher immer nur in der zweiten Reihe gestanden. Und die gerade angelaufene Interimsspielzeit ist durch bestehende Verträge noch zu stark von ihrem Vorgänger geprägt, als dass sie hier schon Akzente setzen konnte. Bisher war ihr zudem als künstlerischer Berater der altehrwürdige Hermann Beil zur Seite gestellt, der als ewiger intellektueller Schatten von Claus Peymann an der Burg und am Berliner Ensemble seinen unangefochtenen Lorbeerkranz ebenso unanfechtbar nicht gerade für innovative Zukunftsvisionen für die Bretterbühnen dieser Welt erworben hat.
    Nun aber, als erwählte Burgtheaterdirektorin, hat die 60-jährige Karin Bergmann die Chance, all jene zu überraschen, die die Entscheidung für sie für allzu wohlfeil halten und vielleicht auch jene, die darauf warten, dass sie den angeschlagenen Riesendampfer mit ihrem ebenso ruhigen wie uneitlen Gestus aus den heftigen Turbulenzen steuert, in den andere ihn gebracht haben. Jene also, die lieber noch drei Jahre warten, um sich dann für 2019 wieder zu bewerben. Martin Kusej etwa, eigentlich der Idealkandidat für die Hartmannnachfolge, ein Regisseur mit starkem künstlerischen Eigenprofil und längst auch Leitungserfahrung bei den Salzburger Festspielen und am Münchner Residenztheater, er wurde zwar von den Medien heiß gehandelt, winkte aber schon früh ab mit eben dem Hinweis auf ein unbestelltes Haus.
    Bleibt nun zu hoffen, dass niemand mehr auf die Idee kommt, Karin Bergmann doch noch einen Strick aus der Tatsache zu drehen, dass auch sie schon zu jenen Zeiten an Bord war, als längst nicht mehr alles mit rechten Dingen zuging im Burgtheater. Wien ist eine Kulturstadt; aber auch und vor allem: eine Schlangengrube.